„Und es wurde Abend und wurde Morgen: ein neuer Tag”. Auf das Dunkel einer fünfjährigen Krisis ist erst die Morgendämmerung einer wirtschaftlichen Erholung gefolgt und geht jetzt – unter dem Einfluss eines allgemeinen Wettrüstens – die Sonne einer neuen Hochkonjunktur auf. Aber noch ehe alle Wirtschaftsgebiete von Ihr erfasst sind, steigt bei den verantwortungsbewussten Politikern und Volkswirten der massgebenden Länder bereits die Furcht vor einem neuen, scharfen Rückschlag auf. Sie wissen aus Erfahrung, dass das Wirtschaftsleben der Völker nicht im rhythmischen Gleichmaße dahinfliesst, sondern im ewigen Wechsel zwischen Ebbe und Flut, und sie kennen die Lehre vom “Konjunktur-Cyklus” welche die ökonomische Theorie daraus abgeleitet hat. Diese Lehre besagt dass die Emporentwicklung der Weltwirtschaft in jedem siebenten oder achten Jahre von einem Absturz unterbrochen wird, dessen Ursachen ebenso wechseln wie seine Erscheinungsformen, der aber immer dieselben Folgen auslöst: gewerbliche Stockung, Häufung der Zusammenbrüche, scharfes Ansteigen der Arbeitslosigkeit, bedrohliche Häufung des sozialen und politischen Zündstoffes. Und da seit dem Zentralpunkt der letzten Krise (1931) etwa sechs Jahre, seit Ihrem eigentlichen Ausbruch (Herbst 1929) sogar schon siebeneinhalb Jahre verflossen sind, so fürchtet man, dass der gegenwärtige Aufstieg sich seiner Klimax nähert, dass also binnen kurzem ein neuer Niedergang droht, – wenn es nicht gelingt, wirksame Mittel ausfindig zu machen, um die hochgehenden Wellen des Aufschwungs zu glätten, bevor sie sich überschlagen.
Solche prophylaktischen Mittel glaubt die Wirtschaftspolitik führender Länder, insbesondere Englands und der Vereinigten Staaten, heute gefunden zu haben. An die Stelle des Fatalismus, mit dem man es früher der Automatik des Verkehrslebens überliess, die Uebergänge zwischen Flut und Ebbe notdürftig zu glätten, ist jetzt der energische Wille getreten, den Wirtschaftsablauf mit Hilfe einer zielbewussten Staatspolitik so zu nivellieren, dass ein ruhiger Gleichtakt das bisherige stürmische Auf und Nieder ablöst. Dem der Glaube an die staatliche Allmacht hat sich in dem Masse verstärkt, wie die freie kapitalistische Wirtschaftsweise ihren Kredit eingebüsst hat.
Hoch vor kurzem überliess man die Nivellierung des Wirtschafts-Verlaufs in der Hauptsache den vier Regulatoren Zins, Preis, Lohn und Goldbewegung. Der Zins wirkte ausgleichend, indem er in Depressionszeiten sank, also den Unternehmer-Kredit verbilligte, und in der Hochkonjunktur stieg, also den Kredit verteuerte und weitere Investitionen erschwerte. Der Preis unterstützte diese nivellierende Punktion des Zinses, indem er sich in der sinkenden Phase des Wirtschaftsganges ermässigte und dadurch die eingeschrumpfte Kaufkraft befähigte, ein grösseres Warenangebot zu absorbieren, in der Phase des Hochgangs dagegen anstieg und als Bremse wirkte. Waren Zins und Preis noch nicht wirksam genug, so half die Lohn-Bewegung nach; sinkende Löhne verbilligten die Produktion, wenn sie in bedenklichem Masse nachliess, ein ansteigenden Lohnniveau – das Kennzeichen eines relativen Mangels an Facharbeitern – erschwerte und verteuerte sie, wem sie jedes gesunde Mass übersteigen wollte. Die Goldbewegung schliesslich wachte über dem Ganzen als oberstes regulierendes Prinzip: Drohte der Wirtschaftsgang trotz der drei Korrektive “Zins”, “Preis” und “Lohn” in gefährliche Fieberhitze oder in ebenso gefährliche Stagnation zu geraten, so erzwang sie die Rückkehr zum Normalen, indem sie Gold aus- oder einfliessen liess und der Wirtschaft dadurch bald überschüssige Kaufkraft entzog, bald fehlende Kaufkraft zur Verfügung stellte.
