Lansburghs Besteller: “Das Wesen des Geldes” von 1923 (Teil 2: Valuta)

II. Teil: Valuta 

1. Brief

Das wirtschaftliche Einmaleins – Außenwert und Binnenwert des Geldes – Abnormitäten

Berlin, am 1. September 1921. 

Zwei wundervoll schöne Sommermonate liegen hinter uns, lieber James. Ich entsinne mich aus meinem ganzen Leben keiner derartig langen Kette in Blau und Gold strahlender Tage. Unbekümmert um den sorgenvollen Blick des Bauern und ebenso gleichgültig gegenüber dem zufriedenen Schmunzeln des Obstzüchters hat die Sonne herabgebrannt, gehorsam irgend einem Naturgesetz, das wir nicht kennen. Wir haben uns in den Schatten geflüchtet, wir haben die Glut mit Wasser bekämpft, wo es anging. Aber wir haben den Feuerball nicht zwingen können, seine Strahlen zu dämpfen, wir haben den Winden nicht gebieten können, einen schützenden Wolkenvorhang vor das brennende Licht zu ziehen. Uns dem höheren Walten bescheiden unterordnen, uns den Tatsachen klug anpassen: das war alles, was wir vermocht haben.

Die meisten Menschen sehen das auch ein und machen keinen Versuch, sich in einem nutzlosen Kampfe mit der Natur zu zerreiben. Sie lehnen sich gegen die Gesetze nicht auf, die sie als ewig und unabänderlich erkannt haben. Warum handeln sie aber so vernünftig nur auf dem Gebiet der Naturgewalten, nicht auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet? Warum glauben sie hier der Entwickelung durch willkürliche Eingriffe und Gewaltmaßregeln nach Gutdünken die Richtung vorschreiben zu können? Warum übersehen sie geflissentlich, daß auch die Wirtschaft ihre ewigen Gesetze hat, denen gegenüber es keine andere Klugheit gibt als Unterordnung und Anpassung? Ist unsere Wirtschaftswissenschaft wirklich noch so in den Kinderschuhen, daß sie glaubt, imperativ auftreten und dem Staate vorschreiben zu dürfen: „Tue dies und lasse jenes, damit diese oder jene unerwünschte Folge bestimmter Ursachen verschwinde“? Statt von Jahrtausende alten Erkenntnissen auszugehen und zu sagen: „Die Wirtschaftsgesetze lassen aus dieser Ursache unfehlbar jene Wirkung hervorgehen. Beachte diesen Kausalzusammenhang, respektiere ihn, richte dich nach ihm, vermeide die Ursache, wenn du die Wirkung nicht willst, aber vermiß dich nicht, den Zusammenhang ändern und in eine dir genehme Richtung abbiegen zu wollen.“ Auch die wirtschaftliche Entwicklung hat ihr Einmaleins und geht nichtachtend über denjenigen hinweg, der gegen den Grundsatz „zweimal zwei ist vier“ verstößt. 

In den Briefen, die ich Dir zu Beginn dieses Jahres schrieb, habe ich Dir klar zu machen gesucht, wie gröblich fast alle europäischen Regierungen gegen das eherne Wirtschaftsgesetz verstoßen haben, demzufolge die Güterbezugsscheine, die wir „Geld“ nennen, einzig und allein aus dem Verkehr heraus entstehen können, der die Güter erzeugt und verteilt. Ich habe Dir gezeigt, wie der Aberglaube, daß der Staat es sei, der das Geld schaffe, und daß bei ihm die Entscheidung über Art und Menge des Geldes liege, sich in der verhängnisvollsten Weise gerächt hat, indem der Wert des Geldes durch diese Anmaßung des Staates, Schöpfer spielen zu wollen, tief herab, vielfach in’s Bodenlose, gesunken ist: daß ein großer Teil der Bevölkerung dadurch um Hab und Gut gebracht, also je nach der Auffassung enteignet oder bestohlenworden ist: daß fast alle unsere sozialen Kämpfe mit ihren Begleiterscheinungen von politischer Verhetzung, öffentlicher Unmoral, allgemeiner Skrupellosigkeit beim Erwerb, epidemischen Raubens und Mordens, eine Folge dieser Mißachtung der Wirtschaftsgesetze sind: ja daß selbst die deutsche Revolution von 1918 zum großen Teil auf das Konto dieser Mißachtung gehört, weil durch die willkürliche Manipulation mit dem Gelbe noch mehr als durch den Krieg jene Zweiteilung des Volkes in die Gruppe der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten herbeigeführt und dadurch die seelische Disposition für den Zusammenbruch geschaffen worden ist. Vor allem aber habe ich Dir gezeigt, in welch groteskem Maße die Regierungen sich allenthalben selbst betrogen haben, als sie glaubten, sie hätten durch Überschwemmung der Länder mit Unmassen von Bank- und Staatsnoten selbstherrlich „neues Geld“ und „neue Kaufkraft“ geschaffen; wie sie vielmehr in Wirklichkeit nichts anderes getan haben, als die Kaufkraft des alten Geldes zu verwässern, um den größeren Teil davon von ihren rechtmäßigen Eigentümern auf sich selbst und dann weiter auf bestimmte privilegierte Bevölkerungsschichten zu übertragen.

Aber mit der Feststellung aller dieser Tatsachen, lieber James, haben wir das Geldproblem keineswegs erschöpft. Da ein moderner Industrie- und Handelsstaat kein isoliertes Gebiet, kein in sich abgeschlossenes Gebilde, sondern einen Teil des großen wirtschaftlichen Völkerverbandes darstellt, so ist auch sein Geldwesen keine interne Angelegenheit mit lediglich binnenwirtschaftlichen Ausstrahlungen, sondern es wirkt zugleich nach außen. Jeder willkürliche Eingriff in das Geldwesen muß neben den verhängnisvollen Folgen im Innern notwendigerweise auch einen weittragenden Einfluß auf alle merkantilen und finanziellen Beziehungen des Inlandes zum gesamten Auslande haben. Denn wenn die Waren im Inlande ihren Preis verzehnfachen oder vertausendfachen und ein ander Mal wieder halbieren, so kann das nicht ohne irgendwelche Wirkungen auf den Weltmarkt bleiben, den die Waren aufsuchen, oder von dem sie in’s Land strömen, und ebenfalls nicht ohne Wirkung auf den Preis der fremden Geldsorten, in denen die Auslandswaren und etwaige Schulden im Auslande bezahlt werden müssen. Es knüpft sich also eine ganze Kette von Problemen an das Hauptproblem des Landesgeldes und seines Werts im Lande selbst.

