Die Kreditbank (1924)

Teil 1:

Statt einer Vorrede.

Birkenhain, den 10. Februar 1924. 

Mein lieber James! 

Sicherlich kennst Du jenen berühmten Satz, den man dem alten Archimedes in den Mund legt, und der in freier Übersetzung etwa lautet: „Zeige mir einen Punkt außerhalb der Erde, auf den ich treten kann, und ich hebe die Welt aus ihren Angeln“. Es ist einige tausend Jahre her, daß der alte Physiker dieses Wort gesprochen haben soll. Aber noch immer ist es niemand gelungen, außerhalb unseres Planetensystems oder auch nur außerhalb der Erdsphäre Fuß zu fassen, und darauf ist es wohl zurückzuführen, daß unser ehrwürdiger Kosmos noch immer in seinen hergebrachten Bahnen kreist. Es sieht auch nicht so aus, als ob sich darin in absehbarer Zeit etwas ändern wird; das Weltall als Ganzes dürfte nicht so bald in Trümmer gehen. Und wenn es an diesem oder jenem Punkt unserer Mutter Erde gelegentlich zur Katastrophe und zum Chaos kommt, so wird dieser Effekt nicht durch Eingriffe von außen, sondern durch Vorgänge im Innern herbeigeführt, nicht durch den menschlichen Scharfsinn, sondern durch das strikte Gegenteil davon. 

Anders als in der physikalischen Welt sieht es in der wirtschaftlichen aus. Umwälzungen, die uns dort unmöglich scheinen, sind hier sehr wohl denkbar. Ja, wenn wir scharf hinsehen, vollziehen sich solche Umwälzungen fortwährend, auch heute, vor unseren eigenen Augen. Suchen wir aber nach dem Hebel, dessen Druck diese Umwälzungen herbeiführt, und nach dem archimedischen Punkt, von dem aus der Hebeldruck wirkt, so wird unser Blick nach einer ganz bestimmten Richtung gelenkt; und wenn wir in dieser Richtung scharf ausspähen, so erblicken wir am Horizont den eigentlichen Sitz der gewaltigen Kraft, welche die wirtschaftliche Struktur der Völker formt und wieder umformt: Die Bank. 

Seit langem ist es, wie Du weißt, meine Absicht, Dich mit der Eigenart und der Wirksamkeit dieses bedeutungsvollen wirtschaftlichen Apparats vertraut zu machen. Nicht lange mehr, und Du wirst einen Teil des Apparats selber technisch zu bedienen haben. Dann sollst Du nicht, wie so viele Deiner Kollegen, nur die mechanischen Fingergriffe und ihre unmittelbaren Effekte kennen, sondern Du sollst auch die weithin ausstrahlende Fernwirkung, die beträchtliche ökonomische Resonanz Deiner Handlungen beurteilen können. Du sollst Dir, wenn Du erst Bankdirektor sein wirst, immer bewußt sein, daß Du in Gemeinschaft mit einigen Wenigen — auf dem „archimedischen Punkt“ stehst, von dem aus alles, was bei oberflächlicher Betrachtungsweise ein simpler geschäftlicher Akt zu sein scheint, in Wirklichkeit zu einem Eingriff in die wirtschaftliche Struktur Deines Landes wird, zu einem Eingriffe, der unter Umständen eine vollkommene Veränderung der nationalen Existenzbedingungen zur Folge hat. Du sollst, mit einem Wort, ein seiner Verantwortung vollbewußter Bankmann und kein Dilettant sein. 

Um Dir das, was Du vom Wesen einer Bank wissen mußt, möglichst kurz, prägnant und losgelöst von allem Nebensächlichen zu sagen, habe ich mich aus dem Lärm der Geschäfte für eine kleine Weile hierher, in die ländliche Einsamkeit, zurückgezogen. Ich habe Ablenkungen fern gehalten, meine Gedanken einzig auf das Thema konzentriert und die Feder erst aus der Hand gelegt, als das Ganze fertig vor mir lag. So erhältst Du diesmal statt der Briefe eine fortlaufende Abhandlung, statt der Bruchstücke ein Ganzes; genauer gesagt, die erste, grundlegende Hälfte eines Ganzen, dem die andere, ergänzende Hälfte so bald als möglich folgen soll. Mit den technischen Einzelheiten der Bankpraxis halte ich Dich und mich nicht auf; die kannst Du in jedem der vielen guten Bücher über die Bankbetriebslehre nachlesen, wenn Du willst. Denn mir kommt es darauf an, Dich über etwas zu belehren, was ungleich wichtiger ist als das Handwerksmäßige im Bankbetrieb, und was ich, mit klaren, gemeinverständlichen Worten herausgeschält und zu einem System abgerundet, noch nirgends gelesen habe, nicht einmal in Bagehot’s klassischem „Lombardstreet“: Das Wesen und Wirken der Bank als einer Einrichtung, die nichts willkürlich Geschaffenes, sondern etwas von bestimmten Wirtschaftsverfassungen gesetzmäßig Bedingtes ist, einer Einrichtung, die nur unter gewissen Voraussetzungen entsteht, die aber, einmal entstanden, von bestimmendem Einfluß auf die Struktur der ganzen Wirtschaft wird, deren Objekt und zugleich Subjekt sie ist. Du sollst, wenn Du dieses mein Manuskript gelesen haben wirst, wissen, wann und warum es Banken gibt, was sie aus der Wirtschaft machen, wenn sie in diesem und wenn sie in jenem Geiste geleitet werden, und wie der Gesetzgeber ihnen gegenüberzutreten hat, der eine bestimmte Entwicklungsrichtung der Wirtschaft fördern und andere Richtungen bekämpfen will. 

Das ist die Absicht, die mich bei der Niederschrift des Folgenden geleitet hat. Hoffentlich ist die Durchführung nicht zu weit hinter dieser Absicht, das Können nicht zu weit hinter dem Wollen zurückgeblieben. 

In Liebe 

Dein alter Papa. 

I. Sparwille und Sparzwang. Der Ablauf der Sparperioden. Die Kreditbank.

Das Geld ist ein dokumentierter Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung, der eine Leistung vorangegangen ist. Diesen Rechtsanspruch kann man zu jeder beliebigen Zeit geltend machen, indem man das Geld „ausgibt“ Die Handlung des Ausgebens ist ein „Kauf“, der Rechtsanspruch, der den Kauf ermöglicht, ist die „Kaufkraft“ und das Geldzeichen, das den Rechtsanspruch verkörpert und aus einer Hand in die andere überträgt, ist „dargestellte Kaufkraft“.

Man kann die im Gelde dargestellte Kaufkraft sofort ausnutzen; man kann die Ausnutzung aber auch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Im ersten Falle macht man den erworbenen Rechtsanspruch auf Gegenleistung unmittelbar geltend, indem man sich durch einen Kaufakt in den Besitz der Gegenleistung bringt. Im zweiten Falle läßt man den Rechtsanspruch einstweilen ungenutzt ruhen. Dieses zweite Verhalten, d. h. der zeitweilige Verzicht auf die Ausnutzung einer Kaufkraft, die man berechtigt ist sofort auszunutzen, wird „sparen“ genannt. Der abstrakte Vorgang des Sparens kommt sinnfällig darin zum Ausdruck, daß das Geld, in dem die verfügbare Kaufkraft dargestellt ist, nicht weitergegeben, sondern aufbewahrt (thesauriert, gehortet) wird. 

Der Mensch scheint vollkommen frei in seiner Entschließung darüber zu sein, ob er sein Geld ausgeben und sich dadurch in den sofortigen Besitz der ihm zustehenden Gegenleistung setzen, oder ob er sein Geld aufbewahren und sich den Genuß der Gegenleistung für einen späteren Zeitpunkt reservieren will. Aber dieser Anschein trügt. Der einzelne Mensch glaubt zwar selbst, daß niemand anders als er darüber zu entscheiden habe, in welcher Form und zu welcher Zeit er den im Gelde verbrieften Rechtsanspruch geltend machen werde; also darüber, ob er das Geld für Konsumgüter oder Produktivgüter ausgeben, und ob er diese Ausgabe sofort oder erst nach Jahren vornehmen werde. In Wirklichkeit aber ist er in seinen Entschließungen nicht frei, sondern in hohem Grade von der Verfassung der Wirtschaft abhängig, in der er lebt. Allerdings wird sein Verhalten sowohl bei der Wahl der Güter wie bei der Wahl des für ihren Bezug geeignetsten Zeitpunkts von der Vernunft bestimmt. Aber je nach den Lebensbedingungen, in denen sich der Mensch befindet, ist bald das eine, bald das andere vernünftig. Unter bestimmten Verhältnissen ist eine produktive, unter andern Verhältnissen eine konsumtive Verwendung der Kaufkraft ratsam; in dem einem Fall gebietet die Vernunft, die Verwendung sofort vorzunehmen (das Geld auszugeben), im andern Fall gebietet sie, die Verwendung auf später zu verschieben (das Geld zu sparen). Die Lebensbedingungen des Einzelnen, die so zum Regulator seiner Gebrauchs- und Spargewohnheiten werden und ihm ein bestimmtes Verhalten diktieren, ohne daß er sich dieses Diktats recht bewußt wird, hängen aber ihrerseits durchaus von den Eigentümlichkeiten der allgemeinen Wirtschaftsweise im Lande ab. 

In Ländern mit reger gewerblicher Tätigkeit, wo die Produkte schnell aus einer Hand in die andere übergehen und infolgedessen das Geld rasch zirkuliert, ist es vernünftig, erworbene Kaufkraft sofort zu verwenden (das Geld sofort auszugeben), jedenfalls vernünftiger als in Ländern mit langsamem Güterumschlag und entsprechend träger Geldzirkulation. Denn im Lande mit lebhaftem Güter- und Geldverkehr kann der Einzelne normalerweise damit rechnen, daß er schnell Absatz für seine Erzeugnisse findet und entsprechend schnell wieder in den Besitz neuen Geldes gelangt, wenn er das alte ausgegeben hat. Im Lande mit langsamem Güter- und Geldumschlag dagegen kann er mit einer solchen schnellen Wiederkehr des Geldes nicht rechnen; hier darf er seine Kaufkraft nicht sofort verausgaben, sondern muß mit ihr haushalten, muß „sparen“, wenn er nicht Gefahr laufen will, von allen Güterbezugsrechten entblößt zu sein und Mangel am Nötigsten zu leiden, bevor eine Absatzgelegenheit sich bietet und ihm neue Kaufkraft zuführt. Wenn in einem solchen Lande mit langsamer Güter- und Geld-Zirkulation der Einzelne glaubt, das Sparen sei der Ausfluß seines freien Willens, so denkt er falsch. Er spart allerdings, weil er will. Aber er will, weil er muß. Sein Wille ist nicht frei, sondern wird von Notwendigkeiten beeinflußt. 

Sonach müßte eigentlich in einem Lande mit lebhafter industrieller Tätigkeit weniger gespart und das Geld schneller verausgabt werden als in einem auf Landwirtschaft eingestellten Lande. Denn die Merkmale des Industrielandes sind schnelle Erzeugung, schneller Umschlag, schneller Verbrauch und daher schnelle Rückkehr des verausgabten Geldes, während das Agrarland mit seinem langsamen, ein ganzes Jahr umfassenden Erzeugungsgange in allen Punkten die entgegengesetzten Merkmale aufweist. Der Tendenz nach ist dieses verschiedenartige Verhalten gegenüber dem Gelde in den einzelnen Ländern — und innerhalb der Länder in den einzelnen Berufen — auch deutlich zu beobachten: der Industrielle „verbraucht“, der Bauer „spart“. Aber die Schnelligkeit des Güterumschlags ist nicht das einzige Moment, das die Geldverwendung beeinflußt; es treten neben ihr noch andere Momente auf, die für das Verhalten gegenüber dem Gelde bestimmend sind und die vom Güterumschlag ausgehenden Einflüsse teils intensivieren, teils durchkreuzen. So wird beispielsweise die Sparneigung einer bäuerlichen Bevölkerung durch die elementaren Gefahren, denen sie ausgesetzt ist (Feuersbrunst, Mißernte, Viehseuche), noch wesentlich verstärkt. Andrerseits wird diese Sparneigung aber dadurch wieder abgeschwächt und auf verhältnismäßig kurze Zeiträume beschränkt, daß der Bauer mit einer gewissen Beständigkeit seines Vermögens und im Durchschnitt der Jahre auch mit einem gewissen Gleichmaß seines Einkommens rechnen kann, also nicht auf Jahrzehnte hinaus vorzusorgen braucht — im Gegensatz zum Industriellen, der stets mit der Möglichkeit gewerblicher Krisen und völligen Vermögensverfalls zu rechnen hat und sich daher gegenüber dem Gelde doch nicht ganz so sorglos verhalten wird, wie es ihm sein schneller Umsatz eigentlich gestattet. 

Je mehr die Wirtschaft sich von dem patriarchalischen System mit seinen geschlossenen Berufskasten, seinem Gleichmaß der Vermögensbildung innerhalb der einzelnen Kasten und seiner verhältnismäßigen Bedürfnislosigkeit entfernt und sich der hochentwickelten, aber turbulenten Wirtschaftsweise unserer Tage nähert, um so deutlicher prägen sich zwei entgegengesetzte Tendenzen in der Geldverwertung aus: Auf der einen Seite eine überaus schnelle Nutzbarmachung der Kaufkraft, entsprechend dem beschleunigten Güterumschlag, der die verausgabten Gelder in rascher Folge immer wieder ersetzt; auf der andern Seite eine ausgesprochene Sparneigung, hervorgerufen durch die große Ungleichheit des Besitzes. Der Besitzlose, vom Schicksal Enterbte, auf seiner Hände Ertrag Angewiesene muß sparen, sofern er im Alter nicht Hunger leiden will; und wenn er selbst so kurzsichtig ist, diese fürsorgliche Aufspeicherung eines Teils seiner geringen Kaufkraft zu unterlassen, so spart der Staat für ihn, indem er Alters- und Invaliditätsreserven anlegt, aus denen die Besitzlosen nach Einbuße ihrer Arbeitskraft erhalten werden. Die Besitzenden wiederum müssen angesichts der Wirtschaftskrisen, die das System der Produktion auf Vorrat, der Erzeugung für einen unbekannten, nur vermuteten Zukunftsbedarf, und andere Momente, auf die ich noch zu sprechen komme, unvermeidlich mit sich bringen, gleichfalls sparen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, eines Tages unter die Zahl der Besitzlosen geworfen zu werden. Die Ungleichheit der Besitzverteilung und die Unstetigkeit der Einkommens- und Vermögensbildung haben also zur Folge, daß in allen Bevölkerungskreisen die Neigung herrscht, die durch Leistungen entstandenen, im Gelde verkörperten Ansprüche auf Gegenleistungen nicht sofort, sondern erst in der Zukunft geltend zu machen, die Kaufkraft, über die man verfügt einer späteren Verwendung vorzubehalten. Diese scheinbar freiwillige Sparneigung ist in Wirklichkeit ein Sparzwang, den die besonderen Eigentümlichkeiten der Wirtschaftsweise über den Einzelnen und über die Gesamtheit verhängen, und der sich in dem Maße verschärft, wie die Wirtschaft das patriarchalische Gleichmaß und die Stetigkeit der Entwicklung verläßt, die Volksklassen durcheinanderwirbelt und alles Zukünftige auf’s Ungewisse stellt. 

Im modernen Industriestaat mit seinen Zufälligkeiten und wechselnden Konjunkturen, ist daher der Spargedanke auf’s höchste entwickelt. Es ist hier geradezu die sittliche Pflicht des Einzelnen, für sich selbst, und die Pflicht des Staats, für die Gesamtheit zu sparen. Aber dem Spartrieb sind Grenzen gesetzt, und diese Grenzen sind nirgends enger, als gerade im Industriestaat mit seinem Zwange zum Sparen. So paradox es klingt: die industrielle Betätigung und der Spartrieb sind Gegensätze, die sich nicht mit einander vereinbaren lassen. Wer spart, d. h. von seiner Möglichkeit zu konsumieren keinen Gebrauch macht und sein Geld aufbewahrt, statt es auszugeben, verringert die Verkaufsgelegenheit im Lande und damit zugleich die Fähigkeit der Anderen, von ihm, dem Sparenden, Güter zu beziehen. Die Wirtschaft ist ein fortgesetztes Tauschen von Leistung gegen Leistung, und wenn zahlreiche Glieder der Wirtschaft die ihnen zustehende Leistung nicht in Anspruch nehmen, vielmehr das Geld, in dem ihr Leistungsanspruch sich verkörpert, ungenutzt im Schrank liegen lassen, so müssen die Anderen Leistungen unterlassen, weil die Nachfrage nach ihnen fehlt. Die Güterproduktion erfährt also eine Einschränkung, und unter dieser Einschränkung leidet auch der Sparende, da mit der fallenden Produktionskraft der Anderen auch seine Konsumkraft zurückgeht; denn wer weniger leistet (verkauft), kann auch nur weniger Leistungen beziehen (kaufen). In einem Lande, in dem der Spartrieb so ausgebildet ist, daß breite Volkskreise das Geld, das sie für ihre Leistungen erhalten, nicht für Gegenleistungen verausgaben, sondern vorsorglich aufspeichern, müssen Gewerbe, Handel und Verkehr notwendig stocken. 

Gegen eine derartige Stockung setzt sich aber die Wirtschaft zur Wehr, indem sie die Sparenden durch Zusicherung einer Prämie zu bestimmen sucht, die Aufspeicherung ihres Geldes zu unterlassen und dieses Geld, dessen Kaufkraft sie selbst noch nicht ausnutzen wollen, auf einige Zeit leihweise an andere Leute abzutreten. Die Prämie, mit der man das dem Verkehr entzogene Geld auf solche Weise wieder in den Verkehr zurückleiten will, heißt „Zins“. Ihr Zweck ist nicht etwa, die Geld-aufspeichernden Kreise dem Spargedanken abspenstig zu machen, sondern nur, sie zu einer anderen Sparweise zu veranlassen, als es die plumpe Art des Aufspeicherns ist. Der Zins ist das Mittel, mit dem man die Sparer dahin bringt, die direkte Methode des Sparens durch Geldansammeln aufzugeben, und statt dessen die indirekte Methode des Geldausleihens zu wählen. Auf diese Weise wird vermittels des Zinses der Spargedanke in den Dienst des Kredits gestellt. 

Diese Umwandlung des direkten und eigentlichen Sparens in ein indirektes, uneigentliches Sparverfahren hat zur Folge, daß der Spargedanke nunmehr nicht mehr ein Feind der modernen industriellen Wirtschaft ist, der ihre Wurzeln untergräbt, sondern im Gegenteil ein Freund und Förderer, der dem Industrialisierungs-Prinzip in jeder Weise Vorschub leistet. Das Geld, das im Sparinteresse zunächst dem Verkehr entzogen wurde, wird durch die Zins-Prämie nicht nur dem Verkehr zurückgegeben, sondern wirkt hier überdies in einer ganz veränderten und höchst zweckmäßigen Weise. Hatte das Aufspeichern des Geldes zu Sparzwecken die Folge, daß das Geld dem Gegenwartskonsum entzogen wurde, um zu so späterer Zeit irgend einem Zukunftskonsum zu dienen, hat die Beendigung des Aufspeicherns durch den Zins die Folge, daß das Geld nunmehr sofort, und zwar produktiv verwendet wird. Denn einen Zins kann nur zahlen, wer Mehrwerte schafft, also produziert. Der Zins führt somit die Gelder, die ohne ihn entweder gar nicht oder nur verbrauchend auf dem Markt erscheinen würden, einer erzeugenden Tätigkeit zu und wird so für die moderne industrielle Wirtschaft ein Anreger allerersten Ranges.

Freilich drängt sich uns bei dieser Feststellung eine ernste Befürchtung auf. Wir wissen, daß das moderne industrielle Produktionsprinzip — im Gegensatz zum Prinzip des Handwerks, das auf Bestellung zu arbeiten pflegt, — in der Massenerzeugung auf Vorrat besteht, also in der Vorversorgung der Wirtschaft für einen Bedarf, der noch nicht vorhanden ist, sondern erst später eintreten wird. Der kaufmännische Fernblick weiß diesen künftigen Bedarf im allgemeinen zutreffend abzuschätzen; zuweilen trügt er aber auch, und die Folge ist dann eine Krisis. Wird diese Krisengefahr, die Gefahr einer Produktion über den künftigen Bedarf hinaus, nicht wesentlich verschärft, wenn der Zins immer neue Geldmassen von der Seite des Konsums auf die Seite der Produktion hinüberwirft? Muß auf diese Weise nicht die Erzeugung immer mehr über den Verbrauch hinauswachsen und die Überproduktion schließlich zu einem chronischen Wirtschaftsübel werden?

Dieses Bedenken ist überall da gerechtfertigt, wo eine Wirtschaftspolitik der Willkür oder Unvernunft die natürlichen Mittel des Selbstschutzes beseitigt, die eine gesunde Wirtschaft auch unter der Herrschaft des modernen Prinzips der Massenerzeugung in sich trägt. Ich werde auf diesen Punkt späterhin zurückkommen müssen und kann mich daher hier mit der kurzen Feststellung begnügen, daß die natürlichen Mittel des Selbstschutzes gegen die Gefahr der Überproduktion normalerweise hinreichen, um die Wirtschaft zu sichern, und daß diese Mittel von zweierlei Art sind. Einmal ist es die Höhe des Zinses, die die Gefahr vermindert, indem sie sich auf das jeweilige Verhältnis zwischen Produktionsumfang und Konsummöglichkeit einstellt; bei starker Konsummöglichkeit zieht der Zins Spargelder an, indem er steigt, bei schwacher stößt er sie ab, indem er sinkt. Und zum andern wird die Gefahr der Überproduktion gemindert durch die automatische Anpassung der Erzeugung an den Ablauf der Sparperioden. Dieses zweite Moment des Selbstschutzes bedarf allerdings einer kurzen Erläuterung. 

Der einzelne Sparer kann die Ausnutzung seiner Kaufkraft auf kürzere Zeit vertagen („kurzfristig sparen“), oder auf lange Zeit hinausschieben („langfristig sparen“). In jedem dieser beiden Fälle wird er auf den Anreiz des Zinses in einer anderen Weise reagieren. Er wird sich von den vielen Kreditmöglichkeiten, die sich ihm bieten, immer diejenige wählen, die nach Art und Zeit am besten seiner Sparabsicht entspricht. Infolgedessen kann das mit Kredit arbeitende Unternehmertum schon aus den Bedingungen, zu denen sich das Spargeld ihm anbietet, auf die Sparabsichten der Verleiher schließen und sich mit seiner Produktion danach richten. Das Unternehmertum würde töricht handeln, wenn es Gelder, die schon nach einer kurzen Sparperiode in den Güterkreislauf zurückkehren sollen, um ihre Kaufkraft auszuüben, zu einer Produktionsart benutzen wollte, die erst nach Jahren oder Jahrzehnten zur Vermehrung der Konsumgüter führt; also wenn es solche Gelder beispielsweise zur Erschließung neuer Gebiete durch Eisenbahn- oder Kanalsysteme verwenden wollte. Das Gebotene ist hier die Erzeugung schnell herstellbarer Konsumartikel, die in dem Moment, wo der Eigentümer die Sparperiode beendet und als Konsument an den Markt tritt, bereits als zusätzliche Verbrauchsgüter zu seiner Verfügung stehen. Umgekehrt wäre es töricht, Spargelder, welche die Altersversorgung des Sparers zum Zweck haben und daher erst in Jahrzehnten konsumtiv verwertet werden sollen, in den Dienst der Tagesproduktion zu stellen; hier ist vielmehr ein Bauprogramm auf lange Sicht am Platze, das einen großen „Produktionsumweg“ darstellt und seine Früchte den Markt nicht vorzeitig überschwemmen läßt. Es bedarf also nur einer sorgfältigen Beobachtung des Ablaufs der Sparperioden — einer Beobachtung, die durch die Besonderheiten der Kreditart, der Kreditfrist und des Kreditzinses sehr erleichtert wird —, um die Umwandlung von Gegenwartskonsum in Zukunftskonsum durch eine entsprechende Produktionspolitik unschädlich zu machen und die Wirtschaftsharmonie, die durch den Sparprozeß gestört zu werden droht, dennoch aufrecht zu erhalten. 

Der gewerbsmäßige Vermittler zwischen dem sparenden Geldinhaber, der die Kaufkraft seines Geldes erst nach einer kürzeren oder längeren Zeit ausnutzen will, und allen Denen, die sich dieser Kaufkraft in der Zwischenzeit zu bedienen wünschen, ist die Bank. Eine Bank ist ein Institut, das Spargelder gegen Entgelt (Zins, oft auch nur kostenlose Aufbewahrung und Verwaltung) entgegennimmt, um sie gegen höheres Entgelt bis zum Moment ihrer Abhebung einer produktiven Verwendung zuzuführen. Da der Vorgang, der zur Umwandlung angesammelter und ursprünglich für den Konsum bestimmter Gelder in produktiv oder distributiv tätige Gelder („Kapital“) der Kredit ist, so bezeichnet man die Banken, die diese Umwandlung gewerbsmäßig betreiben, am besten als „Kreditbanken“ Schon deshalb, weil die Bezeichnung als „Bank“ schlechthin zu Recht oder Unrecht auch solchen Instituten beigelegt worden ist, deren Aufgaben auf anderen Gebieten als denen der rein bankmäßigen Kreditvermittlung liegen. 

Alle Institute, bei denen die Umwandlung angesammelter Gelder in Produktivkapital nicht oder nur in einer einzigen Spezialform und zu einem bestimmten Sonderzwecke erfolgt, scheiden aus unserer gegenwärtigen Betrachtung aus, auch wenn sie in ihrem begrenzten Bereich als Kreditgeber auftreten und daher im weiteren Sinne als eine Abart der Kreditbanken gelten können. Es scheiden also aus die Sparkassen, die zwar angesammelte Gelder mit Hilfe des Kredits in Kapital umwandeln, bei denen aber der Spargedanke dominiert und der Kredit nur notgedrungen und nebenher als unentbehrliches Hilfsmittel, und als solches auch nur in vorsichtigster Weise und in beschränktester Auswahl verwendet wird. Es scheiden ferner aus die Spezialbanken, die das ihnen zufließende Geld einer einzigen festbestimmten Verwendung zuführen; sei es als „Hypothekenbanken“ und „Baubanken“ dem städtischen Immobiliargeschäft, sei es als „Pfandbriefanstalten“ dem ländlichen Grundbesitz, sei es als „Eisenbahnbanken“ oder „industrielle Unternehmungsbanken“ einem von vornherein beschränkten Kreise von Betrieben, wobei der Kredit, der die Gelder in Kapital umwandelt, vielfach nur noch ein uneigentlicher, mit den Elementen des Unternehmergewinns und Unternehmerrisikos durchsetzter Kredit ist und sich der besonderen Form des Beteiligungskapitals nähert. Wir werden uns mithin auf die volkswirtschaftlich wichtigste Klasse der Banken beschränken, die ihre Aufgabe, „ruhendes Geld“ mit Hilfe des Kredits in „tätiges Geld“ und damit in Kapital zu verwandeln, ohne Verfolgung eines Sonderzwecks und auf breitester Grundlage erfüllen und die Kreditbanken im engeren und eigentlichen Sinne des Worts darstellen. 

II. Die Vervielfältigung der Zahlungsmittel durch die Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen.

Das Mittel, dessen sich die Wirtschaft bedient, um die Spargelder, die ihre Kaufkraft dem Markt zeitweilig zu entziehen wünschen, dennoch zur Rückkehr an den Markt zu veranlassen, ist, wie wir gesehen haben, der Zins. Der Zins überträgt die Gelder aus der Hand des eigentlichen, sparwilligen Besitzers in andere, ausgabewillige Hände, wandelt also den Sparprozeß, der in einem Aufspeichern baren Geldes besteht, in einen Kreditprozeß um. Er bewirkt dadurch, daß die Kaufkraft sich mit einer gewissen Gleichmäßigkeit am Markt betätigt, und erspart so der Wirtschaft die Stockungen und Zuckungen, die unvermeidlich sein würden, wenn man es untätig dulden wollte, daß die Kaufkraft sich bald vom Markte zurückzieht, bald im Übermaß an den Markt zurückströmt. 

Die Prämie, die der Zins auf die sofortige Ausnutzung jeder neu entstandenen Kaufkraft (jedes „eingenommenen Geldbetrages“) setzt, hat aber die bedeutsame Folge, daß er nicht nur die eigentlichen Spargelder aus dem Zustand der Ruhe befreit, sie in Bewegung setzt und in „Nachfrage“ verwandelt, sondern daß er diese Belebung auch auf solche Gelder ausdehnt, die nicht gespart, sondern in kürzester Frist, etwa in der nächsten Woche, ja vielleicht schon morgen, ausgegeben werden sollen. Geldbesitzer, denen jeder Spargedanke fernliegt, werden durch den Zins veranlaßt, das eben erst vereinnahmte Geld sofort wieder auszuleihen, auch wenn sie damit rechnen, schon an einem der nächsten Tage die Kaufkraft dieses Geldes selbst geltend machen zu müssen. Sie überlassen das Geld dem gewerbsmäßigen Kreditvermittler, der Bank, und nehmen mit der Zeit sogar die Gewohnheit an, das Geld gar nicht erst ihrer eigenen Kasse zuzuführen, sondern es direkt an die Bank zahlen zu lassen. Anfangs lassen sie sich dabei lediglich von der Absicht leiten, durch den Zins, den ihnen die Bank vergütet, ihr Einkommen zu steigern. Mit der Zeit aber und in dem Maße, wie die Weitergabe des Geldes an die Bank zur Volksgewohnheit wird, gerät diese ursprüngliche Absicht der Einkommens-Steigerung in Vergessenheit, und man bleibt bei der Gepflogenheit der Weitergabe auch dann, wenn die Bank nur noch einen ganz geringfügigen oder überhaupt keinen Zins vergütet. Man hat die Vorteile des bankmäßigen Geldverkehrs (Fortfall der eigenen Kassaführung mit ihrer Verlust- und Diebstahls-Gefahr usw.) schätzen gelernt und handelt daher ohne jede eigentliche Sparabsicht ebenso wie diejenigen Geldbesitzer, die mit der zeitweiligen Abtretung ihrer Kaufkraft an die Bank einen echten Spargedanken verwirklichen. 

So werden die Banken zu Vermittlern nicht nur zwischen einem großen Teil des Sparkapitals und dem Kreditverlangen des Erwerbslebens, sondern auch zwischen diesem letzteren und den jeweils vorhandenen Kassenreserven der Wirtschaft. Mit diesen Kassenreserven geht aber nunmehr eine außerordentlich bedeutsame Metamorphose vor sich. Ursprünglich, d. h. so lange sie noch in der Hand ihrer Eigentümer sind, machen sie nur recht geringfügige Beträge aus. Sie können in diesem Stadium niemals größer sein als ein Bruchteil der im Lande umlaufenden Zahlungsmittel. Die Kaufkraft, über die der Einzelne verfügt, ist genau so groß wie sein Vorrat an barem Gelde, und seine Kassenreserve ist gleich demjenigen Teile dieses Barvorrats, der nicht sofort ausgegeben, sondern zurückbehalten werden soll. Sobald aber die Zahlungsgewohnheiten im Lande sich ändern und die Banken zu Verwaltern der Mehrzahl aller Kassenreserven werden, erfahren diese eine ganz gewaltige Zunahme; und zwar deshalb, weil sie nicht in ihrer originalen Geldform bei den Banken ruhen bleiben, sondern aus den Bankkassen hinaus, wieder in die Kassen herein, nochmals hinaus, wiederum hereinströmen und so fort in infinitum. Der Zustand der Ruhe, in dem die Reserven verharren, solange sie in der Hand ihrer einzelnen Besitzer, also dezentralisiert sind, löst sich in Bewegung auf, sobald sie bei den Banken vereinigt werden, und durch diese Bewegung werden sie zugleich vervielfältigt. Der Vorgang ist für das Verständnis der Veränderungen, denen ein durchgebildetes Bankwesen die Wirtschaft unterwirft, so überaus wichtig, daß wir ihn etwas genauer durch die Lupe betrachten müssen. 

Nehmen wir an, in einem Lande betrage der Geldumlauf 4 Milliarden Einheiten (unter denen man sich nach Belieben Shilling, Francs, Kronen usw. vorstellen kann). Diese 4 Milliarden verkörpern, solange der Verkehr sich ausschließlich in der primitiven Form der Bargeldzahlung abspielt, die gesamte im Lande vorhandene Kaufkraft. Es ist nicht denkbar daß neben jenen 4 Milliarden noch eine weitere Kaufkraft existieren könnte, denn die einzige Form, in der die abstrakte Kaufkraft unter der Herrschaft des Barzahlungs-Prinzips vergegenständlicht wird, ist das bare Geld; kein einziges Mitglied der Volksgemeinschaft kann mehr kaufen, als die in seinen Händen befindliche bare Geldsumme es ihm erlaubt. In diesem primitiven Stadium des Zahlungsverkehrs besteht also eine ganz genaue Übereinstimmung zwischen der Kaufmöglichkeit der Volksgesamtheit und dem Geldbetrage, der im Lande umläuft. 

Nehmen wir nun weiter an, die Eigentümer jener 4 Milliarden Geldeinheiten betrachteten die Hälfte davon, also 2 Milliarden, als den Fonds zur Bestreitung ihrer unmittelbaren Ausgaben, und die andere Hälfte, also wiederum 2 Milliarden, als Reserve, sei es auf lange Frist („Sparreserve“), sei es für eine kurze Zeitspanne („Kassenreserve“). In diesem Falle wird nur die Kaufkraft von 2 Milliarden Einheiten für Verkehrszwecke ausgenutzt; der Rest des Geldes ist nicht tätig, sondern liegt fest, und die in ihm verkörperte Kaufkraft „ruht“. Alle Verkehrsverhältnisse, alle Umsätze, alle Preise sind nicht auf einen Geldumlauf von 4 Milliarden, sondern nur auf einen solchen von 2 Milliarden zugeschnitten. Der stillgelegte Teil der Kaufkraft ist bis auf weiteres so gut wie nicht vorhanden. Mit den Folgen, die dieses zeitweilige Ausscheiden der Hälfte der nationalen Kaufkraft für den Wirtschaftsorganismus hat, brauchen wir uns in diesem Zusammenhange nicht eingehend zu beschäftigen. Es ist aber klar, daß der freiwillige Konsumverzicht, der an dieser Umwandlung von Kaufkraft in Spar- und Kassenreserve ausgedrückt ist, die Produktivität im Lande erheblich beeinträchtigt. 

Gehen wir nun wieder einen Schritt weiter und nehmen wir — einen gewissen Zeitraum überspringend — an, daß die Verkehrsgewohnheiten sich völlig geändert hätten und an die Stelle der privaten Reservebildung und des individuellen Geldaufspeicherns die Sitte der zentralisierten Reservehaltung und der kollektiven Geldaufbewahrung getreten sei; daß ferner das Prinzip der Privatzahlung durch das Prinzip der Bankzahlung (den sog. bargeldlosen Verkehr) ersetzt worden sei. Der bei weitem größte Teil der 4 Milliarden, die den Geldumlauf im Lande bilden, hat sich dann bei einer Anzahl von Banken zu einem großen Fonds vereinigt und wird von jenen gegen eine Leihgebühr (Zins) auf kurze oder lange Frist an Leute ausgeliehen, die den Wunsch und die Möglichkeit haben, die Kaufkraft der zentralisierten Geldmassen sofort auszunutzen, und zwar zu produktiven Zwecken; denn nur eine produktive Verwendung des Geldes, die ihnen die aufgewendete Kaufkraft mit einem der Nützlichkeit der Verwendung entsprechenden Zuschlag (Verdienst) wieder zuführt, setzt die Darlehnsnehmer in Stand, den Banken eine Leihgebühr zu zahlen. Welche Veränderung geht dadurch mit dem Geldwesen vor sich? 

Die erste und am leichtesten erkennbare Folge ist, daß der Geldumlauf im Lande sich annähernd verdoppelt, weil die 2 Milliarden Geldzeichen, die ursprünglich von ihren Besitzern zu Reservezwecken aufgespeichert und dem Umlauf entzogen worden sind, nunmehr in Zirkulation gesetzt werden; mit Ausnahme eines ganz kleinen Prozentsatzes, den die Banken bar in ihrer Kasse behalten, um den Rückforderungen solcher Besitzer nachkommen zu können, die einen Teil ihrer Reserve auflösen und zu Kaufzwecken verwenden wollen. Der „ruhende“ Teil des Geldes verringert sich also von 2 Milliarden auf ein Zwanzigstel oder einen noch kleineren Bruchteil dieses Betrages, und der „tätige“ oder „umlaufende“ Teil erhöht sich dementsprechend auf nicht viel weniger als 4 Milliarden, d. h. auf beinahe die Gesamtheit des überhaupt vorhandenen Geldes. 

Diese wirtschaftlich interessante und folgenreiche Wirkung der veränderten Spargewohnheit tritt aber an Bedeutung vollkommen zurück vor der weniger sichtbaren, aber um so wichtigeren Wirkung, die von der veränderten Zahlungsgewohnheit ausgeht. Dadurch, daß der größte und kaufkräftigste Teil der Bevölkerung vom Prinzip der unmittelbaren Barzahlung zur Sitte der bankmäßigen Zahlung übergeht, konzentriert sich bei den Banken außer den schon erwähnten 2 Milliarden Reserve- oder Spargeldern auch der größere Teil jener anderen 2 Milliarden, die bisher schon dem täglichen Zahlungsverkehr gedient haben. Auch diese Gelder werden von den Banken ausgeliehen, wiederum abzüglich eines kleinen Prozentsatzes, den sie zur Sicherung ihrer eigenen Zahlungsbereitschaft in der Kasse behalten. Sie bleiben nun aber nicht etwa in den Händen der Darlehnsnehmer und in deren weiterem Geschäftskreise, also in den Händen ihrer Angestellten, Lieferanten usw.; sondern sie kehren, angezogen durch den Zins und durch die neue Zahlungsgewohnheit, auf dem kürzesten Wege zu den Banken zurück und werden von diesen, wiederum unter Abzug einer kleinen Sicherheitsreserve, von neuem ausgeliehen. Aber auch diesmal bleiben die Gelder nicht im Verkehr; sie fließen zum dritten Mal zur Bank, die sie wieder abstoßt und — nunmehr zum vierten Male — zurückempfängt. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder. Unablässig zirkulieren die 2 Milliarden durch die Banken hindurch, und nach jedem Durchgang sind sie zur Vornahme neuer Käufe bereit, so daß sich in ihnen eine um das Vielfache größere Kaufkraft äußert, als den 2 Milliarden effektiv vorhandenen Geldzeichen innewohnt. 

