Lansburghs letzter Aufsatz in “Der Bank”: Ablehnung von Preis-Indizes zur Geldwertbestimmung

Die Diskussion über die Stabilisierung der vom Golde abgehängten Währungen, die noch im Frühjahr sehr rege war, ist im Sommer merklich abgeebbt. Schuld daran ist die in England ausgegebene Parole, daß die Wiederherstellung einer festen Relation zwischen dem Pfund Sterling und dem Gelde der übrigen Länder eine Vorbedingung habe, die heute noch fehle: Die innere Kaufkraft der beiden für England z. Zt. wichtigsten Währungen, nämlich der amerikanischen und der französischen, müsse zunächst in Uebereinstimmung mit ihrer in Pfunden ausgedrückten äußeren Kaufkraft stehen. Das sei aber gegenwärtig noch nicht der Fall. Der französische Franc sei auf dem Weltmarkt um 10 bis 15% höher bewertet, als es seiner effektiven Kaufkraft in Frankreich entspreche, der Dollar dagegen in ungefähr demselben Ausmaße unterbewertet. Ein Stabilisierungs-Abkommen sei erst dann denkbar, wenn die in Aussicht genommenen Relationen zwischen Pfund, Dollar und Franc dem Stande der Preise auf den verschiedenen Binnenmärkten wesentlich besser entsprechen, als es heute der Fall sei. Zunächst müsse also die Differenz, die in USA und Frankreich zwischen Preis-Index und Devisenkurs klaffe, von der Preisseite oder vom Wechselkurs her ausgeglichen werden.

Der Gedanke, daß es unzweckmäßig, ja gefährlich sei, derart „unausgeglichene“ Währungen, wie es Pfund, Dollar und Franc angeblich heute sind, wieder in eine feste Relation zueinander und damit zum Golde zu bringen, ist in breiten Kreisen der Volkswirtschaft Gemeingut geworden. Die internationale Finanzpresse verwendet seit Jahr und Tag viel Mühe und Scharfsinn darauf, den Grad der Abweichung zwischen dem wirklichen Wert der einzelnen Währungen und ihrer präsumtiven oder faktischen Goldparität zu errechnen, und der Londoner ,,Economist“ geht ihr auf diesem Wege tatkräftig voran. Im Herbst vorigen Jahres hat die genannte Zeitschrift die „wirkliche“ Relation zwischen englischem Pfund und französischem Franc von der Preisbewegung in den beiden Ländern abzuleiten gesucht; sie kam damals zu dem Ergebnis, daß sie zwischen 8S0 und 90 Francs je Pfund liege (gegenüber einer derzeitigen de facto-Parität von 74 bis 75 Francs), und zwar eher in der Nähe der oberen als der unteren Ziffer, und daß der Franc daher durch Ermäßigung seines gesetzlichen Goldgehalts entsprechend abgewertet werden müsse, wenn man nicht Gefahr laufen wolle, das künftige Wort Verhältnis zwischen Franc und Pfund falsch zu fixieren.

Schon diese Relations-Berechnungen zeigen, von welcher Bedeutung die Frage ist, ob der Preisindex, wie ihn die Statistischen Aemter der einzelnen Länder wöchentlich oder monatlich zu ermitteln pflegen, die Kaufkraft der verschiedenen Währungen wirklich exakt wiedergibt. Eine noch ungleich größere Bedeutung erlangt diese Frage aber angesichts der weit verbreiteten und von einem Teil der angelsächsischen Theorie zum Dogma erhobenen Anschauung, daß nur diejenige Währung innerlich gesund sei, die man vom Golde und seinen Wertschwankungen losgelöst und an den gewogenen Durchschnitt der Binnenpreise gebunden habe. Hier wird der Preisindex zum bestimmenden Faktor des Geldwerts gemacht, zum archimedischen Punkt, an dem man die Währung verankern möchte, um der Vielzahl der wertveränderlichen Güter endlich einmal eine wirklich feste, zweifelsfrei wertkonstante Kaufkraft gegenüberzustellen. Ob man nun aber an die Rolle denkt, die der Preisindex (allein oder in Verbindung mit dem Lohn-Index) hier, als absolutes Bestimmungsmittel für die Kaufkraft eines einzelnen Landesgeldes, zu spielen berufen sein soll, oder an die Aufgabe, die man ihm als Maßstab für die Relation zwischen der Kaufkraft mehrerer an das Gold gebundener Währungen stellen möchte, in jedem Falle erweist sich die Frage von elementarer Bedeutung, ob der Preisindex denn überhaupt ein zuverlässiges und brauchbares Instrument für die Messung der Kaufkraft nationaler Währungseinheiten abgibt.