Wir brauchen nur um uns zu blicken, und sofort drängen sich uns die seltsamsten und widerspruchsvollsten Erscheinungen auf. So zum Beispiel, wenn wir auf den Kurszettel sehen, der uns die Devisenkurse und damit zugleich den Wert mitteilt, den das Ausland unserem eigenen Gelde beimißt. Daß dieser Auslandswert sinken muß, wenn unser Geld im Lande selbst an Wert verloren hat, versteht sich von selbst. Denn wollte das Ausland die deutsche Mark noch zu ihrem alten Goldwerte einschätzen und bezahlen, so würde das deutsche Geld nach dem Auslande wandern, wo es überwertet wird, dort enorme Warenmassen aufkaufen und Deutschland mit seinen Erzeugnissen überschwemmen. Dadurch würde das deutsche Preisniveau gewaltsam heruntergedrückt, oder mit anderen Worten der Wert der Mark in Deutschland wieder gehoben werden. Kaum wäre das aber geschehen, so würde der umgekehrte Prozeß einsehen: die ausgeflossenen Markmassen würden nach Deutschland zurückströmen, sich hier kaufend auf die Märkte ergießen und die Preise von neuem in die Höhe, den Geldwert aber entsprechend in die Tiefe jagen, worauf das Spiel von neuem beginnen würde. Das ist natürlich eine Unmöglichkeit. So wenig der Preis eines Wertpapieres, eines Wechsels oder eines Edelmetalles in einem Lande erheblich von dem Preise in einem benachbarten Lande abweichen kann, so wenig kann das Geld eines Staatswesens außerhalb seiner Grenzen wesentlich höher oder niedriger bewertet werden, als in dem Staatswesen selbst. Sein Preis wird, wie Wasser in kommunizierenden Röhren, im In- und Auslande ungefähr denselben Pegelstand einnehmen müssen. 

Das ist eine glatte Selbstverständlichkeit, nicht wahr? Aber wenn wir dann daran gehen, diese Selbstverständlichkeit an Hand der Tatsachen. nachzuprüfen, so stutzen wir. Irgend etwas stimmt da nicht. Denn was sehen wir in Wirklichkeit, mein Lieber? Wir sehen, daß tatsächlich ganz erhebliche Bewertungs-Unterschiede Vorkommen. Bald wird die Mark im Auslande höher, bald wird sie niedriger bezahlt, als ihrem Wert im Inlande entspricht. Im Sommer 1920 beispielsweise war die Mark im Auslande zeitweilig erheblich kaufkräftiger als in Deutschland. Bei uns konnte man für eine Mark nur noch ungefähr den zehnten oder zwölften Teil dessen kaufen, was man vor dem Kriege dafür erhalten hatte; im Auslande dagegen bekam man, da die Mark damals mit ungefähr 1/33 Dollar oder 1/7 Shilling bewertet wurde, noch immer etwa ein Siebentel oder Achtel der früheren Warenmenge. Und Heute verhält es sich gerade umgekehrt: Jetzt hat Hie Mark im Inlande etwa ein Dreizehntel oder Vierzehntel ihrer ehemaligen Kaufkraft, im Auslande dagegen kaum noch ein Zwanzigstel; eine Tatsache, die vollkommen Wider die natürliche Ordnung der Dinge verstößt, der nur eine vollständige oder zum mindesten annähernde Übereinstimmung zwischen dem Binnenwert und dem Außenwert des Geldes gemäß ist, die aber doch wohl ihre Gründe haben muß. Denn was ist, ist vernünftig und die Folge irgend einer Ursache. 

Aber kaum haben wir diese Abnormität wahrgenommen, als sich uns schon wieder neue Probleme aufdrängen. Wenn der Außenwert des deutschen Geldes so erheblich niedriger ist als sein Binnenwert, so bedeutet dies, daß die deutschen Inlandspreise niedriger sind als die entsprechenden Preise im Ausland. Infolgedessen muß deutsche Ware in gewaltigen Mengen auf den Weltmarkt hinausströmen. Und wir sehen in der Tat, daß das heute der Fall ist; die ganze Welt klagt über deutsche Schleuderkonkurrenz und sucht sich gegen sie zu schützen. Wie kommt es dann aber, daß der Außenwert der Mark sich nicht jetzt wenigstens auf die Höhe des Binnenwertes erhebt? Die starke deutsche Warenausfuhr muß Loch bezahlt werben und im Auslande eine entsprechend starke Nachfrage nach deutschen Zahlungsmitteln hervorrufen, also den Markkurs mindestens auf die Höhe des Inlands-Markwerts steigern. Warum geschieht das nicht? Warum bleibt die Divergenz zwischen Binnen- und Außenwert der Mark auch jetzt noch bestehen?

Hierauf wirst Du mir natürlich antworten, lieber James, was so ziemlich Alle an Deiner Stelle antworten würden: daß nämlich der Minderwert der Mark im Auslande gar kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit sei, weil Deutschland ja in unerhörter Weise mit Zahlungsverpflichtungen belastet ist und allein im Juni, Juli und August dieses Jahres 1 Milliarde Goldmark oder 19 bis 20 Milliarden Papiermark als „Reparation“ an die Entente hat entrichten müssen. Diese Tatsache ist mir natürlich nicht ganz unbekannt, und ich kenne auch ihre Wirkungen auf den Markkurs. Wie kommt es dann aber, mein Lieber, daß im vorigen Jahre, als wir ebenso große oder noch größere Summen für Getreide, Baumwolle, Kupfer und ähnliche notwendige Dinge an das Ausland haben zahlen müssen, nicht dieselbe Wirkung eingetreten ist wie jetzt? Wenn Du Dir die Handelsstatistik ansiehst, so wirst Du finden, daß Deutschland allein an regulär genehmigten und richtig verzollten Maren für etwa 40 Milliarden Mark mehr eingeführt als ausgeführt hat. Dazu kommen die zahlreichen Milliarden an geschmuggelter oder durch das „Loch im Westen“ herübergeschobener Waren. Alles das und noch viel mehr haben wir bezahlen müssen, und doch ist die Mark im Sommer 1920 im Auslande höher bewertet worden als im Inlande! Hier muß also wiederum irgend etwas nicht stimmen.

Vor allem aber: Wenn der Deutschland auferlegte Reparationstribut wirklich und unbedingt zur Folge hat, daß die Mark auf dem Weltmarkt einem ständigen starken Angebot ausgesetzt und dadurch unter ihren Binnenwert heruntergedrückt wird, dann müßten wir ja unter Umständen dreißig Jahre und länger mit zweierlei Markwert, einem höheren inländischen und hinein niedrigeren ausländischen, rechnen! Denn die Reparation soll sich bekanntlich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Wir würden mithin dreißig Jahre lang und länger nicht daran denken können, wieder eine gesunde, wertbeständige deutsche Währung aufzubauen. Tatsächlich besteht aber heute schon eine starke Strömung für die baldige Inangriffnahme der Währungsreform, und recht kluge Leute glauben, daß wir das deutsche Geldwesen sehr schnell befestigen Können, wenn wir ernstlich wollen, – trotz unserer Auslandsverschuldung und trotz der Reparation. Wie Kommen wir über diesen neuen Widerspruch hinweg? 