Nun muß man sich freilich davor hüten, aus dieser Vervielfältigung des Geldes durch die bankmäßige Zahlungsweise falsche Schlüsse zu ziehen. Man darf nicht vergessen, daß das Geld auch unter der Herrschaft primitiverer Zahlungsgewohnheiten seine Kaufkraft bei jedem Besitzwechsel von neuem ausübt, und daß ein Geldzeichen, das täglich einmal den Inhaber wechselt, im Laufe eines Monats seine Kaufkraft dreißig mal geltend macht; daß mit anderen Worten die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wie eine Vervielfachung seiner absoluten Menge wirkt. Die Veränderung, welche die Banken herbeiführen, besteht vielmehr in folgendem: Sie beschleunigen den Geldumlauf über die natürliche Zirkulationsgeschwindigkeit hinaus einmal dadurch, daß sie im Verkehr von Ort zu Ort den Zeitverlust ersparen, den eine bare Versendung zur Folge haben würde; ferner dadurch, daß sich bei ihnen Zahlungen, die sie leisten sollen, mit Zahlungen kompensieren, die sie zu empfangen haben, was nach dem Gesetz der großen Zahl in den meisten Fällen gestattet, die „Barzahlung“ durch die „Verrechnung“ zu ersetzen und so mit einem ganz erheblich kleineren Kassenbestande auszukommen, als es ohne ihr Dazwischentreten bei der Gesamtheit der Geldbesitzer der Fall sein würde; so daß derjenige Teil des „umlaufenden“ Geldes, der sich in Erwartung etwa eintretender Zahlungsverpflichtungen (wenn auch nur für einen einzigen Tag) im Zustand der „Ruhe“ befindet, auf ein Minimum zusammenschmilzt, mithin die „Ruhe“ des Geldes in großem Maßstabe durch „Tätigkeit“ ersetzt wird. Wenn also die bankmäßige Zahlung auch nicht zur Folge hat, daß die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes sich verhundertfacht, wie es angesichts des unablässigen Einströmens und Wiederausströmens des Geldes in den Bankkassen leicht vermutet werden könnte, so bewirkt sie doch — je nach dem Grade ihrer Ausbildung und ihrer Ergänzung durch Zentralinstitute, Kompensationskassen u. dgl. — immerhin, daß die natürliche Umlaufsgeschwindigkeit der 2 Milliarden „tätigen“ Geldes sich verdoppelt, verdreifacht oder noch mehr steigert. Nimmt man dazu die zuerst betrachtete Umwandlung weiterer 2 Milliarden „ruhenden“ (gesparten) Geldes in „arbeitendes“ Geld, die an sich schon eine Verdoppelung des Geldumlaufs bedeutet, und bedenkt man, daß dieses vormals ruhende Geld mit derselben Schnelligkeit durch die Banken hindurchzirkuliert wie das übrige, schon von vornherein tätige Geld, so ergibt sich eine ganz beträchtliche Intensivierung der Geldwirtschaft, eine auf’s äußerste gesteigerte Ausnutzung der im Gelde verkörperten Kaufkraft. 

Es ergibt sich daraus aber nicht etwa eine Übersättigung der Verkehrswirtschaft mit Geld; keine sogenannte Aufblähung oder Inflation. Eine Geldzunahme oder Umlaufsbeschleunigung, die aus einem natürlichen Verkehrsbedürfnis heraus entsteht, wie es die allmähliche Einschaltung der Bank als Zwischenglied zwischen den Sparer und den Borger oder zwischen den Geldgeber und den Geldempfänger ist, kann ein an sich gesundes Geldwesen niemals schädigen. Krankheitskeime werden dem Geldwesen immer nur durch Willkürakte eingeimpft, die das Geld in seiner Eigenschaft als dargestellte Kaufkraft substanziell berühren und das in ihm ausgedrückte Bezugsrecht antasten, aber niemals durch eine Umbildung der Verkehrsgewohnheit, die sich des organisch unverändert gebliebenen Geldes bald auf diese, bald auf jene Weise bedient. 

Die Unschädlichkeit der Umlaufsbeschleunigung, die einem Übergange zur bankmäßigen Zahlungsweise entspringt, geht übrigens zweifelsfrei schon aus der folgenden kurzen Überlegung hervor: Die Banken treten das ihnen überlassene Geld, so oft es auch durch ihre Kassen zirkuliert, immer nur solchen Personen ab, die in der Lage sind, dafür einen Zins zu zahlen. Diesen Zins können aber, wie wir gesehen haben, nur diejenigen Kreditnehmer zahlen, die ein Einkommen aus dem entliehenen Gelde ziehen, was voraussetzt, daß sie sich des Geldes in wirtschaftlich vernünftiger Weise, also nicht konsumtiv, sondern produktiv, bedienen. Die Kreditnehmer führen somit ein verstärktes Güterangebot und eine reichlichere Versorgung des Marktes herbei und dadurch die Tendenz einer starken Verbilligung aller vermehrbaren Güter. Trotzdem kommt es zu keinem empfindlichen, die produktiven Stände schädigenden Preisdruck, weil gleichzeitig mit dem verstärkten Angebot eine entsprechend verstärkte Nachfrage auftritt. Denn wir haben gesehen, daß die beschleunigte Zirkulation, in die das Geld durch die Banken, die es abwechselnd ansaugen und abstoßen, versetzt wird, genau denselben Effekt hat, als wenn das Geld mengenmäßig vermehrt würde, daß sich also eine gewaltige Zunahme der Kaufkraft ergibt, und zwar einer Kaufkraft, die nicht „ruht“ sondern „arbeitet“, d. h. als Nachfrage am Markte erscheint. Die so verstärkte Nachfrage hält dem neu entstandenen Güterangebot das Gleichgewicht und neutralisiert den Preisdruck, der sonst von der Mehrerzeugung ausgehen würde. Wir können jetzt den Unterschied zwischen einer künstlichen, durch Willkürakte herbeigeführten numerischen Geldvermehrung und einer natürlichen, aus der Wirtschaft selbst heraus entstandenen zirkulatorischen Geldvermehrung klar erkennen: Die erstere vergrößert den Konsum ohne eine entsprechende Verstärkung der Produktion wirkt daher preiserhöhend und nimmt so dem Gelde einen Teil seiner Kaufkraft; die zweite vergrößert zwar den Konsum ebenfalls, stellt dem Mehrkonsum aber gleichzeitig eine Mehrproduktion gegenüber, die seine Befriedigung ohne Preissteigerung gestattet, dem Gelde also seine bisherige Kaufkraft beläßt. 

Das Eintreten der Banken in den wirtschaftlichen Kreislauf hat somit währungspolitisch keinerlei nachteilige Folgen. Die Veränderungen, die dieses Eintreten herbeiführt, und die unter Umständen bedenkliche Wirkungen auslösen können, liegen auf anderen Gebieten, nämlich auf dem des Kreditwesens und dem der sozialen Entwickelung. Hier führt die Ausbildung eines starken Bankwesens, das die Spargelder und die Kassenreserven der Bevölkerung verwaltet, schwerwiegende Veränderungen herbei, die sich in kurzen Worten wie folgt präzisieren lassen: 

Die Banken verwandeln Gelder, die ohne sie brach liegen würden, in produktiv tätige Kaufkraft, indem sie die Gelder als Darlehen ausleihen. Dadurch werden diese Gelder, vom Standpunkte des Darlehnsnehmers aus gesehen, zu einem Teil seines Betriebsvermögens, d. h. zu „Kapital“. Für die rechtmäßigen Eigentümer machen die Gelder aber nicht dieselbe Wandlung durch. Für sie bleiben sie „Geld“, über das sie genau so verfügen können, als befänden sich die Geldzeichen, die sie den Banken abgetreten haben, noch immer in ihren eigenen Händen. Sie können das Geld, soweit sie es auf tägliche Kündigung hingegeben haben, noch heute verwenden, und soweit sie es auf wöchentliche oder monatliche Kündigung hingegeben haben, nach Ablauf einiger Wochen. Als „Kapital“ sehen sie, die rechtmäßigen Eigentümer oder Einleger, das Geld nur dann an, wenn sie sich der Verfügung darüber — gegen entsprechend erhöhten Zins — auf längere Zeit, etwa auf die Dauer eines halben oder ganzen Jahres, entäußert haben. In allen anderen Fällen bleibt es für sie „Kassenbestand“. Hier klafft ein grundsätzlich bedenklicher Zwiespalt zwischen der wirtschaftlichen Funktion, der die Banken das Geld zugeführt haben, und dem Rechtsanspruch der Einleger: Diese haben an die Banken eine Forderung, die auf „Geld“, d. h. unmittelbar verfügbare Kaufkraft, lautet, während sich im Besitz der Banken eine ganz andere Forderung, nämlich eine solche auf „Kapital“, d. h. auf gegenwärtig immobilisierte und daher erst später verfügbare Kaufkraft, befindet. Machen nun aus irgend einem Grunde die Einleger ihr Rückforderungsrecht an die Banken in solchem Umfange geltend, daß die Reserven, welche die Banken nicht in Kapital verwandelt, sondern in Form von Geld zurückbehalten haben, nicht zur Rückzahlung ausreichen, so muß notwendig eine Krisis hereinbrechen. Das ist die erste, kredittechnische Gefahr, die das Bank-Prinzip über die zur unbaren Zahlungsweise übergehende Wirtschaft heraufbeschwört. 

Die zweite Gefahr, die sozialer Natur ist, geht vom Moment der Sicherheit aus, das in einer auf Kredit eingestellten Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielt. Da die Banken nicht mit eigenem, sondern mit entliehenem Gelde arbeiten, so sind sie gezwungen, bei der Auswahl der Darlehnsnehmer die allergrößte Vorsicht zu beobachten. Nur Leute, die ausreichendes Pfand bestellen können, oder deren Vermögen eine hinreichende Garantie bietet, gelten ihnen der Regel nach als kreditwürdig. Das hat zur Folge, daß nur ganz bestimmte Volksschichten in den Genuß des Vorteils kommen, mit dem Gelde des großen Rests der Bevölkerung wie mit ihrem eigenen Kapital wirtschaften zu können, was ihnen eine große und oft mißbrauchte Macht über die nicht privilegierten Schichten verleiht. Die Kapitalfülle, die sich in einer Hand konzentriert, bedeutet eine gewaltige Überlegenheit im wirtschaftlichen Wettbewerb und kann in ihrer Konsequenz zur Erdrosselung der Kleinen und zu ihrem Hinuntersinken ins Proletariat führen. Vermutlich hat man hier den Ursprung des sogenannten „kanonischen Zinsverbots“ zu suchen. Um nicht zu viel Macht in wenig Hände gelangen zu lassen, hat die Kirche, die oft einen sehr klaren Blick für das ethisch und sozial Schädliche hat, das Zinsnehmen als die Voraussetzung jeden Kredits, d. h. jeden Arbeitens mit fremdem Gelde, für unsittlich erklärt. Und in der Tat liegt hier die Quelle einer ungeheuren Gefahr, einer destruktiven Tendenz, die den Staatsorganismus unterhöhlt und nur zu leicht zum Zusammenbruch bringt. 

III. Anlagepolitik und Kreditpolitik. Die Liquidität.

Die Umwandlung ruhender Kaufkraft in tätige sowie die Konzentrierung der tätigen Kaufkraft bei den Banken führen ihre vollkommenste Ausnutzung herbei, weil hierdurch auch die kleinsten Intervalle der Ruhe — wie z. B. der kurze Aufenthalt des für einen mehrtägigen Bedarf berechneten Geldes in den Taschen seiner Inhaber — beseitigt werden. Und da diese Ausnutzung so gut wie ausschließlich zu produktiven Zwecken erfolgt, so bewirkt sie eine gewaltige Steigerung der gewerblichen Tätigkeit, mit dem sichtbaren Effekt einer starken Zunahme des Volksvermögens und einer Aufbesserung der durchschnittlichen Lebenshaltung. Die eminente Bereicherung, die dem Volksganzen so aus der Tätigkeit der Banken erwächst, wird aber, wie wir gesehen haben, mit zwei großen Gefahren erkauft, nämlich mit der wirtschaftlichen Gefahr der Kreditkrisen und der sozialen Gefahr einer Machtkonzentration, einer Expropriierung der breiten Masse zu Gunsten einer kleinen Oberschicht. 

Diese Gefahren lassen sich zwar durch geeignete Gesetze und eine vernunftgemäße, auf Erfahrung beruhende und die Tradition respektierende Handhabung der Geschäfte wesentlich mildern. Aber ihre Milderung löst oft genug Gefahren auf anderen Wirtschafts- und Sozialgebieten aus; so wie in der Therapie die erfolgreiche Bekämpfung einer Krankheit dem Organismus oft Krankheitskeime anderer Art einimpft. 

Die Aufgabe einer zweckmäßigen Bankpolitik im weiteren Sinne — im Gegensatz zur Bankpolitik im engeren Sinne, die sich auf den gesetzgeberischen und technischen Aufbau der Notenbanken beschränkt, — besteht nun darin, die erwähnten beiden großen Gefahren auszuschalten, ohne den wirtschaftlichen Nutzen der Banken allzu sehr zu beeinträchtigen, und ohne die Wirtschaft mit schädlichen Keimen zu infizieren, die sich schließlich zu ebenso verhängnisvollen Übeln auswachsen können, wie die Gefahren, die man beseitigen will. Soweit die Bankpolitik dieses vorsichtige Abwägen von Nutzen und Schaden zum Gegenstande hat, zerfällt sie in zwei Teile, die Anlagepolitik im allgemeinen und die Kreditpolitik im besonderen. Von ihnen dient die erstere, richtig angewandt, der Beseitigung der Krisengefahr, die letztere, wenn sie ebenfalls in vernünftiger, verantwortungsbewußter Weise betrieben wird, der Vermeidung einer schädlichen Macht-Konzentration. Unsere Betrachtung soll zunächst der Anlagepolitik gewidmet sein, als dem ersten, allgemeineren und umfassenderen Teile des großen Komplexes von Verwaltungsfragen, die in ihrer Gesamtheit die Bankpolitik ausmachen. 

Eine Regel, die jedem Bankpraktiker geläufig ist, lautet: „Das Aktivgeschäft einer Kreditbank muß dem Dieser Satz will besagen, Passivgeschäft entsprechen.“ daß die Anlagen, denen eine Kreditbank die ihr überlassenen Gelder zuführt, sich nach der Art und insbesondere nach der Befristung dieser Gelder richten müssen. Spargelder sind anders anzulegen als Kassenreserven, auf bestimmte Zeit überlassene Gelder anders als täglich rückforderbare Gelder. Die Forderung, die in diesem Satze ausgesprochen wird, klingt so selbstverständlich, daß man annehmen sollte, keine Bank handele ihr jemals zuwider. Denn wenn eine Bank die ihr auf tägliche Kündigung überlassenen Einlagen grundsätzlich auf lange oder gar unbeschränkte Zeit ausleihen und somit immobilisieren wollte, würde sie in kürzester Frist, nämlich bei der ersten starken Zurückziehung bei ihr eingelegter Gelder, vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. In Wirklichkeit läßt sich jene Forderung aber nur sehr schwer, ja eigentlich überhaupt nicht, erfüllen. Denn wenn die Kreditbanken, deren Einlagen in der Hauptsache aus täglich oder binnen weniger Wochen rückforderbaren Geldern bestehen, diese Gelder genau so verwerten wollten, wie es ihrem Charakter als Kassenreserven und ihrer Befristung entspricht, so dürften sie die Gelder teils nur auf wenige Tage ausleihen — womit kaum einem ernsthaften Kreditnehmer gedient ist —, teils überhaupt nicht fortgeben, sondern nur in der Form des baren Kassenbestandes aufbewahren. Damit wäre aber nicht nur die volkswirtschaftliche Funktion der Banken, ruhendes Geld in arbeitendes Kapital umzuwandeln, vollkommen vereitelt, sondern auch ihre privatwirtschaftliche Existenzmöglichkeit beseitigt; das Ausleihen von Geld auf wenige Tage würde, seiner geringen Nützlichkeit entsprechend, kaum so viel Zinsen abwerfen, wie die Verwaltungskosten erfordern, und das Aufbewahren in Form eines baren Kassenbestandes würde nicht nur nichts einbringen, sondern im Gegenteil noch Kosten verursachen. Eine genaue Anpassung des Aktivgeschäfts an das Passivgeschäft ist also eine Unmöglichkeit. Die Anlagepolitik der Banken muß vielmehr, da sie einen Ertrag abwerfen soll, notwendig mehr auf die Verletzung als auf die Befolgung jener Grundregel zugeschnitten sein. 

Eine solche Verletzung ist nun in der Tat innerhalb gewisser Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen unschädlich und daher statthaft. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß die den Banken anvertrauten Kassenreserven der Bevölkerung selbst in kritischen Tagen, in denen der Einzelne sich gezwungen sieht, seine ruhende Kaufkraft am Markte zu verwerten, oder sich veranlaßt fühlt, diese Kaufkraft wieder in eigene Verwaltung zu nehmen, dennoch nicht auf ein Mal und in ihrer Gesamtheit zurückgezogen werden. Und es ist eine weitere Erfahrungstatsache, daß auch die Spargelder in solchen Zeiten nicht sofort nach Ablauf der Sparperiode, d. h. am Fälligkeitstage, ausnahmslos abgehoben werden, sondern daß ein großer Teil von ihnen — stillschweigend oder gemäß einer neuen Abmachung — bei der Bank belassen, und daß ein weiterer Teil, der tatsächlich zur Rückzahlung kommt, durch neue Spareinlagen ersetzt wird. Selbst Banken, über die ungünstige Gerüchte im Umlauf sind und deren Kredit daher erschüttert ist, können damit rechnen, daß ein gewisser Prozentsatz der ihnen anvertrauten Gelder länger bei ihnen verbleibt, als es der ursprünglichen Vereinbarung entspricht. Es waltet im Einlagengeschäft der Banken ein wirtschaftliches Trägheitsgesetz, das es den Banken gestattet, mit einem bestimmten Bestande der Einlagen als dem Minimum zu rechnen, das auch in kritischen Zeiten nicht unterschritten wird; einem Minimum, das je nach den Kreditgewohnheiten des Landes und der geschäftlichen Eigenart seiner Banken verschieden ist, das aber durch eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die diese Momente berücksichtigt, hinreichend zuverlässig ermittelt werden kann. 

Schon aus diesem Grunde sind die Kreditbanken in der Lage, einen größeren Teil der ihnen überlassenen Gelder auszuleihen, als es den Rückzahlungsfristen der Gelder entspricht. Sie brauchen ihre Aktiva also nicht den Passiven als solchen anzupassen, sondern können diese rohe Anpassung durch eine qualifizierte ersetzen, die neben der Art und Fälligkeit der fremden Gelder auch die landesüblichen Kreditgewohnheiten und den besonderen Charakter ihres eigenen Geschäfts berücksichtigt. Die Banken können aber ohne Gefahr für ihre Solvenz noch einen großen Schritt weiter gehen und neben dem theoretischen Minimum auch das praktische Minimum ihrer Einlagen ignorieren, wenn sie die Gewißheit haben, im Falle eintretender Bedrängnis, also bei einem Ansturm („run“) ihrer Gläubiger, auf irgendwelche Reserven außerhalb ihres eigenen Geschäfts rechnen zu können. Solche Reserven können von der allerverschiedensten Art sein. Sie können in Beziehungen zu Auslandsbanken bestehen, deren Kredit den Instituten im Notfalle zur Verfügung steht; oder in einer baren Zentralreserve, die der Staat im Hinblick auf kritische Zeiten zum Vorteil der Banken unterhält; oder in einer großen Notenbank, die durch eine kluge Politik in die Lage versetzt wird, den Banken für die ihnen unversehens entzogenen Gelder einen Ersatz in den Noten zu gewähren, die sie ihrerseits auf geeignete Weise aus dem Verkehr zieht, so daß die plötzliche Rückverwandlung zentralisierter Kaufkraft in zahllose Einzelsplitter durch die Zurückleitung solcher Splitter an die Banken neutralisiert wird. Überall da, wo zuverlässige Reserven solcher Art außerhalb des Bankwesens bestehen, kann dieses, ohne Schaden anzurichten, die ihm anvertraute ruhende Kaufkraft in größerem Maßstabe zu tätiger Kaufkraft umgestalten, als es dem Maximum der Rückforderungsgefahr entspricht. 

Eine weitere, und zwar ganz bedeutende Steigerung über dieses Maximum hinaus wird aber dem Aktivgeschäft der Banken dadurch ermöglicht, daß die Banken neben den genannten äußeren Reserven, die greifbar oder latent zu ihrer Verfügung stehen, sich im Nahmen ihrer eigenen Anlagen innere Reserven schaffen, mit deren Hilfe sie jeden unvorhergesehenen Abfluß von fremden Geldern durch eine entsprechende Heranziehung von Ersatzgeldern parieren können. Hier, in ihrer speziellen Anlagepolitik, liegt der eigentliche Schlüssel für das statthafte Verhältnis zwischen dem Maximum der Umwandlung ruhender in tätige Kaufkraft und dem Maximum der Rückforderungs-Gefahr. Je sorgfältiger die Anlagepolitik auf diese Gefahr abgestimmt ist, d. h. je stärker die Aktiva mit jederzeit in Geld verwandelbaren Anlagen durchsetzt sind, um so mehr darf die bare Reserve hinter dem Höchstmaß des möglichen Einlagenschwundes zurückbleiben. 

Die Anlagepolitik zerfällt demnach in zwei scharf von einander gesonderte Teile. Der eine Teil, die Anlagepolitik im engeren Sinne — von der die „Kreditpolitik“ wieder einen besonderen Zweig bildet —, besteht in dem Aufspüren derjenigen Anlage-Gelegenheiten, die größten Gewinn und höchsten wirtschaftlichen Nutzen bei kleinstem Risiko versprechen. Der andere Teil ist die „Reservepolitik“, auch „Liquiditäts-Politik“ genannt; sie besteht darin, Anlage-Gelegenheiten zu ermitteln, bei denen die Möglichkeit, sofort oder binnen einer auf den Charakter der fremden Gelder abgestimmten Frist in bares Geld verwandelt zu werden, das Haupterfordernis bildet, und der Ertrag nur eine Nebenrolle spielt. 

Dank dieser ihrer Bestimmung, die dauernde Zahlungsbereitschaft der Banken zu sichern und dadurch akute Krisen fern zu halten, ist die Liquiditätspolitik von der allergrößten Bedeutung nicht nur für die Banken selbst, sondern für die Wirtschaft überhaupt. Sie ist die Brücke, die über den tiefen Abgrund führt, der zwischen Schulden und Forderungen mit ihren verschieden gelagerten Verfallterminen klafft, und die den unausrottbaren, weil im Kreditsystem selbst wurzelnden Zwiespalt innerhalb des Geldbegriffs überbrückt. Keine Kunst der Welt kann bewirken, daß das Geld, das die Bankengläubiger als ruhende, d. h. noch nicht ausgenutzte und jederzeit zu ihrer Verfügung stehende Kaufkraft betrachten, das aber in Wirklichkeit längst zu arbeitender Kaufkraft und unter dem Gesichtspunkt der Bankenschuldner zu Kapital geworden ist, sich auf Kommando aus arbeitender in ruhende Kaufkraft zurückverwandelt, aus Kapital wieder zu Geld wird. Die Summen, die von den Banken zu produktiven Zwecken ausgeliehen worden sind, nehmen unmittelbar darauf die äußere Gestalt von Bauwerken, Maschinen, Rohstoffen oder Warenlagern an; und ist die Kaufkraft auf diese Weise einmal zur Substanz geworden, so vermag nichts sie wieder zu entmaterialisieren. Die Banken müssen daher, um für jede Rückforderung gerüstet zu sein, ihre Liquiditätspolitik darauf beschränken, entweder zusätzliches Geld von dritter Seite (Zentralreserve, Notenbank, Ausland) heranzuziehen; oder für die Kredite, die sie plötzlich selbst nicht weitergewähren können, Ersatzmänner in Gestalt der Inhaber noch nicht ausgenutzter, ruhender Kaufkraft, zu finden; oder endlich dauernd einen so großen Teil der ihnen anvertrauten Gelder bar zurückzuhalten und vor der Umwandlung in Substanz zu bewahren, daß jeder praktisch denkbare Rückforderungsanspruch daraus befriedigt werden kann. 

Welches von diesen drei Verfahren eine Kreditbank im gegebenen Falle bevorzugt, hängt von der Besonderheit ihres Geschäfts und ihrer Beziehungen zu Staat, Ausland und Binnenmarkt ab und unterliegt rein individuellen Zweckmäßigkeits-Erwägungen, bei denen der Gewinnentgang, den jede Reserve-Politik bedingt, eine große Rolle spielt. Grundsätzlich ist der Bank jede der drei Liquiditäts-Arten recht, sofern sie nur ihren Zweck erfüllt und nicht kostspielig ist. Ganz anders aber stellen sich die Dinge unter dem Gesichtswinkel der öffentlichen Wohlfahrt und des Gedeihens der Wirtschaft dar. Von hier aus betrachtet handelt es sich nicht um eine Frage der technischen Zweckmäßigkeit und des privaten oder nationalen Gewinnentgangs, sondern um eine Entscheidung, die von höchster Bedeutung für das Schicksal des ganzen Erwerbslebens werden kann. Und zwar ist insbesondere das zweite der drei Verfahren, nämlich die Abwälzung der gewährten Kredite auf Ersatzmänner mit noch unausgenutzter Kaufkraft, d. h. der Rückgriff der Banken auf die Kaufkraft des inneren Markts, unter diesem Gesichtswinkel von kaum zu überbietender Wichtigkeit für die Gesamtwirtschaft. 

IV. Die erste und die zweite Reserve. Der Rückgriff auf den Geld- und Kapitalmarkt. Bankenflüssigkeit und Krisis.

Die Reservepolitik der Banken ist in allen Ländern in der Hauptsache darauf zugeschnitten, die Kredite, die gewährt worden und von den Darlehnsnehmern produktiv verwendet, d. h. in Anlagen. Maschinen oder Waren gesteckt worden sind, im Bedarfsfalle auf private Geldgeber abzuwälzen. Die Folge dieses Bestrebens, sich im Wege der Überwälzungs-Möglichkeit liquid zu erhalten, ist, daß die Kreditgewährung der Banken sich in bestimmte Formen kleidet, die im Kapital- und Kreditverkehr besonders beliebt sind, weil sie es gestatten, die Schulddokumente ohne allzu viel Förmlichkeiten an dritte Personen abzutreten. Die bei weitem verbreitetste Form ist die des Dreimonatswechsels. Er verdankt seine Beliebtheit im Bank- und Privatverkehr einmal seiner leichten Übertragbarkeit, die durch ein einfaches „Indossament“ ohne Unterschrifts-Beglaubigung herbeigeführt wird; ferner der sogenannten „Wechselstrenge“, die jede einzelne der auf dem Wechsel verzeichneten Personen (den Aussteller, den Bezogenen und alle Indossanten) mit ihrem ganzen Vermögen haftbar macht und die Beitreibung der Schuldsumme in kürzester Frist gewährleistet; sodann seiner beschränkten Laufzeit, die ihn zur Anlage kurzfristiger Gelder, d. h. zur Abtretung nur vorübergehend ruhender Kaufkraft, hervorragend geeignet macht; und endlich der Tatsache, daß er dank der vorerwähnten Eigenschaften das unter bestimmten Vorauseinzige Kreditpapier ist, das — unter bestimmten Voraussetzungen — von den großen Zentralnotenbanken angekauft (diskontiert) wird. Die Möglichkeit, einen gewährten Wechselkredit jederzeit durch Abtretung der Forderung flüssig zu machen, stempelt den Wechsel zum bevorzugten Instrument der Reservebildung, ja läßt ihn der Barreserve fast ebenbürtig erscheinen und verleiht dem Teil der Bankreserve, der sich aus Wechseln zusammensetzt, das Prädikat einer „Liquidität ersten Grades.“ 

Auf der gleichen Stufe der Liquidität stehend und der Barreserve ebenfalls nahe verwandt ist das zeitweilige Ausleihen eines Teils der Bankgelder an öffentliche bezw. halböffentliche Institute oder auch an andere Privatbanken allerersten Ranges, also an Staatskassen, Zentralnotenbanken, Abrechnungsbanken u. dgl., von denen die Gelder bei Bedarf jederzeit abgerufen werden können. Zwar wird auch in diesem Falle die ruhende Kaufkraft der Einleger zum allergrößten Teil in produktiv tätige Kaufkraft umgewandelt, durchläuft Werte schaffend und unablässig weiter wandernd die Wirtschaft und läßt sich nicht ohne weiteres in den Zustand der Ruhe, d. h. in bare Kasse, zurückverwandeln. Die Banken vertrauen aber darauf, daß es den Darlehnsempfängern, als die ja nur Wirtschaftsorgane mit praktisch beinahe unbeschränktem Kredit in Frage kommen, im Rückforderungsfalle möglich sein wird, mit Hilfe des Zinses im Inlande oder Auslande so viel jungfräuliche Kaufkraft in Gestalt neuer Spar- und Reservegelder an sich zu ziehen, wie nötig ist, um ihrem eigenen Zahlungsbegehr prompt nachkommen zu können. Öffentliche Kassen bedienen sich zu diesem Zweck des Staatskredits, Notenbanken rufen mit Hilfe von Diskonterhöhungen und sonstigen technischen Mitteln einen Teil ihrer Noten aus dem Verkehr zurück, große Privatbanken, die für die kleineren oder in der Hauptstadt nicht vertretenen Banken die Funktion eines zentralen Reserve-Beckens ausüben, machen ihre eigenen Reserven flüssig, d. h. greifen auf die Kauf- und Leihkraft des inländischen oder ausländischen Markts zurück. Bei richtiger Auswahl und Beschränkung auf altbewährte, über jeden Zweifel erhabene Institute — und nur bei einer solcher Auswahl können die dorthin gelegten Gelder als „Reserven“ angesprochen werden — stehen die Guthaben, welche die Banken bei Staats-, Noten- und Abrechnungsbanken unterhalten, an Zugriffsbereitschaft der Barreserve fast gleich. Im Gegensatz zu dieser werfen sie aber häufig eine wenn auch nur geringe Zinseinnahme ab, was sinnfällig dartut, daß sie „werbende Kraft“ haben, d. h. zum größeren Teil aus dem unfruchtbaren Zustand der Ruhe in eine Werte-erzeugende Tätigkeit überführt worden sind. 

Immerhin ist der Zinsgenuß dieser Anlagen, die fast ebenso greifbar wie der bare Kassenbestand sind, nicht so hoch, daß die Banken allzu große Summen in ihnen zu investieren bereit wären. Nur einen Teil der Gesamtreserve, die sie dem Maximum der Rückforderungsgefahr gegenüberstellen zu müssen glauben, legen die Banken in solchen Ausleihungen erster Klasse an. Für einen weiteren Teil halten sie einen geringeren Liquiditätsgrad für ausreichend, wobei sie von der Erwägung ausgehen, daß die Maximalgefahr, gegen die sie sich rüsten müssen, nur sehr selten, wenn überhaupt jemals, aktuell wird, und daß selbst dann, wenn dieser Fall einmal eintritt, der Brand nicht sofort hell auflodert, sondern sich erst durch ein Knistern im Gebälk, dann durch das Züngeln vereinzelter Stichflammen kundtut. Die Banken berücksichtigen also neben der Gefahr selbst auch die Stufenfolge ihrer Entwicklung und halten es für ausreichend, wenn sich ihre Reserven allmählich, entsprechend dem Fortschreiten der Gefahr, mobilisieren lassen. Ihre Anlagepolitik geht deshalb dahin, die erste, sofort verfügbare Reserve auf dasjenige Maß zu beschränken, das zur Bekämpfung der Rückforderungsgefahr in ihrem ersten Stadium genügt, und daneben für den Notfall eine zweite Reserve zu bilden, die erst später zur Verwendung kommt, wenn jene Gefahr sich in bedrohlicher Weise verstärkt. Eine solche zweite Reserve, die nur allmählich liquidiert zu werden braucht und daher aus Krediten bestehen darf, deren besondere Rechtsformen und Verfalltermine nur eine langsame Überwälzung oder Einkassierung gestatten, hat für die Banken den Vorteil eines erheblich höheren Ertrages. Und da die Banken Erwerbsinstitute sind, die für ihre nützliche wirtschaftliche Funktion einen Gewinn beanspruchen, so geht ihre Neigung naturgemäß dahin, die zweite Reserve auf Kosten der ersten zu vergrößern und sich gegen das Gefahren-Maximum in der Hauptsache mit einer Liquidität zweiten Grades zu sichern. 

Die Anlagen, die diese zweite Reserve bilden, sind je nach der Geschäftsart der Banken, wie sie sich im Laufe der Zeit aus ihrer Nationalität, besonderen Zweckbestimmung und geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat, verschieden. Gemeinsam ist allen Banken dabei nur der Grundgedanke: die Gelder, die jene zusätzliche Reserve und somit ein Mittelding zwischen fester Anlage und verfügungsbereiter Kaufkraft bilden, werden einem besonderen „Markte“ überlassen, an dem Personen und Institute tätig sind, die einen Beruf daraus gemacht haben, solche ihnen nur auf kurze Zeit überlassenen Gelder bestimmten Anlagen zuzuführen, aus denen ein der Rückforderungs-Wahrscheinlichkeit entsprechender Teil im Wege der Überwälzung auf das sparende und Reserven-bildende Publikum wieder herausgezogen werden kann. Dieser Markt nennt sich „Geldmarkt“ wenn die Gelder, die ihm zufließen, in der Originalform beliebig verwendbarer Kaufkraft ausgeliehen werden, in welchem Falle sie meist einen Zins abwerfen; dagegen „Kapitalmarkt“ wenn die Gelder in eine bestimmte Form der Anlage gebracht werden, die zu wechselnden Preisen (Kursen) an das breite Publikum abgetreten, d. h. verkauft wird. Bei der Verwirklichung dieses gemeinsamen Grundgedankens haben sich aber verschiedene Formen, bestimmte nationale Gewohnheiten herausgebildet, und man kann in Europa zwischen einem „angelsächsischen“ und einem „kontinentalen“ Prinzip der Reservehaltung unterscheiden. 

Das angelsächsische Prinzip geht dahin, die Gelder dem Markte möglichst geschlossen, in wenigen großen Posten zuzuführen und ihre Verteilung und eigentliche Anlage den Empfängern zu überlassen. Es entspricht das der weitgetriebenen Arbeitsteilung, die in England zur Regel geworden ist. Zwischen die zahlreichen Elemente, die das Geld — hauptsächlich im Börsenhandel und im Diskontgeschäft — splitterweise verwerten, und die Banken, die das Geld in runden und meist sehr großen Beträgen hergeben, schieben sich eine Anzahl von Zwischengliedern, deren Beruf es bildet, die empfangenen Summen am Markte weiterzuleihen. Die Hauptgruppen sind die „money broker“ die das empfangene Geld vorzugsweise an die kleine Börsenspekulation weiterleiten, also Effekten bevorschussen, und die „bill broker“ und großen Diskonthäuser, die es in Wechseln anlegen und auf diese Weise nicht nur Abzugskanäle darstellen, durch die überschüssige Bankreserven abfließen, sondern zugleich auch Reservoirs, aus denen die Banken, wenn sie ihre Reserven wieder auffüllen müssen, durch Wechsel-Begebung Gelder an sich ziehen können. 

Das kontinentale Verfahren unterscheidet sich von diesem angelsächsischen nicht im Prinzip, sondern nur in der Methode. Auch auf dem europäischen Kontinent führen die Banken ihre Reserven zweiten Grades dem Geld- und Kapitalmarkt zu. Nur geschieht dies hier grundsätzlich unter Ausschaltung der in England beliebten Zwischenglieder. Wie das Wechselmaterial, das den Hauptbestandteil der ersten Reserve bildet, durch Makler, die nur eine rein vermittelnde Rolle spielen, den Abnehmern (Sparkassen, Versicherungsgesellschaften, Staatsinstituten, auch anderen Banken) direkt überlassen wird, so fließen auch die eigentlichen Börsengelder (im Effektenlombard- und Reportgeschäft) unmittelbar der Spekulation zu Gemeinsam ist dem angelsächsischen und dem kontinentalen System die Anlage von Reserven in Staatspapieren, sei es fundierten Anleihen, sei es Schatzwechseln, nur daß diese Anlage in England, wenigstens in normalen Zeiten, beliebter ist und einen größeren Umfang annimmt als auf dem Kontinent. 