Schon wenn man an die Beantwortung dieser Frage zunächst nur unter dem Gesichtspunkt herantritt, ob der Index (er sei an sich richtig oder nicht) für die Zwecke brauchbar ist, denen er nach dem Vorgesagten dienstbar gemacht werden soll — was hier nur ganz skizzenhaft geschehen kann —, und sich einen der am häufigsten eintretenden Fälle vergegenwärtigt, nämlich daß in einer bestimmten Ländergruppe eine überreichliche Ernte zu scharfer Preissenkung führt, während in anderen, von Zollmauern umgebenen Ländern Mißernten eine starke Preissteigerung zur Folge haben, schon dann müssen notwendig Zweifel an der Brauchbarkeit des Preisindex für die Zwecke der exakten Kaufkraftmessung entstehen. Denn welche währungspraktische Nutzanwendung soll aus der Preissenkung hier, der Preissteigerung dort gezogen werden? Will man die Relation zwischen zwei Währungen, die bisher in einem bestimmten festen Tausch Verhältnis zueinander gestanden haben, abändern, weil eine knappe Versorgung die Kaufkraft der einen Währung vermindert, eine reichliche Versorgung die Kaufkraft der anderen erhöht hat? Oder will man den Realwert des Geldes in -dem einen Lande so lange senken, bis die Preise, trotz Knappheit hier und Ueberversorgung dort wieder den allen Stand erreicht haben? Um den Geldwert bei Wiederkehr normaler Verhältnisse neuerdings zu ändern und so das von der Warenseite her gegebene Signal, daß der Verbrauch beschränkt werden muß oder ausgedehnt werden darf, von der Geldseite her unwirksam zu machen? (Fishers compensated dollar bezweckt etwas Derartiges.) Der Widersinn eines solchen Verfahrens, das den Preis auf Kosten der Währung und ihrer Weltgeltung stabil erhalten will, um die natürlichen Schwankungen der Volksversorgung durch künstliches Elastischmachen der Kaufkraft quasi zu annullieren, dieser Widersinn springt in die Augen, sobald man das Dogma von der Index-gebundenen Kaufkraft auf seine praktischen Konsequenzen durchdenkt.

So viel in aller hier gebotenen Kürze von der Brauchbarkeit des Preis-Index für die Zwecke einer manipulierten Währung, also von der Funktionsfähigkeit des Index ohne Rücksicht auf die Korrektheit seiner Konstruktion und ohne Prüfung der Möglichkeit das kaleidoskopische Preisgefüge eines Landes wirklich zuverlässig in einer einzigen Sammelzahl einzufangen. Der Preis-Index ist, selbst unter der Voraussetzung seiner Richtigkeit, für die Währungspolitik ohne praktischen Wert. Darf man denn aber — dieser zweiten Frage wenden wir uns nunmehr zu — die Richtigkeit und Zuverlässigkeit des Preis-Index überhaupt als gegeben ansehen?