And ferner: Nehmen wir einmal an, die Reparation käme aus irgend einem Grunde plötzlich in Wegfall; die Weltgeschichte steht ja seit dem Frieden von Versailles Keineswegs still, sondern schafft immer neue, bizarre Konstellationen und allerhand unvorhergesehene Möglichkeiten. Wie also, wenn wir schon morgen nicht mehr zu zahlen brauchten? Wäre dann die Übereinstimmung zwischen Binnen- und Außenwert der Mark mit einem Schlage wiederhergestellt? Oder würden dann wieder andere störende Momente sich dem Ausgleich in den Weg stellen? Und gibt es Voraussetzungen, unter denen die Störungen ausbleiben, und andere, unter denen sie eintreten? 

Und wiederum: Wenn es richtig ist, daß infolge der Reparation oder sonstiger ungünstiger Umstände der Außenwert der Mark dauernd unter den Binnenwert heruntergedrückt wird, muß es dann nicht notwendig zu einem gewaltigen Handelskrieg zwischen Deutschland und dem Auslande kommen? Höherer Binnenwert der Mark heißt ja billige Preise der deutschen Ware, heißt mithin Massenexport, der auf dem Weltmarkt als Schleuderkonkurrenz („Dumping“) empfunden wird, und heißt endlich gewaltsame Abwehrmaßregeln der fremden Länder, die sich ihre Industrien nicht durch diese Schleuderkonkurrenz ruinieren lassen wollen. Also ein erbitterter Kampf, in dem Einfuhrverbote und Prohibitivzölle die Munition bilden, der aber dennoch wirkungslos bleiben muß, weil der schlechte Außenwert der Mark, der gleichbedeutend mit deutscher Verschuldung und Zahlungspflicht ist, wie ein mächtiger Saugapparat die deutsche Ware immer wieder in das Ausland pumpt. Oder löst sich dieser Konflikt auf eine andere, friedlichere Weise? 

Du siehst, mein Sohn, die Probleme häufen und komplizieren sich. And wenn man nicht ein festes Fundament unter den Füßen und eine genaue Kenntnis dessen hat, was „Geld“ und was „Valuta“, nämlich Außenwert des Geldes ist, so fährt man auf diesem Meer der Probleme unfehlbar in die Irre. Kaum ist man mit der einen Woge fertig geworden, da naht schon die nächste, höhere, und hinter ihr. ballt sich bereits die dritte. Da heißt es klug steuern. Für mich, der ich nun einmal Dein Steuermann bin, bedeutet das die Pflicht, systematisch zu Werke zu gehen und das Alphabet der Valutafrage nicht mit einem beliebigen Buchstaben, sondern von vorn, mit dem A anzufangen. Ohne Elementarunterricht geht es nun einmal auf diesem Gebiete nicht, weil schon ein kleiner Irrtum in einer scheinbar nebensächlichen Grundfrage uns sofort in eine falsche Richtung führt und den rechten Weg nicht wiederfinden läßt.

Meine nächsten Briefe werden also mit dem Fundament beginnen: Wie verkehren die Völker? Womit zahlen sie? Was ist das sogen. Weltgeld? Wenn wir in diesen Grundfragen Bescheid wissen, können wir, ohne ein Beirren zu fürchten, getrost auf dem Wege weitergehen, der zur eigentlichen Valutafrage führt. Du wirst dann sehen, wie einfach, wie selbstverständlich die Dinge im Grunde sind. Es verhält sich mit diesem scheinbar so schwierigen Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft wie mit den übrigen: Alles ist im Grunde ganz klar, und das eine ergibt sich immer aus dem anderen. Nicht die Dinge sind kompliziert, kompliziert ist vielmehr unsere Art, an sie heranzugehen. Merke es Dir ein für alle Mal, mein Sohn: Schwer ist immer nur das, was man nicht kann, und verwickelt sind nur diejenigen Probleme, die man nicht übersieht. 

In Liebe 

Dein alter Papa.

2. Brief

Der internationale Tauschverkehr – Die Ware als Weltgeld – Der Platzhalter-Dienst des Wechsels

Berlin, am 4. September 1921. 

Jeder geschäftliche Verkehr zwischen Menschen, lieber James, ist ein Tauschverkehr, ein fortgesetztes wechselseitiges Geben und Nehmen von Maren oder Leistungen gegen andere Waren oder Leistungen. Das haben wir bereits damals festgestellt, als wir uns mit dem Wesen des Geldes beschäftigten, wobei wir zu dem Ergebnis kamen, daß das Geld letzten Endes weiter nichts ist als ein Stellvertreter; nämlich der Stellvertreter von Maren und Leistungen, auf die man einen Anspruch hat, weil man selbst etwas geleistet, das Äquivalent aber noch nicht empfangen hat; daß die Hingabe von Geld also gewissermaßen ein Provisorium ist, das früher oder später durch das Definitivum einer Leistung oder einer Ware abgelöst wird. Erst wenn dies geschieht, ist der Tauschakt vollendet, findet die eigentliche Bezahlung für die Leistung oder Ware statt, die den Anlaß zur Hingabe gegeben hat. 

Nicht anders als mit dem Verkehr zwischen Angehörigen eines und desselben Staatswesens verhält es sich mit dem Verkehr von Land zu Land. Auch hier wird Ware und Leistung gegen Ware und Leistung getauscht. Du erkennst das ohne Weiteres, wenn Du Dir die Einzelheiten des internationalen Verkehrs vergegenwärtigst. Den größten Bestandteil bildet die Ein- und Ausfuhr von Waren, über die in den Zollämtern und statistischen Büros sorgfältig Buch geführt wird. Einen weiteren Teil bilden die Transport- und Vermittelungsdienste, welche die Eisenbahnen, Schiffahrtsgesellschaften und Banken den Angehörigen anderer Länder leisten, und die entweder mit ähnlichen Diensten oder mit einer entsprechenden Wareneinfuhr bezahlt werden. Bei diesen beiden Hauptposten der Verkehrsbilanz liegt der Tauschcharakter klar zu Tage. 

Aber auch alle übrigen Posten haben diesen Tauschcharakter, wenngleich er hier nicht so deutlich erkennbar ist, weil man allerhand Dokumente, insbesondere Staatspapiere und Privatobligationen, Aktien und ähnliche Effekten, von Land zu Land wandern sieht, mit denen es scheinbar eine andere Bewandtnis hat. Tatsächlich stehen aber alle diese Dokumente in genau: derselben Weise im Dienste des internationalen Austauschs, wie sie im Dienste des binnenstaatlichen Tauschs stehen. Aus meinen Briefköpfen ersehe ich, daß ich Dir schon am 2. Januar d. 3. auseinandergesetzt habe, was Aktien, Obligationen, Hypotheken und alle sonstigen Kredit- und Beteiligungsinstrumente in Wirklichkeit sind: nämlich Rechte an Häusern, Maschinen, Maren, Vorräten bezw. an den Unternehmungen, in deren Besitz diese Dinge sich befinden. Es sind Urkunden, aus denen hervorgeht, daß bestimmte Güter nicht das ausschließliche Eigentum derjenigen Person sind, die gerade über sie verfügt, sondern das Miteigentum oder Unterpfand des Besitzers der Urkunde. Wer solche Dokumente versendet, der versendet das abstrakte Eigentums- oder Pfandrecht an bestimmten konkreten Gütern, was in seinen wirtschaftlichen Wirkungen genau daßelbe ist, als ob er diese Güter in natura zum Versand bringt. Und wenn eine Einzelperson oder eine Staatsbehörde derartige Eigentums- oder Forderungspapiere in das Ausland sendet, um auf diese Meise kurz zuvor eingeführte Baumwolle, Spitzen oder Apfelsinen zu bezahlen, so ist in Wirklichkeit ein glatter Tausch von Gut gegen Gut zustande gekommen. 