Aber seit dem Weltkrieg glaubt man nicht mehr an die Wirksamkeit der vier Korrektive. Man sieht in ihnen im Gegenteil die Ursache ernster Störungen und hält sie vielfach geradezu für Sprengmittel, deren Explosivkraft wir die eben überwundenen Weltkrisis zu danken hätten. Also fort mit dem beweglichen Zins! Er trägt ein Moment der Unsicherheit in jede kaufmännische Disposition und ist, sobald er über einen gewissen Normalzustand steigt, ein Krisen-Erreger erster Ordnung. Fort mit dem beweglichen Preis! Unsere moderne, auf Massenproduktion am laufenden Band eingestellte Erzeugung braucht, wenn nicht Leerlauf und Arbeitslosigkeit mit Ueberproduktion und Scheinblüte abwechseln sollen, die gesunde Kalkulations-Basis fester Preise. Sie braucht auch stabile Selbstkosten. Daher fort mit dem frei beweglichen Lohn! Dies übrigens auch aus sozialen Gründen, denn der Arbeiter fordert mit Recht eine Anpassung seines Lohns an die Kosten der Lebenshaltung, also an das Preisniveau, und wenn das letztere stabilisiert ist, ergibt sich daraus bei gelungener Anpassung von selbst eine Stabilisierung des Reallohns. Vor allem aber fort mit der freien Goldwanderung! Die jüngste Krisis hätte ja, so glaubt man zu wissen, niemals solche Schärfe annehmen können, wenn nicht eine passive Goldbewegung ein Land nach dem anderen zur Insolvenz oder mindestens zur Preisgabe seiner Währung gezwungen hätte.
Deshalb will man jetzt die gefährliche Automatik des freien Erwerbslebens durch eine systematische Steuerung des Wirtschaftsganges ersetzen Die vier Korrektive “Zins”, “Preis”, “Lohn” und “Goldbewegung” sollen in Fesseln gelegt werden, und der Konjunktur-Ausgleich, den sie nach der klassischen Volkswirtschaftslehre herbeiführen sollten, faktisch aber nicht herbeigeführt haben, soll fortan Sache des Staats sein. Die Regeln, nach denen der Staat hierbei zu verfahren haben wird, soll ihm die Wirtschafts-Wissenschaft auf Grund der Erkenntnisse angeben, die sie aus dem “Konjunktur-Forschung” genannten Studium der Wirtschafts-Cyklen gewonnen hat.
Die Wissenschaft hat denn auch bereits durch den Mund namhafter Vertreter gewisse Prinzipien verkündet, die geeignet sein sollen, einen gleichmässigen Wirtschaftsgang zu garantieren und den Ausbruch einer neuen Krisis zu verhindern. In einigen Ländern hat man sogar schon begonnen, die Wirtschaft nach dem einen oder andern dieser Prinzipien zu steuern. In England hat man die freie Zinsbewegung unterbunden, weil man einen stabilen niedrigen Zins für die Vorbedingung eines gesunden, gegen Rückschläge gesicherten Aufschwung hält. In den Vereinigten Staaten hat man die Automatik der Goldbewegung, soweit eine solche überhaupt noch besteht, dadurch beseitigt, dass man die Goldeinfuhr teils devisentechnisch bekämpft, teils “sterilisiert” hat, weil man eine “Kredit-Inflatio“ von ihr befürchtet. In einer ganzen Reihe von Ländern hat man die freie Beweglichkeit des Preises und des Lohne durch Festpreise und Tariflöhne unterbunden, wobei zu den älteren sozialen Gründen neuerdings konjunkturelle Gründe getreten sind. Es gibt wohl bald kein Land mehr, in dem nicht die Staatsautorität, auf wissenschaftliche Systematik gestützt, eine Krisenfestigkeit herbeizuführen sucht, die ältere Lehrmeinungen vom freien Spiel der Kategorien “Zins”, “Preis” usw. erwarten zu dürfen geglaubt haben.