Diese Frage spaltet sich in mehrere Unterfragen. Die erste von ihnen ist, inwieweit die vergleichende Preisstatistik die Fähigkeit besitzt, dem Element des kulturellen Fortschritts im Index Rechnung zu tragen. Die Lebenshaltung der Völker ändert sich heute sehr schnell. Im Zeitraum weniger Jahre gehen Veränderungen vor sich, die einer Preis-Vergleichung regelmäßig wiederkehrender Kategorien viel von ihrem Wert nehmen. Das Fahrrad des Arbeiters verdrängt die Straßenbahn und wird seinerseits vom Motorrad verdrängt, der Wohlhabendere verzichtet auf einen Teil des bis dahin selbstverständlichen Wohnluxus oder auf kostspielige Reisen zugunsten des Kraftwagens oder gar des Flugzeugs, in breitesten Kreisen treten Lichtspiel und Radio an die Stelle von Alkohol und Zigarren, und die wachsende Verbundenheit der Erdteile läßt selbst lebenswichtige Nahrungsmittel durch Exotica und Südfrüchte verdrängen. Kurz, der Fortschritt bewirkt, daß die Zusammensetzung des nationalen Güterverbrauchs in allen Ländern, in dem einen mehr, in dem anderen weniger, eine Aenderung erfährt. Nur überaus schwer und gestützt auf das unsichere Element der Schätzung kann die Statistik, wenn überhaupt, diesem ewigen Flusse der Dinge folgen.

Wir wollen indes annehmen, daß dies möglich sei, daß also der jeweils errechnete Preisindex, den allmählichen Aenderungen in der Zusammensetzung des nationalen Verbrauchs zum Trotz, die Entwicklung des Preisgefüges annähernd richtig wiedergibt und auch die Lebenshaltung der Massen halbwegs zutreffend erfaßt. Damit ist aber für den Index-Vergleich von Land zu Land noch nichts ausgesagt, und es erhebt sich hier die zweite Unterfrage: Kann die Statistik die Preisänderungen in kulturell und technisch fortschreitenden Ländern einerseits und die Preisänderungen in zurückgebliebenen Ländern andererseits indexmäßig mit solcher Genauigkeit erfassen, daß sich daraus ein exakter Vergleich der Kaufkraft in den einzelnen Ländern ableiten läßt?

Die folgende Ueberlegung gibt allen Anlaß zu Zweifeln, daß dies der Fall sein könnte, ja liefert uns geradezu die Gewißheit vom Gegenteil.

In Ländern mit schnell fortschreitender Entwicklung erkauft derjenige, der bei unverändertem Einkommen von niedrigeren zu höheren Lebensgewohnheiten übergeht, diesen Uebergang mit einem Verzicht auf Bruchteile desjenigen Verbrauchs, den die Statistik der normalen Lebenshaltung zugezählt und in ihre Index-Rechnung aufgenommen hat. Das Motorrad, um bei diesem Beispiel zu bleiben, verdrängt den Bier- und Tabakgenuß, oft genug auch ein Wohnzimmer oder den Sonntagsanzug. Wer genauer beobachtet, kann diesen Verdrängungsprozeß deutlich erkennen, und zwar mit entsprechenden Variationen in allen Schichten der Bevölkerung. Aber nur in Ländern, in denen die Technik schnell fortschreitet. In relativ oder absolut zurückbleibenden Ländern wird diese Erscheinung seltener bis zum vollständigen Fehlen. Sobald nun die Statistik den Preis-Index der in schnellem Fortschritt begriffenen Länder mit demjenigen der langsam fortschreitenden Länder vergleicht, ergibt sich notwendig ein schiefes Bild, und zwar aus folgenden Gründen:

Die breite Masse der Bevölkerung in den Ländern mit schwächerer Entwicklungs-Dynamik hat — bei gleichem Lohn- und Preis-Index mit den schnell fortschreitenden Ländern — eine absolut bessere Lebenshaltung, wenn man diese an den Primärgütern mißt. Und zwar deshalb, weil sie gewisse Luxusbedürfnisse und Raffinements nicht kennt, die sie nur auf Kosten der normalen Haushaltsrechnung würde befriedigen können. Ihr Tagesverbrauch erhebt sich wesentlich höher über das Existenz-Minimum, als es bei den gleichen Schichten in den kulturell und technisch schneller fortschreitenden Ländern der Fall ist. Lebenshaltung und infolgedessen auch Einkommenshöhe sind erheblich elastischer und können einen etwaigen Krisendruck wesentlich leichter aushalten. Der vergleichende Preisindex sagt uns hiervon nichts. Er registriert mechanisch, ohne kritisches Unterscheidungs-Vermögen. Er verkündet bei gleichem Durchschnittspreis die gleiche Lebenshaltung und die gleiche Möglichkeit ihrer Hebung und Senkung.