Neben solchen Dokumenten, die ein Eigentum oder eine langfristige Forderung beurkunden, geht auch noch eine andere Art Dokumente von Land zu Land, in denen ein kurzfristiges Kreditverhältnis verbrieft wird. Diese Papiere besagen wirtschaftlich weiter nichts, als daß eine Leistung statt in der Gegenwart erst in der Zukunft, etwa nach drei oder sechs Monaten, erfolgen soll, und daß daher eine Mare, die ein Land bezogen hat, nicht sofort, sondern später mit einer anderen Ware bezahlt werden wird. Daher kommt es, daß im Außenhandel eines Landes sich die Aktiv- und Passivseite nicht immer genau ausgleichen, wie es nach dem Prinzip „Ware gegen Ware“ eigentlich der Fall sein müßte, sondern daß bald die eine, bald die andere Seite überwiegt. Die Differenz wird Lurch die Kreditpapiere, d.h. durch das Versprechen einer späteren Zahlung, provisorisch ausgeglichen, und so lange das -er Fall ist und die Differenz, noch besteht, ist ein entsprechendes Quantum Ware oder Dienstleistung faktisch unbezahlt. Früher oder später jedoch muß die definitive Bezahlung in der allein möglichen Form der Warensendung oder Dienstleistung erfolgen, .sonst begeht die Zahlungspflichtige Person, Gesellschaft oder Volksgemeinschlaft einen Treubruch. 

Wenn der normale und rechtliche Verkehr zwischen den einzelnen Ländern stets ein Tauschverkehr ist, so kommt es doch gelegentlich auch vor, daß anormale Verhältnisse Platz greifen, die aus dem Rahmen des Rechts herausfallen. So kann ein Land von anderen Ländern gezwungen werden, Leistungen zu bewirken, denen keine Gegenleistung gegenübersteht. Das bekannteste Beispiel für solche Vorgänge, bei denen die Gewalt das Recht ersetzt und ein Land zu einseitigen Leistungen verurteilt, ist das, was das Altertum „Tribut“ nannte, und was man heute etwas verlogener als „Kriegsentschädigung“, „Reparation“ oder ähnlich bezeichnet. Hier wollen die Empfängerländer von dem Zahlungspflichtigen Lande „Geld“ haben, d.h. Bezugsscheine auf Waren und Dienste, mit deren Hilfe sie sich in den Besitz beliebiger Güter setzen können. Aber auch in diesem Falle, in dem sie doch brutale Gewalt anwenden, gelingt es ihnen nicht, das Wirtschaftsgesetz umzustoßen, nach dem der Verkehr von Land zu Land sich ausschließlich im Wege des Warenaustauschs abspielt. Denn das zur Zahlung verurteilte Land hat, um zahlen zu können, weiter nichts als Waren oder Dienste. Selbst wenn es scheinbar in Geld zahlt, das heißt den empfangsberechtigten Ländern den ganzen Tribut in seinem Landesgel.de entrichtet, gibt es in Wirklichkeit Ware hin. Denn Du weißt ja, sofern meine früheren Briefe ihren Zweck erfüllt haben, daß das Landesgeld nur eine Anweisung auf Landesgüter oder ein Unterpfand für diese Güter ist, und daß es nur insofern einen Wert hat, als das in ihm verkörperte Bezugsrecht auf die Landesgüter ausgeübt wird. In dem Gelde, das ihnen übergeben wird, empfangen also die Tributnehmenden Länder lediglich einen Bon auf Waren und Leistungen des tributpflichtigen Landes, und sie müssen, um zu ihrem. „Gelbe“ zu kommen, den Bon präsentieren, d.h. das Landesgeld zurückgeben und dafür Waren oder Dienste beziehen.

Das ist niemals deutlicher zu erkennen gewesen als eben jetzt, wo Deutschland der ihm auferlegten Reparationspflicht genügt und der Aufforderung der verbündeten Siegerstaaten nachkommt, jährlich mehrere Milliarden Goldmark in amerikanischem, englischem und sonstigem Velde zu bezahlen. Deutschland bringt die erforderlichen Dollar, Pfund Sterling usw. in der Weise auf, daß es seinen Exporteuren die Devisen, die sie als Gegenwert ihrer Ausfuhr erhalten, und seinen Banken die Guthaben, die sie im Auslande haben, abkauft und als Tribut an die Sieger abführt. Es bezahlt alle diese Devisen und Guthaben in deutschem Gelde, in Mark, die es im Wege der Steuer und der Anleihe und leider auch, sogar hauptsächlich, im Wege des Rotendruckens beschafft. Aber das ist ja nur der technische Hergang. Sachlich liegen die Dinge so, daß Deutschland mit den Waren bezahlt, die seine Exporteure ausführen müssen, um die erforderlichen Devisen zu erhalten, und mit den ausgeführten Anleihen, Aktien und sonstigen Vermögenswerten, für die seine Banken sich in den Besitz der dringend benötigten Auslandsguthaben sehen. Die eigentliche Zahlung erfolgt also, wie jede Zahlung von Land zu Land, in Waren bezw. Gütern, und die Empfängerländer, welche die anbefohlenen deutschen Reparationszahlungen schon triumphieren als Einnahme gebucht haben, sehen jetzt mit Schrecken, daß „Geld empfangen“ nichts anderes heißt als „mit Ware überschwemmt werden“. Wie Goethe’s Zauberlehrling haben sie die Tragweite ihres Befehls nicht begriffen. Sie wissen nun nicht, wie sie die ungeahnten Folgen ihres täppischen Zahlungsverlangens beseitigen und ihre Industrien vor der vernichtenden Konkurrenz der deutschen Reparationsware schützen sollen. Zwei Seelen wohnen in ihrer Brust: die eine verlangt „zahle!“, die andere jammert „zahle nicht in Ware!“ Es ist auf Jahrhunderte hinaus ein Schandmal für die europäische Finanzwissenschaft der Gegenwart, daß sie die Regierungen in diesem Punkte nicht rechtzeitig belehrt und ihnen gesagt hat: Keine Person und kein Volk kann anders zahlen als in Gütern oder Diensten. Verurteilt Ihr Deutschland zu mehreren Milliarden Goldmark jährlich, so verurteilt Ihr die Zahlungsempfänger zur Annahme der entsprechenden Menge deutscher Ware oder deutscher Arbeit. Ihr müßt also Ware und Arbeit nehmen, da Gold in solchen Mengen nicht zu beschaffen und überdies nutzlos, ja sogar ein Unglück für Euch sein würde — auf diesen Punkt, lieber James, kommen wir später noch ausführlich zu sprechen, oder aber Ihr müht auf die ganze Reparation verzichten.“ Das hat niemand den Regierungen rechtzeitig gesagt; aber jetzt erkennen diese es selbst, und sie bemühen sich, den deutschen Warenstrom aus jede, mögliche und. unmögliche Weise zurückzudämmen.