Alle diese Verwertungsarten haben den Zweck, die Gelder vor der Immobilisierung zu schützen, und bestehen, gleichviel wie die technischen Mittel der Verwertung beschaffen sind, darin, den Banken die Verfügung über die ausgeliehenen Gelder in kürzester Frist zu sichern. Sind die Summen dem Geldmarkt zugeflossen — als tägliches Geld, als Geld per medio oder ultimo —, so haben die Banken die Gewißheit, sie nach Ablauf der Leihfrist, also nach einem Tage, nach vierzehn Tagen oder längstens nach einem Monat, zuzüglich eines Zinses wieder in ihrer Kasse zu sehen, wenn sie es für erforderlich halten und die Darlehen nicht prolongieren. Sind die Summen dem Kapitalmarkt zugeführt, also in Effekten angelegt worden, so besteht jederzeit die Möglichkeit, sie durch Verkauf wieder in Barreserve umzuwandeln, wobei den Banken neben dem Zinsgenuß in den meisten Fällen noch ein Kursgewinn — bei unglücklicher Auswahl ein Kursverlust — erwächst. Diese leichte Rückverwandlung von Anlagen in bare Kasse kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kaufkraft, welche die Banken dem Markt einmal zur Verfügung gestellt haben, produktiv verwertet und unwiderruflich in Güter umgewandelt worden ist. Selbst eine scheinbar so unproduktive Form der Kredite, wie es die der Börse zu Spekulationszwecken überlassenen Reportgelder sind, bedeutet in Wirklichkeit eine Überführung von Geld in Güter, von ruhender in tätige Kaufkraft. Der einzelne Spekulant mag die Aktien einer Industriegesellschaft ohne jede andere Absicht als die eines Spielgewinns erworben haben: die Aktien, die dank seines Spieltriebs geschaffen und verkauft werden konnten, stehen nichtsdestoweniger irgendwo und irgendwie im Dienst der Produktion und repräsentieren eine Gütererzeugung, die trotz aller Reserve-Absichten der geldgebenden Banken nicht ungeschehen gemacht werden kann. Die einzelne Bank kann sich durch eine geeignete Auswahl der Anlagen zwar liquide erhalten, die Gesamtheit aber, die „Volkswirtschaft“, hat diese Anlagen, wie sie auch beschaffen sein mögen, resorbiert, in die Güterform gebracht, und verfügt nunmehr über keine anderen Reserven als diejenigen, die in der Form des baren Geldes vorhanden sind, dessen Kaufkraft von den Banken noch nicht ausgenutzt worden ist, sondern „ruht“.

Dieser Gegensatz zwischen der individuellen Liquidität der Banken und der kollektiven Illiquidität der Gesamtwirtschaft ist die größte Gefahrenquelle für die ruhige Fortentwicklung des gewerblichen Lebens. Zwei Kreise, die sich genau decken müssen, wenn die ökonomische Harmonie nicht gestört werden soll, schneiden sich hier und schaffen einen unerträglichen Widerspruch: Der eine Kreis wird von der Bankentätigkeit gebildet, die darin besteht, die während einer unbekannten Sparperiode müßig gehenden Gelder gewerblich nutzbar zu machen, sie in die Kapitalform zu überführen und zu immobilisieren. Den andern Kreis bildet die Gesamtheit der Inhaber jener Gelder, die von der Tatsache und der Art der Immobilisierung nichts wissen und subjektiv nach wie vor die Verfügung über liquides, in der baren Urform rückforderbares Geld haben, obwohl dieses tatsächlich nur noch zum allerkleinsten Teil vorhanden ist. Die beiden Kreise greifen fortgesetzt ineinander. Bald fließt das flüssige Geld der Einleger den Banken in breiterem Strome zu, als diese sofort in Kapital umzuwandeln vermögen, bald wieder wird es in einem Umfange zurückgefordert, dem die Banken nicht gerecht werden können, weil inzwischen die Umwandlung in Kapital erfolgt und eine Rückverwandlung nicht möglich ist. 

Die Banken sind alsdann gezwungen, den Anspruch, den sie innerhalb ihres eigenen Kreises nicht befriedigen können, abzuwälzen, indem sie aus dem anderen Kreise, dem der privaten Sparkraft, neue Gelder heranziehen, um sie zur Abgeltung der Ansprüche zu verwenden. Das gelingt ihnen auch in dem Maße, wie sich in jenem anderen Kreise ruhende Kaufkraft vorfindet, die sich mit den Reizmitteln des Zinses und des Kursvorteils in den Bankenkreis hinüberlocken läßt. Häufig genug erweist sich aber dieses Maß als unzureichend; die Banken selbst sorgen ja andauernd dafür, daß ein möglichst hoher Prozentsatz der Kaufkraft ihnen zur Verwertung überlassen wird, der ungenutzt bleibende Rest, auf den in kritischen Zeiten zurückgegriffen werden könnte, also nur sehr klein ist. Dann kommt es zur Unmöglichkeit der Überwälzung und damit zur Unmöglichkeit, die Einleger zu befriedigen. Es ergeben sich dann zwei Eventualitäten, die beide für die Wirtschaft verhängnisvoll sind: 

Entweder gelingt es den Banken, ihre kurzfristigen Forderungen, deren Übernahme der Markt mangels hinreichender Kaufkraft verweigert, an den Fälligkeitstagen rücksichtslos zum Einzug zu bringen, und zwar noch rechtzeitig genug, um ihre Gläubiger befriedigen zu können. Dann sind sie selbst außer Gefahr, die große Schar ihrer Schuldner aber und damit ein beträchtlicher Teil der Erwerbswirtschaft nimmt den allerschwersten Schaden. Denn die bereite Kaufkraft, welche die Banken mit Hilfe des Zinses nicht heranzuziehen im Stande gewesen sind, versagt sich, da sie nun einmal absolut unzureichend ist, zunächst auch den Bankschuldnern. Diese können sich, um dem Bankerott zu entgehen, nur in der Weise helfen, daß sie ihr Geschäft teilweise liquidieren, also ihre Warenbestände auf den Markt werfen, Vermögensteile zu Schleuderpreisen abstoßen, Rohstoff-Bestellungen rückgängig machen, Angestellte und Arbeiter entlassen etc. Dieser erzwungene Ausverkauf kann zwar eine Kaufkraft, die nicht vorhanden ist, nicht aus der Erde stampfen. Aber er bewirkt doch, daß die Kaufkraft, die sich zu Reservezwecken vorfindet, im allerstärksten Maße hervorgelockt wird; denn ein Preissturz zieht die Käufer bedeutend schneller an, als ein hohes Zinsgebot (in kritischer Zeit) die Sparer. Der Ausverkauf hat ferner die Wirkung, daß Produktion und Vertrieb auch auf den nicht unmittelbar betroffenen Gebieten stocken, weil ein Preisrückgang selten lokalisiert bleibt, sondern meist wellenförmig weiterschreitet; infolgedessen wandelt sich Kaufkraft, die eigentlich für Produktions- und Handelszwecke bestimmt, aber noch nicht investiert worden, noch nicht „tätig“ ist, in Reserve- oder Spar-Kaufkraft um und kann nun von den Lockmitteln des Zinses und des billigen Preises genau so angezogen werden, wie die Kaufkraft, die ihre Inhaber von vornherein für Reserve- oder Sparzwecke bestimmt haben. Auch die Entlassung zahlreicher Arbeitnehmer setzt Gelder frei, die ursprünglich produktiv wirken sollten, nun aber wohl oder übel dazu dienen müssen, einen Teil der Bankkredite zu tilgen. Auf diese Weise gelingt es den Banken in dem hier vorausgesetzten Fall, so viel Gelder aus ihrem Aktivgeschäft herauszuziehen, wie nötig ist, um die andrängenden Gläubiger befriedigen und die Krisis überwinden zu können. Sie haben sich selbst gerettet, aber auf Kosten der Wirtschaft, die eine scharfe Depression mit Preissturz und Arbeitslosigkeit durchmachen mußte, damit sich hinreichende Mengen nicht in der Produktion gebundenen Geldes bei den Banken ansammeln konnten. 

Die zweite Eventualität ist, daß die Banken trotz aller Überwälzungsversuche und aller Kreditkündigungen die benötigten Mittel nicht in hinreichender Menge und vor allem nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit zusammenraffen können und sich zahlungsunfähig erklären müssen. Dann tritt zu der wirtschaftlichen Depression, die auch in diesem Fall von den krampfhaften Versuchen der Banken, sich liquid zu machen, ausgeht, eine Bankenkrisis hinzu, die ihrerseits wiederum auf die Wirtschaft zurückwirkt und die Depression zur Katastrophe steigert. Von den Mitteln, die der Staat anwenden kann, Moratorium, um einen Zusammenbruch zu verhüten — Schaffung künstlicher Kaufkraft mit Hilfe der Notenpresse wird noch zu reden sein. Sie können die Krisis besten— falls nur mildern, nicht beseitigen, und übertragen die Krankheit, die sie bekämpfen sollen, auf andere Gebiete (indem sie den Rechtsgedanken untergraben, den internationalen Kredit schwächen und die Währung gefährden), von denen aus dann neue Störungen in die Wirtschaft getragen werden. 

Der untrennbar mit dem Bankwesen verbundene Gegensatz zwischen dem Kassencharakter eines großen Teils der fremden Gelder und dem Anlagecharakter der daraus gewährten Kredite muß demnach, solange die heute geltenden Liquiditäts-Grundsätze in Wirksamkeit bleiben, notwendig periodisch zu Krisen führen. 

V. Die Fiktion der wirtschaftlichen Liquidität. „Frozen credits“.

Glücklicherweise führt die im Wesen der Banken selbst begründete Inkongruenz zwischen der Muß-Liquidität der Passiven und der Soll-Liquidität der Aktiven nur selten zu so scharfen, umfassenden Wirtschaftskrisen, wie man es nach dem Maß der Inkongruenz erwarten sollte. In den großen Ländern mit bankmäßiger Zahlungsweise treten solche Krisen der Regel nach nur in Abständen von Jahrzehnten ein. Das hat seine guten Gründe. Einmal untersteht das Bankwesen in hohem Grade dem Gesetz der großen Zahl, demzufolge sich der Abfluß alter und der Zufluß neuer Einlagen (Depositen) innerhalb gewisser Grenzen kompensieren, so daß die Banken nur ausnahmsweise in die Lage kommen, aus der Wesensverschiedenheit der Aktiven und Passiven die praktischen Konsequenzen ziehen zu müssen. Tritt der Ausnahmefall einmal bei einer Bank ein, weil sich der Einleger aus irgend welchen Gründen eine Panikstimmung bemächtigt hat, so sorgt das Solidarinteresse der Banken dafür, daß die Gefahr gemeinsam abgewehrt oder zum mindesten lokalisiert wird. Droht die Panik trotzdem auf das Bankwesen als Ganzes überzugreifen, so wird ihr im Hinblick auf die verheerenden Folgen von staatswegen vorzubeugen gesucht, indem der Staat sich — zunächst moralisch — für die Banken verbürgt. Bleibt auch dies wirkungslos, setzt sich vielmehr der allgemeine Ansturm der Gläubiger trotzdem fort, so verwandelt sich die moralische Unterstützung des Staats in eine effektive Hilfeleistung (Moratorium, Staatskredit, eventuell Notenpresse). Auch das Ausland pflegt sich an solchen Abwehrmaßnahmen zu beteiligen, weil die internationalen Handels- und Kreditbeziehungen aus der Wirtschaftskrisis eines Landes nur zu leicht ein Weltkrisis machen. Die Folgen des natürlichen Gegensatzes im Charakter der Aktiva und Passiva wirken sich also nur selten in ihrer vollen Stärke aus, weil sie entweder künstlich unterdrückt oder auf Gebiete abgelenkt werden, wo sie weniger sichtbar sind und nicht auf ihre wahren Ursachen hin kontrolliert werden können.

Infolgedessen hat man sich in allen Ländern daran gewöhnt, die allgemeine Kreditkrisis als einen extremen Fall anzusehen, den man den Theoretikern zur Behandlung überläßt, in der Bankpraxis aber nicht ernsthaft in Rechnung zieht. Man hat sich darauf beschränkt, gewisse Regeln aufzustellen und zu befolgen, die auf die Fluktuationen der Bankeinlagen in normalen Zeitläuften zugeschnitten sind, und sich für Ausnahmezeiten auf die Staatshilfe verlassen. Charakteristisch für die Auffassung der Banken ist der bekannte Ausspruch, den vor mehreren Jahrzehnten ein Direktor der Deutschen Bank (Siemens) getan hat. Auf die Frage, was er zu tun gedenke, wenn eines Tages ein „Run“ ausbreche und die Mehrzahl seiner Depositengläubiger ihr Geld sofort zurückverlange, gab er die klassische Antwort: „Dann stelle ich mich auf den Balkon meiner Bank und pfeife den Leuten eins!“ Das ist in der Tat das Verhalten, zu dem das Fehlen jeder ernsthaften Vorkehrung gegen eine scharfe Kreditkrisis die Bankenleiter nötigt — und zwar in allen Ländern —, wenn es auch selten mit solcher zynischen Offenheit zugegeben wird. 

Um so peinlicher aber achtet jede gewissenhaft geleitete Bank darauf, daß sie den Anforderungen, die ihre Gläubiger in normalen Zeiten etwa an sie stellen, prompt nachzukommen vermag. Mit großer Sorgfalt überwacht sie den Flüssigkeitsgrad ihrer Anlagen, und ihr größter Stolz ist es, wenn sie neben einem verhältnismäßig hohen Barbestand beträchtliche Reserven ersten und zweiten Grades in Gestalt von diskontfähigen Wechseln, Bankguthaben und Reportgeldern auszuweisen vermag. Das Prinzip der „Liquidität“, d. h. der prompten Zurückziehbarkeit gewährter Kredite und der Überwälzbarkeit nicht kündbarer Anlagen auf den Geld- und Kapitalmarkt, bildet das eigentliche Rückgrat der Bankenpolitik und wird von der öffentlichen Meinung geradezu als das Kriterium eines gesunden Bankwesens angesehen. 

Nun haben wir uns aber bereits mit der Frage beschäftigt, innerhalb welcher Grenzen die Bankenschuldner Kredite, die man ihnen einmal gewährt hat, zurückzahlen können, und inwieweit die Wirtschaft als Ganzes imstande ist, Kapitalsanlagen, die von den Banken liquidiert werden sollen, zu übernehmen. Und wir haben gesehen, daß beides nur im engen Nahmen des baren Geldes möglich ist, das zu Reserve- und Sparzwecken vorhanden, und dessen Kaufkraft noch keiner wie immer gearteten Verwendung zugeführt worden ist. Wir haben ferner gesehen, daß der Gesamtbestand an solchem Gelde mit „ruhender“ Kaufkraft ein sehr kleiner ist, da es gerade den ureigensten Beruf der Banken bildet, solche Gelder aus ihrer Ruhe aufzuscheuchen und irgend einer Tätigkeit zuzuführen. Wenn das alles aber zutrifft, kann die Fähigkeit der Banken, sich durch Kreditkündigung und Anlageüberwälzung flüssig zu machen, nur eine ganz beschränkte sein; und die Liquiditätspolitik der Banken, die völlig von dem Glauben an die Möglichkeit einer zum mindesten sehr weitgehenden Umwandlung von Reserven in Bargeld beherrscht wird, beruht alsdann auf einer Fiktion. 

Die Banken und mit ihnen die allermeisten Volkswirte machen sich die Sache allerdings sehr leicht. Sie sehen die Frage der Liquidität im Lichte einer ganz primitiven Betrachtungsweise, indem sie folgendermaßen argumentieren: Der Fabrikant, dem wir einen Kredit gegen Dreimonatsakzept einräumen, benutzt den Kredit zur Erzeugung einer Ware, die in einem oder zwei Monaten hergestellt und nach drei Monaten verkauft ist; er ist also in der Lage, den Kredit bei Fälligkeit des Akzepts aus dem Erlös seiner Produktion abzutragen. Ebenso kann der Großhändler, dem wir einen von Monat zu Monat kündbaren Kontokorrent-Kredit gewähren, uns auf Verlangen pünktlich befriedigen, denn nach dem Prinzip „schneller Absatz – vervielfältigter Nutzen“ pflegt er seine mit unserem Kredit gekaufte Ware innerhalb weniger Wochen wieder abzustoßen. Und auch der Börsenmann, der Effekten bei uns lombardiert oder einen Reportkredit in Anspruch nimmt, kann sich durch den Verkauf seiner Wertpapiere an jedem beliebigen Tage die Gelder verschaffen, die er uns zu zahlen hat, wenn wir gezwungen sein sollten, ihm den Kredit zu kündigen bezw. nicht zu erneuern. Völlig außer Zweifel steht aber auch, daß wir selbst jederzeit in der Lage sind, unsere Bestände an später fälligen Prima-Wechseln oder an Staatsanleihen am offenen Markte zu verkaufen und unsere Guthaben bei den Zentral- und Abrechnungsbanken in Bargeld umzuwandeln. 

Dieser Gedankengang scheint so unwiderleglich richtig zu sein, daß kaum jemand der ihn von Praktikern oder Theoretikern entwickeln hört, auf den Gedanken einer Kritik kommen wird. Und doch ist die Betrachtungsweise kindlich. Ich muß dabei unwillkürlich an einen Vorschüler denken, der aus der Fibel die kleinen Buchstaben des Alphabets gelernt hat, sie auch richtig nachschreiben kann, aber keine Ahnung davon hat, daß es neben dem kleinen Alphabet auch noch ein großes gibt. Das große Alphabet der Wirklichkeit sieht ganz anders aus als dasjenige, auf dem die Liquiditätstheorie der Banken sich aufbaut. 

Der Fabrikant, der Händler, der Finanzmann, der einen Bankkredit aufnimmt, damit ein Geschäft unternimmt und nach seiner Abwickelung den Kredit zurückzahlt, ist ein Phantasieprodukt. Das Wirtschaftsleben kennt solche Kombination von Darlehen und Einzelgeschäft nicht. Hier geht die Darlehnssumme im Gesamtgeschäft des Kreditnehmers auf, verschmilzt mit dem Prozeß der Erzeugung oder der Warenverteilung zu einem untrennbaren Ganzen, und wer sich jedes Bankdarlehen als einen isolierten Kredit vorstellt, dem ein gleichfalls isolierter Geschäftsvorgang gegenübersteht, tut den Dingen Gewalt an. Auch wenn ein bestimmtes Darlehen ausdrücklich für einen bestimmten Zweck gewährt und insbesondere betont worden ist, daß es sich dabei um keinen Anlage- und Dauerkredit, sondern lediglich um einen Betriebs- und Aushilfskredit handle, wächst das Darlehen dem Kapital des Kreditnehmers zu, bildet mit ihm eine Einheit und arbeitet mit ihm perpetuierlich im Betriebe. Die Dinge spielen sich nicht so ab, wie es die früher erwähnte primitive Betrachtungsweise voraussetzt, daß nämlich der Fabrikant das Darlehen nimmt, mit ihm ein Produkt herstellt, dieses verkauft und das Darlehen zurückzahlt. Vielmehr kapselt sich das Darlehen, auch wenn der Fabrikant selbst es ursprünglich anders wollte, in seinen Gesamtbetrieb ein. Rohstoffeinkauf, Lohnzahlung, Fertigstellung, Lagerung und Vertrieb bilden hier nicht getrennte Stadien, die zeitlich scharf skandiert sind, so daß heute der Einkauf, später die Lohnzahlung, in einem Monat die Fertigstellung und in zwei Monaten der Verkauf erfolgt; sondern alle diese Einzelvorgänge, in die der Gesamtprozeß der Erzeugung sich spaltet, spielen sich gleichzeitig ab, bilden ein Getriebe wie die verschiedenen Räder eines Mechanismus, die sich nicht nacheinander, vielmehr nebeneinander drehen. Nicht für ein einzelnes Produkt, sondern für eine Vielheit von Produkten kauft der Fabrikant seine Rohstoffe ein. Und während er sie einkauft, zahlt er bereits den Tages- und Wochenlohn für die Verarbeitung von Rohstoffen, die in einem früheren Stadium eingekauft wurden, lagert er Waren, deren Ursprung in ein noch früheres Stadium fällt, verkauft er Fabrikate, zu denen er die Rohstoffe vor vielen Monaten, vielleicht Jahren bezogen hat. Sein Betrieb ist ein lebender Organismus, in dem die einzelnen Organe in wechselnder Stärke vom Betriebskapital, mithin auch von dem in Anspruch genommenen Kredit, befruchtet werden. Und wenn der Kredit plötzlich gekündigt wird, so bedeutet das nicht die Aufforderung zur Hergabe des Erlöses aus dem Verkauf eines mit Hilfe des Kredits hergestellten bestimmten Produkts, nicht die Ablösung eines einzelnen, soeben überflüssig gewordenen Rades aus dem Gesamträderwerk, sondern die Störung des ganzen Betriebs, in dem der Kredit sich eingekapselt hat, ohne daß man sagen könnte, in welchen Rohstoffen, Löhnen, Lagerteilen oder Fertigwaren er sich im gegebenen Augenblick gerade verkörpert. 

Eben dieses organische Verwachsen der Darlehen mit dem Betriebsganzen macht die wirtschaftliche Bedeutung des Bankkredits aus. Nur dann, wenn die entliehenen Gelder sich mit der Unternehmung, der sie dienen, auf längere Zeit zur Erzielung der höchstmöglichen Produktivität verbinden, wird der Zweck des Bankkredits — Umwandlung ruhender Kaufkraft in erzeugerisch tätige Kaufkraft — erfüllt und das Wirtschaftsleben angereichert. Wenn es vorkommt, daß ein Bankkredit für die Durchführung eines einzelnen Geschäfts nicht nur beansprucht wird (als Kreditvorwand sind Einzelgeschäfte recht beliebt, und die Kreditnehmer zeigen dann zur Bekräftigung sogar die betreffenden Aufträge vor), sondern auch nach ein paar Monaten tatsächlich zurückgezahlt wird, dann ist dieser Bankkredit volkswirtschaftlich unfruchtbar. Er hat weder die Leistungsfähigkeit eines Einzelnen noch die Produktivität des Wirtschaftsganzen nachhaltig verstärkt, sondern nur einem einzelnen Geschäftsvorgang zur Entstehung verholfen; und selbst dieser Bagatellnutzen ist noch fraglich, denn es ist sehr wohl möglich, daß das betreffende Geschäft einem andern, kapitalkräftigeren Betrieb zugefallen wäre, wenn die Bank den Kredit versagt hätte. Im übrigen gilt von den Handelskrediten genau dasselbe; auch sie sind nur dann nützlich, wenn sie die Kapitalkraft des Kaufmanns für die Dauer stärken. 

Die Liquiditätspolitik der Banken, wie sie öffentlich verkündet und in den Bilanzen durch hohe Bankguthaben, Wechselbestände, Reportgelder usw. bekräftigt wird, will von der Langfristigkeit der Kredite und von der Schwierigkeit, sie im Bedarfsfalle flüssig zu machen, nichts wissen. Sie hält offiziell an dem Fibelglauben fest, daß die Bankforderungen „Betriebskredite“ und als solche schnell zu Geld zu machen seien, und führt in den Kreditbüros der Banken oft genug zu Erörterungen, ob ein bestimmtes Darlehnsgesuch noch unter die Betriebs- und nicht vielmehr unter die Anlagekredite falle. Die Praxis steht aber mit dieser Auffassung im denkbar schärfsten Widerspruch. Kredite, die eine Bank einem Geschäftsmann einmal bewilligt hat, laufen, so lange dessen geschäftlicher Ruf nicht gelitten hat, fast immer stillschweigend weiter oder werden, falls sie befristet sind, ausdrücklich prolongiert. Insbesondere werden Wechselkredite innerhalb eines von vornherein feststehenden Höchstbetrages immer wieder erneuert; die Zusammensetzung der Wechselschuld verändert sich, aber ihre Gesamtsumme wird von der Fälligkeit der Wechsel nicht berührt, weil neues Material an die Stelle des fällig gewordenen tritt. Eine Bank muß schon in große Schwierigkeiten geraten, oder es muß infolge einer krisenhaften Wirtschaftsverfassung von staatswegen eine allgemeine Kreditrestriktion angeordnet werden, bevor es zu einer Prolongations-Verweigerung und der strikten Aufforderung zur Rückzahlung des Kredits kommt. (Eine Ausnahme machen die Börsenkredite, von denen noch zu sprechen sein wird.) Mit anderen Worten: Während die Bankkredite theoretisch als Betriebs- und Aushilfskredite und, soweit sie Diskontkredite sind, bilanztechnisch als Reserven gelten, sind sie in Wirklichkeit zu festen Teilen des Anlagekapitals und damit außerordentlich illiquide geworden. Die Wechselkredite, die im Hinblick auf die Wechselstrenge und die Dreimonats-Fälligkeit — die Rediskontierbarkeit bleibt hier außer Betracht — als hochbewegliche Posten der Bankaktiva und als Garantie der Zahlungsbereitschaft angesehen werden, sind de facto nicht leichter einzutreiben als irgend eine andere Kreditart. Sie sind trotz ihrer Kurzfristigkeit und trotz der gemeinsamen Haftung aller wechselmäßig Verpflichteten das, was der Amerikaner „frozen credits“ eingefrorne Kredite nennt, und was ich selbst früher einmal als „Paternoster-Kredit“ bezeichnet habe, weil die Wechsel eines und desselben Bankschuldners gleichsam eine endlose, sich immer erneuernde Kette bilden. 

Freilich sind die Banken auch in normalen Zeiten nicht selten gezwungen, den wirklichen Dauercharakter der Kredite zu ignorieren und auf ihrem Schein zu bestehen, der nun einmal die Kündbarkeit jedes Kredits ausspricht und von einer Verpflichtung, fällige Wechsel zu prolongieren oder durch Ersatzwechsel ablösen zu lassen, nichts enthält. In solchen Zeiten, wo jahrelang stillschweigend weitergewährte Kredite plötzlich zur Kündigung kommen, stellt sich dann der Liquiditätstheorie zum Trotz heraus, wie fest die Bankkredite mit der gewerblichen Unternehmung verwachsen, wie sehr sie zu einem Teil des nationalen Anlagekapitals geworden sind. Nur mit Gewalt lassen sich die Gelder aus den Betrieben herausbrechen, und es tritt dann in kleinem Maßstabe das ein, was sich in ausgesprochenen Krisenzeiten in größerem Maßstabe ereignet: Zusammenbruch vieler Unternehmungen, Betriebsstockung, Arbeitslosigkeit. Die Öffentlichkeit wird allerdings nicht alarmiert, und der Staat greift, da die Solvenz der Banken und das nationale Prestige nicht gefährdet sind, nicht ein. Aber zahlreiche bürgerliche Tragödien spielen sich unter der nur wenig bewegten Oberfläche ab, und die Zeitungen melden, daß sich „infolge des eingetretenen Konjunkturumschwungs“ die Konkurse bedenklich häufen. Der eigentliche Sitz des Übels wird nicht erkannt. Kaum Einer unter Tausenden ahnt, daß der wirkliche Schuldige nicht in einer „höheren Gewalt“ zu suchen ist, sondern einzig und allein in dem unheilbaren Widerspruch zwischen der Beweglichkeit der Bank-Passiva (verursacht durch die Unbestimmbarkeit der „Sparperioden“), und der Unbeweglichkeit der Bank-Aktiva, die im Erwerbsleben Wurzel gefaßt haben und nur mit Gewalt herausgebrochen werden können. Einen solchen operativen Eingriff übersteht aber die Wirtschaft nicht, ohne Schaden zu nehmen. Verantwortlich für diesen Schaden ist die Tatsache, daß die Anlagepolitik der Banken auf einer verhängnisvollen Fiktion aufgebaut ist; auf der Fiktion nämlich, daß man Geld, über das seine Eigentümer täglich oder binnen kurzer Frist verfügen können, in Kapital umwandeln und dennoch jederzeit als baren Kassenbestand ansehen kann. 

VI. Unbeschränkte Kapitalwerte und beschränkte Kaufkraft. Liquidation, Preisrückgang und Zinssteigerung.

Ebenso wenig wie es möglich ist, einmal gewährte Kredite auf ein äußeres Signal hin plötzlich zu annullieren, ohne daß es zu empfindlichen Wirtschaftsstörungen kommt, ist es angängig, Kapitalsanlagen, in die sich die Bankengelder im Laufe der Zeit verwandelt haben, auf ein solches Signal hin in großem Maßstabe zu liquidieren. Theoretisch ist es allerdings möglich, die Bankguthaben, Staatsanleihen, Reportgelder usw., in denen sich die Kapitalsanlagen verkörpern, zurückzuziehen oder zu verkaufen, d. h. die arbeitende, Kapital gewordene Kaufkraft an einem Markte — Geldmarkt, Kapitalmarkt, Börse gegen andere, noch im jungfräulichen Zustande der Ruhe befindliche Kaufkraft (bares Geld) umzutauschen. Aber praktisch ergeben sich auch hier außerordentliche Schwierigkeiten, die letzten Endes in der Tatsache wurzeln, daß die Kapital-gewordene Kaufkraft, die man liquidieren will, ganz außer Verhältnis zu der noch ruhenden Kaufkraft steht, die diese Liquidation ermöglichen soll. Die erstere ist sozusagen unbegrenzt, die letztere dagegen von mehreren Seiten eingeengt und daher geringfügig. Einmal kann die ruhende Kaufkraft nicht größer sein als der vorhandene Bestand an barem Gelde, denn in diesem Bestande verkörpert sich die Summe aller Kaufmöglichkeiten, über welche die Bevölkerung im gegebenen Augenblick verfügt. Von diesem baren Gelde sind aber die erheblichen Beträge abzuziehen, die im Haushalt und in der Erwerbswirtschaft gebunden sind, also der für den unmittelbaren Verbrauch, für Einkäufe, Löhne und sonstige Ausgaben reservierte Teil, der meist die größere Hälfte des Barbestandes ausmacht. Vom verbleibenden Rest sind wiederum diejenigen Summen zu kürzen, die von den Privaten, Banken, Staatskassen usw. unbedingt als Reserve für ihre eigenen Zahlungsverpflichtungen zurückgehalten werden müssen; ferner die Spargelder im eigentlichen, engsten Sinne des Worts, die von dem noch nicht an den Bankverkehr gewöhnten Teil der Bevölkerung (Kleinbauern, Arbeiter, Dienstboten usw.) in der originalen Geldform aufgespeichert werden. Nur das Wenige, was nach Vornahme aller dieser Abzüge verbleibt, kann an den Markt strömen, um hier die Anlagewerte zu kaufen, deren sich die Banken im Hinblick auf die plötzliche Steigerung ihrer Zahlungsverpflichtungen zu entledigen suchen. 

Dabei ist es gleichgültig, welche äußere Gestalt diese Anlagewerte haben. Bestehen sie aus Staatspapieren oder einer bestimmten Art von Wechseln (Privatdiskonten), deren Reservecharakter in ihrer normalerweise leichten marktmäßigen Veräußerbarkeit besteht, so werden die baren Gelder, über die der Markt verfügt, direkt, ohne das Auftreten eines Zwischengliedes in Anspruch genommen. Handelt es sich um Reportgelder oder sogenanntes „tägliches Geld“, also Anlagen, die äußerlich die Form von Börsenkrediten angenommen haben, so richtet sich der erste Appell nicht an den Markt, sondern an die Kreditnehmer, praktisch also an andere Banken und an das Händlerelement, das man als „Börsenspekulation“ bezeichnet. Diese sind aber zur Zurückzahlung von Summen mehr als normalen Umfangs nur imstande, indem sie die Werte —vorzugsweise Börsenpapiere —, die sie mit Hilfe der Kredite erworben haben, ihrerseits zum Verkauf stellen; der Markt wird hier also indirekt in Anspruch genommen, nicht seitens der liquidierenden Banken selbst, sondern seitens der von ihnen abhängigen Kreditnehmer. Und ebenso verhält es sich, wenn die flüssig zu machenden Reserven der Banken aus Guthaben bei anderen Banken bestehen: auch in diesem Falle kommt es zu einer mittelbaren Inanspruchnahme des Markts, indem die zur Rückzahlung der Guthaben aufgeforderten Institute sich entlasten und zu diesem Zwecke irgend welche Anlagewerte zum Verkauf stellen. Es ist also immer dann, wenn die Bankengläubiger Einlagen in mehr als normalem Umfange zurückziehen, unvermeidlich, daß am Markte ein starkes Angebot von Kapitalsanlagen aller Art einsetzt, das die hier üblicherweise vorhandene Kaufkraft erheblich überschreitet. 

Nun hat ein solches verstärktes Angebot allerdings meist zur Folge, daß die außerhalb des Markts befindlichen freien Geldbestände in gleichfalls verstärktem Maße an den Markt fließen. Denn hier bildet sich infolge jenes Angebots eine ungewöhnlich günstige Kaufgelegenheit heraus. Sind es Staatspapiere oder sonstige Börsenwerte, die zum Verkauf drängen, so tritt ein Kursrückgang ein, der bei genügender Stärke einen Anreiz auf die freien Gelder ausübt, von der Verbilligung zu profitieren; sind es Wechsel, Schatzanweisungen oder dgl., so steigt der Zins zu solcher Höhe, daß es vorteilhaft wird, sie zu Anlagezwecken zu erwerben. Der Liquidationsprozeß, zu dem die Zurückziehung der Einlagen führt, erzeugt also selbst die Möglichkeit seiner Durchführung. Aber während er dies tut, schafft er zugleich auch Hindernisse, die sich dem reibungslosen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage in den Weg stellen und den Zweck des Ganzen, die Versorgung der Banken mit den benötigten baren Geldern, wieder gefährden. 

In einem Lande nämlich, in dem die Kreditwirtschaft einen so gewaltigen Umfang erreicht hat wie in den westlichen europäischen Ländern und in Nordamerika, sind die Vermögensanlagen der kapitalistischen Bevölkerung meist erheblich größer als das wirkliche Vermögen. Ein wesentlicher Teil der Anlagen ist mit Hilfe von Bankkredit erworben worden und stellt die Substanz dar, die hinter den Aktiven der Bankbilanzen steht. Zu diesen Anlagen gehören auch die Rentenpapiere, Aktien usw., also die Wertgattungen, die in Zeiten des Gläubiger-Andranges auf den Markt geworfen werden und hier die Preise (Kurse) niederdrücken, „verflauend“ wirken. Die Preise oder Kurse bilden nun aber den Maßstab für die Beleihbarkeit der Werte und bestimmen die Höhe des Bankkredits, der ihren Eigentümern gewährt wird. Jeder Rückgang vermindert die Kreditfähigkeit der letzteren und hat zur Folge, daß die Banken die Wertpapier-Besitzer auffordern, einen Teil der Kredite zurückzuzahlen. Da die Banken ohnehin in Bedrängnis sind und ihre Anlagen vermindern müssen — der Liquidationsprozeß, der den Markt verflaut, hat ja seinen Ursprung gerade in dieser Bedrängnis —, so ist die Aufforderung zur Abdeckung der Kredite dringlicher als sonst und mit der Drohung verbunden, daß die Nichtzahlung den Zwangsverkauf der beliehenen Wertpapiere zur Folge haben werde. Gleichviel, ob nun die Eigentümer selbst zum Verkauf eines Teils ihrer Papiere schreiten, um aus dem Erlös die geforderte Rückzahlung zu leisten, oder ob die Banken ihre Drohung wahr machen und die Papiere zwangsweise verkaufen, in jedem Falle tritt am Markte ein verstärktes Angebot ein, das die Preise wiederum sinken läßt, die Kreditfähigkeit der Renten-Besitzer und Aktionäre weiter verringert, neue Verkäufe erzwingt und so schließlich zu einer katastrophalen Verfassung des Marktes führt. 

Dieser Prozeß der Massenliquidation ist nichts anderes als der Versuch, Kapital im Wege der Überwälzung, der Ausbietung auf dem Markt, in Geld umzuwandeln. Die Menge des verfügbaren Geldes aber ist, wie wir gesehen haben, beschränkt. Einem gewaltigen Angebot von Werten steht nur eine verhältnismäßig geringfügige Kaufkraft gegenüber. Da nun der Liquidationsprozeß die Tendenz hat, sich aus sich selbst heraus lawinenhaft zu verstärken, während sich andrerseits an der Tatsache der beschränkten Kaufkraft nichts ändert, so müßte jener Versuch der Überwälzung vergeblich bleiben, die angestrebte Liquidierung mißglücken und eine katastrophale Häufung der Bank-Insolvenzen eintreten — wenn nicht eben das Element des Preises wäre. 

Der sinkende Preis, der die Folge des Massenangebots von Kapitalwerten ist, hat seinerseits die Aufgabe und die Wirkung, das Massenangebot in Übereinstimmung mit der beschränkten Menge verfügbarer Kaufkraft zu bringen, und wird dieser Aufgabe auf doppelte Weise gerecht. 

Zunächst preßt er den Marktwert der angebotenen Kapitalsanlagen so zusammen, daß ein weit größerer Teil derselben sich im gegebenen Nahmen der Kaufkraft unterbringen läßt als vorher. Sinkt beispielsweise der Durchschnittspreis aller marktmäßig gehandelten Wertpapiere auf 50 Prozent ihres Nennwerts, so kann der Markt mit seinen verfügbaren Geldmitteln das doppelte Quantum aufnehmen als zu der Zeit, da der Durchschnittspreis noch 100 Prozent war. Der Preisrückgang hat also bewirkt, daß die Kaufkraft des Geldes sich auf dem Gebiete der Wertpapiere verdoppelt hat — ein Vorgang, der selten auf dieses eine Gebiet beschränkt bleibt und der, wenn er alle Wirtschaftsgebiete erfaßt, gleichbedeutend mit einer scharfen Krisis ist. 

Diese rohe Art, das Angebot durch das variable Element des Preises in Übereinstimmung mit der Nachfrage zu bringen, entlastet zwar den Markt von den auf ihn einstürmenden Kapitalwerten, bewirkt aber, daß die Liquidation der Banken immer schwerer und immer verlustreicher wird. Würde sich der Preisrückgang ungehemmt fortsetzen, der Durchschnittspreis also von 50 Prozent weiter auf etwa 25 Prozent sinken, so würden die Banken für jede Geldeinheit, die sie zu Zahlungszwecken an sich brächten, vier Einheiten ihrer Kapitalsanlagen opfern müssen, und in derselben mißlichen Lage würden sich alle Bankenschuldner befinden, die Verkäufe vornehmen müßten, um die Gläubigerbanken befriedigen zu können. Eine gewaltige Kette von Insolvenzen wäre auch in diesem Fall die Folge. Hier setzt nun die zweite Funktion des Preises ein, die darin besteht, neue, bisher ferngebliebene Kaufkraft durch den Anreiz der verbilligten Erwerbsgelegenheit an den Markt zu locken und dem abnormen Angebot eine verstärkte Nachfrage gegenüberzustellen. 