Wir stehen hier an einem höchst bedeutsamen Wendepunkt sowohl der theoretischen Nationalökonomie als auch der praktischen Wirtschaftspolitik. Denn die Einflussnahme auf Zins, Preis, Lohn und Goldbewegung, welche massgebende Volkswirte jedem Staat anempfehlen, der seine Wirtschaft krisenfest machen will, bedingt Eingriffe in die Landeswährung. Ohne planmässige Ausdehnung oder Einengung des nationalen Geldumlaufs ist eine systematische Steuerung des Zinses, der Preise, des Lohns und natürlich auch der Goldbewegung nicht denkbar. Da aber schwankendes Geldvolumen bekanntlich schwankenden Geldwert bedeutet, so ergibt sich, dass die neue Wirtschaftspolitik eine vollständige Umkehrung aller ökonomischen Grundbegriffe mit sich bringt: Zins, Preis und Lohn, die man früher als Kategorien angesehen hat, die ihrer ganzen Natur und Zweckbestimmung nach schwanken müssen, sollen fortan grundsätzlich stabil bleiben. Dagegen soll der Geldwert, das einzige Wirtschafts-Element, von dem man früher unbedingte Beständigkeit verlangte, fortan weitgehenden Schwankungen unterworfen sein.
Warum diese Umkehrung aller grundlegenden ökonomischen Begriffe? Der Volkswirt antwortet: Weil die Kategorien, die nach der klassischen Lehrmeinung ausgleichend und krisenmildernd wirken sollen, diese ihre Aufgabe nicht erfüllt haben, weder in früheren Krisen, noch in der letzten, eben überwundenen. So haben die starken Schwankungen des Zinses, statt ausgleichend und vorbeugend zu wirken, die Krisen nur noch verschärft, Dasselbe gilt von der Schwankungen der Löhne und Preise, ganz zu schweigen von dem Unheil, das die Strömungen der Goldbewegung über die meisten Länder gebracht haben. Die Wirtschaft hat also die Freiheit die man ihr bisher Hess, nicht richtig zu benutzen-verstanden. Infolge dessen muss jetzt der Staat intervenieren und mit den neuen Prinzipien des “niedrigen Dauerzinses”, des “wissenschaftlichen Geldes” usw. die Stabilität zu erzwingen suchen, die mit der Automatik der freien Wirtschaft nicht erreichbar war. Der Volkswirt folgert nämlich aus dem Versagen dieser auf Zins, Preis etc. gestützten Automatik, dass eine Theorie, die ihr Konjunkturnivellierende Fähigkeiten zuschreibt, grundfalsch sei, und dass die sogenannte “kapitalistische Wirtschaftsweise”, die sich auf dieser falschen Theorie aufbaue, notwendig zu periodisch wiederkehrenden Katastrophen führen müsse.
Diese Auffassung wäre richtig, wenn erstens die Elemente Zins, Preis, Lohn und Goldwanderung ihre wirtschaftlichen Aufgaben wirklich autonom ausübten, keinem anderen Einfluss ausgesetzt als dem der Entschlussfreiheit der Verkehrsmitglieder; und wenn zweitens die Wirtschaft in einer Verfassung belassen worden wäre, die sie gegen die Schwankungen des Zinses, der Preise, der Löhne etc. unempfindlich machte. Beide Vorbedingungen sind aber nicht erfüllt gewesen, in den letzten beiden Jahrzehnten noch weniger als früher. Die freie Zinsbewegung ist durch eine Notenbank- Politik beseitigt worden, die den Zins bald im Interesse der Währung, bald in dem des Wirtschaftsganges regulieren zu müssen geglaubt hat. Die freie Preisbewegung ist bald unbeabsichtigt durch eine Ausdehnung oder Drosselung des Geldumlaufs unterbunden worden (von deren Konsequenzen man nur unklare Vorstellungen hatte), bald absichtlich durch die Handels- und Zollpolitik. Die freie Lohnbewegung hat aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, der man anders nicht genügen zu können glaubte, dem Prinzip des gebundenen Lohns (“Tariflohn”) weichen müssen. Und mit der Freiheit der Geldbewegung ist es zu Ende gewesen, als man ihre Voraussetzung, das feste Verhältnis zwischen dem Geldumlauf und einer hochprozentigen Golddeckung, beseitigte und sie dadurch um ihren Sinn brachte; denn die neuen, “wissenschaftlichen” Währungssysteme, die man einführte, – Kreuzungen zwischen banking principle und Goldexchange standard – hatten eine Gold-Vagabondage zur Folge, die ebenso chaotisch wie zwecklos war und deshalb unterbunden werden musste.