Alles das, lieber James, nur zur Illustration der Tatsache, daß die Zahlungen von Land zu Land, auch wenn sie in Geld stipuliert sind, sich in Wirklichkeit in der Warenform vollziehen. Einem Lande also, das einem anderen verschuldet ist, und dem weder das Gläubiger noch ein drittes Land einen entsprechenden Kredit einräumen will, bleibt nichts anderes übrig, als Güter zu exportieren oder Dienste zu leisten. Nun stößt aber diese Zahlungsweise auf Hindernisse, namentlich wenn es sich um außergewöhnlich große Beträge handelt. Denn zum Exportieren gehören, wie zum Küssen, immer zwei: Einer, der exportiert, und einer, der die Exporte annimmt. Dem Angebot der Güter und Dienste aus dem Zahlungspflichtigen Lande muß eine Nachfrage des Auslands gegenüberstehen, sonst nützt dem ersteren Lande der beste Ausfuhrwille nichts; es kann dann nicht exportieren und infolgedessen nicht zahlen. Dem Auslande bleibt in solchem Falle nichts anderes übrig, als die Schuld zu stunden, also Kredit zu geben. Aber auch hierzu ist es häufig nicht bereit. Es gibt Konstellationen, unter denen ein Land weder seine Mare los wird, weil diese den anderen Ländern zu teuer ist, noch Kredit erhält, weil dieser den anderen Ländern ein finanzielles Wagnis zu sein scheint. Mas geschieht dann? Vermag das Schuldnerland trotzdem zu zahlen, oder vermag es das nicht, so daß es seinen Bankrott erklären muß? 

Ich will Dir das lange Nachdenken über diesen heiklen Punkt ersparen, lieber James, und Dir gleich sagen, daß es ein solches Dilemma, wie ich es hier eben skizziert habe, in Wirklichkeit nicht gibt. Ich bin von einer unmöglichen Voraussetzung ausgegangen. Denn daß das Ausland einem Schuldnerlande weder seine Ware abnehmen noch Kredit bewilligen will, kommet niemals vor. Ein Schuldnerland, dem es Ernst mit seinem Zahlungswillen ist, findet stets entweder Abnehmer für seine Waren oder genügenden Kredit. Das mag Dir seltsam erscheinen, und ich gebe zu, daß es absonderlich klingt, wenn ich sage, daß das Ausland nicht frei in seinen Entschließungen ist, sondern einem Zwange gegenüber steht, der ihm nur die Wahl läßt, ob es kaufen oder Kredit geben will. Aber es ist in der Tat so. Und wenn Du mich fragst: „Wer kann das Ausland zwingen, eine Ware zu kaufen, die zu teuer ist, oder einen Kredit zu bewilligen, der ihm zu gefährlich scheint?“, so antworte ich Dir: „der Wechselkurs“.

Der Wechselkurs ist der Preis der ausländischen Zahlungsmittel – mit denen ein Land seine Schuld abdecken kann, und die es erhält, indem es Ware exportiert, – ausgedrückt in einem bestimmten Betrage seiner eigenen Zahlungsmittel. Da Zahlungsmittel nichts anderes sind als Warenbezugsscheine, so zeigt der Wechselkurs an, wieviel Ware das Schuldnerland hergeben muß, um seine Schuld zu bezahlen. Ist der Wechselkurs günstig, d.h. sind die ausländischen Zahlungsmittel billig, so bedeutet dies, daß das Schuldnerland wenig eigene Ware hinzugeben braucht, um einen bestimmten Betrag damit abzudecken. Ist dagegen der Wechselkurs ungünstig, der Preis der ausländischen Zahlungsmittel also hoch, so muß das Schuldnerland für dieselbe Schuld entsprechend mehr Ware hingeben. Von der Seite des Auslands gesehen heißt das: Im ersten Falle kommt das Ausland in die unvorteilhafte Lage, wenig Ware für eine Einheit seines Geldes zu erhalten, also teuer einzukaufen, im zweiten Fall dagegen in die vorteilhafte Lage, viel Ware für dieselbe Einheit zu erhalten, also billig einzukaufen. Je schlechter der Stand der Wechselkurse für das Schuldnerland, um so besser die Einkaufsgelegenheit in diesem Lande für das gesamte Ausland.

Nun wollen wir einmal annehmen, meine Voraussetzung, daß das Ausland als Ganzes genommen dem Schuldnerlande weder Ware abkaufen noch Kredit einräumen will, sei in einem konkreten Falle wirklich eingetreten. Was würde die Folge sein? Das Schuldnerland würde in Verlegenheit geraten. Weder könnten ihm seine Exporteure die ausländischen Warenwechsel (Devisen), noch seine Banken die Auslandsguthaben zur Verfügung stellen, deren es zur Abdeckung seiner Schuld bedarf. Das Land oder die von ihm beauftragten Finanzinstitute würden am Devisenmarkt vergeblich nach der erforderlichen Menge fremder Zahlungsmittel suchen und daher notgedrungen allen denen eine hohe Prämie zahlen, die ihnen solche Zahlungsmittel überlassen können und wollen. Sie würden beispielsweise. ür Dollarwechsel, die bei einem Kurse von 40 Mark per Dollar nicht zu beschaffen sind, 60 oder 80 Mark bieten. Gemäß dem Gesetz, daß starke Nachfrage bei unzureichendem Angebot den Preis steigert, würden die fremden Zahlungsmittel, d.f. die Wechselkurse, sich im Schuldnerlande ganz außerordentlich verteuern. 