Nun haben wir aber gesehen, daß im Gegensatz zu der im Prinzip so gut wie unbeschränkten Menge der zum Verkauf drängenden Kapitalwerte die vorhandene Kaufkraft eng begrenzt ist und nicht größer sein kann als der im Augenblick vorhandene Vorrat an barem Gelde abzüglich der im Verkehr gebundenen, hier zur Bewältigung der Tagesumsätze erforderlichen Beträge. Über dieses absolute Höchstmaß kann kein noch so starker Preisanreiz die zur Aufnahme der Kapitalwerte verfügbare Menge der Kaufkraft steigern. Dennoch ist noch niemals der Fall eingetreten, daß trotz niedriger Preise der Markt sich für die Dauer als nicht aufnahmefähig erwiesen hätte. Es hat sich, praktisch gesprochen, noch niemals ereignet, daß die Börse während eines Liquidationsprozesses geschlossen worden wäre mit der Motivierung, das Angebot übersteige die Nachfrage derartig, daß selbst bei dem denkbar stärksten Preissturz die zum Verkauf gestellten Werte nicht untergebracht werden könnten, die Liquidierung also unmöglich sei. Vielmehr hat sich bei irgend einem durchschnittlichen Preisstand noch stets ergeben, daß die Nachfrage dem Angebot die Wage hielt, daß also die Kaufkraft schließlich doch an den Umfang der Verkäufe herangewachsen war. Wie ist ein solcher Ausgleich angesichts des Mißverhältnisses zwischen Verkaufsquantum und Kaufkraft möglich? Woher stammt das Geld, das die letzten Mengen der angebotenen Kapitalwerte aufnimmt und den Ausgleich herbeiführt? 

Um es kurz zu sagen: Das Geld ist identisch mit dem Gelde, das die Gläubiger der Banken von diesen zurückverlangen, und dessen Beschaffung den Anstoß zu dem Liquidationsprozeß gegeben hat. Der starke Preisrückgang veranlaßt einen Teil der Gläubiger, ihre ursprüngliche Absicht, die sie zur Kündigung der Guthaben bewogen hat, aufzugeben und das Geld zum Erwerbe von Kapitalwerten zu verwenden, statt es bar aufzubewahren oder einem anderen Zweck zuzuführen. Vergegenwärtigt man sich den Sinn dieses Vorgangs, so ergibt sich, daß es sich hier nicht um die Heranziehung irgend welcher Kaufkraft und streng genommen auch gar nicht um eine marktmäßige Liquidierung von Kapitalsanlagen handelt, sondern um einen Tausch: die Banken übergeben denjenigen ihrer Gläubiger, die ihr Geld in Wertpapieren anlegen wollen, statt des Geldes die gewünschten Papiere, und der Markt spielt nur die Rolle des Kompensations-Instituts und des Kursmaklers, indem es die vielfältige Nachfrage der Gläubiger und die speziellen Werte-Bestände der Banken gegen einander ausgleicht und gleichzeitig berechnet, auf welcher Preisbasis der Tausch nach dem gegebenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu erfolgen hat. Dieser Sachverhalt, der sich hinter dem gewöhnlichen Verfahren des börsenmäßigen An- und Verkaufs verbirgt, kommt zwar den einzelnen Beteiligten nicht zum Bewußtsein. Nichtsdestoweniger läuft der Vorgang darauf hinaus, daß die Gelder, die zur Übernahme der angebotenen Werte erforderlich wären, aber nicht vorhanden sind, dadurch ersetzt werden, daß eine Anzahl von Personen (Bankengläubiger) durch den niedrigen Preis bestimmter Kapitalsanlagen veranlaßt werden, ihren Geldanspruch aufzugeben und sich mit jenen billigen Anlagen abfinden zu lassen. Technisch vollzieht sich dieser Verzicht der Bankengläubiger auf bares Geld in etwas komplizierteren Formen: Zunächst zahlen die Banken (mit Hilfe des jeweils vortägigen Liquidationserlöses) einem Teil ihrer Gläubiger die gekündigten Guthaben aus; dann zahlen die Gläubiger die erhaltenen Beträge zwecks Ankaufs der Wertpapiere wieder bei anderen Banken ein; worauf das Geld als Gegenwert der flüssig gemachten Papiere an die Banken zurückfließt, von denen es ausgegangen ist, und hier zur Befriedigung eines weiteren Teils der Gläubiger dient. 

Diese Überwindung der Liquidationskrisis hat aber zur Voraussetzung einen Preisrückgang, der stark genug ist, um sowohl freie Kaufkraft an den Markt zu ziehen, wie auch die Gläubiger, die einen Anspruch auf bankmäßig gebundene Kaufkraft haben, zu veranlassen, daß sie auf einen Teil dieses Anspruchs verzichten und sich statt dessen mit Kapitalwerten abfinden lassen. Sie hat ferner zur Voraussetzung eine Zinssteigerung, die stark genug ist, um denselben Liquidationsprozeß auf dem Gebiet derjenigen Kapitalsanlagen (Wechsel, Reports, tägliches Geld usw.) zu ermöglichen, bei denen der Anreiz nicht im Kurse, sondern im Zinse liegt; auch hier muß der Anreiz so gesteigert werden, daß freie Kaufkraft im größtmöglichen Umfange herangezogen und der Anspruch auf gebundene Kaufkraft durch die Übernahme der Anlagen ersetzt wird, in denen die Kaufkraft kapitalistisch gebunden ist. Preisrückgang und Zinssteigerung sind aber gleichbedeutend mit Kapitalverlust. Und da ihre Wirkung darin besteht, freie, noch nicht produktiv tätige Kaufkraft von ihren sonstigen Verwendungszwecken abzuziehen und zur Übernahme vorhandener Kapitalwerte zu veranlassen, sowie die Eigentümer gebundener Kaufkraft zu einem Verzicht auf ihre ursprünglichen Verwertungsabsichten zu bewegen, so ist die Folge, daß die Produktion mangels hinreichender Kaufkraft auf allen Gebieten stockt. Die Krisis, die eigentlich nur eine Börsendepression und Geldmarkt-Klemme ist, springt also auf die gesamte Wirtschaft über, die jetzt dreifach leidet: einmal unter dem Fehlen der gewohnten Geldzuflüsse, die aus ihrer natürlichen Richtung abgedrängt und zu Stützungszwecken den Banken zugeleitet werden; zum andern unter dem Fehlen des gewohnten Kredits, den die Banken nicht mehr gewähren können, weil sie ihre Anlagen nicht vermehren können, sondern im Gegenteil vermindern müssen; und endlich unter der Rückforderung der alten Bankkredite, mit denen die Gewerbe mit einem Teil ihres Eigenkapitals gewirtschaftet haben, und die sie nun durch Betriebseinschränkung und überstürzten Warenverkauf freizumachen suchen müssen. 

Wohlgemerkt: Der Liquidationsprozeß, von dem ich hier spreche, ist keineswegs als eine jener scharfen Krisen aufzufassen, die nur selten, meist im Verfolg einschneidender politischer oder wirtschaftlicher Erschütterungen, aufzutreten pflegen und der Regel nach um Jahrzehnte auseinanderliegen. Es handelt sich hier vielmehr um Vorgänge, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit in kurzen Zeitabständen wiederkehren und als Depressionen von wechselnder Stärke und Dauer empfunden werden. Für längere Zeit vollkommen frei von solchen Erschütterungen ist die Wirtschaft nur sehr selten; wenn es einmal der Fall ist, pflegt man von einer „Blütezeit“ oder einer „Hochkonjunktur“ zu sprechen. Von diesen Ausnahmen abgesehen, befindet sich die Wirtschaft andauernd in der latenten Gefahr, die Kontinuität ihrer Entwicklung durch die Entlastungsversuche der Kreditbanken unterbrochen zu sehen. Die fehlende Übereinstimmung zwischen den Passiven und den Aktiven der Banken, zwischen dem schnellen „Ablauf der Sparperioden“ und dem langsamen „Ablauf der Kreditperioden“, die bald wenige, bald viele, bald alle Banken zur Liquidation von Teilen ihrer Anlagen zwingt, ist eine chronische Krankheit der modernen Kreditwirtschaft und ein organischer Fehler im Bankwesen aller Länder.

VII. Die Quartalsklemme. Ersatz fehlender Kaufkraft durch Kunstgeld.

Die mangelnde Übereinstimmung zwischen den Sparperioden und den Kreditperioden bleibt dem außerhalb des Bankwesens Stehenden keineswegs verborgen. Sie pflegt vielmehr mit einer gewissen Regelmäßigkeit sichtbar zu werden, und zwar mehrere Male im Jahre zu ganz bestimmten Zeiten. Diese Zeiten, in denen sich die Inkongruenz zwischen den Aktiven und Passiven der Banken besonders deutlich offenbart, sind die sogenannten „großen Zahlungstermine.“ 

Es sind das die ersten Tage jedes Vierteljahres, insbesondere der Beginn des Herbst- und Winterquartals (1. Oktober und 1. Januar). An diesen Tagen häufen sich nach einer alten Verkehrsgewohnheit die Zahlungsverpflichtungen, und kommen infolgedessen besonders große Depositenbeträge zur Abhebung. Da die Banken mit dieser Erscheinung als mit einer gegebenen Tatsache rechnen, meist auch annähernd wissen, welche Anforderungen der jeweilige Termin an ihre Zahlungsbereitschaft stellen Ausleihungen entsprechend wird, und infolgedessen ihre befristen können, so müßten sich die Terminzahlungen eigentlich ganz glatt abwickeln; der Eingang aus den fällig werdenden Aktiven müßte den Banken genügend Geld zuführen, um die Abhebungen der Einlagen daraus bestreiten zu können, ohne daß es der Unterhaltung einer besonders großen Barreserve bedürfte. Tatsächlich ist ein vollkommen glatter Verlauf der Zahlungstermine aber eine große Seltenheit. Und das kann uns nach dem in den früheren Abschnitten Gesagten auch nicht überraschen, weil wir wissen, daß die prompte Rückzahlbarkeit der Bankkredite am Fälligkeitstage eine Fiktion ist; denn dieser Tag bedeutet sehr selten, daß an ihm ein Kredit zur Tilgung kommt sondern meist nur, daß an ihm ein Kredit erneuert werden muß. Die Banken mögen also ihre Forderungen noch so geschickt ihren Verpflichtungen anpassen — an den großen Zahlungsterminen ergibt sich immer wieder, daß die Summe der fristgemäß eingehenden Gelder kleiner ist als die der ausgehenden, daß mit anderen Worten Gelder, die von ihren Eigentümern als beliebig verwendbare Barreserve angesehen werden, in Wirklichkeit immobilisiert, in Anlagen verwandelt worden sind. 

Infolgedessen bringt fast jeder große Zahlungstermin für die Banken die Notwendigkeit mit sich, einen Teil min ihrer Anlagen am Markte abzustoßen. Und da es, wie wir gesehen haben, eine Art Wirtschaftsgesetz ist, daß die frei verfügbare Kaufkraft sich nicht in hinreichendem Maße am Markte vorfindet, vielmehr erst durch den Anreiz eines Preisnachlasses oder eines Zinsaufschlages aus dem Kanalsystem der Wirtschaft herangezogen werden muß, so wiederholt sich fast an jedem Termin die Erscheinung, daß die Preise, insbesondere die Börsenkurse, einem Druck unterliegen, oder die Zinssätze in die Höhe gehen. Es stellt sich mit anderen Worten immer wieder eine „Quartalsklemme“ ein als eine notwendige Folge der Disharmonie zwischen dem Wesen der Bankdepositen und dem Charakter der Bankanlagen. 

Da aber diese Quartalsklemme in normalen Zeiten binnen weniger Tage überwunden ist — denn die abgehobenen Depositen pflegen, nachdem sie sich in Mieten, Zinsen, Beamtengehälter, Löhne u. dgl. verwandelt haben, sehr schnell wieder bei den Banken zusammenströmen so sieht man in ihnen kein ernstes Symptom und noch viel weniger das Kennzeichen eines Fehlers im Organismus des Bankwesens, sondern nur eine Unbequemlichkeit, eine ärgerliche Störung der Geschäfte, die aus einer Unsitte des Publikums (nämlich der Unsitte, alle Zahlungen auf die Termine zu verlegen,) entspringt. Diese Störung läßt sich nach Ansicht der Banken auf die einfachste Weise dadurch beseitigen, daß man das Geld, das ihnen an den Tagen um die Zeit des Quartalsersten fehlt, für diese wenigen Tage aus einem öffentlichen Fonds zur Verfügung stellt. Da es aber eine nationalwirtschaftliche Verschwendung sein würde — meinen die Banken — im Hinblick auf die kurze Zeit der Klemme einen großen Barvorrat dauernd bei Seite zu stellen, d. h. Kaufkraft ein für alle Mal brachzulegen und von jeder produktiven Tätigkeit abzuhalten, so empfiehlt es sich, das fehlende Geld für die wenigen Tage im Jahre künstlich zu erzeugen und ihnen, den Banken, leihweise zu überlassen. 

Dieses Verfahren wird denn auch in der Tat in fast allen Ländern — am zurückhaltendsten in England — gewandt. Die Regierungen betrachten den regelmäßig wiederkehrenden Quartalsbedarf der Banken als einen Ausdruck der natürlichen wirtschaftlichen Unvollkommenheiten, im übrigen aber als harmlos, und tragen kein Bedenken, das Verlangen der Banken nach Aushilfsgeld als durchaus berechtigt anzuerkennen. Daher die allbekannte Erscheinung, daß an den Tagen kurz vor dem Quartalsersten die Notenbanken aller Länder ihren Notenumlauf sprunghaft erhöhen („zusätzliches Geld schaffen“), um den Banken über die Inkongruenz zwischen den „Sparperioden“ und den „Anlageperioden“ hinwegzuhelfen.“) 

Daß aber das periodische starke Anschwellen des Notenumlaufs, dem in kurzer Zeit eine entsprechende Abnahme folgt, keineswegs so harmlos ist, wie es scheint, das ergibt sich aus einer ganz einfachen Überlegung. Würden nämlich die Notenbanken die Ausgabe von „Quartalsgeld“ unterlassen, die Banken mithin auf eine außerhalb ihrer eigenen Liquidität liegende Geldhilfe nicht rechnen können, so würden nicht nur die Banken selbst, sondern auch alle mit ihrem Kredit arbeitenden Geschäftsleute gezwungen sein, ihre eigenen Barreserven zu erhöhen. Es würde also ein erheblicher Teil des „tätigen“ Geldes in „ruhendes“ Geld verwandelt werden und keine Kaufkraft ausüben. Das wäre auf die Dauer gleichbedeutend mit einem gewissen Rückgang der Produktivität, liefe aber zunächst unmittelbar auf eine Verminderung der am Markte auftretenden Nachfrage hinaus. Die Folge wäre ein verhältnismäßiges Sinken der Preise unter das Niveau, das sie einnehmen, solange das künstliche „Quartalsgeld“ die Unterhaltung jener Barreserve überflüssig macht. Man kann den Vorgang auch von der anderen Seite betrachten: Das Auftreten zusätzlichen Geldes an den Quartalsterminen verwandelt dadurch, daß es den Banken das Halten einer großen Barreserve erspart, ruhende Kaufkraft in tätige Kaufkraft, vermehrt mithin die Nachfrage und steigert die Preise; das alles aber nicht etwa nur für die kurze Zeit um den Quartalsersten herum, sondern dauernd. Denn die Barreserve, die ohne jenes zusätzliche Geld von den Banken unterhalten werden muß, kann nicht kurz vor dem Quartalsersten angesammelt und gleich darauf wieder aufgelöst werden, sondern muß zum allergrößten Teil in Permanenz bleiben. Wir haben ja im vorigen Abschnitt gesehen, wie außerordentlich schwer, ja fast unmöglich es für die Banken ist, Anlagen binnen kurzer Zeit in Kaufkraft, Kapital in Geld zu verwandeln, und in welche krisenhafte Verfassung sie die Wirtschaft stürzen, wenn sie diesen Versuch gelegentlich der Not gehorchend machen. Derartige Krisen würden sie in jedem Vierteljahr hervorrufen, wenn sie die Taktik verfolgen wollten, am Quartalsersten Kapital zu Geld zu machen, dieses gleich darauf wieder zu Kapital zu versteinern, um es nach drei Monaten neuerdings in Geld aufzulösen. Es ergibt sich daraus, daß Geld, das an einem bestimmten Termin zur Verfügung stehen soll, schon sehr lange vorher und ganz allmählich angesammelt werden muß, wenn das Gleichmaß der Wirtschaft erhalten bleiben soll, und daß Geld, das regelmäßig alle neunzig Tage gebraucht wird, zum weitaus größten Teil überhaupt nicht in Anlagen verwandelt werden darf, sondern in seiner originalen Geldform aufbewahrt werden muß. Die Quartalshilfe, welche die Notenbanken den Kreditbanken angedeihen lassen, bedeutet also, obwohl sie nur periodisch erfolgt, dennoch die dauernde Vermehrung des umlaufenden Geldes über seine natürliche Menge hinaus, eine Verringerung seiner Kaufkraft und damit eine Verschlechterung der Landeswährung. Herrscht in dem betreffenden Lande die Goldwährung, so korrigiert der Fehler sich selbst, indem Gold aus dem Lande fließt und die künstliche Geldvermehrung wieder rückgängig macht; in diesem Falle verschlechtert sich die Zusammensetzung des Geldumlaufs, der aus mehr Papier und weniger Gold besteht als vorher, aber die Kaufkraft des Geldes und seine Bewertung am Weltmarkt leiden nicht. Hat das Land dagegen eine Papierwährung, und fehlt somit die Möglichkeit einer automatischen Korrektur der Umlaufsmenge durch den Abfluß von Metallgeld ins Ausland, so kommt es unvermeidlich zu einer Übersättigung und zu einer Wertverminderung — ohne Rücksicht darauf, daß die zusätzlich geschaffenen Banknoten nur wenige Tage im Quartal tatsächlich in den Umlauf gelangen. Daß die Noten während des größeren Teils des Jahres untätig in den Panzerschränken der Notenbank liegen, bedeutet genau so wenig eine Verminderung des Umlaufs, wie etwa der Umstand, daß ein großer Teil des existierenden Geldes sich meist als Reserve in den Kästen und Taschen des Publikums befindet und seine Kaufkraft nur wenige Male im Jahre ausübt. Darf man dieses Geld mit seiner zeitweilig ruhenden Kaufkraft nicht vom Gesamtumlauf subtrahieren, so darf man auch die regelmäßig beim Quartalswechsel in den Verkehr dringenden Banknoten nicht als geldwirtschaftlich unschädlich ansehen, weil sie immer sehr bald wieder in den Zustand der Ruhe zurückkehren. 

Wie gesagt wird dieses Verfahren, die natürliche Illiquidität im Bankwesen künstlich dadurch in Liquidität zu verwandeln, daß den zu Kapital erstarrten und daher an der Rückkehr in die Bankkassen verhinderten echten Geldmengen andere, willkürlich geschaffene Zahlungsmittel untergeschoben werden, in allen Ländern angewendet, auch in England; nur daß man hier, durch Erfahrung klug geworden, diese Fälschung in kleinerem Maßstabe vornimmt als anderwärts und dadurch ihre Rückwirkung auf den Wert der Währung bis auf einen kaum noch wahrnehmbaren Grad abschwächt. Naturgemäß bedient man sich dieses gefährlichen Liquiditätsersatzes, nachdem man sich einmal an ihn gewöhnt hat, außer an den Quartalsterminen recht gern auch zu anderen Zeiten. Gibt es doch kein probateres Mittel, die Zahlungsfähigkeit der Banken auch bei dem stärksten Ansturm der Gläubiger zu sichern, als den Austausch der Kapitalsanlagen, die der Markt den Banken nicht abnehmen kann, in ein speziell für diesen Zweck hergestelltes Geld, das keinerlei Fälschungs-Merkmale an sich trägt, von dem echten, Verkehr-geborenen Gelde nicht zu unterscheiden ist und zum Überfluß vom Gesetz ausdrücklich diesem Gelde gleichgestellt wird. Nach und nach suggeriert man dem Staate geradezu die Pflicht, jede Verlegenheit, die den Banken aus der Inkongruenz der Aktiva und Passiva erwächst, mit Hilfe der Notenpresse zu beseitigen, und die Auffassung vom „berechtigten Anspruch“ der Wirtschaft auf den Kunstkredit des Staats oder seiner Notenbank wird schließlich derartig weitherzig, daß ein Teil des Aushilfsgeldes überhaupt nicht mehr aus dem Umlauf verschwindet. Die Folgen, die das für die Landeswährung und das Wirtschaftsganze hat, sind bekannt.

Und nun vergegenwärtige man sich das eine: Der starke Preis- und Kursdruck, den wir stets im Gefolge besonders umfangreicher Depositenkündigungen auftreten sehen, und die heftige Zinssteigerung, die so deutlich das Bestreben der Banken und ihrer Schuldner verrät, sich um jeden Preis in den Besitz baren Geldes zu setzen, sind nicht etwa die vollen, unabgeschwächten Wirkungen der Unstimmigkeit zwischen den Spar- und den Anlage-Perioden, zwischen den vermeintlichen und den wirklichen Barreserven. Diese Zuckungen sind vielmehr, so heftig sie auch auftreten mögen, immer nur die vergleichsweise kleinen Ausläufer der Bankenkrisis, die noch verblieben sind, nachdem der eigentliche Ausbruch mit Hilfe der Notenpresse bekämpft worden ist. Lediglich die Werte, die bei den Notenbanken nicht haben untergebracht werden können — weil diese nur Wechsel ankaufen und einen engen Kreis von Wertpapieren beleihen —, werden von den Banken an den Markt gebracht und führen hier zu Preissturz und Zinssteigerung. Danach kann man ermessen, welches Ausmaß diese Krisensymptome erreichen würden, wenn die Banken nur auf den freien Markt (und auf das Ausland) angewiesen wären, und man der Krisis nicht gestattete, sich bis zu einem gewissen Grade auf dem Gebiet der Währung auszutoben. Man sieht: Preissturz und Geldklemme mitsamt ihren Fernwirkungen bringen die Folgen der fehlerhaften Konstruktion des Bankwesens noch keineswegs voll zum Ausdruck. Erst wenn man sich auch die verhängnisvollen währungswirtschaftlichen Folgen vergegenwärtigt und dann die Summe zieht, erkennt man die gewaltige Tragweite dieses tief in der Bankenorganisation selbst wurzelnden Fehlers. 

VIII. Pseudo-Liquidität. Die sozialen Folgen des Sicherheits-Prinzips.

Da es eine echte Bankenliquidität, die in der selbsttätigen Rückverwandlung von festen Anlagen in Geld besteht, nur in dem beschränkten Maße gibt, wie sich entbehrliche Geldreserven in der Wirtschaft vorfinden und das produktiv tätige Kapital Überschüsse abwirft, die zur Tilgung der Bankkredite verwendet werden können, so ersetzen die Banken sie durch eine Pseudoliquidität. Läßt sich das Kapital nicht im erforderlichen Maße umbilden, aus alter, aufgezehrter Kaufkraft in junge, neu verwendbare Kaufkraft umprägen, so läßt es sich doch in seiner einmal angenommenen Gestalt auf neue Eigentümer übertragen, gegen jungfräuliche Kaufkraft austauschen, für bares Geld veräußern. Und so beschränkt sich denn die Liquiditätspolitik der Banken darauf, einen möglichst großen Teil der Anlagen eine äußere Form zu geben, in der sie marktfähig, abwälzbar, verkäuflich sind. Diesen Teil nennen sie dann ihre Reserven, von ihrem individuellen Standpunkt aus mit Recht. Aber unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten handelt es sich hier nicht um eine Reserve, um einen Ausgleichsfonds, der das Gleichgewicht zwischen dem unbestimmten Ablauf der Sparperioden und der bestimmten Dauer der Anlageperioden herstellt, sondern um festgefrorenes Nationalkapital, das nicht zu Geld aufgetaut, vielmehr nur in andere besitzende Hände übergeleitet werden kann; und auch das nur in beschränktem Umfange und entweder zu Preis- und Zinsbedingungen, die das Gleichmaß der Wirtschaft erschüttern, oder unter Mißbrauch der Geldhoheit des Staats, der das Geld, das die Banken zurückzahlen müssen, aber nicht beschaffen können, willkürlich erzeugt und dadurch die Kaufkraft des gesamten Währungsgeldes untergräbt.

Voraussetzung für die Möglichkeit, die Bankanlagen am Markt zu verkaufen oder an ein Staatsinstitut (Notenbank) abzustoßen, ist aber, daß die Anlagen „sicher“ sind. Nur dann lassen sich die Kapitalswerte und Forderungen der Banken marktmäßig oder mit Staatshilfe in Geld umtauschen, wenn die Gewißheit besteht, daß das in ihnen verkörperte Kapital intakt ist, und daß die Schuldner in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, d. h. die vereinbarten Zinsen zu bezahlen und die Schuld selbst eines Tages zu tilgen — nicht gerade dann, wenn die Bankengläubiger zufällig ihr Geld von der Bank zurückfordern, aber doch an irgend einem späteren Termin. Fehlt diese Gewähr, so verweigert der Markt die Übernahme der Kapitalwerte (oder bedingt sich so hohe Risikoprämien aus, daß der Erlös den Banken nur den kleinsten Teil des investierten Geldes ersetzt), und weist die Notenbank die Forderungsdokumente (Wechsel) der Banken zurück. So kommt es, daß aus der Liquiditätspolitik der Banken unversehens eine Sicherheitspolitik wird. 

Der Staat ist mit dieser Umbildung des Reservegedankens durchaus einverstanden, weil die Güte der Bankanlagen die Gläubiger der Banken gegen die Gefahr sichert, das den Instituten anvertraute Geld einzubüßen, und weil er sich angesichts der Bedeutung des Bankwesens als der nationalen Kassehaltung für dieses Geld verantwortlich fühlt. Der Staat ist sich nicht bewußt, daß er hier vor einem peinlichen Dilemma steht. Auf der einen Seite müssen freilich die Bankdepositen vor Verlust bewahrt werden, weil jedes Bankguthaben die Zahlungsfähigkeit nicht nur seines Inhabers, sondern auch der ganzen Kette von Personen bedeutet, die einen Anspruch auf die im Guthaben verkörperte Kaufkraft haben; die Insolvenz einer einzigen Bank bedeutet die Insolvenz oder mindestens die Gefährdung ganzer Verkehrsgruppen und daher ein wirtschaftliches Unglück, das weite Kreise zieht. Auf der andern Seite aber wird der Schutz der Bankengläubiger mit Nachteilen erkauft, die von der allerschwersten Art sind und unter Umständen verhängnisvoll für die ganze Wirtschaft werden können. Und zwar handelt es sich hier um Nachteile, die nicht kreditpolitischer, sondern sozialer Natur sind. 

Das Bestreben der Banken, einen möglichst großen Teil ihrer Anlagen bzw. Kredite als Reserve ansehen zu können, d. h. sie „marktfähig“ oder „bankfähig“ zu machen, hat zur natürlichen Folge, daß sie bei der Auswahl derselben in weitgehendem Maße Rücksicht auf die öffentliche Meinung und Stimmung nehmen. Sie betrachten als geeignete Anlageobjekte und erwünschte Kredite nicht solche, die an sich sicher sind, sondern solche, die in den Augen der Allgemeinheit als sicher gelten. Kreditwürdig ist für die Öffentlichkeit aber nur derjenige, dessen Vermögen notorisch groß genug ist, um die dauernde Verzinsung und schließliche Tilgung des Kredits zu gewährleisten; wie auch als bevorzugtes Objekt der Anlage nur dasjenige gilt, das in der besonderen Leistungsfähigkeit oder Kapitalkraft dessen, der es verwaltet oder dafür einzustehen hat, eine weitgehende Garantie besitzt. Somit kommen als Darlehnsnehmer für die Banken nicht so sehr solche Personen in Betracht, die dank ihrer Tüchtigkeit, Ausbildung und Erfahrung befähigt sind, mit Hilfe des Darlehns Werte zu schaffen, die sie mangels eignen Kapitals nicht schaffen können, sondern solche, die über ein besonders großes Eigenvermögen verfügen. Gleichviel, ob die Kapitalstärke dieser Darlehnsnehmer in der Öffentlichkeit so bekannt ist, daß es eines speziellen Nachweises nicht mehr bedarf, oder ob sie es den Darlehnsnehmern erlaubt, für die beanspruchten Kredite wertvolle Faustpfänder als Sicherheit zu bestellen, — mit anderen Worten: gleichviel, ob die Darlehen als „Blanko-Kredit“ oder als „gedeckter Kredit“ gewährt werden auf alle Fälle hat infolge der Sicherheitspolitik der Banken grundsätzlich nur der wohlhabende oder reiche Mann ein Anrecht auf die bei den Banken zusammenströmende Kaufkraft der Allgemeinheit. „Wer da hat, dem wird gegeben.“ 

Diese Tatsache ist schon unter rein moralischen und volkserzieherischen Gesichtspunkten nicht erfreulich. Denn der Wert der Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses und seiner Erziehung zu Höchstleistungen wird empfindlich beeinträchtigt, wenn nicht so sehr die Fähigkeiten und die persönliche Tüchtigkeit als der Vermögensstand über die Möglichkeit entscheidet, sich mit Hilfe von Bankkapital selbständig produktiv zu betätigen. Einsichtige Bankleiter, die sich ein warm empfindendes Herz und ein Verständnis für die Bedeutung der Persönlichkeit bewahrt haben, werden zwar auf die Momente der Fähigkeit, Zuverlässigkeit und fachlichen Durchbildung immer großen Wert legen. Aber der die Bankenpolitik beherrschende Gesichtspunkt der Sicherheit, der zugleich ein Ersatz für die fehlende echte Liquiditätspolitik ist, wird doch in den weitaus meisten Fällen den Ausschlag geben und als kreditwürdig den Mann mit großem Eigenvermögen erscheinen lassen; zumal ja ein solches Eigenvermögen die persönliche Tüchtigkeit nicht ausschließt. 

Aber noch weit ernster zu nehmen als diese moralisch-ethische Seite des herrschenden Kreditprinzips mit seiner Betonung der öffentlich anerkannten oder pfandmäßig dokumentierten Sicherheit — statt der Sicherheit an sich — ist die soziale Seite. Der Kapitalstarke, der ohnehin schon ein natürliches Übergewicht über den minder begüterten Mann besitzt, wird durch dieses Kreditprinzip politisch zum Herrn über die Spar- und Reserve-Gelder der gesamten Wirtschaft und gewinnt dadurch zu seiner natürlichen noch eine künstliche Überlegenheit. Die Kapitalien, die sich in seinen Händen vereinigen, werden zu einem Instrument, mit dem er den geldschwachen, durch die Sicherheitspolitik der Banken in seiner Schwäche belassenen Wettbewerber erdrückt. Das sichtbare Resultat ist die Ersetzung zahlloser Kleinbetriebe durch Riesenbetriebe, eine vollkommene wirtschaftliche Umwälzung, die wenige selbständige Unternehmer einem gewaltigen Heer von abhängigen Existenzen gegenüberstellt. 

Dürfte man diesen Vorgang ausschließlich unter ökonomischem Gesichtswinkel betrachten, so könnte man ihn als eine wünschenswerte Entwickelung ansehen. Denn die Wirtschaftlichkeit des Betriebs wird durch die Konzentration des Produktionsprozesses sicherlich in hohem Grade gefördert, wenigstens so lange gewisse Größenverhältnisse nicht überschritten sind. Die organisierte und zentralisierte Erzeugung ist der zersplitterten Erzeugung in zahllosen Kleinbetrieben grundsätzlich bedeutend überlegen, und eine Volksgemeinschaft, die auf den Großbetrieb eingestellt ist, wird ungleich größere Gütermassen erzeugen, einen höheren Verbrauchsstandard ermöglichen, eine größere Bevölkerung ernähren und somit auch die Landesverteidigung besser gewährleisten als eine Gemeinschaft, in der die Splitterbetriebe vorherrschen. Oder richtiger gesagt, es wäre so, wenn nicht die zentralistische Produktionstendenz in sich selbst die Elemente trüge, die diese äußere Überlegenheit von innen heraus wieder zerstören. 

Wir haben in einem früheren Abschnitt gesehen, daß das Sparprinzip, das zuerst große Teile der nationalen Kaufkraft im Zustand der Ruhe erhält und sie später Kaufkraft-Verwertungs-Instituten (Banken) zutreibt, kein Naturgewächs ist, nicht einem inneren Drange der Menschen entspringt; sondern daß dieses Prinzip sich nur da herausbildet, wo die Zukunft des Einzelnen von der Gefahr der Erwerbslosigkeit und des Mangels bedroht ist, so daß sich die Notwendigkeit ergibt, für diese Zeit vorsorglich eine Reserve zu schaffen. Infolgedessen wächst die Sparneigung in allen Ländern in dem Maße, wie die Unsicherheit der Erwerbsverhältnisse und die Zahl der Personen, die mit dieser Unsicherheit rechnen müssen, zunimmt. Die Politik der Banken nun, die den Effekt hat, die Bevölkerung in eine kleine Zahl selbständiger Unternehmer und ein gewaltiges Heer abhängiger Existenzen zu spalten, von denen die letzteren jedem Zufall der Konjunktur ausgesetzt sind und im Nachlassen ihrer Arbeitskraft eine Lebensbedrohung erblicken müssen, bedeutet die denkbar stärkste Förderung des Spargedankens. Immer mehr Kaufkraft-Splitter müssen von der unmittelbaren Verwertung bewahrt und zur Sicherung einer ungewissen Zukunft in Reserve gestellt werden, wenn die Existenz der abhängigen Millionen nicht in Frage gestellt sein soll. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß immer neue Kaufkraftmassen den Banken zustreben, hier in Kapital umgewandelt werden, die Betriebskonzentration verstärken, die Proletarier-Massen vermehren und schließlich zu einer sozialen Spannung führen, die sich nicht anders als explosiv entladen kann. Hier liegt die größte Gefahr für die Zukunft aller sogenannten Kulturnationen und die Keimzelle — die einzige — für einen „Untergang des Abendlandes“ 

Und alles das entspringt letzten Endes nichts anderem als dem organischen Fehler unseres Bankwesens, der darin besteht, mehr Kaufkraft zu Kapital versteinern zu lassen, als es dem Willen der einzelnen Kaufkraft-Besitzer entspricht, ohne der Möglichkeit einer Abforderung großer Kaufkraftmengen durch ausreichende echte Reserven Rechnung zu tragen.

Teil 2

I. Krisenabwehr von der Aktiv- und von der Passiv-Seite. Die Verlängerung der Sparperioden. Der Eigenkredit der Banken. Der Interessengegensatz zwischen Bank und Wirtschaft.

Der Beruf der Kreditbank ist es, die in der Geldform erhaltenen Reserven der Einzelwirtschaften in die Form der Kapitalsanlage zu überführen. Jeder Kredit, den die Bank gewährt, verwandelt Geld, d. h. unausgenutzte Kaufkraft, in Kapital, d. h. in Güter, die der Produktion dienen sollen. Auch der kurzestfristige Kredit, der zu beliebiger Zeit widerrufen werden kann, bewirkt eine solche Umwandlung. Ist aber ein Quantum Kaufkraft erst einmal zu Kapital geworden, so kann es auf keine Weise wieder in seine Ursprungsform, in Geld, zurückverwandelt werden. Die Kreditbanken rufen daher in der Wirtschaft einen Zustand hervor, den man als den Zustand einer „organisierten Illiquidität“ bezeichnen kann. Die Gelder, die den Banken von der Gesamtheit der Einzelwirtschaften zur zeitweiligen Verwertung überlassen worden sind, von diesen Einzelwirtschaften aber nach wie vor als „Geld“, als unausgenutzte Kaufkraft, angesehen werden, haben, da sie ja von den Banken im Wege der Kreditgewährung gerade zum Zwecke der Ausnutzung ihrer Kaufkraft weitergegeben worden sind und so die Gestalt von „Kapital“ angenommen haben, die Eigenschaft der jederzeitigen und beliebigen Verwendbarkeit unwiderruflich verloren. Sie sind nicht mehr flüssig, sondern versteinert. 

Daraus ergeben sich für die moderne, auf dem Prinzip des organisierten Bankkredits aufgebaute Wirtschaft mit Notwendigkeit zwei charakteristische Folgen: Einmal eine latente Krisengefahr, die immer dann akut wird, wenn die Einleger der Banken (Depositengläubiger und Kreditoren) als „Geld“ zurückverlangen, was in Wirklichkeit „Kapital“ geworden ist. Und zweitens einen komplizierten Apparat, mit dessen Hilfe die Banken versuchen, jener Krisengefahr auf organisatorisch-technischem Wege die Spitze abzubrechen. 