Das würde nun ohne ernstere Bedeutung sein, wenn nicht nach allgemeiner Annahme gleicher Preis-Index identisch wäre mit gleicher Kaufkraft des Geldes. Diese Annahme ist aber irrtümlich und verhängnisvoll. Die Durchschnitts-Kaufkraft des Einzeleinkommens, die der Index registriert, hat nicht das mindeste mit der Kaufkraft der Währung, des totalen Geldumlaufs im Lande, zu tun. Ein bestimmtes Preisniveau ermöglicht zwar dem einzelnen Einwohner eines fortgeschrittenen Landes je Einheit seines Nominal-Einkommens keinen größeren Güterbezug, als ihn das gleiche Preisniveau dem einzelnen Einwohner eines zurückgebliebenen Landes ermöglicht, wenn es ihm auch eine andere, verfeinerte Zusammensetzung des Bezugs gestaltet. Trotzdem aber hat ein bestimmter Preisindex in dem ersten Lande eine ganz andere Bedeutung als im zweiten. Denn obwohl ein identischer Preisdurchschnitt in den beiden Ländern die gleiche Bezugsmöglichkeit gewährt, so gewährt er sie doch einem ganz verschieden großen Kreise von Einwohnern. Im Lande mit starker Entwicklungs-Dynamik bezieht eine ungleich schneller ansteigende Zahl von Einwohnern das vom Lohn- und Preisindex angegebene Realeinkommen als im Lande des relativen Stillstands. Das reale Pro-Kopf-Einkommen bleibt zwar dasselbe. Aber im Lande der schnellen Motorisierung und Elektrifizierung, der intensiven Bautätigkeit und der Verdichtung des Verkehrsnetzes bezieht neben der Bevölkerungszahl, die dieses selbe Pro-Kopf-Einkommen auch im zurückgebliebenen Lande bezieht (und hier nur anders verwertet), noch eine weitere Zahl von Einwohnern das gleiche Einkommen; nämlich die Zahl aller derjenigen, denen der hohe Stand der technischen und kulturellen Entwicklung hier eine Beschäftigung und ein entsprechendes Entgelt sichert, das im anderen, stagnierenden Lande fehlt.