Damit hat man der ersten Vorbedingung eines wirtschaftsautonomen Konjunktur-Ausgleichs gründlich den Garaus gemacht. Noch radikaler aber hat man seine zweite Vorbedingung beseitigt, nämlich die relative Unempfindlichkeit der Wirtschaft gegen die Veränderungen des Zinses, der Preise und der anderen Ausgleich-fördernden Elemente. Man hat die Wirtschaft in eine Entwickelung gedrängt, die notwendig zur Folge haben musste, dass alle Stände und Gewerbe ihre frühere Krisenfestigkeit einbüssten und im allerhöchsten Grade verwundbar wurden. Hier einige Beispiele: Der Arbeiter kann keinen Lohn-Ausfall, oft sogar keine Lohn-Minderung mehr ertragen, seit man ihn von seiner natürlichen Krisen-Reserve, der eigenen Scholle, getrennt hat. Der Produzent gerät bei steigenden Löhnen und Rohstoff-Preisen, denen Umsatz und Erlös nicht schnell genug folgen, in ernste Verlegenheiten, weil er seinen Betrieb bis in’s Extrem mechanisiert hat, seine Kosten daher in der Hauptsache “fix” statt wie früher “variabel” sind, eine Anpassung also schwierig wenn nicht unmöglich geworden ist. Fast alle Zweige der Wirtschaft empfinden eine starke Zinssteigerung wie eine Katastrophe, weil man sie systematisch daran gewöhnt hat, mit Kredit statt mit Eigenkapital zu wirtschaften.
Der Staat hat diese ganze Entwickelung systematisch gefördert, weil er ihre Kehrseite nicht erkannt hat; die zunehmende Verwundbarkeit der Wirtschaft, ihre Gefährdung durch die Zins-, Preis-, Lohn- und Goldschatz-Schwankungen. Als dann die bedrängte Wirtschaft den Staat um Hilfe anrief, glaubte dieser nichts besseres tun zu können, als die “Störenfriede” Zins, Preis, Lohn und Gold in Fesseln zu legen, das heisst die Automatik zu beseitigen, die in einer gesunden Wirtschaft die Konjunkturwellen glättet. Das ist die eigentliche Ursache der heutigen Morbidität der Wirtschaft, des völligen Fehlens jeder Krisenfestigkeit. Es ist also ein Sehfehler, die “kapitalistische Wirtschaftsweise” für einen Zustand verantwortlich machen zu wollen, den in Wirklichkeit die Wirtschaftspolitik des Staats herbeigeführt hat. Und nur mit grosser Besorgnis kann man einer Zeit entgegensehen, in der die Führung vollständig auf den Staat übergehen sollt – es sei dem, dass dieser noch rechtzeitig erkennt, welche Bedeutung für den glatten Konjunktur-Verlauf normalerweise die freie Beweglichkeit der Korrektive Zins, Preis etc. hat, und welches der eigentliche, zentrale Störungsfaktor ist, der die Schwankungen dieser Korrektive heute zu einer so grossen Gefahr für die Wirtschaft macht.
Welchem Konstruktions-Fehler ist es zuzuschreiben, wem die Konjunktur-Schwankungen heute in solcher Stärke auftreten, dass die Wirtschaft periodisch in ihren Grundfesten erbebt, und dass sie gegenüber Veränderungen des Zinses, des Preises, des Lohnes und des Goldbestandes überaus empfindlich ist, obwohl doch diese Veränderungen die Bedeutung Krisen-mildernder Palliative haben, also im Grunde harmlos sind?