Die Krisengefahr ist, wie wir im ersten Teil dieses Buches gesehen haben, eine zweifache. Je nachdem die Unmöglichkeit, Kapital in Geld zurückzuverwandeln, zur Zahlungseinstellung der Banken, oder — was die Regel bildet zur sogenannten „Flüssigmachung“ eines großen Teils ihrer Anlagen führt, nimmt die Krisis andere Formen an. Nur im ersten Fall tritt sie, allen Augen deutlich sichtbar, als das auf, was sie ist: als eine akute Wirtschaftsstörung, hervorgerufen durch die Disharmonie zwischen den „Kreditperioden“ und den „Sparperioden“ das heißt zwischen der Laufdauer der gegebenen und genommenen Kredite, und mithin als ausgesprochene „Kreditkrisis“ Im zweiten Fall, in dem es den Banken gelingt, mittels eines Liquidationsprozesses die in der Wirtschaft vorhandenen Reserven an flüssigem Gelde, an noch unausgenutzter Kaufkraft, von anderen Verwendungszwecken fort in ihre eigenen Kassen zu leiten und sich auf diese Weise solvent zu erhalten, nimmt die Krisis Formen an, die ihren eigentlichen Ursprung verhüllen. Sie tritt als Börsenkrisis auf, wenn die Liquidation sich vorzugsweise auf die Effekten erstreckt, welche die Banken selbst oder ihre des gewohnten Kredits beraubten Schuldner zum Verkauf bringen. Sie äußert sich als plötzlicher Konjunktur-Umschlag, also als Wirtschaftskrisis wenn die zur Abdeckung ihrer Kredite gezwungenen Industrie- und Handelskreise Warenkäufe unterlassen, Bestellungen rückgängig machen, Arbeiter entlassen, kurz, ihre Betriebe einschränken, vielfach auch ihre Zahlungen einstellen oder zum mindesten stark hinauszögern, so daß der Absatz stockt, die Preise stürzen und die Ziffer der Konkurseröffnungen in die Höhe schnellt. Sie kleidet sich endlich in die Form einer Geldmarktkrisis, einer sog. „Kapitalklemme“, wenn die Hilfsquellen, über die das Bankwesen verfügt, —die Notenbanken des Landes, das in der Neubildung begriffene Sparkapital und der Bankkredit der Auslandsmärkte — sich den Banken versagen bzw. unzureichend und zu panisch steigenden Zinssätzen zur Verfügung stellen. In den letztgenannten drei Fällen wird nur ein volkswirtschaftlich geschultes Auge, und auch dieses nicht immer, den eigentlichen Ursprung der Krisis da erblicken, wo er wirklich zu suchen ist, nämlich bei der „organisierten Illiquidität“ der Wirtschaft, verursacht durch das Bankprinzip selbst, das darin besteht, ruhende Kaufkraft unwiderruflich in tätige Kaufkraft, Geld definitiv in Kapital umzuwandeln. 

Um dieser vielgestaltigen Krisengefahr zu begegnen, bedient sich das Bankwesen eines Abwehr-Apparats, der in seinen Details in jedem Lande anders aussieht und funktioniert, aber überall auf demselben Grundgedanken beruht. Die Handhabung dieses Apparats, der sich aus einer ganzen Anzahl verschiedenartiger Mittel zusammensetzt, macht den Hauptinhalt der Kreditbankpolitik aus. Die Mittel scheiden sich in zwei Hauptgruppen, und zwar in solche, die der Gefahr von der Passivseite des Bankgeschäfts her begegnen, und solche, die von der Aktivseite her wirken. 

Auf der Passivseite sind es insbesondere zwei Abwehrmittel, die sich mit Erfolg verwenden lassen: Die künstliche Verlängerung der Sparperioden, und die Ausnutzung des Eigenkredits der Banken. Das erste Mittel besteht darin, die Einleger der Banken zur Hergabe ihrer Gelder auf längere Zeit statt auf tägliche Kündigung zu veranlassen. Die Banken vergüten ihren Gläubigern einen Zins, der mit der Kündigungsfrist der Depositen steigt und bei einer solchen von 6 Monaten meist nicht hinter dem Zins guter Wertpapiere zurückbleibt. Das bedeutet eine Verringerung der Spannung zwischen Einnahme und Ausgabe und damit eine Verringerung der Rentabilität, aber die Banken nehmen sie freiwillig auf sich, um gegen unvorhergesehene Rückforderungen geschützt und der Notwendigkeit, irgendwelche Aktiva ganz plötzlich zu liquidieren, enthoben zu sein. Sie opfern einen Teil ihres Gewinnes, um eine bessere Übereinstimmung zwischen dem Ablauf der Sparperioden und dem der Kreditperioden herbeizuführen, und erreichen dadurch, daß ein Teil der ihnen überlassenen Gelder, die den Einlegern ursprünglich als Betriebs- und Kassen-Reserven dienen sollten, sich in Spargelder verwandelt. In einigen Ländern, namentlich in der Schweiz, geht dieses Bestreben, Einlagen von Spar-Charakter statt von Reserve-Charakter an sich zu ziehen, so weit, daß die Banken Schuldverschreibungen ausgeben, wie es in der Regel nur die Realkredit-Institute tun. In andern Ländern, z. B. Österreich, haben sie die Einrichtung der „Sparbüchel“ geschaffen, wodurch sie zu einem Mittelding zwischen Bank und Sparkasse geworden sind. 

Das zweite Mittel, der Krisengefahr von der Passivseite her zu begegnen, ist die Ausbildung des kurzfristigen Eigenkredits der Banken. Die beliebteste Form dieses Kredits ist das Akzept, mit dem die Banken sich wechselmäßig verpflichten, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes, meist drei Monaten, Zahlung zu leisten. Das Bankakzept erfreut sich am Geldmarkt als Instrument der Anlage auf kurze und mittlere Frist großer Beliebtheit, insbesondere dann, wenn es bei der Zentralnotenbank vorbehaltlos zum Rediskont zugelassen ist. Es bildet dann das Rückgrat des wichtigsten Bezirkes am Geldmarkt, des Privatdiskontmarkts, und zugleich das wirksamste Mittel, um den Banken bei plötzlich eintretendem Abfluß von Einlagen Ersatzgelder vom Geldmarkt her zuzuleiten, der ja das Zentrum ist, dem sowohl von privater Seite wie von den Banken her ständig gewisse Geldmengen zur kurzfristigen Verwendung zuströmen. Die Inanspruchnahme des Geldmarktes vermittels des Bankakzeptes ist in diesem Falle nur eine Überwälzung von Krediten, die bis dahin die Bank gewährt hat, auf andere Schultern, zu welchem Zwecke ihre Umwandlung in eine andere Form, nämlich aus der Form des Buch- oder Kontokorrent-Kredits in die des Akzeptkredits, erfolgt. Die Bank, die infolge verstärkten Abflusses von Depositen gezwungen ist, Mittel flüssig zu machen, kündigt einem Teil ihrer Buchschuldner den gewährten Kredit, stellt aber gleichzeitig denselben Schuldnern ihr Akzept zur Verfügung und setzt sie so in den Stand, sich durch Veräußerung des akzeptierten Wechsels am Diskontmarkt die zur Rückzahlung der Schuldsumme erforderlichen Mittel zu verschaffen. Am Diskontmarkt herrscht nach solchen Akzepten schon deshalb meist rege Nachfrage, weil erstdurch Rediskontierung klassige Wechsel sich bei Bedarf — leicht in bares Geld verwandeln lassen und aus diesem Grunde eine beliebte Reserve nicht nur der jeweils gerade geldflüssigen Banken, sondern auch anderer Institute darstellen. Die heimischen Sparkassen und Lebensversicherungsgesellschaften bedienen sich ihrer häufig, aber auch das Ausland greift in nicht zu unterschätzender Weise am Diskontmarkt ein. Denn dieselben Wechsel, die im Inlande die Rolle einer Liquiditätsreserve spielen, dienen jenseits der Landesgrenzen als Währungsreserve und werden insbesondere von den Notenbanken handelspolitisch nahestehender Länder aus dem Markt genommen und ihren Devisenbeständen zugeführt; dies in um so größerem Maße, je wertbeständiger die Währung ist, auf die jene Wechsel lauten. Banken, die in der Finanzwelt hinreichendes Vertrauen genießen, können also durch Ausnutzung ihres Akzeptkredits einen erheblichen Teil ihrer an sich illiquiden Forderungen liquide machen, ohne rigoros gegen ihre Schuldner aufzutreten, und ohne ihnen die Rückzahlung von Geldern zuzumuten, die meist nicht zurückgezahlt werden können, weil sie im Laufe der Kreditperiode zu Anlagekapital geworden sind. Die unmögliche Rückverwandlung von Kapital in Geld wird hier von außen her durch die Zuleitung von Geld ersetzt, das soeben aus dem Produktionsprozeß entstanden ist, sozusagen neugeborene Kaufkraft darstellt und sich zum großen Teil am Geldmarkt sammelt, wo dann, je nach dem Zinsverhältnis zwischen den verschiedenen Anlagearten, ein größerer oder kleinerer Arm des Geldflusses sich in den Diskontmarkt ergießt. 

Diese systematische Ausnutzung des Eigenkredits hat allerdings gewisse Grenzen. Erscheinen die Akzepte einer und derselben Bank in auffallend großem Umfange am Markt, so kann das als ein Zeichen eines unverhältnismäßig illiquiden Status aufgefaßt werden und das Vertrauen selbst zu einer durchaus kreditwürdigen Bank vermindern. Der Markt der Bankakzepte wird ohnehin äußerst scharf beobachtet. Gerade weil er der Markt der erstklassigen Wechsel, gewissermaßen die „Selekta“ der kurzfristigen Anlagen ist, reagiert er außerordentlich schnell und stark auf den geringsten Argwohn, mag dieser begründet oder unbegründet sein. Die Möglichkeit, durch einfache Querschrift Kredite in jeder gewünschten Höhe an sich zu ziehen — eine Möglichkeit, die den Volkswirt leicht zu dem Irrglauben verleitet, das Bankakzept sei eine besondere Art Banknote und stelle wie diese „Geld“ dar —, hat schon manche Bank zu einer mißbräuchlichen Verwendung ihres Akzeptes verführt. Die moderne Konzernbildung im Bankwesen kann unschwer dahin führen, daß die Bank A. auf die ihr befreundete Bank B. trassiert, und umgekehrt die Bank B. auf die Bank A.; was dann nichts anderes ist als Wechselreiterei. Aber auch ohne jede unlautere Absicht kann es am Diskontmarkt zu Erscheinungen kommen, die der Wechselreiterei bedenklich ähnlich sehen, selbst wenn es sich in Wirklichkeit nicht um eine solche handelt. Und zwar liegt diese Gefahr um so näher, je kleiner die Zahl der Banken ist, deren Akzept als „allererster Klasse“ gilt. Da bei den einzelnen Banken Flüssigkeit und Geldbedarf fortgesetzt, oft von einem Tage zum anderen, abwechseln, mithin dieselbe Bank heute Akzepte („Privatdiskonten“) kauft und morgen auf sich ziehen, d. h. ihr Akzept an den Markt gelangen läßt, so pflegt überall da, wo diese Abart der Liquiditätspolitik ausgebildet ist, jede große Bank Akzepte aller anderen großen Banken in ihrem Portefeuille zu haben. Obwohl dieser „Akzepttausch“ nicht auf Verabredung beruht, sondern lediglich die Folge einer gewissen Enge des Marktes ist, auf dem die Anlage-suchende Bank kaum anderes Wechselmaterial findet als dasjenige, das von ihren zeitweilig illiquiden Kolleginnen herrührt, so ist er dennoch nicht ungefährlich. Denn beim Eintritt einer allgemeinen Geldklemme, die alle Banken oder die große Mehrzahl von ihnen nötigt, ihre Wechselportefeuilles durch Rediskontierung zu entlasten, stellt es sich heraus, daß Bankakzepte, die man vom Markte aufgesaugt und längst verdaut glaubte, tatsächlich noch gar nicht auf den breiteren Markt gelangt sind und über die Aufnahmefähigkeit desselben in ihrer Gesamtheit bei weitem hinausgehen. Es stellt sich mit anderen Worten heraus, daß die Akzepte nicht vom Anlage bedarf absorbiert worden sind, der sie während ihrer Laufzeit festzuhalten beabsichtigte, sondern von einem ausgesprochenen Liquiditätsstreben, das in ihnen von vornherein Objekte der Weiterveräußerung sah; aber nicht etwa vom Liquiditätsstreben einer bunten Vielzahl von Gewerben, bei denen die Stichtage der etwaigen Weiterveräußerung auseinanderzufallen pflegen, sondern eines einzigen Gewerbes, und noch dazu des allerempfindlichsten, von dem zu befürchten ist, daß es bei eintretender Geldverknappung große Mengen der Akzepte an einem und demselben Stichtage auf den Markt wirft. Selbst wenn dann genug jungfräuliche Kaufkraft parat steht, um die Masse der Akzepte aufzunehmen, oder wenn ein Zentralinstitut (Notenbank) bereit und imstande ist, die fehlende Kaufkraft zuzuschießen, löst doch die Masse der zum Vorschein kommenden Wechsel mit dem Akzept einer und derselben Bank ein gewisses Mißtrauen aus; und das in einem ohnehin kritischen Zeitpunkt, bei dem alles darauf ankommt, daß der Kredit der Banken intakt ist. Die Furcht vor den Folgen einer solchen — beinahe unvermeidlichen — Inzucht hat denn auch bewirkt, daß in einigen Ländern die Verwendung des Bankakzepts keinen großen Umfang erreicht hat, sondern entweder durch Gesetz (Vereinigte Staaten), oder durch den Handelsbrauch (England) eingeschränkt worden ist. 

Ungleich mannigfaltiger als von der Passivseite, die nur die beiden genannten Abwehrmittel — künstliche Verlängerung der Sparperioden und Ausnutzung des Eigenkredits kennt, ist die Bekämpfung der Krisengefahr durch die Banken von der Aktivseite her, mittels einer zweckmäßigen Auswahl der Anlagen. Es gibt hier eigentlich keinen Bilanzposten, der nicht irgendwie in den Dienst des Abwehrkampfes gestellt werden könnte. Selbst die scheinbar illiquidesten Anlagen, die an sich völlig versteinertes Kapital oder eingefrorenen Kredit darstellen, können durch geeignete Maßnahmen, die im Einzelfall zu bestimmen die Tüchtigkeit des Bankleiters ausmacht, liquider gestaltet, sozusagen „aufgetaut“ werden. Sogar das Bankgebäude, das versteinertes Kapital im ureigensten Sinne des Wortes ist, kann von einer weitsichtigen Bankleitung so geschickt entworfen und nach einem so zweckmäßigen Grundriß errichtet werden, daß es nicht nur den besonderen Bedürfnissen einer Bank, sondern zugleich auch den anders gearteten Anforderungen eines Wohnhauses, einer Industriestätte, eines Verwaltungsgebäudes gerecht wird und daher im Notfall ohne erheblichen Verlust verkauft werden kann. Dasselbe Prinzip bestimmt auch die Verwendbarkeit der eigentlichen werbenden Anlagen, so insbesondere diejenige des wichtigen Bilanzpostens „Effekten“ dessen Liquidität ganz und gar von der Anlagepolitik der einzelnen Bank abhängt. Setzt er sich vorzugsweise aus schnell und ohne Kursverlust zu Geld zu machenden Werten zusammen, z. B. aus Schatzanweisungen, die jederzeit von der Zentralbank angekauft oder beliehen werden, so hat er die Eigenschaft einer Reserve; der Posten verliert diese Eigenschaft und nimmt die einer unverwertbaren Anlage in dem Maße an, wie das Moment seiner Verkäuflichkeit oder Beleihbarkeit außer Acht gelassen wird. Eine Bank, die es grundsätzlich ablehnt, Wertpapiere zu übernehmen, die an keiner Börse amtlich gehandelt werden, ist im Krisen-Abwehrkampf besser gerüstet als eine Bank, in deren Portefeuille auch Papiere liegen, die nur im nicht-amtlichen (freien oder „wilden“) Börsenverkehr verkäuflich sind; diese Bank aber wiederum besser als eine dritte, die das Finanzierungsgeschäft betreibt und im Zusammenhang damit vorzugsweise Wertpapiere anhäuft, für die ein Markt überhaupt nicht besteht, die Möglichkeit der Weiterbegebung also so gut wie ganz ausscheidet. Und so wie hier, so gibt es bei allen Anlagewerten der Banken, sie mögen heißen, wie sie wollen, die verschiedensten Methoden und Intensitätsgrade der Krisenabwehr. Sogar der Posten „Debitoren“, der eigentlich der gefährlichste Bestandteil der Bilanz ist, weil er den Banken eine Liquidierungs-Möglichkeit — durch Kreditkündigung vorspiegelt, die faktisch niemals weniger vorhanden ist, als wenn alles auf sie ankommt, sogar dieser Posten kann ein wichtiges Element des Krisenschutzes werden; nämlich dann, wenn die Banken sich grundsätzlich leicht verkäufliche Werte als Sicherheit für die gewährten Kredite verpfänden lassen, so daß sie sich aus dem Erlös jener Werte bezahlt machen können, wenn die Kredite selbst uneinbringlich sind. 

Aber alle diese Abwehrmittel, deren sich die Banken bedienen können, indem sie eine bestimmte vorsichtige Politik sowohl bei der Entgegennahme wie bei der Weitergabe der Gelder befolgen, sind entweder nur innerhalb enger Grenzen anwendbar, oder sie bedeuten einen lediglich individuellen Schutz für die einzelne Bank, keinen Kollektivschutz für die Gesamtwirtschaft. Das erstere — die engen Grenzen — gilt für die Entgegennahme der Gelder, also die Passiva der Bilanz, das letztere — Individualschutz statt Kollektivschutz — für die Weitergabe der Gelder, also die Aktiva der Bilanz. Die Theorie liefert der Bankenpolitik hier Krisenabwehrmittel, mit denen die Praxis nur in sehr beschränktem Umfange oder mit sehr beschränktem Erfolge etwas anfangen kann. 

Zunächst die Passivseite: Hier stehen den Banken, wie wir gesehen haben, in der Hauptsache zwei Abwehrmittel zur Verfügung, nämlich die Verlängerung der Sparperioden durch Entgegennahme befristeter Einlagen, und die Ausnutzung des Eigenkredits durch Hergabe des Bankakzepts. Beide Mittel sind nur beschränkt anwendbar. Die Entgegennahme langfristiger Depositen unter gleichzeitiger Zurückweisung der gefährlichen unbefristeten oder Scheck-Gelder kann zwar bis zum Extrem getrieben werden. Aber dann hört die Bank auf, eine „Bank“ zu sein. Sie wird zur Sparkasse, wenn es sich vorzugsweise um kleine Einlagen, zur Kapitalverwertungs-Gesellschaft, wenn es sich um große Einlagen handelt. Der Daseinszweck der Bank ist es ja gerade, diejenigen Gelder an sich zu ziehen, die sich jenen beiden Instituten nicht zuwenden wollen und können, weil sie nicht auf eine im voraus bestimmte Zeit zur Verfügung stehen, sondern zu einem unbekannten Termine, vielleicht schon morgen, irgend einem gleichfalls noch unbekannten Verwendungszweck zugeführt werden sollen. Es sind die Kassenreserven der Wirtschaft, die den Banken vorzugsweise zufließen, nicht die ersparten Kapitalien, und wenn die Banken sich ihrer Hauptaufgabe, jene Reserven zu verwalten, entziehen, so machen sie sich selbst überflüssig und nehmen der Wirtschaft das wichtigste Antriebsmittel zum Fortschritt. Denn wir haben gesehen, daß die Annahme und Weiterleitung der zeitweilig müßig gehenden nationalen Geldreserven durch die Bank auf eine Vervielfachung des in der Wirtschaft arbeitenden Geldes hinausläuft, einmal, weil dadurch „ruhende“ Kaufkraft in „tätige“ Kaufkraft umgewandelt wird, und sodann, weil die nunmehr tätige Kaufkraft die Anzahl ihrer Tätigkeitsakte vervielfacht, indem sie durch die Banktechnik gezwungen wird, abwechselnd im baren und im unbaren Zahlungsverkehr Dienst zu tun. Die grundsätzliche Verlängerung der Sparperioden durch Zurückweisung aller nicht langfristigen Einlagen kann also als geeignetes Mittel einer Krisen-abwehrenden Bankpolitik nicht angesehen werden, weil ein Institut, das sich dieses Mittels mehr als gelegentlich und ausnahmsweise bedient, überhaupt keine Bankpolitik mehr, sondern eine Sparkassen-Politik treibt. 

Und ein ebenso unzulängliches Abwehrmittel bildet die Ausnutzung des Eigenkredits der Banken durch Hergabe ihres Akzeptes. Gerade in den kritischen Perioden, in denen dieses Mittel sich bewähren soll, versagt es nach ganz kurzer Zeit den Dienst. Das Mißtrauen, das in solchen Zeiten, vielfach zu Unrecht, um sich greift, hat zur Folge, daß die Höchstsumme, bis zu der eine Bank auf sich ziehen lassen darf, nur wenig größer, wenn nicht gar kleiner ist als in ruhigen Zeiten. Es ist ein eigenes Ding um den Kredit der Banken: er ist um so größer, je weniger die Banken von ihm Gebrauch machen, bzw. je weniger sie ihn in bewegten Tagen über das Normalmaß hinaus steigern. Als Krisenabwehrmittel ist also der Akzeptkredit nur in ganz beschränktem Maße verwendbar. Und dasselbe gilt von den anderen Spielarten des Eigenkredits, insbesondere von der Heranziehung von ausländischen Bankgeldern im Kontokorrent-Verkehr. Sie lassen sich niemals schwerer handhaben, als in ernsten Zeiten, in denen das Schicksal der einzelnen Bank oder der gesamten Wirtschaft von der Zufuhr zusätzlichen Geldes abhängt. Selbst dann, wenn keinerlei Mißtrauen rege wird, ist die Ausnutzungsfähigkeit des Bankkredits in solchen Zeiten dennoch nur eine beschränkte, weil eine Krisis nur selten lokalisiert bleibt, vielmehr sich schnell über weite Gebiete des Inlands und Auslands ausdehnt und die Hilfsmöglichkeit schwächt, selbst wenn der Hilfswille vorhanden ist. 

Ungleich wirksamer sind die Krisenabwehrmittel, die den Banken auf der Aktivseite, bei der Weitergabe der Gelder, zur Verfügung stehen. Hier ist es ihnen möglich, denjenigen Liquiditätsgrad zu erreichen, den sie sich zum Ziel gesetzt haben. Sobald sie die Gewähr für eine jederzeitige Flüssigmachung ihrer Anlagen zu ihrem leitenden Prinzip machen, hinter das sogar ihr Gewinnstreben zurücktritt, können sie die Krisengefahr bis zu einem sehr hohen Grade beseitigen, aber — nur für sich persönlich. Denn in dem Maße, wie sie sich selbst ihrer Anlagen entledigen, um bares Geld an sich zu ziehen, beunruhigen sie den Markt, auf dem die Anlagen Unterkunft suchen. Eine Bank z. B., die sich im Interesse ihrer Liquidität großer Posten eines bestimmten Wertpapieres entledigt, gefährdet durch den Kursdruck, den sie in diesem Papier erzeugt, alle diejenigen, die dasselbe Papier als Sicherheit für einen in Anspruch genommenen Kredit hinterlegt haben. Suchen mehrere Banken gleichzeitig ihre Liquidität auf solche Weise zu verstärken, so erschüttern sie durch ihre Verkäufe den ganzen Markt der Wertpapiere und dadurch mittelbar die Kreditfähigkeit weiter Wirtschaftskreise. Aus kleinen Anfängen kann sich so lawinenhaft eine verhängnisvolle Krisis entwickeln, und die Banken, die den Anstoß dazu gegeben haben, indem sie ihre bedrohte Zahlungsbereitschaft durch Gewaltverkäufe aufbesserten, haben sich auf Kosten der Gesamtwirtschaft gerettet. Wobei es sich unter Umständen ereignen kann, daß die Krisis von der Wirtschaft auf die Urheber-Banken zurückspringt und diese mit in den Abgrund reißt, indem sie den Wert ihrer liquiden Anlagen so zusammenschmelzen läßt, daß der Erlös die Ansprüche der Einleger nicht mehr deckt. 

Was für die Effekten gilt, das gilt gleichermaßen für jede andere Anlagekategorie. Daß ein Massenangebot von Wechseln aus dem Portefeuille der Banken erst den Diskontmarkt außer Funktion setzt und dann die Zentralbank, bei der die Wechsel nunmehr Unterkunft suchen, zu den schärfsten Abwehrmitteln zwingt, die ihrerseits die Krisis zur Katastrophe steigern, das haben wir früher bereits gesehen. Und doch gelten gerade die Wechsel mit mehreren anerkannt guten Unterschriften als die sicherste Garantie gegen Krisengefahr und daher als „Reserve erster Ordnung“! Ebenso haben wir uns an anderer Stelle bereits mit der Wirkung beschäftigt, welche eine in großem Maßstabe erfolgende Kreditkündigung seitens der Banken hervorruft. Da die Kredite in den allermeisten Fällen „eingefroren“ sind, d. h. sich in feste Kapitalsanlagen verwandelt haben, aus denen sie nicht herausgebrochen werden können, so führt das Rückzahlungsverlangen der Banken zu einem Rattenkönig von Insolvenzen und zum Zusammenbruch gerade derjenigen Gewerbe, die bis dahin von den Banken mit Kredit verwöhnt, sozusagen „aufgepäppelt“ worden sind. Gerade hier wird der Interessengegensatz zwischen Bank und Wirtschaft deutlich sichtbar. Die Katastrophe der Gewerbe wird zur Rettung der Banken. Wenn die zur Rückzahlung verpflichteten Bankkunden nur einen Teil ihrer Schuld tilgen können und, um den Rest nach und nach abzutragen, ihre Waren verschleudern, ihre Rohstoff-Käufe annullieren und einen Teil ihrer Arbeiter entlassen müssen, so ist dieser unheilvolle Zustand der Wirtschaft für die Banken als Gesamtheit vorteilhafter, als wenn es den Zahlungspflichtigen gelingt, unter äußerster Ausnutzung ihres Kredits und des Kredits ihrer Freunde die Schuldsumme sofort herbeizuschaffen. Denn da es in einer modernen, auf Bankverkehr eingestellten Wirtschaft freie Barbeträge außerhalb der Banken nur in ganz verschwindendem Umfange gibt, vielmehr fast die ganze nationale Geldreserve bei ihnen konzentriert ist, so bedeutet die sofortige Beschaffung der Schuldsummen durch die Zahlungspflichtigen und ihre Freunde, daß die Summen, die dem einen Teil der Banken zufließen, einem anderen Teil der Banken gekündigt werden. Das Bankwesen als Ganzes wird also um so mehr in Mitleidenschaft gezogen, je schneller die Bankschuldner die ihnen gekündigten Kredite zurückzahlen. Dieser krasse Gegensatz, der sich in kritischen Zeiten zwischen Bankwelt und Wirtschaft auftut, wird freilich auf mannigfache Weise gemildert; sei es durch den Zufluß ausländischer Kredite, die sich trotz Krisis durch hohe Zinsgebote anlocken lassen, sei es durch Waren- oder Effekten-Verkäufe im Auslande, sei es endlich durch das Eingreifen der Zentralnotenbank. Der Gegensatz bleibt aber nichtsdestoweniger bestehen und ist meist der Grund, warum die Landeszentralbanken sich allen grundsätzlichen Bedenken zum Trotz bereit finden lassen, die Krisis durch Hergabe neuer Notenmengen zu mildern. Die Zentralnotenbanken ziehen es vor, einen währungspolitischen Fehler zu begehen und die Wertkonstanz des Landesgeldes zu gefährden, als untätig mitanzusehen, wie der Kampf der Kreditbanken gegen die Wirtschaft diese oder jene oder beide zugrunde richtet. 

Es ist nun einmal Tatsache: Das Prinzip, auf dem sich das moderne Kreditbankwesen aufbaut, ist das der organisierten Illiquidität. Gelder, die nach dem Willen ihrer Eigentümer jederzeit verfügbar sein sollen, weil sie als Reserve gedacht sind, werden von den Banken bis auf kleine Bruchteile in Kapitalsumlagen umgewandelt und immobilisiert; weniger infolge eines Fehlers, den die Banken begehen, als infolge des Prinzips, das ihr Wesen und ihre Bedeutung ausmacht. Die Rückverwandlung der Anlagen in Reserven ist immer nur in dem Umfange möglich, in dem sich neue Kaufkraft gebildet und noch nicht auf dem Umwege über die Banken zu Kapital versteinert hat. Und dieser Umfang ist um so bescheidener, je fortgeschrittener das Bankwesen im Lande ist, denn um so schneller nimmt jedes Partikel neuer Kaufkraft die Form von Kapital an. Fordert die Wirtschaft aus beliebigem Grunde einen größeren Teil ihrer Reserven zurück, als die Banken in der Originalform des baren Geldes erhalten haben und als sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit neu gebildet hat, so äußert sich die Unmöglichkeit, dieser Rückforderung nachzukommen, in der Gestalt einer Krisis. Denn die Reserven, die man von den Banken zurückverlangt, sind einfach nicht da, können nach der ganzen Organisation des heutigen Bankwesens nicht da sein. „We cannot eat our pudding and have it“, sagt der Engländer. Es erhebt sich also die Frage: Läßt sich die im Bankwesen selbst wurzelnde Illiquidität in hinreichendem Maße beseitigen, um Krisen auszuschalten, und mit welchen Mitteln hätte diese Beseitigung am zweckmäßigsten zu erfolgen? 

II. Die Banktaktik. Der amortisable Kredit. Kredit und Vermögensbildung.

Drei Wege sind denkbar, auf denen sich der natürlichen Illiquidität des Bankwesens ihre Gemeingefährlichkeit nehmen läßt: Der banktaktische, der organisatorische und der versicherungstechnische Weg. Auf dem ersten Wege, dem der Banktaktik, würde der Kampf gegen die Krisengefahr von innen heraus geführt werden, indem die Banken selbst ihre Politik so einrichten, daß die Illiquidität gemildert wird, soweit sich dies ermöglichen und mit dem Zweck der Banken in Einklang bringen läßt. Der zweite, organisatorische Weg würde die Gefahr von außen her bekämpfen; er würde an der Illiquidität der Banken selbst, als einem unheilbaren organischen Übel, nichts zu ändern versuchen, wohl aber Gegenmaßregeln treffen, um die Wirtschaft gegen die Folgen dieses Übels immun zu machen und auch die Banken selbst von der unheilvollen Wirkung ihrer eigenen geschäftlichen Politik nach Möglichkeit zu schützen. Auf dem dritten Wege endlich würde mit den Mitteln und nach den Erfahrungen der Versicherungstechnik operiert werden; hier käme die Ansammlung von Hilfsgeldern („Prämienreserven“) in Betracht, die bei drohender Gefahr an den am meisten gefährdeten Punkt geworfen werden und das Unheil hier bekämpfen, ehe es weit um sich gegriffen hat und zu groß für jede Abwehraktion geworden ist. Jeder dieser drei Wege ist gangbar. Aber jeder von ihnen verlangt gewisse Opfer von der Wirtschaft. Eine Methode, mittels derer sich die bekannten Gefahren des modernen Bankwesens ausmerzen ließen, ohne daß auf irgend eine Annehmlichkeit des herrschenden Kreditprinzips zum Teil verzichtet zu werden brauchte, ist undenkbar. Alles was man vom Krisenschutz verlangen kann und verlangen muß, ist, daß der Vorteil, den er bringt, nicht mit unverhältnismäßig großen Nachteilen erkauft wird. 

Wir werden also in eine Untersuchung darüber einzutreten haben, auf welchem der genannten drei Wege sich die Gefahren der Banken-Illiquidität am vollkommensten und mit dem geringsten Verzicht auf die Vorteile des Kreditprinzips beseitigen lassen. Dabei wollen wir mit der Banktaktik beginnen.

Das Problem, das es zu lösen gilt, lautet kurzgefaßt folgendermaßen: Auf welche Weise läßt es sich erreichen, daß die Gelder, die den Banken auf kurze Frist übergeben, von diesen aber in Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Aufgaben in Kapital verwandelt worden sind, den Einlegern auf Verlangen zurückgezahlt werden können, ohne daß es auf dem Geldmarkt und an der Börse zu einem Massenangebot von Kapitalsanlagen und zu einer Panik kommt, und ohne daß die Bankschuldner zu Maßnahmen gezwungen werden, die den ruhigen Gang der Wirtschaft gefährden? Auf diese Frage antwortet die Banktaktik: Ein erheblicher Teil der den Banken überlassenen Scheckgelder muß in einer Weise angelegt werden, die ihre sofortige Liquidierung ermöglicht, ohne daß zu diesem Zwecke einer der Märkte in Anspruch genommen zu werden braucht. Eine solche Anlage ist auf zweierlei Weise möglich. Entweder legt man die Gelder in Krediten an, die nicht nur dem Namen nach kurzfristig sind, sondern tatsächlich in kurzer Zeit an die Bank zurückgezahlt werden, so daß diese ständig mit einem gewissen Rückfluß ihre Ausleihungen rechnen darf. Oder man legt die Gelder im Ausland an, und zwar so, daß sie im Bedarfsfalle jederzeit von dort zurückgerufen werden können. 

Das Verfahren, Gelder kurzfristig anzulegen, ohne sich zu diesem Zweck des Geldmarkts oder der Börse zu bedienen, läuft der gegenwärtigen Bankpraxis in allen Ländern stracks zuwider. Man betrachtet heute überall den Geldmarkt und die Börse mit ihren Unterabteilungen, insbesondere aber den Wechselmarkt, den Markt für tägliches Geld und den Markt für Reportgeld (Beleihung von Wertpapieren), als die selbstverständliche Unterkunft für alle diejenigen Gelder, die nicht immobilisiert werden, sondern den Charakter einer Reserve behalten sollen. Dieses Verfahren ist unter dem Gesichtspunkt der individuellen Bankliquidität auch durchaus richtig. Aber es ist falsch unter dem Gesichtspunkt der Krisen-Abwehr. Denn die einzelne Bank, die sich durch ihre Ausleihungen an den genannten Märkten für den Fall der plötzlichen Rückforderung beträchtlicher Scheck-Einlagen sichert, schützt sich so, wie wir gesehen haben, auf Kosten der Allgemeinheit. Sie wälzt die Gefahr auf den Markt ab, dessen Flüssigkeit nur eine scheinbare ist, weil die hier zusammengeströmten Gelder irgendwo in der Wirtschaft zu Kapital versteinert sind. Die Diskont-, Report- und Tages-Gelder, die von den Banken direkt oder durch Vermittlung von Spezialinstituten am Markt ausgeliehen werden, behalten genau so wenig wie die sonstigen Bankdarlehen die Form von Geld; sie fließen vom Markt aus durch die verschiedensten Kanäle in die Gewerbe ab und verwandeln sich hier in Anlagen, Materialien und Arbeitslohn. Den trügerischen Schein der Flüssigkeit erhalten sie lediglich durch den Umstand, daß in normalen Zeiten Zufluß und Abfluß am Geldmarkt sich ausgleichen, — dies Gleichgewicht herbeizuführen ist eine der Aufgaben des Zinses — und daß jede Rückforderung daher aus einem entsprechenden Angebot befriedigt werden kann. Wie es in Wirklichkeit um die Flüssigkeit der den Geldmarkt passierenden Geldsummen bestellt ist, das zeigt sich nur dann, wenn der gewohnte Zufluß einmal stockt. Dann ist die „Geldklemme“, und bei Verschärfung des Mißverhältnisses zwischen Zufluß und Abfluß die Krisis da, weil die in Anlagen, Materialien und Arbeitslohn umgewandelten „Reservegelder“ die Geldform unwiderbringlich abgestreift haben. 

Die jetzige Reservepolitik ist also weit eher als ein Krisen-Erreger denn als eine Krisen-Abwehr anzusehen, sobald man nicht an die individuelle Liquidität der einzelnen Bank, sondern an die Kollektiv-Liquidität der Gesamtwirtschaft denkt. Und eine Banktaktik, die das Ziel verfolgt, die Bank flüssig zu erhalten, ohne daß dies auf Kosten Anderer geschieht, wird auf die übliche Reservepolitik mit ihrer ungenierten Inanspruchnahme des Markts verzichten. Sie wird die Garantie für jederzeitige Zahlungsbereitschaft in sich selbst suchen. Wie? Indem sie die Anlagen so wählt, daß automatisch ein reger Rückfluß der gewährten Kredite stattfindet, von deren Gesamtheit in jedem Monat ein Sechstel oder gar ein Drittel fällig wird. Eine kluge Banktaktik wird dafür sorgen, daß sich auf diese Weise regelmäßig mehr Anlagen selbst liquidieren, als zu Rückzahlungszwecken voraussichtlich gebraucht werden wird. Was an Ausleihungen an die Bank zurückfließt, das stellt ihre Reserve dar, die in neue, wiederum schnell zurückfließende Ausleihungen gesteckt wird, sobald sich herausstellt, daß sie entbehrt werden kann. Auf diese Weise regenerieren sich die Kredite fortgesetzt aus sich selbst heraus. Und kommt es einmal zu einer ungewöhnlich starken Abforderung der Bankeinlagen oder gar zu einem Ansturm der Gläubiger („run“) so braucht die Bank nichts anderes zu tun, als die aus fällig gewordenen Krediten einlaufenden Gelder an ihre Gläubiger auszuschütten, statt sie in neue Kredite zu stecken. Wenn sie die Vorsicht gebraucht hat, die Fälligkeitsmengen sorgfältig auf die Summen der ihr überlassenen Scheckgelder abzustimmen, wird sie unter Zuhilfenahme ihrer Barreserven jederzeit im Stande sein, ihren Verpflichtungen ohne fremde Hilfe nachzukommen. 