Daß im schnell fortschreitenden Lande eine ungleich größere Zahl von Staatsbürgern das vom Lohn- und Preisindex angegebene Realeinkommen bezieht, als dies im Land mit langsamer Fortentwicklung der Fall ist, erklärt sich zwanglos, d. h. ohne daß man zu Phrasen wie derjenigen von der „Wohlstandssteigerung durch den technisch – organisatorischen Fortschritt zu greifen braucht, sobald man sich die Mechanik des Vorgangs vergegenwärtigt: Die Arbeiter, die auf Bier- und Zigarren-Genuß verzichten, um ein Motorrad oder einen Radio- Apparat zu kaufen, die Geschäftsleute, die ihre gewohnte Lebenshaltung einschränken, um einen Kraftwagen anzuschaffen, sie alle lassen durch diesen Uebergang zu einer neuen Einkommen-Verwendung nicht etwa einen Teil ihres hergebrachten Konsums in Fortfall kommen, sondern sie verlagern ihn; sie treten das Konsumrecht, das sie selbst nicht mehr geltend machen, an andere Kreise ab, nämlich an diejenigen, die ihnen die neuen Konsumgüter (Motorrad, Radio-Apparat etc.) liefern, und die nun in den Genuß einer dem „Verzicht“ der Käufer entsprechenden Kaufkraft kommen, ohne daß die Kaufkraft der letzteren sich vermindert. Es entsteht also zusätzliche Kaufkraft — auf der Güterseite dargestellt durch die vom Fortschritt ermöglichte Mehrproduktion und die entsprechende Anreicherung des Sozialprodukts —, ohne daß sich am Preis-Index oder am Pro-Kopf-Lohn das geringste zu ändern braucht. Die steigende Produktivität im Lande kommt lediglich darin zum Ausdruck, daß der Preisindex, der Pro-Kopf-Lohn und die darin zum Ausdruck kommende Lebenshaltung sich jetzt auf eine größere Anzahl von Volksgenossen beziehen, als es vorher der Fall war, und als es im zurückgebliebenen Lande noch immer der Fall ist. Mit anderen Worten: auf dem Boden des fortschreitenden Landes findet eine große und ständig wachsende Volkszahl die Pro-Kopf-Kaufkraft vor, die im stagnierenden Lande nur einer kleinen und gleichbleibenden Volkszahl zur Verfügung steht. Von der Geldseite her gesehen bedeutet das: relativ schnelle Geld- Zirkulation im Lande mit starker, relativ langsame Geld-Zirkulation im Lande mit schwacher Entwicklungs-Dynamik.

Von alledem nimmt der vergleichende Preisindex keine Notiz. Die Statistik glaubt die nationale Kaufkraft des Geldes der einzelnen Länder errechnet und in Vergleich gestellt zu haben, wenn sie die Kaufkraft des einzelnen Einkommens aus einem Preisdurchschnitt errechnet und sie der aus anderen Preisdurchschnitten errechneten Kaufkraft gegenübergestellt hat, ohne Rücksicht auf die Potenz, in der die Kaufkraft in den einzelnen Ländern zirkuliert, und auf die nationale Reproduktionskraft, die sich hinter ihr verbirgt. Daraus ergeben sich aber für das uns heute beschäftigende Thema der Währungs-Relationen notwendig Folgerungen, die völlig abwegig sind.

Man fordert als unerläßliche Voraussetzung einer Stabilisierung, daß der Dollar, das Pfund und der Franc bzw. das ihnen äquivalente Quantum Gold in jedem der drei Länder indexmäßig dieselbe Kaufkraft haben sollen, so daß die Wechselkurs-Paritäten sich überall mit den sogenannten Kaufkraft-Paritäten decken, weil sonst die Gefahr bestehe, daß die neuen Währungs-Relationen sich nicht aufrechterhalten lassen. Nur soweit zwischen den Wechselkursen und den Kaufkraft-Paritäten etwa schon vor fünf oder zehn Jahren Abweichungen bestanden haben, sollen solche auch heute noch zulässig sein, aber höchstens in der damaligen Höhe. Das heißt, der derzeitige Preisindex darf zwar in jedem der drei Länder oberhalb oder unterhalb des vor fünf oder zehn Jahren geltenden Index liegen, aber in keinem mehr als in den beiden anderen. Heute fehlt dieses Gleichmaß der Preisveränderung noch; in Gold gerechnet hat sich Paris nach oben, Amerika nach unten von der Entwicklungslinie der Preise entfernt, die man in London und auch anderwärts für die Normallinie hält. Man schließt aus dieser Divergenz auf eine „Unausgeglichenheit“ der Währungen, und für den Grad ihrer Berichtigung soll der Preis-Index den Schlüssel abgeben. Der unterschiedlichen Entwicklung in den drei Ländern wird dabei in keiner Weise Rechnung getragen: das Geld im technisch fortgeschrittensten Lande soll seine Kaufkraft in genau demselben Maße von der Vergangenheit ableiten wie das Geld in dem vergleichsweise rückständigsten der drei Länder.