Was wäre die Folge? Wenn Du mir hier. gegenüber sähest, mein Sohn, so würdest Du mir den weiteren Gang der Geschehnisse jetzt selbst schildern müssen, denn es entwickelt sich alles ganz logisch aus Tatsachen, die wir bereits kennen. Da ich Dir aber leider die Lektion nicht par Distanze abhören kann, so muß ich notgedrungen den logischen Faden selbst weiter spinnen. Also: Wir haben gesehen, daß ungünstige Wechselkurse des Schuldnerlandes für das gesamte Ausland eine Chance bedeuten, nämlich die Chance des billigen Warenkaufs im Schuldnerlande. Nehmen wir an, der Preis, einer bestimmten deutschen Maschine betrage 400 000 Mark. Das machte bei einem Dollarkurse von 40 Mark genau 10 000 Dollar aus. Verschlechtert sich nun der Dollarkurs in Berlin auf 80, so kostet dieselbe Maschine den amerikanischen Importeur nur noch die Hälfte, nämlich 5000 Dollar. Und wenn ihm der Preis von 10 000 Dollar zu hoch erschien, um die Maschine zu kaufen, so wird er einen Preis von 5000 Dollar vermutlich nicht mehr zu hoch finden. Woraus sich der Lehrsatz ergibt: Die Verschlechterung des Wechselkurses bei unverändert bleibendem Inlandspreis verstärkt die Kaufneigung des Auslandes und bewirkt eine Zunahme des Exports.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder genügt die Steigerung des Dollarkurses von 40 auf 80 Mark (und eine entsprechende Steigerung aller übrigen Wechselkurse), um die bisher fehlende Kaufneigung des Auslandes wachzurufen und den Export im erforderlichen Maße zu beleben: Dann findet das Schuldnerland, in diesem Falle Deutschland, die nötige Devisenmenge, um seine Schuld zu begleichen. Denn jede exportierte Ware bringt ihm naturgemäß eine ihrem Preise entsprechende Summe in fremden Zahlungsmitteln ein. Der Wechselkurs hat dann seine Schuldigkeit getan. Oder aber, zweite Möglichkeit: Trotz des starken Steigens der Devisenkurse hebt sich der Export nicht hinreichend, sei es, weil die Preisverbilligung der Waren den ausländischen Importeuren nicht genügt, sei es, weil die fremden Negierungen die deutsche Ware mit hohen Zöllen belegt haben. Dann fehlt dem Zahlungspflichtigen Deutschland noch immer ein Teil des erforderlichen Devisenmaterials, die Nachfrage nach fremden Zahlungsmitteln am Devisenmarkt hält an und treibt die Wechselkurse weiter in die Höhe. Der Dollarkurs macht dann nicht bei 80 Mark Halt, sondern klettert auf 100, 120 oder noch höher. Auf diese Weise verschlechtern sich die Wechselkurse so lange, oder, was gleichbedeutend ist, verbilligen sich die Preise der deutschen Ware für das Ausland bis zu solchem Grade, daß jede Abneigung der fremden Importeure und jeder noch so hohe Zoll der fremden Negierungen schließlich überwunden wird, die deutsche Ware sich in breitem Strome über das Ausland ergießt, und Deutschland dadurch die Verfügung über das erforderliche Quantum Devisen erhält. Will das Ausland diesem Einbruch deutscher Ware, der seine Industrien bedroht, ein Ende machen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als Deutschland der Notwendigkeit des formierten Devisenkaufs zu entheben, das heißt ihm die nötigen Kredite einzuräumen. 

Auf diese Weise, lieber James, zwingt die innere Logik der Dinge vermittels des Wechselkurses das Ausland, dem Schuldnerlande entweder die Abtragung seiner Schuld in Ware zu gestatten, oder ihm diese Schuld zu stunden. Es gibt keine andere Möglichkeit. Denn nehmen wir selbst an, es sei denkbar, daß die ganze Welt sich einmütig durch Einfuhrverbote gegen die Ware des Schuldnerlandes verschanzt, und daß sie ebenso einmütig jeden Kredit ablehnt, – eine Voraussetzung, die jeder Praktiker als Phantasterei verlachen wird, – so würde die deutsche Mare auf Schleichwegen und in den absonderlichsten Verkleidungen dennoch in das Ausland dringen. Die Gewalt des preisverbilligenden Wechselkurses ist schlechthin unüberwindlich, und so lange ein Schuldnerland zahlen will, kann keine Macht der Erde es daran hindern, in der Weise zu zahlen, die im Verkehr von Land zu Land die einzig denkbare ist, nämlich durch Hergabe von Ware

So sehen wir denn, daß die vermittelnde Rolle, die im Binnenhandel das Geld spielt, im Weltverkehr vom Wechsel gespielt wird. Aber so wenig wie das Geld ist der Wechsel ein definitives Zahlungsmittel. Wie jenes ist er vielmehr ein Provisorium, ein Platzhalter, der die Ware (im weitesten Sinne, also einschließlich aller irgendwie gearteten Leistungen) vertritt, bis sie, die den alleinigen Gegenstand jeglichen Verkehrs ausmacht, ihn durch das Geld ablösen läßt, das sie dann späterhin selbst wieder ablöst. Der Wechsel ist sonach im Unterschied vom Gelde ein Provisorium zweiten Ranges, das zum Gelde in demselben Verhältnis steht, wie dieses zur Ware. 

Soviel für heute. In Liebe 

Dein alter Papa. 

3. Brief

Das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz – Die Weltware „Gold“ – Das Gold und seine drei Eigenschaften

Berlin, den 6. September 1921.

Wir haben gesehen, lieber James, daß der Wechselkurs, der den Wert eines Landesgeldes in Einheiten eines anderen Landesgeldes ausdrückt, durchaus von der Zahlungsbilanz des Landes abhängt: daß er sich verbessert, wenn das Land mehr zu fordern als zu zahlen hat, und daß er sich verschlechtert, wenn es sich umgekehrt verhält. Wir haben aber ferner gesehen, daß der Wechselkurs den Stand der Zahlungsbilanz nicht nur registriert, sondern zugleich korrigiert, indem er das Preisniveau in den Gläubiger- und Schuldnerländern in dasjenige Verhältnis zu einander setzt, das den Ausfluß von Ware aus den Schuldnerländern in die Gläubigerländer ermöglicht und auf diese Weise die Zahlungsbilanz ausgleicht. 

Daraus ergeben sich nun verschiedene wichtige Folgerungen. Es ergibt sich erstens, daß die Gunst oder Ungunst der Wechselkurse nicht etwa ausschließlich davon abhängt, ob ein Land anderen Ländern sehr hoch oder sehr niedrig oder gar nicht verschuldet ist, sondern weit mehr davon, ob es ihm im gegebenen Falle leicht oder schwerer fällt, einen Schuldsaldö durch Warenausfuhr auszugleichen oder durch Inanspruchnahme von Kredit für den Moment gegenstandslos zu machen. Das eine Land wird spielend mit einem hohen Passivsaldo fertig, dem andern macht bereits die Begleichung eines kleinen Saldos Schwierigkeiten: das ist eine Frage der Exportfähigkeit und der Kreditwürdigkeit. Infolgedessen genügt in dem einen Lande bereits eine geringe Verschlechterung der Wechselkurse, um den gewünschten Effekt hervorzurufen, während in dem andern Lande eine ganz beträchtliche Verschlechterung der Wechselkurse eintreten muß, um einen verhältnismäßig unbedeutenden Passivsaldo der Zahlungsbilanz aus der Welt zu schaffen. 

Es ergibt sich zweitens, daß es einem Lande grundsätzlich um so leichter fallen wird, eine Schuld im Ausland zu tilgen, und daß es unter um so geringeren Wechselkursschwankungen zu leiden haben wird, je mehr es über bestimmte Waren verfügt, die sich hervorragend zu Exportzwecken eignen. Die Wechselkurse haben die Aufgabe, den Wert der einzelnen nationalen Geldsorten und damit das Preisverhältnis zwischen den Ländern so zu gestalten, wie es der Stand der Zahlungsbilanz erfordert, und sie werden diese Aufgabe umso leichter und schneller erfüllen, je beweglicher die Maren sind, die als Vermittler des Zahlungsausgleichs von Land zu Land wandern. In dem Lande, das über die beweglichsten, das heißt überall mit größter Vorliebe genommenen Waren – oder einen unbeschränkten Kredit – verfügt, stellt schon eine ganz geringfügige Verbesserung oder Verschlechterung der Wechselkurse das Gleichgewicht in der Zahlungsbilanz her.