Das scheint nun freilich leichter gedacht als getan, und mancher Bankdirektor wird vielleicht etwas geringschätzig lächeln, wenn er diese Zeilen liest. Denn er ist sich bewußt, die hier kurz geschilderte, im Grunde überaus einfache Taktik in seinem Bankbetriebe tatsächlich anzuwenden. Er gewährt grundsätzlich keinen Kredit, den er nicht, wenn er will oder muß, zum nächsten Quartalsersten kündigen kann. Die Wechsel in seinem Portefeuille sind längstens in drei Monaten, durchschnittlich aber schon in sechs Wochen fällig, und ein großer Teil davon kehrt schon nach ein oder zwei Wochen als Bargeld in seine Kassen zurück. Er hat also die Forderungen einer Krisen-abwehrenden Banktaktik durchaus erfüllt. Aber nichtsdestoweniger fühlt er sich einem ernsthaften Ansturm seiner Gläubiger in keiner Weise gewachsen, und es wäre schlimm um ihn bestellt, wenn ihm nicht alle die Möglichkeiten der „Gefahr-Abwälzung“ blieben, die hier als unzweckmäßig bezeichnet worden sind, weil sie nur zu leicht eine Krisis über die Wirtschaft heraufbeschwören können: Massenverkauf seiner Effektenbestände, Kündigung seiner Ausleihungen am Geldmarkt und an der Börse, Rediskontierung seiner später fälligen Wechsel, Ausnutzung des Akzeptkredits seiner Bank, u. s. w. Der Bankdirektor wird sich also nicht entschließen, seine bisherige Praxis der Liquiditäts-Sicherung kurzerhand aufzugeben, sondern sich auch in Zukunft auf die „Reserve-Eigenschaft“ des Markts verlassen, mögen die Folgen für die anderen sein, welche sie wollen. Denn schließlich ist sich jeder selbst der nächste. 

Wie die Dinge heute liegen, hat dieser Bankdirektor durchaus nicht Unrecht. Die Kurzfristigkeit seiner Ausleihungen und seiner Wechselbestände nutzt ihm in der Tat nicht viel, sichert ihn jedenfalls in keiner Weise gegen die Eventualität, daß ihm weit mehr Gelder gekündigt als zurückgezahlt werden. Aber warum verhält sich das so? Nun, wir haben den Grund bereits kennen gelernt: Weil die angeblich kurzfristigen Ausleihungen und Wechselbestände in Wirklichkeit nicht kurzfristig sind, sondern ganz im Gegenteil außerordentlich langfristig. Trotz der Klausel im Darlehensvertrag, daß der gewährte Bankkredit jederzeit kündbar ist und dann sofort, spätestens aber am nächsten Quartalsersten zurückgezahlt werden muß, kommt es im regelmäßigen Verlauf der Dinge nur sehr selten zur faktischen Rückzahlung. Vielmehr wird ein Kredit durch einen anderen, ein Wechsel durch einen anderen Wechsel abgelöst. Die Bankkredite sind, obwohl sie sich in die Rechtsform des kurzfristigen Darlehns kleiden, tatsächlich „eingefroren“ aus Gründen, die mehrfach genannt worden sind und nicht wiederholt zu werden brauchen. Unser Bankdirektor, der so skeptisch über den Krisen-hindernden Charakter der hier geschilderten Banktaktik urteilt, hat also Recht, wenn er die Reserve-Qualität der heutigen „kurzfristigen“ Anlagen bezweifelt und sich nicht auf sie, sondern auf den „Markt“ verläßt. Aber er hat Unrecht, wenn er glaubt, die heutigen kurzfristigen Anlagen seien identisch mit denen, die jene Banktaktik fordert. Es handelt sich hier um zwei ganz verschiedene Begriffe, die nur den Namen gemeinsam haben, und ihn nur deshalb gemeinsam haben, weil die heutige Terminologie im Bankwesen nicht ehrlich ist. Es gibt gegenwärtig normalerweise überhaupt keine kurzfristigen Kredite, die pünktlich zur Rückzahlung gelangen können, ohne daß der Rückzahlende in eine schwierige Lage gerät, oder daß der „Markt“, auf den er zurückgreifen muß, eine Belastung erfährt., der er nicht gewachsen ist, wenn der Rückgriff von vielen Seiten zu gleicher Zeit erfolgt. Eine Banktaktik, deren Zweck es ist, dem Bankschuldner eben diese schwierige Lage und dem Markt eben diese übermäßige Belastung zu ersparen, setzt naturgemäß voraus, daß Bankkredite, die sich kurzfristig nennen, auch wirklich kurzfristig sind und am Verfalltage die Bank wieder in den Besitz ihres Geldes setzen. 

Aber ist das denn möglich? Macht es nicht gerade das Wesen der heutigen Kreditwirtschaft und den Nutzen der Banktätigkeit aus, daß die „ruhende Kaufkraft“ die in Form von Scheck-Depositen zur Bank drängt, hier in Kapital umgewandelt wird und als solches die Arbeitsgelegenheit, die Produktion, den Verbrauch und den Lebensstandard der Bevölkerung hebt? Haben wir nicht in einem früheren Kapitel gesehen, daß die doktrinäre Unterscheidung zwischen einem vermeintlichen „Betriebskapital“, das einem einmaligen kurzen Verwendungszwecke dient, um dann an die Bank zurückzufließen, und einem „Anlagekapital“, das die Form von Gebäuden und Maschinen annimmt und daher nicht zurückfließen kann, daß diese Unterscheidung, sage ich, nur auf dem Papier steht, weil in Wirklichkeit jeder Bankkredit mit dem Eigenkapital des Unternehmers zu einem untrennbaren Ganzen verschmilzt? Vermag die Banktaktik, von der hier die Rede ist, diese Tatsache zu ändern? Ist sie im Stande, den mit dem Unternehmerkapital verwachsenen Kredit der Bank nach zwei, drei oder vier Monaten wieder aus diesem Kapital herauszubrechen, so daß er der Bank zurückerstattet werden kann, also keinen „kurzfristigen“ Kredit in Gänsefüßchen bildet, sondern einen Kredit, der wirklich kurzfristig ist und bei Fälligkeit aus den Mitteln des Kreditnehmers selbst, nicht etwa aus dem Fonds irgend eines Markts, getilgt wird? 

Hier rühren wir an den wundesten Punkt des Kreditbankwesens. Alle soeben gestellten Fragen müssen nämlich verneinend beantwortet werden, so lange die Umwandlung von ruhender Kaufkraft in tätiges Kapital in der Weise vorgenommen wird, wie es heute auf Grund einer stillschweigenden Übereinkunft in allen Ländern der Fall ist. Währen sie bejahend beantwortet werden könnte, wenn die Umwandlung nach anderen Grundsätzen erfolgen würde. 

Die alte, klassische Katheder-Forderung, daß die Aktiva einer Bank den Passiven entsprechen, also langfristige Depositen langfristig, kurzfristige Depositen kurzfristig angelegt werden sollen, ist nach allem, was wir bisher gesehen haben, unerfüllbar. Der Begriff „kurzfristige Anlage“ ist ein Widerspruch in sich. Das Geld, das einmal angelegt worden ist, und zwar so angelegt, wie es der Zweckbestimmung der Banken entspricht, d. h. produktiv, das läßt sich nicht in „kurzer Frist“ zurückzahlen, sondern erst dann, wenn sich aus den Erträgnissen des Produktivkapitals neues Kapital in genügendem Umfange gebildet hat, um das alte ablösen zu können. Daraus zieht die heutige Bankpraxis die Folgerung, der Begriff „kurzfristige Anlage“ dürfe nicht wörtlich verstanden werden, nicht im Sinne der jederzeitigen Rückzahlung, sondern in dem der jederzeitigen Abwälzung. Da es eine produktive Anlage, die zugleich organisch kurzfristig wäre, nicht gibt, müßten die Banken dahin streben, die Anlagen, die man leider nicht entmaterialisieren, nicht in die Ursprungsform von Kaufkraft zurückverwandeln kann, rücklieferungsfähig, verkäuflich oder beleihbar zu machen. So hat man das Prinzip der Kurzfristigkeit durch die beiden Prinzipien der „Kündbarkeit“ und der „Marktfähigkeit“ ersetzt. Was nicht in Geld aufgelöst werden kann, das kann durch Annullierung des Kreditvertrages beim Schuldner, oder durch Weitergabe am Markte zum mindesten gegen Geld ausgetauscht werden. Wobei man aber das wichtige volkswirtschaftliche Moment übersehen hat, daß die aus der mangelnden Übereinstimmung zwischen Aktiven und Passiven entspringende Gefahr auf diese Weise nicht etwa beseitigt, sondern lediglich von der einzelnen Bank auf Andere, nämlich auf die Schuldner und den Markt, und damit auf die Gesamtwirtschaft übertragen wird. Würden sich die Banken dieses Momentes und seiner Tragweite bewußt sein, so würden sie aus der Diskrepanz ihrer Aktiven und Passiven eine ganz andere Politik ableiten. Und zwar würden sie alsdann die folgenden Überlegungen anstellen: 

Tatbestand: Eine Möglichkeit, täglich fällige Depositen in einer Weise anzulegen, die es gestattet, sie jederzeit und ohne Inanspruchnahme eines Dritten zu liquidieren, gibt es nicht. Folgerung: Wir müssen unsere Anlage-Politik so einrichten, daß wir Kredite im herkömmlichen Sinne, d. h. Kredite, die zu Kapital „einfrieren“, grundsätzlich nur aus solchen Geldern gewähren, die uns auf längere Frist überlassen werden. Den kurzfristigen Geldern dürfen solche Kredite nicht mehr gegenüberstehen. Auch in „marktfähigen Werten“ wie Wechseln, erstklassigen Börsenpapieren, Reports und dgl. dürfen diese Gelder nicht oder nur zu einem so kleinen Bruchteil angelegt werden, daß sie im Falle starker Depositen-Kündigungen mit Leichtigkeit vom Markte auf gesaugt werden können. Derjenige Teil der kurzfristigen Gelder, mit dessen plötzlicher Zurückziehung vorsichtigerweise gerechnet werden muß, ist zu einem höheren Prozentsatz als bisher bar in Reserve zu halten. Der Rest hat, da auf einen Zinsertrag nicht völlig verzichtet werden kann, eine Anlage zu finden, die „self liquidating“ ist, das heißt sich in verhältnismäßig kurzer Zeit automatisch in Bargeld auflöst. Wohlgemerkt: automatisch. Die Möglichkeiten der Verkäuflichkeit, Beleihbarkeit, kurz Überwälzbarkeit auf einen irgendwie beschaffenen Markt haben als krisenfördernd völlig auszuscheiden. 

Hier sind nun die Banken am Angelpunkt der ganzen Frage angelangt. Denn wo gibt es eine Anlage, die sich in verhältnismäßig kurzer Zeit automatisch in Bargeld umwandelt, und wie sieht diese Anlage aus? Jeder Kredit, den die Bank gewährt, er möge sich Wechsel-, Lombard- oder Kontokorrent-Kredit nennen, versteinert, wie wir gesehen haben, sofort zu Kapital und löst sich nicht wieder in Geld auf. Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu liquidieren, als ihn auf andere Schultern zu überwälzen oder abzuwarten, bis die Kreditnehmer aus dem Ertrag ihres Kapitals — des eigenen und des entliehenen — Vermögen genug angesammelt haben, um den Kredit damit zu tilgen. Da die erstere Möglichkeit — die Überwälzung — ausscheidet, bleibt nur die zweite, die der Kredittilgung aus den angesammelten Gewinnen des Schuldners. Diese Kredittilgung von innen heraus entspricht auch der Forderung, daß die Anlagen der Banken sich automatisch in Bargeld auflösen sollen. Genügt diese automatische Geldwerdung aber, um die Kredite zu einem so liquiden Posten zu machen, daß die ihnen gegenüberstehenden kurzfristigen Depositen im Bedarfsfalle daraus befriedigt werden können? 

Bei der gegenwärtigen Kreditpolitik der Banken ist das nicht der Fall. Denn die Banken huldigen heute einer Kreditmaxime, die dem Prinzip des automatisch tilgbaren (self liquidating) Kredits diametral entgegengesetzt ist. Die Regel ist heute nicht, daß ein Bankschuldner, der mit Hilfe des in Anspruch genommenen Kredits einen erheblichen Gewinn über die Bankzinsen hinaus erzielt, diesen Gewinn dazu benutzt, den Kredit nach und nach abzutragen; die Regel ist vielmehr, daß er aus der Tatsache des guten Geschäftsganges die Berechtigung herleitet, einen neuen, erhöhten Kredit beanspruchen zu können. Und die Banken halten diesen Gedankengang auch für ganz richtig. Je ertragreicher ein Unternehmen wird, und je leichter es daher in der Lage wäre, ein Eigenkapital anzusammeln und auf Kredite zu verzichten, umso mehr sind die Banken geneigt, ihm immer neue und immer größere Kredite zu bewilligen. Und darin liegt der Schlüssel zu der im Grunde befremdlichen Erscheinung, daß Kredite, die in sich selbst das Moment der Tilgung tragen und die Banken fortlaufend in den Besitz eines Teils der hergegebenen Gelder setzen können, sich heute trotzdem nicht für die Anlage kurzfristiger Depositengelder eignen: Die Kredite könnten sich automatisch, von innen heraus, tilgen, sie könnten den Banken durch ihre Tilgungsquoten einen gewissen Liquiditätsgrad sichern, sie tun es aber nicht, weil der Begriff des „amortisablen Kredits“ im Bankwesen so gut wie ganz fehlt. Guter Geschäftsgang und abnehmender Kreditbedarf führen nicht zur Verminderung, sondern im Gegenteil zur Vermehrung des Kredits, weil der Unternehmer für um so kreditwürdiger gilt, je stärker seine Gewinne und sein Eigenkapital anwachsen. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit ist dieses Prinzip durchaus verständlich, und es ist vom Bankenstandpunkt aus richtig, es bei der Anlage langfristiger Gelder zu befolgen. Unter dem Gesichtspunkt der Liquidität ist das Prinzip aber so fragwürdig, daß eine Kreditgewährung, die sich auf ihm aufbaut, zur Anlage kurzfristiger Gelder absolut ungeeignet ist. 

Daraus ergibt sich aber, daß es nur der Einführung des amortisablen Kredits bedarf, um eine Art der Geldverwertung entstehen zu lassen, die sich zur Anlage desjenigen Teils der Scheck-Depositen eignet, der weder als bares Geld in Reserve gehalten, noch zum Zweck der Abwälzbarkeit in Marktwerten angelegt wird. Nachdem die letzteren beiden Aktivposten, von denen der erste einen größeren, der zweite einen erheblich kleineren Umfang anzunehmen hat als heute, die Rückzahlbarkeit eines ansehnlichen Teils der Scheck-Depositen sichergestellt haben, kann der Rest dieser Gelder in Krediten angelegt werden, die sich automatisch reduzieren, so daß die kreditgebende Bank mit Sicherheit darauf rechnen kann, fortlaufend in den Besitz baren Geldes und nötigenfalls nach verhältnismäßig kurzer Zeit in den Besitz des ganzen so ausgeliehenen Betrages zu gelangen. Der amortisable Kredit, der sich aus den auflaufenden Unternehmer-Gewinnen automatisch tilgt, entkleidet den Umstand, daß jeder Kredit Kaufkraft zu Kapital gefrieren läßt, das nicht wieder aufgetaut werden kann, seiner großen Gefahr, indem er die alte, eingefrorene Kaufkraft durch die neue Kaufkraft ersetzt, die fortlaufend im Produktionsprozeß entsteht. Heute verlassen sich die Banken darauf, daß die neu entstehende Kaufkraft an den Geldmarkt strömt und hier von ihnen jederzeit durch angemessenes Zinsgebot eingefangen werden kann, womit sie aber zweifach im Irrtum sind. Denn erstens fließt nur ein gewisser Teil der sich laufend erneuernden Kaufkraft der Bevölkerung an den Geldmarkt, und zweitens zieht sich dieser Teil in ernsten Zeiten, d. h. gerade dann, wenn die Banken ihn brauchen, schnell wieder vom Markt zurück. Der amortisable Kredit dagegen führt die Kaufkraft des mit Bankkredit arbeitenden Unternehmers auf direktem Wege dahin, wo sie hingehört, nämlich in die Bankkasse, und enthebt die Bank so der Notwendigkeit, sie an einem Markt zu suchen, der nur zu leicht in eine krisenhafte Verfassung gerät, wenn eine größere Anzahl von Banken sich zu gleicher Zeit derselben Notwendigkeit gegenübersieht. 

Nur eine ganz bestimmte, sich schnell amortisierende Gattung von Krediten eignet sich also zum Gegenposten täglich kündbarer Depositengelder. Aber nicht jedem Schuldner ist mit einem solchen Kredit gedient. Schon deshalb nicht, weil der Gewinn eines Unternehmers nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen groß genug ist, um den aufgenommenen Kredit so schnell und in so großen Teilquoten zu tilgen, wie es die Liquidität der hier angelegten Gelder erfordert. Daraus ergibt sich, daß gewisse Schuldnergruppen für diesen Kredit von vornherein ausscheiden. Im wesentlichen werden für ihn nur Schuldner in Frage kommen, die dem beanspruchten Kredit entweder ein verhältnismäßig großes Eigenkapital oder eine besonders gewinnreiche Unternehmung entgegensetzen können, weil nur ein hohes Kapital oder ein anormal großer Gewinn die Tilgungsquoten für den Kredit aufbringen können, der in diesem Falle wirklich das ist, was die Bankkredite sonst nur scheinbar sind, nämlich kurzfristig. Es wird sich hier meist nur um Interims- und Aushilfskredite solcher Wirtschaftskreise handeln, die ein einzelnes Zufallsgeschäft durchführen wollen, das ihre Kapitalkraft übersteigt, oder die die Zeitspanne überbrücken wollen, die bis zur Bezahlung eines ausnahmsweise Es mit längerem Ziel verkauften Warenpostens vergeht. kommt bei dieser Kreditgattung also weit mehr als bei den sonstigen, aus langfristigen Geldern bestrittenen Krediten darauf an, daß die Bank den speziellen Zweck kennt, für den sie ihr Geld hergeben soll. 

So können die Banken im Wege der Selbstbeschränkung auf bestimmte Gattungen echter kurzfristiger Kredite (im Gegensatz zur Pseudo-Kurzfristigkeit der meisten anderen, selbst Diskontkredite) der Krisengefahr banktaktisch entgegenwirken. Aber es ist doch recht fraglich, ob dieses eine Mittel für sich allein schon genügt, um die Illiquidität zu beseitigen, die nun einmal im Wesen der Banken selbst begründet ist und nur in dem Maße gemildert werden kann, wie die Banken sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben Beschränkungen auferlegen. Der kurzfristige und amortisable Kredit ist aus mancherlei Gründen kein Allheilmittel. Auch seine Liquidität kann in Zeiten starker wirtschaftlicher Erschütterung bis zu einem gewissen Grade zu einer Schein-Liquidität werden; denn auch sie beruht schließlich nur auf einem Zahlungsversprechen, und es können Umstände eintreten, die stärker sind als der Vorsatz der Bankschuldner, das Versprechen einzulösen. Der Fonds, aus dem die hier behandelte Kreditart, die halb Anlage, halb Reserve ist, zur Tilgung kommt, ist der Überschuß, den die Schuldner im Zeitraum zwischen Aufnahme und Fälligkeit des Kredits erzielen. Wie nun, wenn sich eine Geschäftsperiode einstellt, in der zahlreiche Gewerbetreibende und darunter ein Teil der Bankschuldner einen Überschuß nicht zu verzeichnen haben? Die Banken werden mit einer solchen Möglichkeit immerhin rechnen müssen und den Reserve-Charakter auch dieser Kredite nicht überschätzen dürfen. 

Immerhin hat uns die bisherige Untersuchung über ein wichtiges Moment aufgeklärt, das im praktischen Bankwesen unserer Tage ebenso wie in der Banktheorie viel zu wenig beachtet wird: Daß nämlich die Summe der Kredite, welche die Banken in ihrer Gesamtheit gewähren können, ohne die Gefahr einer Krisis über die Wirtschaft heraufzubeschwören, in einem ganz bestimmten Verhältnis zur Vermögensbildung der Bevölkerung innerhalb der betreffenden Kreditperiode steht. Anders ausgedrückt: Bankkredite, die in ihrer Gesamtheit größer sind als die Überschüsse, welche die Wirtschaft während ihrer Laufzeit anzusammeln vermag, beschwören die Gefahr einer Krisis herauf, wenn der überschießende Teil der Kredite aus Geldern gewährt worden ist, die den Banken nicht auf längere Frist, sondern mit dem Vorbehalt der täglichen Kündigung überlassen worden sind. 

III. Auslands-Reserven. Nutzen und Schaden der Kapital-Ausfuhr. Kombinierter Auslandskredit (Kreditnahme und Kreditgabe).

Das Wesen der Krisenbekämpfung mit banktaktischen Mitteln, besteht, wie wir gesehen haben, darin, die Bankgelder, deren Rückforderung nicht vertraglich auf längere Zeit hinausgeschoben ist, so anzulegen, daß man sie liquidieren kann, ohne die Schuldner in Ungelegenheiten zu bringen und ohne einen Markt in Anspruch zu nehmen. Von dieser liquidationsfähigen Anlage gibt es zwei Spielarten. Davon haben wir die eine im vorigen Kapitel kennen gelernt. Sie bestand aus Krediten, die in sich selbst liquide sind, weil sie sich am Fälligkeitstage — oder teilweise schon vorher — automatisch in Bargeld zurückverwandeln. Die zweite Spielart der liquidationsfähigen Anlage besteht aus kurzfristigen Krediten, die man, um kein heimisches Gebiet durch ihre Rückforderung zu beunruhigen, im Ausland vergeben hat. Mit ihr wollen wir uns nunmehr beschäftigen. 

Die Anlage von Bankgeldern im Ausland zum Zweck der Förderung einer nationalwirtschaftlich unbedenklichen Liquidität darf mit der Kapitalsanlage im Ausland, wie sie von den Banken heute tatsächlich betrieben wird, nicht verwechselt werden. Heute werden Bankgelder nach dem Auslande gelegt, sei es im Interesse des Profits, sei es falls die Banken in einem Lande mit schwankender Währung ansässig sind — im Interesse eines verlustlosen Zahlungsverkehrs mit fremden Ländern. Mit diesen beiden Arten der Geldanlage außerhalb der Landesgrenzen hat die gleichartige Anlage zu Liquiditätszwecken nichts gemein. Sie wählt ihre Anlagewerte nicht unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität, sondern unter dem der Sicherheit und unbedingten Realisierbarkeit. Denn beabsichtigt ist mit einer solchen Anlage die Schaffung eines Bestandes von Werten, der den Vorteil eines gewissen, wenn auch nicht hohen Zinsnutzens mit dem Vorteil verbindet, daß er bei eintretendem Geldbedarf sofort liquidiert werden kann; und dies nicht am heimischen Markt, sondern an einem fremden Markte, der so leistungsfähig ist, daß die Liquidationen ihn nicht allzu sehr stören, der aber zugleich in einem so losen Zusammenhange mit der vaterländischen Volkswirtschaft steht, daß selbst eine empfindliche Störung keinerlei üble Folgen für diese hat. Als Objekt der Anlage kommen daher nur in Frage erstklassige Staatspapiere, die jederzeit ohne erheblichen Kursdruck verkauft werden können (z. B. englische Konsols), Guthaben bei allerersten Banken, die jederzeit abgehoben werden können, und Privatdiskont-fähige Wechsel (Devisen), die entweder am internationalen Wechselmarkt oder bei der Zentralbank ihres Ursprungslandes rediskontiert werden können. 

Ob es sich volkswirtschaftlich rechtfertigen läßt, größere Mengen nationalen Geldes im Auslande statt im Inlande anzulegen, ist eine alte Streitfrage, die je nach der Wirtschaftsverfassung des Staatswesens, um dessen Geld es sich handelt, anders beantwortet wird. Immerhin steht soviel fest, daß ein Land, das erhebliche Mengen seiner verfügbaren Kaufkraft an fremde Länder abtritt, die Wirtschaft dieser Länder auf Kosten seiner eigenen fördert, und daß daher im konkreten Fall schon ganz bedeutende Vorteile gegen die Hingabe des Geldes eingetauscht werden müssen, um sie zu rechtfertigen. Das befürwortende Argument, daß das Geld nicht in seiner Originalform aus dem Lande fließe, sondern in der umgewandelten Form der Ware, die das eigentliche Weltgeld ist, daß also jeder vermeintliche Kapitalexport in Wirklichkeit ein Warenexport sei, ist reichlich oberflächlich. Er sieht die Dinge nicht einmal vom einseitigen Produzentenstandpunkt an, was man noch gelten lassen könnte, sondern vom noch beschränkteren Standpunkt der wenigen Produzenten aus, für die der betreffende Warenexport Aufträge und Gewinn bedeutet. Daß die Kapitalausfuhr in Wirklichkeit dem exportierenden Lande schadet, obwohl sie die äußere Form der Warenausfuhr annimmt, läßt sich unschwer erkennen, wenn man sich den Hergang vergegenwärtigt, der das dem Auslande zur Verfügung gestellte Kapital in Ware umwandelt. 

Was bedeutet es, wenn ein Land dem anderen einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung stellt? Es bedeutet, daß man dem betreffenden Lande eine Kaufkraft überläßt, die sich im Inlande betätigen würde, wenn man sie hier beließe. Man erlaubt dem Auslande, Güter in einem bestimmten Gesamtwert zu kaufen, und hindert gleichzeitig das Inland, Käufe in Höhe desselben Gesamtbetrages vorzunehmen. Das ist der Sinn des Vorgangs. Wie dieser Sinn sich verwirklicht, zeigt sich, wenn man die Technik der Geldübertragung von Land zu Land ins Auge faßt. Die Transaktion beginnt damit, daß das zahlende (Gläubiger-)Land am Weltmarkt Zahlungsmittel des empfangenden (Schuldner-)Landes aufkauft, denn in diesen Zahlungsmitteln wünscht die Wirtschaft des letzteren Landes das ihr zur Verfügung gestellte Kapital entgegenzunehmen. Infolgedessen erfährt der Weltwert des Geldes der beiden beteiligten Länder eine Veränderung, und zwar in entgegengesetzter Richtung: Das Geld des empfangenden Landes steigt im Werte, weil eine starke Nachfrage nach ihm besteht, dasjenige des zahlenden Landes sinkt im Werte, weil es am Weltmarkt im Tausch gegen das andere Geld angeboten wird. Diese Veränderung der beiden Geldwerte ist der sinnfällige Ausdruck für die Tatsache, daß Kaufkraft, die bisher dem einen, nämlich dem zahlenden Lande gehörte, jetzt dem anderen, empfangenden Lande zuwächst, und hat die Wirkung, daß die Warenpreise im ersteren Lande, in dem die Kaufkraft abnimmt, sinken, dagegen im zweiten Lande, in dem die Kaufkraft zunimmt, steigen. Daraus resultiert im zahlenden Lande, das uns hier hauptsächlich interessiert, eine verstärkte Ausfuhr und eine verminderte Einfuhr, weil die niedrigen Inlandspreise das Ausland kauflustig machen und die höheren Auslandspreise das Inland abschrecken. So entsteht eine Mehrausfuhr, und diese Mehrausfuhr ist die Substanz, mit der die Zahlung des einen Landes an das andere geleistet wird; alle Transaktionen, die diesen Kern der Sache verhüllen — Devisenkäufe, Überweisungen von Bank zu Bank, Verrechnungen in Landesgeld —, sind nur die zahlungstechnischen Mittel, die den Endeffekt, die Mehrausfuhr, vorbereiten. Das Ergebnis der Anlage von Kapital im Auslande ist also, daß eine Anzahl Exporteure einen Aufschwung ihres Auslandsgeschäfts feststellen können, der aber erst eintritt, nachdem das Inlandsgeschäft eine Stockung erfahren hat. Denn diese Stockung führt ja erst den Preisrückgang herbei, der zugleich die Folge der Kaufkraft-Verringerung im Inlande und die Voraussetzung für die Zunahme der Ausfuhr ist. Da die vorteilhafte Seite der Operation, d. h. die Mehrausfuhr, in der Regel sichtbar ist — weil sie die Form großer Auslandsbestellungen auf Spezialfabrikate annimmt —, dagegen die nachteilige Seite, das Einschrumpfen des Inlandsgeschäfts, entweder unsichtbar bleibt oder auf andere Ursachen zurückgeführt wird, so erfreut sich die Kapitalsanlage im Auslande meist der Fürsprache der Handelsvertretungen und der Bankwelt, die ohnehin auf Internationalität eingestellt sind. Dabei ist die Argumentation im konkreten Einzelfall gewöhnlich die folgende: „Das Inlandsgeschäft droht einzuschrumpfen, und die Preise drohen zu sinken; da muß die Hebung des Exports, die als Folge der Überlassung von Kapital an das Ausland zu erwarten ist, geradezu als Retter in der Not angesehen werden. Daß Inlandsgeschäft und Preise in Wirklichkeit nur deshalb einzuschrumpfen drohen, weil ein Teil der nationalen Kaufkraft an der Betätigung gehindert und für das Auslandsgeschäft reserviert wird, das kommt den Allerwenigsten zum Bewußtsein. Nichtsdestoweniger ist es Tatsache und muß als solche respektiert werden. Von rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus ist also die Kapitalausfuhr eher schädlich als nützlich. Und sie erweist sich als um so schädlicher, je mehr die Ware, die zu Zahlungszwecken nach dem Auslande geht, dort die Form von Produktionsmitteln annimmt und die Erzeugungsfähigkeit des Auslandes auf Kosten derjenigen des Inlands schwächt. 

Da sich namentlich dieser letztere Gesichtspunkt auf die Dauer nicht ignorieren läßt und viele Regierungen ihm tatsächlich Rechnung tragen, indem sie die Kapitalausfuhr erschweren, pflegen die Freunde dieser Ausfuhr gern auf einen Vorteil hinzuweisen, den die Kapitalsanlage im Ausland ihrer Meinung nach hat, nämlich auf ihren Reserve-Charakter. Dabei haben sie aber nicht etwa die Reserve im Auge, von der wir hier ausgegangen sind, d. h. die Reserve, deren sich die Bankpolitik zu dem taktischen Zweck bedient, die Liquidität des Bankwesens zu stärken und dadurch dem Ausbruch von Kreditkrisen entgegenzuwirken. Diese letztere Reserve würde voraussetzen, daß dem Auslande Gelder ausschließlich in der Form täglich fälliger Kredite überlassen werden, sodaß sie sofort zurückgezogen werden können, wenn die Zahlungsfähigkeit der Banken bedroht erscheint. Von ihr unterscheidet sich die Reserve, welche die grundsätzlichen Freunde der Kapitalausfuhr im Auge haben, ganz wesentlich. Denn unter „Kapitalausfuhr“ verstehen diese Kreise nicht die Hingabe flüssiger Gelder auf Tage oder Wochen und mit dem ausgesprochenen Zweck der Rückforderung zu jedem beliebigen Zeitpunkt, sondern die feste, dauernde Anlage inländischen Geldes in Auslandswerten, also insbesondere die Übernahme ausländischer Anleihen. Als bankmäßige Reserve kommen diese Anlagen nicht in Frage, schon aus dem naheliegenden Grunde, weil sie gar nicht das Eigentum der Banken bilden, deren Liquidität durch eine solche Reserve verstärkt werden soll, sondern das Eigentum privater Kapitalisten, die lediglich einen Rentenbezug im Auge haben. Dennoch erblicken die Freunde einer internationalen Freizügigkeit des Kapitals auch in diesen Anlagen eine Reserve, wenn auch in anderem Sinne. Sie erblicken in einem großen Bestande an Auslandsanleihen einen Vermögensfonds besonderer Art, dessen Vorzug vor den inländischen Kapitalsanlagen darin besteht, daß er einen Markt im Auslande hat und dort im Bedarfsfalle wieder zu Geld gemacht werden kann. Das auf solche Weise investierte Kapital kann zwar nicht gekündigt, nicht von heute auf morgen als prompt verfügbare Kaufkraft wieder in das Heimatland zurückgeführt werden; aber es kann an den Auslandsbörsen nach und nach zum Verkauf gebracht werden, wenn ein Teil der Besitzer wünscht, es aus irgend einem Grunde in Inlandswerten anzulegen. Und in dieser Möglichkeit erblickt man eine wertvolle Hilfe für den Fall einer nationalen Bedrängnis, die das Vaterland zwingt, auf die Kapitalkraft seiner Bürger zurückzugreifen. 

Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß die Reserve-Eigenschaft der Kapitalsanlagen im Auslande auch in diesem Sinne eine recht fragwürdige ist. Wenn Deutschland bei Ausbruch des großen Krieges damit gerechnet hat, daß das ins Ausland übertragene Kapital der deutschen Bevölkerung liquidiert werden und sich opferfreudig in den Dienst der Kriegsfinanzierung stellen werde, so hat es sich in dieser Erwartung getäuscht. Und das war eigentlich auch selbstverständlich. Niemals fühlt das Kapital sich im Auslande sicherer als in Zeiten, in denen die Heimat eine ernste politische Krisis durchmacht, und niemals hat es daher weniger Neigung zurückzukehren, als gerade dann, wenn es dringend gebraucht wird. Freiwillige Verkäufe von Auslandsanleihen haben in den Kriegsjahren nur in ganz geringfügigem Umfange stattgefunden. Trotzdem war es dem deutschen Nationalwohl nicht ganz verloren, abgesehen von den Beträgen, die das Ausland in seiner Eigenschaft als Kriegsgegner sequestriert hatte. Es konnte von der deutschen Regierung beschlagnahmt und zu der Liquidation, die es freiwillig nicht vornehmen wollte, gezwungen werden. Und insoweit dies geschah, also die Besitzer ihre Auslandskapitalien nicht versteckten oder sonstwie dem gewaltsamen Zugriff der Regierung entzogen, kann man sagen, daß das im Auslande angelegte deutsche Kapital eine Art Kriegsreserve gebildet hat. Aber selbst wenn man zugibt, daß ausgeführte Kapitalien im Notfalle durch Anwendung drakonischer Maßregeln und durch Verletzung des Eigentumsrechts in Reserven umgewandelt werden können, bleibt es noch immer eine offene Frage, ob diese Kapitalien der Heimat nicht noch weit bessere Dienste geleistet haben würden, wenn sie von vornherein hier verblieben wären und die vaterländische Produktion gestärkt hätten, statt sich in den Dienst fremder, im Kriegsfalle sogar feindlicher Interessen zu stellen. 

Die Dienste, die das ins Ausland überführte Kapital dem Ursprungslande leistet, wenn es auf lange Frist fortgegeben wird, sind also zum mindesten sehr fragwürdig. Dagegen kann dasselbe Kapital dem Ursprungslande recht beträchtliche Dienste leisten, wenn es auf kurze Frist, mit der ausdrücklichen Zweckbestimmung einer Liquiditätsreserve, fortgegeben worden ist. Denn in diesem Falle genügt schon der kleine Anstoß einer Zinserhöhung im Inlande, um das Kapital aus seiner leichten Verankerung im Auslande zu lösen und es in die Heimat zurückzuführen. Jede Illiquidität der Bankwelt, die diese zwingt, in mehr als gewöhnlichem Maße auf den Geldmarkt zurückzugreifen — ein Vorgang, den wir als „Überwälzung“ der Bankanlagen auf andere Schultern kennen gelernt haben —, hat eine Rückkehr der Reservegelder aus dem Auslande zur Folge, da sie den Zinssatz am Geldmarkt steigen läßt. Selbst wenn einzelne Banken, die sich plötzlich starken Rückforderungen ihrer Einleger ausgesetzt sehen, über keine derartige Reserve verfügen, hat doch die Zinssteigerung, die ihr Rückgriff auf den Geldmarkt hier hervorruft, die Folge, daß andere Banken, die ihrerseits Auslandsreserven besitzen, einen Teil derselben zurückziehen und dem Geldmarkt zur Verfügung stellen. Die kritische Verfassung, in die der Geldbedarf eines Teils der Bankwelt die Wirtschaft zu stürzen droht, wird also durch das Vorhandensein von Auslandsreserven in Form kurzfristig nach dem Auslande ausgeliehener Gelder zum mindesten erheblich gemildert. Allerdings auf Kosten der gesunden Geldmarktverfassung im Auslande. Denn das plötzliche Zurückziehen von Leihgeldern hat an dem Markte, der ihnen unmittelbar ausgesetzt ist, dieselben üblen Folgen, welche die Depositenkündigung und die dadurch hervorgerufene Verlegenheit der Banken am Inlandsmarkte hat. Immerhin verteilt sich jetzt die Wirkung der mangelhaften Banken-Liquidität über mehrere Märkte, statt einen einzigen zu belasten; eine breite Front hält dem Angreifer immer besser stand als eine schmale. 

Wir sehen somit, daß die Kreditgewährung an das Ausland unter einer bestimmten Voraussetzung von Vorteil für das Land ist, das den Kredit gewährt. Die Voraussetzung ist, daß der Kredit sich in eine Form kleidet, die seine unbedingte, sofortige Aufhebung jederzeit gewährleistet; daß er täglich kündbar ist, und nicht etwa langfristig. Der täglichen Kündbarkeit gleichwertig ist eine Befristung, die durch die markttechnischen oder bankpolitischen Verhältnisse des Schuldnerlandes unverzüglich aufgehoben werden kann und dadurch dem Gläubigerland erlaubt, den ausgeliehenen Betrag im Bedarfsfalle wieder an sich zu ziehen. Es ist also unter dem Gesichtspunkt der Liquidität durchaus statthaft, ausländische Dreimonatswechsel anzukaufen, wenn im Auslande ein Markt, eine Zentralbank oder eine sonstige Einrichtung vorhanden ist, die jederzeit bereit und imstande ist, den Wechsel zu rediskontieren; oder „goldgeränderte“ Staatspapiere zu erwerben, wenn eine starke Börse im Auslande existiert, die selbst ein starkes Angebot sofort und ohne allzu großen Kursdruck aufzunehmen vermag. Immer aber unter der Voraussetzung, daß die Institute, die sich diese Banktaktik der Liquiditätssicherung durch Kreditgewährung an das Ausland zu eigen machen, sich der Möglichkeit bewußt sind, daß bei eintretender politischer oder wirtschaftlicher Krisis die Diskonttätigkeit der Zentralbanken eingeschränkt, die Aufnahmefähigkeit der Börsen bestimmten Werten gegenüber behindert werden kann; daß somit die Reservehaltung im Auslande, die als Versicherung gegen Krisengefahr gedacht ist, ihrerseits wieder einer gewissen Rückversicherung gegen die Eventualitäten bedarf, die den Versicherungszweck illusorisch machen können. 