Diese Forderung ist ebenso primitiv wie unererfüllbar. Man kann zwar mit Hilfe willkürlicher Manipulationen die gewünschte Preisrelation herbei führen — so zuverlässig oder unzuverlässig der Preisindex sie widerspiegelt —, aber man kann nicht erreichen, daß die Wechselkurse sich mit den so geschaffenen „Kaufkraft-Paritäten“ decken. Genau so wenig, wie man vor dem Kriege etwa eine Uebereinstimmung zwischen der indexmäßig ermittelten inneren Kaufkraft des Dollar (bzw. ihrer Relation zu der inneren Kaufkraft des Pfundes und des Franc) und dem europäischen Dollarkurse hätte herbei führen können. Der Außenwert des Dollar — rund 4 Shilling oder 5 Francs — ist immer ein ganz anderer gewesen, als es dem Verhältnis seines Binnenwerts zu dem Binnenwert des Shilling oder Franc entsprochen hätte, und jede Veränderung in der millionenfach verästelten und deshalb statistisch nicht exakt faßbaren Wirtschaft der drei Länder hat die Abweichung zwischen den beiden Relationen, der valutamäßigen und der preismäßigen, ebenfalls verändert. (Was der Mann auf der Straße in Deutschland grob, aber dem Sinne nach richtig, in die Worte zu kleiden pflegte: „Vor zehn Jahren war in den Ver. Staaten der Dollar gleich einer Mark; heute ist er gleich 1 1/2 oder 2 Mark“. Und dies bei einer wechselkursmäßigen Relation von 1 : 4,2 !)

Was bedeutet das? Es bedeutet, daß es das, was man nach Cassel „Kaufkraft-Parität“ nennt, nämlich ein festes Verhältnis zwischen der Realkaufkraft der einzelnen Landeswährungen, gar nicht gibt und nach dem oben Gesagten auch nicht geben kann, weil jede Erfindung jede Verkehrsbesserung oder -Verschlechterung, jede Aenderung der Lebensgewohnheiten (von politischen Einflüssen wie Zoll, Sperre, Subvention etc. ganz abgesehen) die Realkaufkraft des Landesgeldes verändert, ohne daß das einen entsprechenden Einfluß auf den Weltweit dieses Geldes, also auf den Devisenkurs, ausübt. Das bedeutet aber wiederum, daß es auch keine Möglichkeit gibt, die Relationen zwischen den einzelnen Währungen an dem Maßstab ihrer inneren Kaufkraft so auszubalancieren, daß alle Währungen „ausgeglichen“ sind. Hat man erst einmal die Währungen von einem festen Vergleichsmaßstab (z. B. dem Golde) getrennt, so kann man die Relation, in der sie wieder an diesen oder einen anderen Maßstab zu binden sind, nur durch Abtasten, durch das Spiel der Wechselkurse, ermitteln. Als England im Jahre 1925 zur Goldwährung zurückkehrte, hatte es die Relation, wie sich bald zeigte, zunächst falsch gewählt. Aber mit Hilfe sorgfältigen Abtastens und einer allmählichen Anpassung des Geldumlaufs an das Ergebnis dieses Abtastens gelang es der Bank von England im Laufe weniger Jahre, die Kaufkraft des Pfundes dem Wechselkurs anzugleichen. (Wenn man es auch, um der Abwertung vom September 1931 ein plausibles Motiv zu unterlegen, heute in England gern so darstellt, als sei das valutarische Gleichgewicht damals noch nicht erreicht gewesen.) Dieselbe Methode des Abtastens und Anpassens wird auch bei der neuen Stabilisierung angewendet werden müssen. Es ist ein methodischer Irrweg, mit Hilfe des vergleichenden Preisindex zunächst „Kaufkraft-Paritäten“ errechnen zu wollen, denen sich dann die Wechselkurse — mittels Abwertung in Frankreich und vielleicht geringer Wiederaufwertung in den Ver. Staaten — anpassen sollen. Und wenn man gar abwarten will, bis die beiden Paritäten, die valutarische und die preisindexmäßige, sich genau decken, so heißt das die Stabilisierung ad calendas graecas verschieben.

4. September 1935

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