Wir finden den Konstruktions-Fehler, an dem die Wirtschaft heute leidet, wenn wir uns die Technik des modernen Zahlungsverkehrs vergegenwärtigen. Dieser ausserordentlich verfeinerte Verkehr, dessen Bestimmung es ist, Kaufkraft so schnell und bequem wie möglich aus einer Hand in die andere zu übertragen, bedient sich zu diesem Zwecke nicht nur des baren Geldes, in dem die Kaufkraft verkörpert ist, sondern auch einer Reihe anderer Instrumente, die nicht Geld, sondern Anweisungen auf Geld sind, das an irgend einer Stelle (meist einer Bank) eingezahlt worden ist. Im Hinblick auf die Möglichkeit, sie jederzeit “einlösen”, d.h. das angewiesene Bargeld erheben zu können, geben und nehmen die Verkehrs-Mitglieder diese Anweisungen genau wie bares Geld. Insoweit dies der Fall ist, die Anweisungen also Zahlungsdienste verrichten, ohne dass die angewiesene Summe erhoben wird, läuft die im Gelde verkörperte Kaufkraft zweimal um. das eine Mal in natura als “Geld”, und das andere Mal in effigie als “Forderung auf Geld”. Dem auch das bare Geld, das theoretisch jeden Augenblick abgehoben werden kam, verrichtet dessen ungeachtet Zahlungsdienste, weil die Banken, gestützt auf die Erfahrungs-Tatsache, dass die Abhebungen sich im grossen Ganzen mit den Neueinzahlungen decken, die Gelder bis auf einen kleinen Bruchteil “arbeiten” lassen, wie es ja der Zweckbestimmung der Banken entspricht. Ja, infolge der weitgetriebenen Verfeinerung der Zahlungs-Sitten, läuft die im Gelde verkörperte Kaufkraft sogar dreimal um: erstens auf der Unterstufe des Barverkehrs, sodann auf der Mittelstufe des Anweisungs-Verkehrs, endlich auf der Oberstufe des oder Clearing-Verkehrs, der sich zum Anweisungs-Verkehr so verhält wie dieser zum Barverkehr. Der Zahlungsverlauf spielt sich also sozusagen in drei Stockwerken ab. Im untersten Stockwerk überträgt man die Kaufkraft mit “Geld”, im mittleren mit einer “Anweisung auf Geld”, und im obersten mit einer “Anweisung auf Anweisung auf Geld”.
Es mag dahingestellt bleiben, ob man in den Anweisungen und Kompensationen, die dem Zahlungsverkehr in den beiden oberen Stockwerken dienen, eine besondere Gattung Geld (“Giralgeld”) zu erblicken hat, oder lediglich technische Hilfsmittel, die die Zirkulation des Bargeldes erleichtern und beschleunigen, so dass dieses seine Kaufkraft häufiger ausüben und mehr Verkehrsakte finanzieren kann. Worauf es in diesem Zusammenhänge ankommt, ist etwas anderes, nämlich die Tatsache, dass der moderne Zahlungsverlauf mit seinen drei verschiedenen Stockwerken, davon zweien mit bargeldlosem Verkehr, notwendig einen jähen Wechsel zwischen lebhaftem und stockendem Geschäftsgang, zwischen Hochkonjunktur und Krisis, in die Wirtschaft hineinträgt.
Der Zusammenhang ist, in gedrängter Darstellung, der folgende: Jeder nicht rein spekulative Zahlungs-Vorgang, der sich im zweiten oder dritten Stockwerk des Geldverkehrs (unbar) vollzieht, hat früher oder später einen analogen Zahlungs-Vorgang im untersten Stockwerk (Barverkehr) zur Folge; denn er führt direkt oder indirekt zur Produktion und zum Konsum, und beide Vorgänge münden notwendig irgendwann in das Stadium der Kleinst-Produktion und des Kleinst-Konsums ein. Auch das kostspieligste und komplizierteste Erzeugnis stellt die Summe kleinster Produktions-Partikel dar, nämlich unzähliger Arbeitsstunden, die sämtlich im Barverkehr reguliert werden. Sogar der Unternehmer-Nutzen, der an dem Erzeugnis haftet, verwandelt sich schliesslich (im Wege des Konsums) in bar zu bezahlende Arbeitsstunden. Jeder “giral” finanzierte Bau eines Stahlwerks, einer Elektrozentrale, löst sich auf in die Förderung und Veredelung von Kohle und Erz, Stein und Tonerde, und damit in die bare Auszahlung des Lohns für so und so viele Arbeitsstunden; und auch ein etwa verbleibender Rest der Giralzahlung, der Zins, Amortisation und Gewinn decken soll, fliesst unvermeidlich an den Arbeitsmarkt und damit in den Kleinverkehr, an dem die Kaufkraft nur in der Form von Bargeld umläuft.