Gibt es eine derartige Rückversicherung? Und ferner: Gibt es ein Mittel, um dem Übelstande abzuhelfen, daß jeder Kredit an das Ausland, auch der kurzfristigste, eine Förderung der ausländischen und eine Schwächung der vaterländischen Wirtschaft in sich schließt? Jawohl, es gibt eine solche Rückversicherung, und es gibt auch ein Antitoxin, das die Hingabe inländischen Kapitals an das Ausland entgiftet. Ja, mehr als das: Rückversicherung und Gegengift sind identisch; ein und dasselbe Verfahren sichert gleichzeitig die heimische Wirtschaft gegen jede Schädigung durch die Banktaktik der Auslandsreserve, und sichert diese Reserve gegen die Gefahr ihres Versagens im kritischen Augenblick. Das Verfahren besteht darin, daß die Banken, die einen Betrag kurzfristig an das Ausland ausleihen, ungefähr denselben Betrag langfristig aus dem Ausland zurückleihen. Geschieht das, so ist der Zweck der Kapitalausfuhr, nämlich eine Reserve zu schaffen, die ohne Störung des heimischen Marktes liquidiert werden kann, erfüllt, ohne daß heimisches Kapital ausgeführt zu werden braucht. Denn was mit der einen Hand fortgegeben wird, das wird ja gleichzeitig mit der anderen Hand zurückgenommen. Und da das Ausland in etwa gleichem Maße Gläubiger und Schuldner des Inlandes ist, kann es keine inlandsfeindliche Maßnahme gegen das kurzfristig in Anspruch genommene Kapital richten, ohne sich der Gefahr auszusetzen, daß das langfristig hergeliehene Kapital von Repressalien betroffen wird. Nur bei einer solchen Verbindung des kurzen Aktivkredits mit dem langen Passivkredit ist der Zweck der ausländischen Krisenreserve ohne Schaden für die nationale Wirtschaft erfüllt. 

Eine ideale Lösung des Reserve-Problems ist aber auch in einer solchen „Auslandsreserve mit Rückversicherung“ noch nicht zu erblicken. Nicht etwa deswegen, weil der langfristige Kredit, den man in Anspruch nimmt, der Regel nach erheblich teurer ist als der kurzfristige, den man gewährt, das kombinierte Verfahren also den Banken, die es anwenden, Zinsopfer auferlegt; jede Maßnahme gegen die Krisengefahr verursacht Kosten, und jede Bank muß solche Kosten als eine mit dem Bankbetriebe notwendig verbundene Last auf sich nehmen. Es spricht auch nicht gegen das Prinzip, daß es seiner Anwendung bis zu einem gewissen Grade selbst im Wege steht, weil seine Adoptierung durch die maßgebenden Banken aller Länder zur Folge hätte, daß jede Bank kurzfristige Kredite geben und langfristige Kredite nehmen, aber nicht umgekehrt verfahren will; die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Länder und die Differenzierung des Zinses für lange und kurze Gelder würden die Anwendung des Prinzips ganz von selbst auf solche Länder beschränken, denen keine besseren Sicherungsmöglichkeiten zu Gebote stehen. Das einzige wirklich ernste Bedenken gegen die Kombination von kurzem Aktiv- und langem Passiv-Kredit ist vielmehr in der Möglichkeit zu erblicken, daß der Verfalltermin der Passiv-Kredite in eine Zeit fällt, die den Banken die Abdeckung schwierig macht. Die Schwierigkeit kann in Ländern, die keine stabile Währung haben, mit Valuta Schwankungen, in anderen Ländern mit der allgemeinen Verfassung des Geldmarktes zusammenhängen. Freilich läßt sie sich im ersteren Falle mit den Mitteln einer geschickten Bankpolitik mildern, und im letzteren Falle ist sie kaum größer, als sie es sein würde, wenn der Kredit im Inlande statt im Ausland aufgenommen wäre. Immerhin beeinträchtigt dieses Moment den Wert eines Verfahrens, das als Krisen-Abwehr gedacht ist, nicht unerheblich, und es empfiehlt sich daher, das Verfahren nicht in übergroßem Maßstabe und nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit den anderen Abwehrmitteln anzuwenden, die der Banktaktik zu Gebote stehen.

IV. Liquiditäts-Sicherung auf organisatorischem Wege. Abwehr von Scheck-Depositen. Geldmarkt und Zentralbank. Die Notenbanken und die verzinslichen Depositen.

Der zweite der Wege, auf denen sich die natürliche Illiquidität des Bankwesens ihrer Gefahr für das Wirtschaftsleben entkleiden läßt, ist der organisatorische. Er besteht, wie schon sein Name sagt, darin, daß eine Organisation da ist, die es den Banken ermöglicht, bei starkem Abzug ihrer Einlagen auf eine Quelle zurückzugreifen, aus der sie die erforderlichen Gelder schöpfen können, ohne daß die Geldentnahme Störungen auf den übrigen Wirtschaftsgebieten hervorruft. Das klingt so einfach und ist doch in Wirklichkeit ein außerordentlich schwieriges Problem, dessen Lösung im ersten Moment fast eine Unmöglichkeit zu sein scheint. Denn wenn wir uns vergegenwärtigen, daß jede Zurückziehung von Bankeinlagen auf eine Nachfrage nach Geld hinausläuft, d. h. nach Kaufkraft, die noch nicht verwertet worden ist, sondern ihrem Inhaber das unbeschränkte Recht der beliebigen Verwendung gewährleistet; und wenn wir uns ferner vergegenwärtigen, daß der Sinn des modernen Kreditverkehrs und somit der Sinn des Kreditbankwesens gerade darin liegt, möglichst wenig Kaufkraft unverwertet ruhen zu lassen, vielmehr jedes Partikel neu entstandener Kaufkraft möglichst schnell von einer Stelle, wo es nicht ausgenutzt wird, nach einer Stelle zu befördern, wo es das in ihm verkörperte Recht zum Güterbezuge ausübt: dann erscheint es uns fast undenkbar, daß sich an irgend einer Stelle der Wirtschaft so große Mengen ungenutzter, d. h. müßig gehender Kaufkraft finden lassen sollten, wie in dem Moment erforderlich werden würden, wo die Gesamtheit der Besitzer von Scheck-Guthaben — oder auch nur der größere Teil von ihnen — mit einem entsprechenden Verlangen an die Banken herantreten würde. Keine Organisation der Welt scheint uns imstande zu sein, den im Bankwesen selbst wurzelnden Widerspruch zwischen der täglichen Kündbarkeit der Scheck-Depositen und der Tatsache, daß diese Depositen zum größten Teil eine Umwandlung in Kapital erfahren, so zu überbrücken, daß eine restlose Befriedigung der Deponenten möglich wird. 

Und doch muß der Widerspruch sich überbrücken lassen. Denn die Erfahrung zeigt, daß bis zu einem gewissen Grade schon die heute bestehende Organisation mit allen ihren Mängeln dazu imstande ist. Die Organisation, die sich „Geldmarkt“ nennt, funktioniert zwar nicht reibungslos, nicht im Wege des harmonischen Ausgleichs, sondern stockend und stoßend in einer Weise, die zu Zeiten fast wie ein Kampf aller gegen alle aussieht, und bei dem die schwächeren Elemente zu Boden geschlagen werden. Trotzdem hat selbst diese mangelhafte Organisation es zuwege gebracht, daß die Zahlungsfähigkeit aller mit Beobachtung der kaufmännischen Sorgfalt geleiteten Banken Jahrzehnte hindurch hinreichend gesichert gewesen ist. Und wenn die Sicherung auch nur dadurch herbeigeführt wurde, daß die an die Banken herantretenden Ansprüche auf die übrige Geschäftswelt abgewälzt wurden, diese in Bedrängnis brachten und von Zeit zu Zeit ernste Wirtschaftskrisen auslösten, so hat es sich doch gezeigt, daß in solchen Ländern, wo man sich der Organisation mit hinreichender Geschicklichkeit zu bedienen verstand, Katastrophen vermieden werden konnten. In England ist seit dem Jahre 1866 keine akute Wirtschaftskrisis mehr ausgebrochen, deren Ursprung auf die Illiquidität des Bankwesens zurückzuführen gewesen wäre. Seit bald sechzig Jahren also wird hier der Geldmarkt in Gemeinschaft mit der ihn ergänzenden Einrichtung der Zentralbank seiner Aufgabe des Bankenschutzes in einer Weise gerecht, die trotz aller ihrer Unvollkommenheiten die Wirtschaft niemals bis an den Rand des Zusammenbruches getrieben hat, wie es in fast allen anderen Ländern periodisch der Fall war. Im Jahre 1880, dem Jahre der sogenannten Baring-Krisis, in dem die unvorsichtige Kreditpolitik eines großen Bankhauses eine Panik unter den Gläubigern aller englischen Banken auszulösen drohte, hat sich die Organisation als stark genug erwiesen, um die Bankenliquidität zu sichern, ohne daß es zu einem Einbruch in die Kaufkraft der Gewerbe und zu einem Versagen der Wirtschaft gekommen wäre. Und von 1866 bis zum Ausbruch des großen Krieges hat in England niemals das Radikalmittel angewendet zu werden brauchen, zu dem alle anderen Länder von Zeit zu Zeit greifen mußten, weil eine Katastrophe auf andere Weise nicht mehr zu verhindern war: Die Ausgabe ungedeckter Noten über das währungspolitisch statthafte Maß hinaus. 

Daß die englische Wirtschaft von den Folgen der natürlichen Illiquidität des Bankgewerbes weniger betroffen wird als die Wirtschaft anderer Länder, obwohl das Kreditprinzip gerade in England auf die Spitze getrieben ist, das beruht zum Teil auf einem Umstande, der mit der Organisation des Kreditausgleichs nichts zu tun hat. Die kurzfristigen Bankeinlagen sind nämlich in England weniger beweglich als anderswo. Die Einlagen können sich selbst in fieberhaft erregten Zeiten nicht so leicht und nicht in solchem Umfange zurückziehen, wie es angesichts der täglichen Fälligkeit der Scheck-Depositen an sich möglich wäre. Man bringt diese Schwerbeweglichkeit der englischen Scheckgelder gern in Zusammenhang mit den englischen Zahlungssitten. Bekanntlich vollzieht sich der Zahlungsverkehr in England mehr als in anderen Ländern auf dem sogenannten unbaren Wege. Man zahlt Beträge, die über wenige Shillinge hinausgehen, der Regel nach nicht in barem Gelde, sondern in Schecks auf die Bank. Das heißt, man zahlt in der Weise, daß man das Eigentum an einem bei der Bank deponierten jederzeit fälligen Guthaben auf den Zahlungsempfänger überträgt, der dadurch seinerseits Eigentümer jenes Guthabens wird und nun seine eigenen Zahlungen wiederum durch Übertragung (Zession) des Guthabens an dritte Personen leisten kann. Auf diese Weise scheinen sich die Scheck-Einlagen der englischen Bankgläubiger in eine besondere Art von „Geld“ zu verwandeln, was vielfach zu der Annahme geführt hat, sie seien wirklich Geld. Diese Annahme ist nun freilich falsch, wie wir bei anderer Gelegenheit gesehen haben. Wer ein Bankguthaben durch Scheck oder Giroüberweisung auf einen anderen überträgt, der überträgt deponiertes Geld, das er der Einfachheit halber nicht selbst von der Bank abhebt, sondern dessen Abhebung er jenem Andern überläßt. Aber die Wirkung ist, daß überall da, wo der unbare Zahlungsverkehr zur Volkssitte geworden ist, eine gewisse, recht erhebliche Summe von Scheck-Depositen nicht zur Abhebung gelangen kann, obwohl sie täglich rückforderbar ist. Denn in dem Moment, wo ein Einleger sein ganzes Scheckguthaben von der Bank abheben wollte, würde er nicht mehr auf die gewohnte Weise, nämlich mittels Bankschecks, zahlen können, und jeder englische Kaufmann, ja selbst jeder „bessere“ Privatmann, würde eher auf den Gebrauch einer Haarbürste oder eines Taschentuchs verzichten, als auf den des Bankschecks. Daher sind große Depositenbeträge dauernd bei den Banken gebunden, und diese können mit Bestimmtheit damit rechnen, daß die Beträge selbst in kritischen Zeiten nicht zur Abhebung gelangen werden. 

Die eigentliche Ursache, warum die englischen Banken es bei ihrer Liquiditätspolitik leichter haben als ihre Kolleginnen in allen übrigen Ländern, ist aber dennoch eine andere, wenn sie auch mit der Unbeweglichkeit eines Teils der Scheck-Depositen eng zusammenhängt. An und für sich würde diese Unbeweglichkeit den Banken nicht viel nützen, wenn sie im übrigen dieselbe Depositenpolitik treiben würden, wie es die Banken anderer Länder tun. Überall nämlich, mit Ausnahme von England, geht das Bestreben der Banken dahin, so große Depositenmengen wie möglich an sich zu ziehen, davon einen Teil auf lange Frist und den Rest auf tägliche Kündigung: Langfristige Depositen sind ihnen zwar lieber als kurzfristige, und sie sind daher bereit, einen verhältnismäßig hohen Zinssatz für die ersteren zu vergüten; aber wenn die Einleger sich auf eine lange Bindung nicht einlassen wollen, nehmen die Banken die Gelder auch in der Form täglich rückforderbarer Einlagen nicht nur gern entgegen, sondern sie vergüten auch für diese Gelder einen Zins, der zwar nicht so hoch wie für die befristeten Gelder, aber doch immer noch geeignet ist, einen Anreiz auf die Einleger auszuüben. Würden die englischen Banken diese Politik gleichfalls befolgen, so würde ihnen die Unbeweglichkeit desjenigen Teils der Scheck-Einlagen, dessen die Einleger sich zu Zahlungszwecken bedienen, und der daher die eigentlichen „Kassen-Reserven“ der Wirtschaft ausmacht, nicht allzu viel nutzen. Gesetzt den Fall, sie würden durch hohe Zinsgebote soviel Scheck-Depositen an sich ziehen, daß die erwähnten Kassen-Reserven nur etwa ein Zehntel des Gesamtbetrages ausmachen, so würden sie der Gefahr ausgesetzt sein, daß ihnen volle neun Zehntel ihrer unbefristeten Gelder entzogen werden könnten; und das ist in der Tat die Sachlage in den außerenglischen Ländern, wo sich große Beträge, die nicht die Eigenschaft einer Kassen-Reserve, sondern die einer vorübergehenden Kapitalsanlage haben, auf den Scheckkonten der Banken sammeln. In England haben die Banken eine solche Ansammlung dadurch vermieden, daß sie für Scheck-Einlagen entweder gar keine Zinsen oder nur einen ganz minimalen Zins — selten mehr als zwei Prozent — gewähren. Durch diese Zinspolitik, die eher abschreckend als anlockend auf die Einleger wirkt, geben sie, ohne es ausdrücklich zu sagen, dennoch deutlich genug zu verstehen, daß sie auf Scheck-Konto möglichst nur Kassen-Reserven, also solche Gelder, die durch die englische Zahlungssitte hinreichend fest an die Bank gebunden sind, zu erhalten wünschen. Und durch diese Praxis ist es ihnen gelungen, ihre Zahlungsbereitschaft in hohem Grade zu sichern. Es können ihnen niemals so bedeutende Scheck-Depositen entzogen werden wie den Banken auf dem europäischen Kontinent, weil sie verhältnismäßig weniger Scheck-Depositen haben als diese, und weil von den ohnehin geringfügigen Depositen ein relativ großer Teil durch die Zahlungssitte des Landes gebunden ist. Die Folge ist zwar, daß die englischen Banken über einen Gesamt-Depositenbestand verfügen, der, gemessen am Umfang ihres Geschäfts, kleiner ist als derjenige in manchen anderen Ländern, und bei weitem kleiner, als er sein würde, wenn sie mit einem breiteren Zins-Netz fischen würden; aber die Krisengefahr wird dadurch soweit verringert, daß sie durch eine geeignete Organisation so gut wie ganz beseitigt werden kann. 

Wir wissen bereits, wie die Organisation, mit der die Banken sich je nach Bedürfnis liquide zu machen versuchen, weil sie ihrer ganzen Wesensart nach nicht liquide sind, beschaffen ist: Sie besteht aus einem besonders gearteten Markt, demgegenüber sich die Banken und die ihnen verwandten Institute genau so verhalten, wie die Wirtschaft es ihnen selbst gegenüber tut; sie überlassen dem Markt die Gelder. die sie vor der Immobilisierung schützen wollen, auf Tage, Wochen und Monate und ziehen sie bei Bedarf wieder aus dem Markt zurück. Der Vorteil dieses „Geldmarktes ist, daß sich an ihm die Gesamtheit aller liquide zu erhaltenden Gelder des Landes sammelt, so daß er ein breites Becken bildet, dessen Niveau durch Zufluß und Abfluß nicht allzu jäh verändert wird. Sein Nachteil ist, daß die sich um ihn herum gruppierenden Kreise sich auf die Unerschöpflichkeit des Beckens verlassen und die ihm entnommenen Gelder nicht flüssig erhalten, sondern sie direkt oder indirekt der Produktiv-Wirtschaft zuführen, was zur Folge hat, daß die vor der Immobilisierung zu schützenden Gelder dennoch, nur an anderer Stelle und durch andere Organe, immobilisiert werden. Die auf tägliche oder mehrwöchentliche Kündigung hergegebenen Gelder sickern auf dem Wege über die Börsenspekulation, die durch ihre scheinbar nutzlose Tätigkeit die laufende Unterbringung und so auch die laufende Ausgabe von Industrie-Aktien ermöglicht, in die Wirtschaft ab, und ebendahin fließen auf erheblich kürzerem Wege die Gelder, die Anlage in marktfähigen Wechseln suchen. Was Reserve bleiben sollte, gefriert auch hier zu Kapital. Niemals hält daher der Geldmarkt in Tagen der Bedrängnis, was er verspricht: die glatte, reibungslose, störungsfreie Rückgabe der ihm anvertrauten Gelder. Häufen sich die Rückforderungen und versiegt der gewohnte Zufluß von neuentstandener Kaufkraft, so leert sich das Becken mit erschreckender Schnelle. Es zeigt sich dann, daß die zu Kapital gewordenen Gelder mit der Brechzange rigoroser Kreditkündigungen aus der Wirtschaft herausgebrochen werden müssen.

Diese Wirkungen lassen sich aber mildern, wenn die Organisation durch eine Reihe von Hilfsorganisationen zweckmäßig ergänzt wird. So bedeutet es eine ganz erhebliche Verbesserung der Geldmarkt-Funktionen, wenn Institute mit ihm in enger Verbindung stehen, die ihrerseits Fühlung mit anderen Ländern unterhalten. Durch die Begebung oder Lombardierung von Wechseln im Ausland, durch den Verkauf von Börsenwerten nach fremden Plätzen, an denen rechtzeitig ein Markt für sie geschaffen worden ist, durch gemeinsame Geschäfte mit Auslandsbanken, die im Notfall mit ihrem Gelde oder mit ihrem Akzept einspringen, kann der Wasserspiegel im Geldmarktbecken ansehnlich gehoben werden. Es handelt sich hier im Grunde um dasselbe Hilfsmittel, dessen sich auch die einzelnen Banken bedienen, wenn sie Auslandsverbindungen anknüpfen, um sich zusätzliche Reserven zu sichern, also um ein Mittel der Banktaktil. Nur daß hier ein engerer Zusammenschluß von Markt zu Markt, ein gewohnheitsmäßiges finanzielles Zusammengehen mehrerer großer Geldzentren, stattfindet. Ein solches Zusammengehen braucht durchaus nicht die Grundlage einer politischen Freundschaft zu haben. Ein bekanntes Beispiel ist die enge Verflechtung, die vor dem Kriege zwischen dem Berliner Wechselmarkt und der Pariser Großbankwelt bestand, die bei lohnendem Zinsgebot stets bereit war, deutsche Wechsel mit einwandfreien Unterschriften zu beleihen („in Pension zu nehmen“). Ähnliche internationale Beziehungen bestehen — oder bestanden vor dem Kriege — vielfach bei dem Abschluß großer börsenmäßiger Syndikatsgeschäfte, bei denen jeder der beteiligten Märkte (z. B. Berlin, Wien, Amsterdam, Zürich; oder auch: London, Paris, New York) für jeden der anderen Märkte die Eigenschaft einer Krisenreserve hat, weil der Gegenstand der Geschäfte, meist Staatspapiere, notfalls von einem Markt auf den anderen geworfen werden kann. Freilich steht dem Vorteil einer solchen internationalen Verflechtung der Märkte der Nachteil gegenüber, daß jeder Markt von den anderen auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn es ihm sehr ungelegen kommt; bei internationalen Effektengeschäften bürgert sich infolgedessen mehr und mehr die Sitte ein, daß die Märkte die Möglichkeit ihrer Belastung mit den Wertpapieren der fremden Syndikatsmitglieder einschränken, indem sie nur einen Teil der gemeinsam übernommenen Effektengattung zum Handel an ihrer eigenen Börse zulassen. Immerhin überwiegt bei weitem der Vorteil, daß durch eine gewisse Finanzgemeinschaft der Märkte ein System kommunizierender Röhren zwischen ihnen geschaffen wird, das wie eine verstärkte Liquiditätssicherung wirkt und die Gefahr einer lokalen Kreditkrisis abschwächt.

Der Londoner Geldmarkt hat sich zu dem widerstandsfähigsten aller Märkte dadurch gemacht, daß er sich wie kein anderer zur Internationalität des Geldverkehrs bekennt. Er ist kaum noch als lokaler Markt anzusehen, sondern als Weltmarkt. Er ist so organisiert, daß die Reserven des halben Erdballs bei ihm konzentriert sind, und daß er mit den übrigen großen Märkten in engster Finanzgemeinschaft steht. Wenn das auch weniger das Resultat eines wohl überlegten Planes ist, als die natürliche Folge der dominierenden Stellung Englands im Weltverkehr und der Anziehungskraft, welche die englische Währung anderthalb Jahrhunderte lang auf die Barreserven aller Länder ausgeübt hat, so ist es doch ein Faktor, mit dem das englische Bankwesen rechnen darf, und der manche Sicherung, die in anderen Ländern nötig ist, hier überflüssig macht. Es könnte zwar scheinen, als ob die Eigenschaft des Londoner Geldmarktes als Weltzentrum ihn in besonders hohem Grade der Gefahr eines plötzlichen Geldabzuges aussetze, gegen die er denn auch entsprechend stark gerüstet sein müßte. Aber das ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Die Breite und Internationalität des Marktes hat zur Folge, daß der Regulator „Zins“, der die Gelder nach Bedarf anzieht und abstößt, in London unvergleichlich besser funktioniert als irgendwo sonst. Im engen Bezirk eines einzelnen Landes kann die Anziehungskraft des Zinses leicht versagen, und sie wird hier meist gerade dann versagen, wenn alles auf sie ankommt: in einer Zeit geschäftlichen Niederganges und finanziellen Mißtrauens. An einem Markte dagegen, der in engster Verbindung mit allen Geldzentren der Welt steht, wird der Zins fast immer seine Schuldigkeit tun. Zieht das eine oder das andere Land, von lokaler Kreditnot getrieben, seine Guthaben ungeachtet verlockend hoher Zinsgebote ab, so stehen dem zahlreiche andere Länder gegenüber, die der Lockung des Zinses folgend ihre Guthaben vermehren. Der internationale Ausgleich wirkt also, wenn er durch die Zinspolitik wirksam unterstützt wird, durchaus als ein Moment der Sicherung gegen die Gefahr der Kreditkrisis. 

Daher kommt es daß England bis zu einem gewissen Grade auf eine wichtige Hilfsorganisation verzichten kann, die sich in allen anderen europäischen Ländern als notwendig erwiesen hat, nämlich auf die Zentralreserve einer Notenbank. Zwar besitzt auch Großbritannien eine solche Bank in Gestalt der Bank von England. Der Londoner Geldmarkt ist also wie jeder andere Geldmarkt in der Lage, im Falle vorübergehender Bedrängnis an die Hilfsbereitschaft eines außenstehenden Organs zu appellieren. Aber wenn man die Tätigkeit der Bank von England Jahrzehnte zurück verfolgt, so zeigt es sich, daß ihre Hilfsbereitschaft in einem ungleich geringeren Maße in Anspruch genommen worden ist als die irgend einer anderen europäischen Zentralnotenbank. Von der Zeit des Weltkrieges muß, obwohl auch sie zu keiner wesentlichen Belastung der Bank geführt hat, abgesehen werden, weil die Funktion der Bank als Krisenreserve durch eine andere Hilfsorganisation — Ausgabe von Staatsnoten — abgelöst worden ist. Die Ansprüche, die der Markt an die Bank gestellt hat, sind selbst in schwierigen Zeiten sowohl absolut wie relativ derartig geringfügig gewesen, daß man sagen darf, der Markt würde auch auf diese geringe Hilfe haben verzichten können, wenn er von den anderen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln — Kreditkündigung, Heranziehung von Auslandsgeldern durch stärkere Zinserhöhung, Verkauf der als Reserve gehaltenen Konsols-Bestände usw. — einen energischeren Gebrauch gemacht haben würde. Allerdings würde die rücksichtslose Anwendung dieser Mittel die englische und zum Teil auch die außerenglische Wirtschaft in die schwierige Lage gebracht haben, die unvermeidlich ist, sobald die Banken ihre Liquidität im Wege der Selbsthilfe sichern, d. h. durch Abwälzung der an sie herantretenden Ansprüche auf ihre Schuldner und auf die Börse. Die Hilfe der Bank von England war also, obwohl die Banken sie nicht unbedingt gebraucht hatten, dennoch wertvoll, weil sie die wirtschaftlichen Störungen verhindert oder gemildert- hat, die ohne diese Hilfe hätten eintreten müssen. Und die Hilfe war unbedenklich, weil sie gewährt werden konnte, ohne daß die Bank von England zur Ausgabe ungedeckter Banknoten zu schreiten brauchte. Während der letzten zwanzig Jahre vor dem Weltkriege hat die Bank allen Ansprüchen genügen können, indem sie Noten hergab, die voll durch Gold gedeckt waren. Sie hat die Hilfe also nicht in ihrer Eigenschaft als Notenbank gebracht, der es währungsgesetzlich gestattet war, zusätzliches Geld zu emittieren, sondern in ihrer Eigenschaft als Bewahrerin der größten Metallreserve. Ihre Funktion bestand mit anderen Worten darin, daß sie in normalen Zeiten die im englischen Gelde verkörperte Kaufkraft zu einem gewissen Teil aufspeicherte und an der Umwandlung in Kapital hinderte, um sie der Wirtschaft in kritischen Zeiten originaliter wieder zur Verfügung zu stellen. Die Bank von England stellte also in der englischen Bankenorganisation das Gegengewicht zur Privatbankwelt dar, gewissermaßen den Hemmschuh, der für gewöhnlich verhinderte, daß jene die Kaufkraft im Übermaß immobilisierte, und der immer gelockert wurde, wenn die Wirtschaft von den Banken mehr Kaufkraft zurückverlangte, als dieser aus eigenen Mitteln zurückzugeben vermochte. Der Wert dieser Organisation bestand darin, daß die Zahlungsfähigkeit der Banken, die, wie wir gesehen haben, infolge einer vorsichtigen Depositenpolitik ohnehin größer war als anderswo, noch durch eine Bankreserve an zentraler Stelle verstärkt wurde. 

Auch in den anderen Ländern wird die Zahlungsfähigkeit der Banken durch eine Zentralbank verstärkt, die im Bedarfsfalle Kaufkraft zur Verfügung stellt. Aber hier ist die Organisation, trotz aller äußerlichen Ähnlichkeit, ganz anders beschaffen. Zwar besteht die Kaufkraft, die das Zentralinstitut hergibt, ebenfalls aus Banknoten. Aber diese Banknoten sind nicht voll mit Gold gedeckt, stellen also nicht zur rechten Zeit in Reserve gestellte, flüssig erhaltene Kaufkraft dar, sondern sind zusätzliches Geld, das auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung, des sog. Notenprivilegs, gegen „bankmäßige Deckung“, d. h. kaufmännische Wechsel, ausgegeben werden darf. Wir haben die Folgen, die eine solche künstliche Vermehrung der Kaufkraft über ihr natürliches Maß hinaus hat, bei früheren Gelegenheiten kennen gelernt. Die Gefahr, von der das Wirtschaftsleben auf diese bedenkliche Weise befreit wird, springt in anderer Gestalt, nämlich als Währungsverschlechterung, auf die Wirtschaft zurück. Sind die Kreditstörungen, die es zu bekämpfen gilt, verhältnismäßig leicht, und lassen sie sich infolgedessen mit Hilfe der künstlichen Kaufkraft-Vermehrung in so kurzer Zeit beseitigen, daß die Kreditkrisis überwunden ist und die Zentralnotenbank das ausgegebene Hilfsgeld wieder einziehen kann, noch ehe die Währung empfindlich in Mitleidenschaft gezogen worden ist, so stiftet die Mitwirkung der Notenbank mehr Nutzen als Schaden und kann daher als statthaft, ja sogar erwünscht angesehen werden. Sie läßt sich unter Umständen sogar geldtheoretisch rechtfertigen. Bei tiefergehenden und langandauernden Krisen ist das Verhältnis jedoch umgekehrt, der Schaden größer als der Nutzen. Die zusätzlich ausgegebenen Banknoten, die als Kaufkraft auf den Gütermarkt eindringen, wirken hier preissteigernd, die Preissteigerung führt, je mehr sie sich akzentuiert, um so mehr zur Inanspruchnahme der den Banken überlassenen Gelder und zur Zunahme der Kreditforderungen, und der Effekt ist schließlich, daß sich die Kreditkrisis in dem Maße verschärft, wie die Notenbank sie mit ihrem zusätzlichen Gelde zu mildern sucht. Das organisatorische Hilfsmittel der Notenausgabe läßt sich also nur in leichteren Fällen und in kleinen Dosen anwenden. Gerade bei den scharfen Krisen versagt es seinen Dienst. 

Und doch kann eine starke, angesehene Zentralbank sich dem Geldmarkt und den Privatbanken außerordentlich hilfreich erweisen, wenn sie der Krisis mehr in ihrer Eigenschaft als größtes und vertrauenswürdigstes Kreditinstitut, als in der einer Notenbank entgegenwirkt. Wie ihre Hilfe beschaffen sein muß, um ihren Zweck zu erfüllen, das ergibt sich aus der Eigenart der Kreditkrisen. Sie haben die Eigentümlichkeit, ganz harmlos zu beginnen, meist in der Weise, daß eine zufällige Häufung der Kündigung von Scheck-Depositen ein paar Banken zwingt, auf den Geldmarkt zurückzugreifen, um sich die erforderlichen Gelder zu beschaffen. Die kleine Zinssteigerung, die dadurch am Geldmarkt entsteht, genügt, wenn der Geldmarkt nicht allzu schlecht organisiert ist, meist schon, um aus dem Inland und Ausland frische Kaufkraft heranzuziehen und die Banken zahlungsfähig zu erhalten. Bis hierher handelt es sich keineswegs um eine Krisis, sondern nur um eine jener kleinen Verschärfungen des Mißverhältnisses zwischen dem Anspruch der Bankgläubiger auf Geld und dem Umfange, in dem die Banken dieses Geld in „Kapital“ umgewandelt haben, wie sie periodisch aufzutreten pflegen und leicht überwunden werden können. 

Zur Krisis wird der Vorgang erst dann, wenn irgend ein äußerer Umstand (politische Befürchtungen, Gerüchte von der Insolvenz dieser oder jener Bank und ähnliches) eine Panikstimmung herbeiführt und die Bankgläubiger zur Massenkündigung ihrer Depositen veranlaßt, weil sie diese bei den Banken nicht mehr sicher glauben. Dann erst kommt es zu dem pathologischen Zustand der Wirtschaft, der darin besteht, daß unzähligen Einlegern die den Banken anvertraute Kaufkraft als solche zurückerstattet werden muß, obwohl sie zum größeren Teil nicht mehr vorhanden, sondern in feste Anlagen umgewandelt worden ist. Mit allen denkbaren Hilfsmitteln der Banktechnik und der Organisation läßt sich das Unmögliche nicht möglich machen, die zur Anlage gewordene ehemalige Kaufkraft nicht in ihre Ursprungsform zurückverwandeln. In diesem Stadium, das den Beginn der Krisis bildet, gibt es nur ein einziges Rettungsmittel: Die Einleger müssen veranlaßt werden, von ihrer Forderung, deren Erfüllung so unmöglich ist wie die Quadratur des Kreises, abzusehen. Sie müssen sich damit einverstanden erklären, daß ihre Kaufkraft, die nun einmal gegen ihren Willen immobilisiert ist, auch immobilisiert bleibt. Auf das Gewaltmittel, das dem Staate zu Gebote steht, um einen solchen Verzicht der Bankgläubiger zu erzwingen („Moratorium“), wird noch zurückzukommen sein. An dieser Stelle, wo es sich nicht um behördliche, sondern um organisatorische Mittel der Krisenbekämpfung handelt, erhebt sich die Frage, ob es Mittel und Wege gibt, um die Bankgläubiger zu veranlassen, daß sie auf ihr Recht der Depositenkündigung freiwillig verzichten. Und hier lautet die Antwort: Ja, es gibt solche Mittel, und das brauchbarste Mittel von ihnen besteht in einer zweckmäßigen Depositenpolitik der Zentralbank. 

Erinnern wir uns, was den Ausbruch der eigentlichen Kreditkrisis verschuldet hat: Es ist der — psychologisch verständliche — Wille der Depositengläubiger, ihre Gelder vor der Verlustgefahr zu retten, in der sie diese glauben, weil sie die Zahlungsfähigkeit der Banken — mit Recht oder Unrecht — anzweifeln. Es wäre vergebliche Mühe, sie bewegen zu wollen, die Abhebung zu unterlassen. Sie wünschen nun einmal ihr Geld an einer Stelle zu sehen, wo es ihrer Ansicht nach in erregten Zeiten sicherer ist als bei der Bank, und als eine solche Stelle gilt ihnen ihr eigener Geldschrank. Es gibt nur noch einen Aufbewahrungsort, den sie ebenfalls für sicher halten, und das ist die Zentralbank. Auch in den stürmischsten Zeitläuften hat noch niemand daran gezweifelt, daß das Geld, das er bei der Bank von England, Bank von Frankreich oder Deutschen Reichsbank eingezahlt hat, unbedingt vor Verlust geschützt ist. Aber bei der Wahl, das Geld im eigenen Hause aufzubewahren oder es bei der Zentralbank einzuzahlen, spricht nichts zu Gunsten des letzteren Verfahrens, da die Zentralbanken die ihnen übergebenen Gelder nicht zu verzinsen pflegen. Bleibt das Geld hier wie dort zinslos, so ist es entschieden bequemer, den Gang zur Zentralbank bzw. die Überweisung an sie zu unterlassen und der eigene Verwalter seines Geldes zu sein. 

Ganz anders wäre es, wenn die Zentralbanken Gelder, die auf einige Wochen oder Monate bei ihnen eingelegt würden, zum ungefähren Satz des Geldmarkts verzinsen wollten. Die Zinseinnahme würde die kleine Unbequemlichkeit der Einzahlung bzw. Überweisung reichlich aufwiegen, und das den Privatbanken entzogene Geld würde sich zum weitaus größten Teil bei der Zentralbank sammeln. Und damit wäre das erreicht, worauf es in Krisenzeiten in so hohem Grade ankommt, nämlich der Zusammenfluß der Depositengelder an einer Stelle, von der aus sie den Banken und dem Geldmarkt wieder zugeleitet werden können. Denn die Zentralbank würde die Gelder natürlich nicht in ihre Panzerschränke einschließen, sondern sie zu angemessenem Zinse zur Verfügung der Kreditinstitute stellen. Diese hätten dann die Wertpapiere, Wechsel und sonstigen Anlagen, die sie andernfalls am Geldmarkt und an der Börse zu Gelde machen müßten, bei der Zentralbank als Deckung zu hinterlegen, und der verhängnisvolle Liquidationsprozeß, durch den die ganze Wirtschaft in den Strudel der Krisis gerissen werden würde, unterbleibt oder wird wesentlich abgeschwächt. Im Endeffekt wird auf diese Weise das erreicht, was auf andere Weise nicht zu erreichen war: ein Verzicht der Bankgläubiger auf die Zurücknahme ihrer Gelder. Denn dadurch, daß die abgehobenen Gelder zur Zentralbank und von dieser neuerdings zu den Privatbanken fließen, wird der status quo ante wiederhergestellt, und es ist alles so, als ob die Depositengelder überhaupt nicht abgehoben worden wären. 

Man muß also aus kredittechnischen und bankorganisatorischen Gründen fordern, daß die Zentralbanken, entgegen ihrer heutigen Praxis, grundsätzlich verzinsliche Depositen entgegennehmen. Es ist notwendig, daß die breiten Kreise der Bevölkerung, denen die Zentralbank sonst fern steht wie ein Stern am Himmel, zur rechten Zeit an den Verkehr mit dieser Bank gewöhnt werden, damit sie in schwierigen Zeitläuften ohne weiteres den Weg zu ihr finden. Die Zentralbanken lehnen die Annahme verzinslicher Depositen heute nur aus dem Grunde ab, weil sie den Privatbanken keine Konkurrenz machen wollen, und das Motiv ist auch durchaus lobenswert. Sie wollen die „Bank der Banken“ sein und sollen es auch sein. Damit sie es aber sein können, müssen sie eine Politik treiben, die sie immer dann stärkt, wenn die Privatbanken geschwächt werden. Sobald sie diese Politik so treiben, wie es zweckmäßig ist, indem sie nämlich in gewöhnlichen Zeiten einen ganz niedrigen, in Krisenzeiten dagegen einen hohen, den angespannten Geldmarktsätzen entsprechenden Zins vergüten, werden sie dem Bankwesen des Landes in den ersteren Zeiten nicht schaden, in den letzteren dagegen außerordentlich nutzen. Die Einrichtung einer Zufluchtsstätte für die Gelder, die in der Gefahr wie aufgescheuchte Lämmer davonzurennen drohen, ist daher eins der wichtigsten organisatorischen Hilfsmittel bei der Sicherung des Kreditbankwesens gegen die Folgen der ihm nun einmal seinem ganzen Wesen nach notwendig innewohnenden Illiquidität. 