Es ergibt sich drittens, daß die Waren, denen es hauptsächlich obliegt, den Ausgleich der Zahlungsbilanz durch ihren Ab- und Zufluß herbeizuführen, noch eine andere Eigenschaft haken müssen als diejenige der großen Beweglichkeit. Erinnere Dich, lieber James, auf welche Weise der Wechselkurs den Passivsaldo des Schuldnerlandes beseitigt. Er tut dies, indem er durch seine eigene Bewegung bewirkt, daß der Durchschnittspreis der exportfähigen Waren des Schuldnerlandes sich für das Ausland verbilligt. Steigt in Berlin die Dollarnotiz von 40 auf 80 M., so kostet für den Amerikaner ein Posten deutscher Farbstoffe, dessen Preis 1200 Mark beträgt, nicht mehr 30 Dollar, sondern nur noch 15 Dollar. Der Preis hat sich, obwohl er in Mark ausgedrückt unverändert geblieben ist, für den Amerikaner um die Hälfte ermäßigt. Du stehst aber aus diesem Beispiel zugleich, mein Sohn, daß diese Verbilligung nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung eintritt; nämlich nur dann, wenn die betreffenden Waren, in diesem Falle also die Farbstoffe, ihren alten Preis in Mark beibehalten und sich nicht etwa verteuern. Denn wenn die Farbstoffe in Deutschland nicht mehr 1200 Mark kosten, sondern auf 1800 Mark steigen, so fällt für den Amerikaner die Hälfte der Verbilligung weg. Und steigen sie auf 2400 Mark, so hak überhaupt keine Verbilligung stattgefunden. 

Die Waren, die den Ausgleich der Zahlungsbilanz herbeiführen, müssen also nicht nur sehr beweglich, sondern zu gleicher Zeit auch sehr preisbestandig sein. Sie dürfen sich in dem Moment, wo die Nachfrage des Auslandes nach ihnen einseht, nicht verteuern, oder zum mindesten nicht erheblich verteuern. Die ideale Ware wäre diejenige, die bei eintretender Nachfrage des Auslandes entweder ihren eigenen Inlandspreis oder das allgemeine inländische Preisniveau nicht nur nicht erhöht, sondern im Gegenteil noch ermäßigt. Denn in diesem Falle würde die Exportware sich für das Ausland nicht nur um den Betrag der Wechselkurs-Steigerung, sondern außerdem noch um den Betrag des inländischen Preisrückgangs verbilligen; es würde dann keiner besonders fühlbaren Verschlechterung des Wechselkurses bedürfen, weil der Zweck dieser Verschlechterung, nämlich die Verbilligung der Exportware, zum Teil schon durch den Preisrückgang der Ware im Inlande erfüllt und der Wechselkurs dadurch entlastet wird. Würde sich also, uni zu unseren: Beispiel zurückzukehren, der Preis der Farbstoffe von 1200 Mark auf 900 Mark ermäßigen, so würde der Dollarkurs nicht mehr auf 80 Mark, sondern nur auf 60 Mark zu steigen brauchen, um die Amerikaner zum Kauf zu .veranlassen; denn 900 Mark zum Umrechnungskurs von 60 ergeben denselben Dollarpreis wie 1200 Mark zum Kurs von 80, nämlich 15 Dollar.

Ich sehe jetzt förmlich, lieber James, wie sich Dein Gesicht zu einem Lächeln verzieht, weil Du denkst: „Die Ware möchte ich kennen lernen, die sich im Moment, wo das Ausland sie zu kaufen beginnt, verbilligt oder gar das allgemeine Preisniveau im Lande ermäßigt! Soviel habe ich nun nachgerade doch schon gelernt, daß bei einsetzender Nachfrage eine Ware im Preise anzieht und nicht heruntergeht! Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß wenn der Dollarkurs in Berlin sich verschlechtert und die Amerikaner infolgedessen deutsche Farbstoffe aufzukaufen beginnen, der Preis der Farbstoffe von 1200 auf 1800 Mark oder noch höher steigen, aber nicht auf 900 Mark zurückgehen wird. Die Voraussetzung, daß bei verstärkter Nachfrage die Preise sich ermäßigen, ist ein Unding, ist eine logische Unmöglichkeit, und mein alter Papa scheint hier einem verhängnisvollen Denkfehler zum Opfer gefallen zu sein.“ Ich wette 10 gegen 1, mein Lieber, daß das Deine Argumentation ist, wenn Du diese Zeilen liest.

Aber Dein alter Papa denkt trotz seiner Jahre noch immer ziemlich klar und weiß, was er sagt und schreibt. Im Prinzip hast Du natürlich Recht: Verstärkte Nachfrage steigert die Preise und senkt sie nicht, und es müssen ganz absonderliche Waren sein, die in dem Moment, wo sie in’s Ausland gesandt und daher im Inlands knapp werden, zu einer Preisermäßigung führen. Aber es gibt solche absonderlichen Waren. Und vor allem gibt es eine derartige Ware, die Dir praktisch aus eigener Anschauung und theoretisch aus meinen früheren Briefen sehr geläufig ist: das Gold.

Das Gold ist dasjenige Gut, welches nicht nur die beiden schätzbarsten Eigenschaften jeder Exportware, nämlich die Beweglichkeit und die Preisbeständigkeit, in vollkommenster Weise in sich vereinigt, sondern welches darüber hinaus sogar noch die besondere Eigentümlichkeit hat, preisdrückend zu wirken, sobald sie stark begehrt und in das Ausland versandt wird. Und Du wirst sehr schnell erkennen, woher diese Häufung schätzbarer Eigenschaften beim Golde kommt.

Also erstens die große Beweglichkeit. Du weißt, daß die meisten Kulturstaaten ihr Geldwesen irgendwie in Verbindung mit dem Golde gebracht haben, obschon das Geld, das Du als einen Rechtstitel kennen gelernt hast, der seinem Inhaber den Anspruch auf die einer früheren Leistung entsprechende Gegenleistung sichert, an und für sich eine Verbindung mit dem Golde nicht braucht. Es hat sich eben in praxi herausgestellt, daß das Geld, sobald es aus Gold besteht oder jederzeit in Gold umtauschbar ist, seine wichtigste Funktion viel besser erfüllt, als wenn dies nicht der Fall ist. Die wichtigste Funktion des Geldes besteht, wie wir wissen, darin, den Wert der Gegenleistung, die in ihm verkörpert ist, genau dem Werte der vorangegangenen Leistung anzupassen, also für eine möglichst vollkommene Beharrung des Preisniveaus im Lande zu sorgen. Und man glaubt diese Beharrung auf keine bessere Weise herbeiführen zu können, als indem man das Geld, das die Preise mißt und ausdrückt, mit dem Golde identifiziert, das aus vielen Gründen geringeren Wertschwankungen unterliegt als die übrigen Waren. 