Nun hat die Erfahrung gelehrt, dass zwischen dem bargeldlosen Teil der Umsätze und demjenigen Teil, der sich bar zu vollziehen pflegt, ein bestimmtes Durchschnitts-Verhältnis besteht. Zur Zeit wird dieses Verhältnis in England mit 9:1 angenommen. Das bedeutet nichts anderes, als dass Produktion und Konsum normalerweise neunmal die verschiedenen Stadien des bargeldlos bewältigten Gross- und Mittelverkehrs passieren, bevor sie in den Arbeitsmarkt, den Kleinkonsum und damit in den Barverkehr münden. Dieses Verhältnis zwischen dem unbaren und dem baren Zahlungsverkehr ist indes nur recht roh errechnet, und vor allem ist es Schwankungen unterworfen. Zeiten, in denen die Wirtschaft mit einem etwas grösseren als dem normalen Ertrag arbeitet, lassen wachsende Mengen Bargeld zu den Instituten fliessen, welche die Träger des bargeldlosen Verkehrs sind. Es findet sozusagen ein Wechsel der Stockwerke statt, in denen die Zahlungs-Vorgänge sich abspielen: Es wird verhältnismässig weniger als bisher mit “Geld” gezahlt, und verhältnismässig mehr mit “Anweisungen auf Geld”. Umgekehrt werden in Zeiten eines etwas kleineren als des normalen Wirtschafts-Ertrages gewisse Bargeld-Mengen von den Instituten abgezogen, so dass die Basis, auf der sich der bargeldlose Verkehr abspielt, einschrumpft, und verhältnismässig weniger mit “Anweisungen auf Geld” gezahlt werden kann als mit “Geld”.
Diese Uebergänge von der baren zur unbaren Zahlung und umgekehrt, oder um unser früheres Bild zu gebrauchen, von dem einen Stockwerk des Zahlungs-Verkehrs zum anderen, würden sich nun reibungslos, ohne Jede Störung des Wirtschaftslebens, vollziehen, wenn das Element, das den Uebergang technisch bewerkstelligt, sozusagen der Fahrstuhl, der die Stockwerke verbindet, zweckentsprechend funktionieren würde. Dieses Element ist der Kredit. Der Kredit ist es, der das Bargeld zu den Banken hinleitet, er ist es, der die Banken befähigt, im Vertrauen auf die Uebung des Grossverkehrs, mit “Anweisungen auf Geld” statt mit “Geld” zu zahlen, entsprechend grössere bargeldlose Umsätze zu finanzieren, und er ist es endlich, der das Bargeld von den Banken in den Kleinverkehr zurückleitet. Alles würde in Ordnung sein, wenn der Kredit so organisiert wäre, dass der Uebergang vom baren zum unbaren Zahlungsverkehr und umgekehrt sich jederzeit reibungslos vollziehen könnte.
Aber das ist unglücklicherweise nicht der Fall, denn die Kredit-Organisation fast aller Länder leidet an zwei grossen Fehlern, einem kleineren und einem grösseren. Der kleinere, der darin besteht, dass der Kredit sich auf einer zu geringen Liquidität aufbaut, ist heute so allgemein erkannt und bereits so vielen Heilungs-Versuchen unterworfen, dass wir nicht bei ihm zu verweilen brauchen. Der weitaus bedeutsamere und geradezu verhängnisvolle Fehler besteht darin, dass die Kredit-Organisation, so wie sie heute beschaffen ist, die Abhängigkeit übersieht, in der die bargeldlose Zahlungsweise vom Barverkehr steht. Der Kredit lässt bei gebessertem Wirtschaftsgange den unbaren Verkehr und mit ihm die Investitionen, die sich seiner bedienen, zu einer Höhe anschwellen, die ganz ausser Verhältnis zu der feststehenden oder – in Ländern mit gesunder Währung – nur wenig ausdehnungsfähigen Bargeld-Menge steht. Obwohl, wie wir gesehen haben, jede Zunahme der im bargeldlosen Grossverkehr umgesetzten Güter notwendig eine Zunahme der baren Umsätze im Kleinverkehr entspricht, der Steigerung des unbaren Verkehrs also eine enge Grenze gesetzt ist, ignoriert der Kredit diese Grenze. Die notwendige Folge ist, dass in dem Masse, wie die unbaren Grossumsätze über ihr normales Verhältnis zum Bargeldumlauf hinaus steigen, der Kleinverkehr an Bargeld-Mangel zu leiden beginnt und Gelder von