V. Liquiditäts-Sicherung auf versicherungstechnischem Wege. Die Barreserve — eine Versicherungsprämie. Schalterreserven und Reserven auf lange Sicht.

Alle Hilfsmittel, über die ein organisatorisch gut ausgebautes und taktisch schlagfertiges Bankwesen verfügt, um ernstlichen Störungen auf dem Gebiete des Kredits vorzubeugen, oder sie im Fall ihres Eintritts wieder zu beseitigen, können die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß das Bankwesen seiner ganzen Zweckbestimmung nach eine „organisierte Illiquidität“ darstellt. Die üblen Folgen dieser Illiquidität können gemildert, diese selbst aber nicht beseitigt werden. Überdies sind die meisten Milderungsmittel nur Notbehelfe, die selbst dann, wenn sie die Wirtschaft von der Kreditseite her wirklich schützen, sie von anderen Seiten her wieder bedrohen. Das Mittel der Notenpresse bringt nur zu leicht die Währung in Gefahr. Das Mittel des Kredits auf kurze Frist (self liquidating credit) zieht den fortlaufenden Zuwachs an Volksvermögen vielfach von Neuanlagen ab, nämlich immer dann, wenn es neugebildete Kaufkraft, kaum daß sie dem Produktionsprozeß entsprungen ist, für die Liquidierung der alten Kredite mit Beschlag belegt. Das Mittel der Reservebildung im Auslande bedeutet, ganz abgesehen davon, daß es fremde Wirtschaften der Gefahr aussetzt, der die eigene Wirtschaft entzogen werden soll, eine Schwächung des nationalen Kapitals, die man zwar (durch Inanspruchnahme langfristigen Auslandskredits) wieder ausgleichen kann, aber nur, indem man neue bedrohliche Möglichkeiten über die Wirtschaft heraufbeschwört. Keins der Mittel stellt sich völlig unentgeltlich zur Verfügung, jedes muß vielmehr mit irgend einem Verzicht oder einem Übelstande erkauft werden. Deshalb wäre es falsch, sich bei der Bekämpfung der Krisengefahr auf ein einziges Mittel zu verlassen und dieses ohne Rücksicht auf seine Schattenseiten bis zum äußersten auszunutzen. Vielmehr sind alle Abwehrmittel organisatorischer und banktaktischer Art, die sich darbieten, bald zusammen, bald abwechselnd anzuwenden, wie es der jeweiligen Wirtschaftsverfassung entspricht. Daneben aber muß immer geprüft werden, ob sich das Übel der Illiquidität nicht auch dadurch mildern läßt, daß man es bei der Wurzel packt und — im Widerspruch n. dem Zweck des Bankwesens einen erheblichen Teil der den Banken auf kurze Frist überlassenen Gelder nicht in Kapital umwandelt, sondern in der Urform des baren Geldes beläßt.

Das ist der letzte, aber wichtigste der drei Wege der Krisenbekämpfung, nämlich der versicherungstechnische. Das Wesen der Versicherung besteht darin, finanzielle Gefahren, denen eine Gemeinschaft ausgesetzt ist, dadurch unschädlich zu machen, daß man einen Teil des gefährdeten Kapitals als „Prämie“ bei Seite stellt, und zwar einen so großen Teil, daß er nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung genügt, um alle etwa entstehenden Schäden zu decken. Mit dieser versicherungstechnischen Methode läßt sich auch im Bankwesen arbeiten; nur daß es hier nicht gilt, einen Schaden, der bereits eingetreten ist und nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, nachträglich wieder gut zu machen, sondern dem Eintritt des Schadens vorzubeugen. Es ist eine „Präventiv-Versicherung“, die das Bankwesen braucht. Ihre Konstruktion ist einfach genug: Von den Scheck-Depositen, die den Banken zufließen, wird ein so großer Teil bar in Reserve gehalten, daß er — in Gemeinschaft mit den organisatorischen und banktaktischen Mitteln, die wir bereits kennen, die aber nur in vorsichtiger Dosierung angewendet werden dürfen, — unter allen Umständen genügt, um das Bankwesen als Ganzes zahlungsfähig zu erhalten, ohne daß es zu umfangreichen Kreditkündigungen u. s. w. zu schreiten braucht. 

Diese Versicherungspraxis wird von den Banken aller Länder tatsächlich geübt, ja sie gilt ihnen sogar als die erste und selbstverständlichste aller Schutzmaßregeln zur Erhaltung ihrer Liquidität. Und zwar wird sie in zweifacher Weise geübt. Ein gewisser Prozentsatz der täglich fälligen Depositen wird in barem Gelde in der Kasse zurückbehalten, und ein weiterer Prozentsatz wird als eiserner Guthabenbestand bei der Zentralnotenbank eingezahlt, bei der die Banken ohnehin ein Konto unterhalten, um durch Ab- und Zuschreibung auf diesem Konto Zahlungen untereinander zu leisten und zu empfangen (bargeldloser oder Giro-Verkehr). Mit Hilfe dieser beiden Bestände suchen die Banken ihre Zahlungsbereitschaft so zu sichern, daß es unter normalen Verhältnissen weiterer Sicherungs-Maßnahmen nicht oder nur in geringem Umfange bedarf. Der bei der Notenbank zentralisierte Bestand hat aber neben dieser Aufgabe noch eine zweite. Er soll nicht nur der individuellen Liquidität der einzelnen Bank dienen, sondern zugleich die Zahlungsbereitschaft des Bankwesens als Ganzen stützen, was dadurch geschieht, daß die Notenbank aus der Gesamt-Reserve Kredite an diejenigen Banken gewährt, die zufällig Auszahlungen über ihre eigene Reserve hinaus zu leisten haben. So wird die Gefahr der Illiquidität im Bankwesen beseitigt, indem die zentralisierte Reserve immer an denjenigen Stellen Dienste tut, die jeweilig der größten Rückforderungsgefahr ausgesetzt sind; wie in der Strategie die Widerstandskraft einer belagerten Festung dadurch gestärkt wird, daß die vorhandenen Reserven aus der Zitadelle an die dem ersten Angriff ausgesetzten Außenforts geworfen werden. 

Diesen einfachen Verteidigungsplan, der so selbstverständlich ist, daß man bei den Banken kaum noch über ihn spricht, haftet ein einziger Mangel an, aber ein Mangel, der alle seine Vorzüge über den Haufen wirft: er wird nur in der Theorie angewendet. Die Bankleitungen denken zwar täglich und stündlich an ihre Bankreserven, berücksichtigen ihre Stärke bei jedem größeren Finanzgeschäft, sind stolz auf sie und sondern sie in den Ausweisen, die sie periodisch veröffentlichen, sichtbar von den Anlagen ab. Aber wenn man diese Reserven unter die Lupe nimmt, entdeckt man, daß sie in Wirklichkeit gar keine Liquiditäts-Reserven sind. Was die Banken an barem Gelde in der Kasse haben, reicht meist nicht einmal aus, um die Zahlungsbereitschaft des nächsten Tages unbedingt zu sichern; kommt es zu unvorhergesehenen Abhebungen, so muß auf die Reserve Nummer zwei, das Guthaben bei der Notenbank, zurückgegriffen werden. Dieses Guthaben liegt aber seinerseits nicht etwa in barem Gelde bereit, wie es der Sinn einer Zentralreserve ist, sondern wird von der Notenbank gewohnheitsmäßig in Anlagen gesteckt (Staatsanleihen oder Wechsel), so daß, wenn die hilfsbedürftigen „Außenforts“ um Darlehen nachsuchen, die nötigen Mittel nicht vorhanden sind, sondern erst künstlich geschaffen werden müssen, was der Notenbank freilich ein leichtes ist, da sie ja das Privileg der Gelderzeugung (Notenregal) hat. Allerdings hat die Notenbank einen großen Edelmetall-Bestand, den sie ihre „Barreserve“ nennt. Aber diese ist in keiner Weise identisch mit der Zentralreserve der Banken, sondern ist durch den Notenumlauf gebunden und kann nicht verringert werden, ohne daß die Deckung der Noten und damit die Landeswährung verschlechtert wird. Es besteht heute in Europa nicht eine einzige Zentralbank, die den bei ihr eingezahlten Teil der Bankdepositen in barem Gelde vorrätig hielte, in dem planmäßigen Bestreben, ihn für die Zeit zu reservieren, wo irgend ein Umstand die Banken zwingen sollte, auf ihre Hilfe zurückzugreifen. Vielmehr leihen sie samt und sonders das Geld schon in normalen Zeiten aus, obwohl ein zwingender Anlaß dazu fehlt, und verlassen sich im übrigen auf ihr Notenprivileg. Sogar die Bank von England, die einzige Bank, die den deus ex machina „ungedeckte Note“ nicht in ihre Rechnung einbezieht, verfügt über keinen baren Bankhilfsfonds. Sie legt die bei ihr zentralisierten Bankdepositen gewohnheitsmäßig in englischen Konsols und sonstigen Forderungen an den englischen Staat an und ist infolgedessen bei verstärktem Bedarf der Wirtschaft genötigt, einen Teil dieser Anlagen durch Verkauf an der Börse flüssig zu machen. Wenn auch der Markt, der hierdurch in Mitleidenschaft gezogen wird, ein besonders breiter und widerstandsfähiger ist, so ist das Verfahren dennoch ein Verstoß gegen das Grundprinzip der Bankenliquidität, die nun einmal nur dann einwandfrei genannt werden kann, wenn sie aufrecht erhalten wird, ohne daß die Wirtschaft auf irgend einem ihrer Gebiete die geringste Beunruhigung erfährt. 

Die Barreserven der Banken — zu denen man auch die Einzahlungen bei den Zentralbanken rechnet — sind also keine Reserven im Sinne der Krisenabwehr, sondern sozusagen nur Kassenreserven für den täglichen Schalterdienst. Und die Versicherung, die sie für das Bankwesen bedeuten, ist eine Versicherung für heute und morgen, aber nicht auf lange Sicht. Der Grund dieser Unzulänglichkeit ist die Furcht vor der „hohen Prämie“. Eine Beiseitestellung von Barreserven in genügender Höhe, um die Banken gegen jeden noch so großen Zahlungsaufschub solange zu sichern, bis die verschiedenen taktischen und organisatorischen Hilfsmittel wirksam geworden sind, würde einen ganz erheblichen Teil der Scheck-Depositen absorbieren und einen Zinsverlust mit sich bringen, den die Banken nicht rechtfertigen zu können glauben. Mit der Prämie dieses Zinsverlustes halten sie die Risiko-Versicherung für überzahlt. Und die Leitungen der Zentralnotenbanken sind derselben Ansicht. Ihre Meinung weicht zwar insofern von derjenigen der Privatbanken ab, als sie es sämtlich für ratsam halten, daß jene einen möglichst hohen Prozentsatz ihrer Depositengelder bei ihnen, den Zentralbanken, niederlegen. Aber in der Hauptfrage, ob nämlich die so niedergelegten Gelder in ihrer baren Urform in Reserve gehalten werden müssen oder in Anlagen umgewandelt werden dürfen, sind beide Teile einig. Auch die Zentralbanken halten es privatwirtschaftlich und volkswirtschaftlich für Verschwendung, wenn derartig große Summen „müßig gehen“, statt zu „arbeiten“ und leiten daher die Gelder auf dem schnellsten Wege in die Wirtschaft zurück, wobei viele von ihnen, im Vertrauen auf den Fetisch Notenpresse, nicht einmal die Vorsicht gebrauchen, sich auf leicht liquidierbare Anlagen zu beschränken. 

Demgegenüber kann gar nicht nachdrücklich genug betont werden, daß keine Versicherungsprämie zu hoch ist, wenn es sich darum handelt, die Wirtschaft gegen Krisen zu sichern und ihr eine ruhige Fortentwicklung zu gewährleisten. Gewiß, hohe Barreserven bedeuten eine gewisse Verringerung des dem Erwerbsleben zur Verfügung stehenden Kapitals. Aber sie bedeuten keine „Verschwendung“ wie man oft meint, genau so wenig, wie die sonstigen Versicherungsprämien, mit denen man den Elementarschäden einen Teil ihrer verhängnisvollen Wirkung nimmt, eine Verschwendung darstellen. Es verhält sich mit den Barreserven zu Liquiditätszwecken ganz ähnlich wie mit den Barreserven zu Währungszwecken. Auch von den letzteren behauptet man, sie seien schädlich, weil sie Gelder brachlegten, die sonst in der Wirtschaft zirkulieren und die Allgemeinheit bereichern würden. Und es gibt Leute genug, die auf Grund dieser Erwägung fordern, man solle die Goldreserven auflösen und, soweit eine Notenreserve zu valutarischen Zwecken nötig sei, sie aus ausländischen Goldwechseln (Devisen) bilden, die einen Zinsertrag abwerfen. Diese Leute erkennen nicht, daß ein Geld, das völlig aus Gold besteht oder gegen zentralisiertes Gold unbeschränkt austauschbar ist, die einzige zuverlässige Versicherung gegen Wertschwankungen des Landesgeldes bildet und allein geeignet ist, Inflationen, wie wir sie in nie geahntem Ausmaß in einer ganzen Reihe von Ländern erlebt haben, unmöglich zu machen. Wenn sie dies erkennen würden, so würden sie sicherlich der Ansicht sein, daß keine Prämie zu hoch ist, mit der ein Volk sich gegen Katastrophen solcher Art versichert. Und dasselbe gilt von der Versicherung gegen die Gefahren, die aus der chronischen Illiquidität des Bankwesens entstehen, Gefahren, die für das Durchschnittsauge erst erkennbar werden, wenn das Übel einmal akut wird und in der Häufung der Wechselproteste und der Konkurse, der panischen Zinssteigerung und anderen Indizien statistisch zum Ausdruck kommt. Auch hiergegen ist keine Versicherungsprämie zu hoch. 

Im übrigen wird die Bedeutung der Prämie regelmäßig bei weitem überschätzt. Die Summen, die der Volkswirtschaft durch das Brachliegen eines beträchtlichen Teils der Depositengelder entzogen werden würden, sind nicht entfernt so groß, wie man gemeinhin glaubt. Meist wird eine höchst naive Bauernrechnung aufgemacht, die etwa folgendermaßen aussieht (die Ziffern sind natürlich ganz willkürlich gewählt): Die kurzfristigen Depositen bei allen Banken des Landes machen 5 Milliarden Mark aus. Wird von diesen Depositen ein Viertel in barem Gelde bei Seite gestellt, so werden 1¼ Milliarden Mark der Wirtschaft entzogen. Das macht mehr als ein Drittel des gesamten Geldumlaufs aus, schwächt also die nationale Energie um mehr als den dritten Teil ihrer gegenwärtigen Leistungsfähigkeit. Wer so rechnet, verkennt die Bedeutung einer Barreserve ganz und gar. Er könnte sich mit mehr Recht darüber entrüsten, daß ein Land 1½ Milliarden für Import-Tabak an das Ausland zahlt, also ein Drittel seines Geldumlaufs für ein Produkt fortwirft, das in Rauch aufgeht. In Wirklichkeit äußern sich die Folgen der Schaffung einer großen Barreserve ganz anders, wie eine kurze Darstellung des Vorgangs zeigen wird. 

Angenommen, eine Regierung beschließe, die Banken des Landes zur Ansammlung einer baren Reserve in Höhe von mindestens 25 Prozent ihrer Scheckdepositen zu veranlassen. (Wobei ich einschalten muß, daß ich eine solche konkrete Festsetzung der Minimaldeckung für unpraktisch halte, weil immer dann, wenn die Bankausweise dartun, daß die Reserve das gesetzliche Minimum streift, Unruhe in die Wirtschaft kommt, wie es in den Vereinigten Staaten wiederholt der Fall gewesen ist. Die Barreserve ist eine Sache der bankpolitischen Erziehung, nicht des Staatsbefehls. Überdies muß sie elastisch erhalten werden.) Angenommen ferner, die Ansammlung solle im Laufe von fünf Jahren erfolgen. Da die Barreserven heute im Durchschnitt nur 10 Prozent der Scheck-Depositen betragen — in einigen Ländern mehr, in anderen weniger —, so wären in den 5 Jahren 15 Prozent oder sagen wir 750 Millionen Mark, mithin jährlich 150 Millionen in Reserve zu stellen. Dieser Betrag würde, da er teils in den Bankkassen, teils in der Zentralbank in barem Gelde anzusammeln wäre, dem Geldumlauf fehlen.

Eine Verminderung der nationalen Kaufkraft um 150 Millionen würde einen gewissen Rückgang der Preise zur Folge haben (d. h. die im Verkehr bleibenden Geldzeichen entsprechend kaufkräftiger machen). Zwar würde der Preisrückgang nur geringfügig sein, denn die Verminderung der Nachfrage um 150 Millionen kann, zumal wenn sie sich über ein ganzes Jahr erstreckt, keine allzu tiefgehende Wirkung haben. Man bedenke, wie oft die Notenbanken ihren Geldumlauf um ein Mehrfaches dieses Betrages einschränken oder ausdehnen. Immerhin würde die Preissenkung zur Folge haben, daß für einzelne Waren die Preisgrenze erreicht würde, bei der sie dem Ausland kaufwürdig erscheinen, weil sie unter Weltpreis zu haben sind. Wirkung: Eine verstärkte Ausfuhr. Macht sich nun infolge des Herausziehens der 150 Millionen aus dem Geldumlauf ein Mangel an Zahlungsmitteln bemerkbar, wenn auch nur in der Einbildung maßgebender Wirtschaftsführer, so steht nichts im Wege, sich vom Auslande den Gegenwert der verstärkten Ausfuhr in barem Golde zahlen zu lassen. Und tatsächlich wird eine solche Goldeinfuhr ganz von selbst einsetzen, wenn die Verringerung der umlaufenden Geldzeichen es wünschenswert macht. Resultat: Das bei Seite gestellte Bargeld wird der Wirtschaft mindestens zum Teil vom Auslande ersetzt. Woraus sich wiederum der Lehrsatz ergibt: Goldreserven werden niemals von einem einzelnen Lande, sondern immer von der Gesamtheit aller der Länder gebildet, die im internationalen Verkehr in Gold zahlen.

Wenn aber der Geldumlauf im Lande sich trotz der Abzweigung einer verhältnismäßig großen Summe baren Geldes automatisch immer wieder auf den Betrag hebt, dessen der Verkehr bedarf, — wie ist dann die Barreserve zu beurteilen, mit der die Zahlungsfähigkeit der Banken gesichert wird? Sie ich nicht anders zu beurteilen als ein gleichwertiger Posten Kupfer oder Baumwolle, der irgendwo zu besonderen Zwecken aufgestapelt worden ist. Das angesammelte Gold fehlt dem Verkehr nicht in seiner Eigenschaft als Geld —denn als solches wird es durch die Zuflüsse von Gold aus dem Auslande und durch die Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit des Verkehrsgeldes ersetzt —, sondern es fehlt ihm in seiner Eigenschaft als Ware. Das Reservegold ist „Ware“, solange es untätig ist und nur eine Garantiefunktion ausübt, und es ist „Geld“, sobald es wieder in den Verkehr zurückgeleitet wird, weil die Banken es zu Zahlungszwecken brauchen. 

Es ist also ein Irrtum, anzunehmen, das Ansammeln einer größeren Reserve in barem Gelde bedeute eine entsprechende Schwächung der Wirtschaft. Nur während des Vorgangs der Ansammlung selbst erleidet die Wirtschaft eine gewisse Störung, hervorgerufen durch den Preisrückgang am Warenmarkt, der seinerseits zum Ausdruck bringt, daß die Kaufkraft des umlaufenden Geldes sich erhöht, wenn seine Menge abnimmt. Aber die Störung ist nicht entfernt so groß, wie diejenige, die durch die jetzige Liquiditätspolitik der Banken erzeugt wird, bei der es sich um nichts anderes handelt, als um eine systematische, ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen betriebene Überwälzung der Zahlungsverpflichtung auf fremde Schultern. Und vor allem: Die Störung ist nur eine einmalige. Ist die Bankreserve einmal angesammelt, und hat der Geldumlauf den damit zusammenhängenden Eingriff in seine Zusammensetzung auf die vorher kurz geschilderte Art überwunden, so bedeutet das Fortbestehen der Reserve weder eine Beunruhigung für das Geldwesen, noch einen Verzicht für die Wirtschaft. Die Prämie, die für die Versicherung gegen die Gefahr der Kreditkrisen gezahlt werden muß, ist nur eine einmalige und kann daher, wenn sie vorsichtig und in nicht zu großen Raten erhoben wird, von jeder Volksgemeinschaft aufgebracht werden, ohne daß es dazu eines besonderen Opfermuts bedürfte. 

VI. Die Banken und der Staat. Bankenfreiheit oder Bankenverstaatlichung? Unwirksame Gesetze und Kontrollen. Die Verantwortlichkeit der Bankenleiter.

Es ist eine alte Streitfrage, wie der Staat sich angesichts der Rückwirkungen, die eine fehlerhafte Bankpolitik auf die gesamte Wirtschaft ausübt, zum Bankwesen zu stellen habe. Die Ansichten weichen außerordentlich stark voneinander ab und reichen vom Extrem der absoluten Bankenfreiheit bis zum entgegengesetzten Extrem der Verstaatlichung des ganzen Bankgewerbes. Das Richtige liegt, wie meist in wirtschaftlichen Dingen, in der Mitte. Daß es nicht angängig ist, das Bankwesen, von dessen zweckmäßiger Geschäfts- und Reservepolitik des Landes Wohl abhängt, vollkommen sich selbst zu überlassen, leuchtet nach den Erfahrungen, die man in allen Ländern, außer allenfalls in England, mit der absoluten Bankenfreiheit gemacht hat, ohne weiteres ein. Ebenso aber spricht die Erfahrung gegen einen allzu starken Einfluß des Staates auf das Bankgewerbe. Schon bei den Beziehungen zwischen Staat und Zentralbank, der als Inhaberin des Notenprivilegs, d. h. einer besonderen Art von Münzregal, nicht völlig freie Hand gelassen werden darf, hat sich immer wieder herausgestellt, daß Abhängigkeit vom Staat gleichbedeutend mit Mißbrauch durch den Staat ist. Am wie viel größer würde die Gefahr des Mißbrauchs sein, wenn die Organisation, in deren Händen fast die gesamten Betriebsreserven und große Teile des Kapitals der Wirtschaft liegen, dem Staate und der Willkür seiner jeweiligen Regierungen ausgeliefert wäre. 

Die „richtige Mitte“ zwischen Bankenfreiheit und Verstaatlichung des Bankwesens hat man vielfach so zu treffen geglaubt, daß man die Anlage- und Reservepolitik der Banken durch gesetzliche Bestimmungen geregelt, innerhalb der gesetzlichen Grenzen aber den Banken freie Hand gelassen hat. Die Wirkungen einer solchen Politik der schematischen Einzwängung des Bankwesens in feste Normen kann man am besten in den Vereinigten Staaten beobachten, die in der gesetzlichen Regelung am weitesten gegangen sind. Die Resultate sind nicht sonderlich befriedigend. Die Bestimmungen haben sich entweder als schädlich erwiesen, oder sie sind in einer Weise umgangen worden, die sie praktisch außer Wirksamkeit gesetzt hat. Von der einschneidendsten Bestimmung der amerikanischen Bundesgesetze — neben denen eine Anzahl von Staatsgesetzen einherläuft — ist hier schon kurz die Rede gewesen: Sie gilt der Reservepolitik der Banken und setzt für jede Gattung von ihnen eine bestimmte Mindest-Barreserve fest. Bis vor etwa zehn Jahren betrug diese Mindestreserve in den sogenannten Zentral-Reserve-Städten 25 Prozent der Depositen. Inzwischen ist dieser Satz ermäßigt worden, weil das Zentralbank-System eingeführt wurde und man mit Recht annahm, daß die dadurch bewirkte „organisatorische“ Fürsorge für die Bankenliquidität das Prinzip der mechanischen „Versicherung“ durch eine Barreserve zu einem gewissen Teil ersetze und überflüssig mache. Diese Vorschrift der prozentualen Mindestreserve hat zwar den Erfolg gehabt, daß Insolvenzen bei den so gesicherten Banken zu einer Seltenheit wurden. Aber sie hat den großen Nachteil mit sich gebracht, daß jedesmal, wenn die Bankausweise ein Sinken der Reserve bis nahe an die gesetzliche Mindestgrenze erkennen ließen, die ganze Wirtschaft, insbesondere aber Geldmarkt und Börse, in einen Zustand der Erregung gerieten. Denn in dem Moment, wo die Bankreserven unter das Minimum zu sinken drohten, war eine weitere Kreditgewährung unmöglich; die Banken mußten im Gegenteil bemüht sein, ihre Barreserve durch Krediteinschränkungen wieder auf eine angemessene Höhe zu bringen. So hat die gesetzliche Reserve-Fixierung die Wirtschaft oft genug in eine krisenhafte Verfassung gebracht, obwohl doch ihr Zweck war, eine solche zu verhindern. Andere Gesetzesbestimmungen haben nicht besser gewirkt. So hat das Gesetz, das der wichtigsten Gruppe der amerikanischen Banken bis vor kurzem verbot, Filialen zu betreiben, die Folge gehabt, daß unzählige Kleinbanken sich auftaten. Würden diese Banken eine selbständige lokale Kreditpolitik treiben, ähnlich wie sie in einzelnen Ländern die Kreditgenossenschaften sich zur Aufgabe machen, so würde das Filialverbot das Gute haben, daß jeder amerikanische Kleingewerbler und jeder Farmer eine Kreditgelegenheit bei der benachbarten, mit den lokalen Verhältnissen genau vertrauten Bank hätte. Tatsächlich ist aber die Selbständigkeit der kleinen Banken nur eine scheinbare. Ihre Aktien sind meist in den Händen von Großaktionären der führenden Banken in New York und Chicago — die Banken selbst dürfen solche Aktien nicht erwerben —, und ihre Gelder werden infolgedessen nach Anweisung der letzteren angelegt. Die Vereinigten Staaten sind also mit einem Riesennetz heimlicher („unterirdischer“) Filialen überzogen, von denen jede eine eigene Verwaltung hat, und deren Gesamtheit ein außerordentlich unwirtschaftliches Banksystem darstellt. Und ähnlich steht es um die Wirksamkeit aller anderen gesetzlichen Schutzmaßnahmen. Sie werden samt und sonders umgangen, am meisten die Bestimmung, daß keine der Banken, die der Bundesgesetzgebung unterliegen, mehr als 10 Prozent ihres Eigenkapitals an einen und denselben Schuldner ausleihen darf. Hier tut die scheinbare Selbständigkeit der vielen tausend kleiner Lokalbanken vorzügliche Dienste: Die Kredite, die New York nicht geben darf, werden von zahlreichen abhängigen Banken gewährt. Das Filialverbot erreicht also hier das gerade Gegenteil seiner Absicht, indem es aus den einzelnen Großbanken „Konzerne“ macht und ihre Fähigkeit, Riesenkredite zu gewähren, eher stärkt als schwächt. 

Zeigt somit das amerikanische Beispiel, daß strenge Bankgesetze ihren Zweck verfehlen, weil Finanzbeziehungen sich in die verschiedensten Formen kleiden können, so zeigt es auf der anderen Seite doch wieder, wo der Hebel in Wirklichkeit angesetzt werden muß, um die Wirtschaft vor einer falschen Bankenpolitik zu schützen. Die amerikanischen Gesetze machen mehr als die Gesetze irgend eines anderen Landes die Leiter der Banken haftbar für die Folgen ihrer Politik. Stellt eine Bank infolge leichtfertiger Kreditpolitik ihre Zahlungen ein, so können die leitenden Direktoren fast mit Sicherheit darauf rechnen, eine hohe Gefängnisstrafe zu erhalten. Das Urteil lautet dann, um ein Beispiel zu wählen, auf „1 bis 10 Jahre Gefängnis“. Das heißt, die Strafe ermäßigt sich in dem Grade, in dem es den verantwortlichen Bankleitern gelingt, das Defizit der Bank zu decken und ihren Gläubigern den erlittenen Verlust zu ersetzen. Das ist, wie die Erfahrung lehrt, äußerst zweckmäßig. In keinem anderen Lande werden im Falle eines Bankbruches so hohe Liquidations- und Konkursquoten verteilt wie in den Vereinigten Staaten, und in einem großen Teil der Fälle kommt es nachträglich zur vollen Befriedigung der Bankgläubiger. Die Verwaltungen machen die größten Anstrengungen, um die Bank-Passiva aus ihrem Vermögen oder durch Inanspruchnahme persönlichen Kredits zu decken und so dem Gefängnis zu entgehen. Wichtiger aber als diese nachträgliche Heilung eines bereits eingetretenen Schadens ist die prophylaktische Wirkung, welche die weitgehende Haftung der Bankleiter auf die Geschäftsgebahrung der Banken ausübt. Das Bewußtsein, daß eine falsche Politik voraussichtlich den wirtschaftlichen und moralischen Ruin der verantwortlichen Personen nach sich ziehen wird, wirkt im höchsten Grade erzieherisch auf die Bankdirektoren. Das Gefühl der Verantwortlichkeit ist jedenfalls ganz erheblich wirksamer als die Fülle der Gesetze, mit denen das Bankwesen in starre Regeln gepreßt und jede individuelle Geschäftshandhabung erschwert wird — oder vielmehr erschwert würde, wenn die Gesetze nicht so leicht zu umgehen wären. 

Das System der periodischen Bankkontrolle, das ebenfalls in den Vereinigten Staaten am meisten ausgebildet ist, hat keinen besonderen praktischen Wert. Da die Nachprüfung der Bankbücher und Bankbilanzen notwendig eine mechanische ist und sich lediglich darauf erstrecken kann, ob die Vorschriften der Gesetze befolgt sind, so bildet diese Kontrolle nur noch einen Anreiz mehr, die gesetzlichen Bestimmungen dem Schein nach zu respektieren, in Wirklichkeit aber durch eine besonders ausgebildete Bankpraxis unwirksam zu machen. Einen Wert hat die periodische Aufstellung und Veröffentlichung der Bankbilanzen nur insofern, als sie den Bankleitungen immer wieder zum Bewußtsein bringt, daß ihre Geschäftsführung der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist, also auch der Kritik solcher Personen, die infolge ihrer Kenntnis der einzelnen Geschäfte die Bedeutung der veröffentlichten Ziffern viel besser kennen als die breite Masse der Fernerstehenden. Dieses Bewußtsein ist, genau wie das Gefühl der eigenen juristischen Verantwortlichkeit, in hohem Grade geeignet, die Bankleitung zur Vorsicht zu erziehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die regelmäßige Veröffentlichung von Zwischenbilanzen entschieden nützlich; wohlgemerkt die allgemeine Veröffentlichung, nicht die Mitteilung an einen beschränkten Kreis von Amtspersonen oder an die Leitung der Zentralbank. 

Seine Hauptaufgabe erfüllt der Staat aber weder durch Gesetze, welche die Höhe der Reserven und Anlagen schematisch regeln, noch durch strenge Strafbestimmungen, noch endlich durch amtliche Kontrollen und den Zwang zur periodischen Berichterstattung. Denn weit wichtiger als die individuelle Zahlungsfähigkeit der Banken ist die Sicherung der Wirtschaft gegen die Gefahr, daß die Banken ihre Zahlungsfähigkeit auf Kosten ihrer Schuldner oder durch Beunruhigung des Markts sichern, aus dem das ganze Erwerbsleben schöpft. Diese Gefahr kann durch kein Gesetz und keine amtliche Kontrolle beseitigt werden, sondern nur durch eine wohlverstandene Liquiditätspolitik der einzelnen Banken, der zu diesem Zwecke eine ganze Reihe taktischer und organisatorischer Mittel zu Gebote stehen, ergänzt durch das versicherungstechnische Moment der Barreserve an zentraler Stelle. Der Versuch, die Anwendung einzelner dieser Mittel mit der Strenge des Gesetzes zu erzwingen, ist bisher nirgends geglückt; vielmehr hat es sich gezeigt, daß das freieste Bankwesen, das englische, sie aus eigenem Antrieb am zweckmäßigsten und mit dem verhältnismäßig größten Erfolg anwendet. Wo eine Jahrhunderte lange banktechnische Erfahrung und die Selbstzucht der Bankleiter fehlen, können sie bis zu einem gewissen Grade durch Strafbestimmungen ersetzt werden, die das Bewußtsein der Bankleitungen für die Tragweite ihrer Handlungen und Unterlassungen stärken. Nützlich wären vielleicht solche Bestimmungen, die jeden verantwortlichen Bankleiter mit seinem ganzen Vermögen für Verluste haftbar machen, die eine fehlerhafte Handhabung der Geschäfte etwa zur Folge hat; also die Übertragung des Prinzips der Kommanditgesellschaft auf die in Aktienform betriebenen Banken. Doch würden auch derartige Bestimmungen, die das Gewissen der Bankleiter zu schärfen geeignet wären, mehr zum Vorteil der Banken selbst als zu dem der Allgemeinheit ausschlagen. Die Versuchung, die Banken dadurch flott zu erhalten, daß ihre Zahlungsverpflichtungen durch Kreditkündigung und Liquidierung der Anlagen auf andere Schultern überwälzt werden, würde sich kaum erheblich vermindern. Es bedarf also noch eines besonderen Mittels, um die Wirtschaft vor einer allzu brutalen Liquiditätspolitik der Banken zu bewahren, und kein Mittel scheint zu diesem Zweck geeigneter zu sein, als die Schaffung eines Überwachungsorgans, das das Geschäftsgebahren der Banken dauernd beobachtet und nötigenfalls korrigiert. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um keine Staatskontrolle, die einer Anzahl Beamten Gelegenheit zu schematischen Nachprüfungen gibt, sondern um ein Wirtschaftsorgan, in dem die Vertreter der wichtigsten Gewerbezweige, darunter auch erfahrene Bankmänner, ehrenamtlich tätig sind und sich ihrerseits auf die Beobachtungen stützen, die zahlreiche Vertrauensleute auf allen Gebieten der Wirtschaft, vom Großunternehmen bis zum Kleingewerbe, machen. Der Staat dürfte in diesem Organ lediglich durch einen Kommissar vertreten sein. 

Der Staat hat nicht nur ein moralisches, sondern auch ein eminent wirtschaftspolitisches Interesse daran, daß die Liquidität der Banken nicht mit der Existenz zahlreicher Bankschuldner und mit der Beunruhigung des Geldmarkts und der Börse erkauft wird. Denn wenn es infolge der fehlerhaften Liquiditätspolitik der Banken zu einer Kreditkrisis kommt, ist er, der Staat, verantwortlich für die Methode ihrer Bekämpfung. Sobald eine solche Krisis in ihr akutes Stadium tritt, gibt es, wie die Dinge heute liegen, nur zwei Radikalmittel zur Behinderung eines völligen Zusammenbruches. Beide Mittel sind verhängnisvoll, und beim Staat liegt die Wahl, welches von ihnen angewendet werden soll: Die Notenpresse oder das Moratorium. Das erstere Mittel lindert die Kreditkrisis, indem es die Landeswährung verschlechtert und unter Umständen zu Grunde richtet. Das zweite Mittel beseitigt die Krisis mit einem Schlage —dadurch, daß die Guthaben der Bankgläubiger gesperrt, vielleicht auch noch weitergehende Zahlungsverbote erlassen werden, — aber es bedeutet die Vernichtung von Treu und Glauben im kaufmännischen Leben und untergräbt den Kredit des Landes im Auslande. Aus dem letzteren Grunde scheut man sich denn auch in den meisten Ländern, das Gewaltmittel des Moratoriums anzuwenden, das nun einmal einen krassen Rechtsbruch darstellt und das Land, in dem das Moratorium verhängt wird, in den Augen der Welt außerordentlich diskreditiert. Deutschland hat daher selbst in der schärfsten Krisis, die es je durchgemacht hat, nämlich bei Ausbruch des Weltkrieges, auf die Verhängung eines Moratoriums verzichtet; wie sich später herausgestellt hat, zu Unrecht, denn es hat sich dadurch in die Zwangslage versetzt, die Notenpresse im stärksten Maße in Anspruch zu nehmen und so den abschüssigen Weg zu beschreiten, der schließlich zur gigantischsten Inflation aller Zeiten geführt hat. Andere Länder, auch England, haben das Moratorium damals ausgesprochen und die Inanspruchnahme der Notenpresse wenn auch nicht ganz vermieden, so doch auf ein kleines Maß beschränkt. Sie haben richtig gehandelt, indem sie von zwei Übeln das unbedingt kleinere wählten, aber auch dieses kleinere Übel ist verhängnisvoll genug. Das Gedächtnis der Welt ist gut, und man wird nicht so bald vergessen, daß jedes Land, das seine Reserven nach London legt, im Falle politischer Verwickelungen oder ernster finanzieller Störungen mit der Möglichkeit einer Zahlungsverweigerung rechnen muß. Indes gleichviel, welches der beiden drastischen Mittel ein Staat gegebenenfalls anzuwenden bereit ist, — die Illiquidität der modernen Kreditwirtschaft wird ihn, so lange die Krisenbekämpfung noch so wenig ausgebildet ist wie heute, immer wieder in die Zwangstage bringen, den gordischen Knoten der Krisis mit dem Schwerte einer Maßnahme zu durchhauen, die dem Lande auf die Dauer nicht viel weniger, ja unter Umständen noch mehr schadet, als sie im Moment nutzt. 

Deshalb ist es die Pflicht jedes Staats, dem Bankwesen und seiner „organisierten Illiquidität“ in Zukunft mehr Beachtung zu schenken, als es bisher geschehen ist.