den Banken abruft, die, selbst wenn sie effektiv vorhanden sind, – das Liquiditäts-Problem scheidet hier aus –, von den Banken doch nicht entbehrt werden können, weil ihre unbar gewährten Kredite sich auf ihnen aufbauen. Trotzdem muss jede solvente Bank die ihr abgeforderten baren Gelde unverzüglich auszahlen. Es bleibt ihr daher nichts anderes übrig, als ihren Anteil am überdehnten bargeldlosen Zahlungsverkehr entsprechend einzuschränken und Beträge, die sie unbar ausgeliehen hat, in barem Gelde zurückzufordern. Zahlungstechnisch gesehen trägt das dazu bei, den unbarer Zahlungsverkehr wieder in bessere Uebereinstimmung mit dem Bargeld-Umlauf zu bringen. Wirtschaftlich gesehen bedeutet aber der Vorgang, wenn er sich im Grossen abspielt, eine Katastrophe. Denn da die Kreditnehmer der Banken, als Ganzes gesehen, nicht ohne weiteres imstande sind, die unbar empfangenen Beträge bar zurückzuzahlen – selbst in seiner eigentlichen Domäne, dem Kleinverkehr, ist das Bargeld ja nur unzureichend vorhanden–, so müssen die Bankenschuldner versuchen, sich das Geld gewaltsam zu verschaffen, indem sie höchste Zinsen dafür bieten, Warenlager und Kapitalwerte verschleudern, vor allem aber die Produktion drosseln, um die Eingänge aus dem laufenden Geschäft zur Schuldentilgung statt zur Lohnzahlung zu verwenden. Wir sehen das Ergebnis dieses Liquidiations-Versuchs, der von einem Wirtschaft-Sektor zum anderen überspringt und schliesslich die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht, in Gestalt der Krisis vor uns, und wir erkennen jetzt auch deutlich den Störungs-Faktor, der diese Krisis hervorruft: es ist der Kredit, der den unbaren Zahlungsverkehr in den oberen Stockwerken des Wirtschaftslebens über die Grenzen hinaus aufbläht, die der Bargeld-Umlauf im untersten Stockwerk ihm zieht. Ohne diese Aufblähung und die ihr notwendig folgende gewaltsame Korrektur würden weder der Zins, noch die Preise, noch das Arbeits-Volumen und die von ihm abhängigen Löhne, noch endlich die Wechselkurse und ihr Gegengewicht, die Goldbewegung, die grossen Schwankungen durchmachen, die heute an der Tagesordnung sind. Und vor allem würde, wenn der periodische Wechsel zwischen Aufblähung und Drosselung des Kredits nicht wäre, die Wirtschaft die Schwankungen des Zinses, Preises etc. ungleich leichter ertragen, als dies heute der Fall ist.
Will also der Staat die Wirtschaft ”steuern”, so muss er sich zunächst bewusst werden, dass die jähen Veränderungen, welche Zins, Preis, Lohn etc .heute durchmachen, lediglich Symptome sind, und zwar Symptome der grossen Störung, die der Kredit bzw. sein Uebermass in die Wirtschaft hineinträgt. Hat der Staat das erst erkannt, so weiss er auch, dass das Heilmittel gegen den ewigen Wechsel zwischen Konjunktur und Krisis nicht darin bestehen kann, die Elemente Preis, Zins, Lohn und Goldbewegung in Fesseln zu legen und so ihre wohltätige Funktion als Regulatoren der Wirtschaft zu unterbinden; sondern dass das A und O der Krisen-Bekämpfung darin besteht, die Kredite nicht über ein bestimmtes Verhältnis zum Bargeld-Umlauf steigen zu lassen und die Wirtschaft mit denjenigen Reserven zu versehen, die nötig sind, damit sie die dann noch verbleibenden Veränderungen des Kredit-Volumens in gesunder Verfassung und unempfindlich gegen die Schwankungen jener Regulatoren (Preis, Zins, etc.) überdauern kann. Es scheint, dass diese Erkenntnis bereits in einem europäischen Staatswesen Wurzel zu fassen beginnt, nämlich in Belgien. Wenigstens hat hier die Regierung unlängst erklärt, eine Kassenreserve von 1 Milliarde Francs schaffen zu wollen, “als Versicherungsprämie für den Fall eines Rückschlags der Weltkonjunktur”.
Quelle: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945