Wir brauchen auf die Gründe dieser Hochschätzung des Goldes unfeiner Verbindung mit dem Gelde an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Es genügt vielmehr, wenn Du Dir die Tatsache vergegenwärtigst, daß das Gold in allen Kulturstaaten dem Landesgelde gleich erachtet wird, weil es jederzeit in solches Geld verwandelt werden kann. Denn diese Tatsache ist der eigentliche Grund für die überaus große, fast unbeschränkte Beweglichkeit des Goldes. Da es in den wichtigsten Ländern dem Währungsgelde mindestens gleichsteht, so wird es allenthalben gern genommen. Ein Land, das über hinreichende Mengen dieses Metalls verfügt, besitzt also eine Ware, mit der es stets und unter allen Umständen einen Passivsaldo seiner Bilanz abdecken kann, ohne daß es die Kauflust des Auslandes durch einen Preisnachlaß zu reizen braucht. Denn für Gold ist stets genügende Kauflust vorhanden.

Daß diese Kaufkraft aber nicht nur an sich vorhanden ist, sondern auch zu ganz bestimmten, unveränderlichen und überall bekannten Bedingungen auftritt, das macht den zweiten Vorzug der Ware „Gold“, nämlich ihre Preisbeständigkeit, aus. Man kann stets damit rechnen, daß das Gold zu dem Preise genommen wird, der dem gesetzlichen Verhältnis entspricht, in dem es in das jeweils höchstwertige Landesgeld, augenblicklich also Dollar, umgewandelt werden kann. Unter diesen Preis sinkt es nicht, auch wenn es in den größten Posten angeboten wird. Das Land, das hinreichend Gold besitzt, kann also nicht nur seine Zahlungsbilanz mühelos damit abdecken, ohne hinsichtlich des Preises dieser Exportware irgendwelche Konzessionen machen zu müssen, sondern es kann auch das Stimulationsmittel der Wechselkurs-Verschlechterung entbehren. Bei jeder anderen Exportware muß die Kaufneigung des Auslandes dadurch geweckt oder verstärkt werden, daß der Wechselkurs das Währungsgeld des Schuldnerlandes im Werte drückt, die in diesem Gelde festgesetzten Preise also dem Ausländer niedriger erscheinen läßt, obwohl sie im Inlande keine Ermäßigung erfahren haben. Beim Golde bedarf es einer solchen Verstärkung der Kaufneigung nicht, denn diese ist ohnehin unbegrenzt vorhanden. Wenn also ein Gold besitzendes Land große Auslandszahlungen zu leisten hat, so braucht es nicht angstvoll nach Devisen zu suchen, ihren Kurs durch seine Nachfrage zu steigern und den Wert des eigenen Landesgeldes entsprechend zu verringern, bis endlich das Ausland sich zum Kauf der stark verbilligten Landesware bereit erklärt, sondern es kann sich die benötigten Devisen ohne weiteres dadurch beschaffen, daß es Gold in’s Ausland sendet. Für dieses Gold erhält es dann die Devisen, deren es zur Deckung seiner Schuld bedarf, ohne daß es zu einer Steigerung des Wechselkurses und einer Verschlechterung der Landeswährung kommt. 

„Gibt es denn aber ein Land, das über so gewaltige Goldmengen verfügt, wie sie erforderlich sind, um jeden noch so hohen Passivsaldo seiner Zahlungsbilanz damit decken zu können?“ Diese Frage liegt so nahe, daß ich es Dir sehr übelnehmen würde, lieber James, wenn Du sie nicht stellen wolltest. Sicherlich gibt es viele Länder, die derartig große Goldmengen nicht besitzen. Deutschland z.B. ist heute nicht im Stande, die Reparationszahlungen eines einzigen Jahres aus seinen Goldbeständen zu decken, obwohl mehr als eine Milliarde Goldmark lauteres Gold in der Reichsbank ruhen. Daraus darfst Du aber nicht etwa folgern, daß ein Goldbestand in dieser Höhe unter allen Umständen unzureichend wäre, um eine Schuld von 3 1/2 oder 4 Milliarden Goldmark damit zu begleichen. Unter normalen Verhältnissen genügt vielmehr schon ein ganz kleiner Bruchteil jenes Goldbestandes, um noch ungleich größere Zahlungen zu ermöglichen. Daß das in Deutschland heute Nicht der Fall ist, liegt einzig und allein daran, daß hier eben keine normalen Verhältnisse herrschen, das deutsche Geldwesen vielmehr durch und durch krank ist, und daher das deutsche Gold die dritte und wertvollste Eigenschaft des Goldes vollständig eingebüßt hat. Und zwar ist das die Eigenschaft des Goldes, bei seiner Ausfuhr einen Preisdruck im Ausfuhrlande zu erzeugen. Hier sind wir bei einem so wichtigen Punkte angelangt, daß ich Dich bitten muß, das Folgende mit größter Aufmerksamkeit zu lesen. 

Ein Land, in dem die Goldwährung herrscht, das heißt, dessen Landesgeld entweder aus Gold besteht oder jederzeit in Gold eingelöst wird – wie es vor dem Kriege in Deutschland der Fall war – kann jede beliebige Schuldsumme an das Ausland zahlen, ohne daß die Wechselkurse über den sog. „oberen Goldpunkt“ steigen. Es ist dies derjenige Wechselkurs, bei dem es vorteilhafter ist, Gold in’s Ausland zu senden und sich dadurch entsprechende Auslandsguthaben zu schaffen, als am Wechselmarkt Devisen zu kaufen. In Deutschland betrug früher der Normalpreis eines Pfund Sterling 20,43 Mark, und zwar deshalb, weil in einem englischen Sovereign für 43 Pfennige mehr Gold enthalten war bezw. ist, als in einem deutschen Zwanzigmarkstück. Von dieser Parität wich der „obere Goldpunkt“ nur um etwa 6 oder 7 Pfennige ab; d.h. der Wechselkurs auf London konnte normalerweise – gelegentliche Abweichungen sind hier unbeachtlich – nicht über 20,50 Mark steigen. Weshalb nicht? Weil jede Importfirma oder Bank, die mehr als 20,50 Mark für einen Sterling-Wechsel gezahlt hätte, bares Geld zum Fenster hinausgeworfen haben würde. Denn für 20,50 Mark konnte sie soviel Gold von der Reichsbank abheben und nach London schicken, wie nötig war, um aus dem Golde einen Sovereign, gleich einem Pfund Sterling, prägen zu lassen. Und wenn man für 20,50 Mark ein Pfund Sterling in Gold erhalten und zur Zahlung verwenden kann, so handelt man sicherlich töricht, sofern man mehr als diesen Betrag aufwendet, um einen Wechsel auf London zu kaufen, der bestenfalls denselben Wert hat wie jenes Pfund Sterling in Gold.

Ergo: Wo Goldwährung herrscht, kann der Preis der fremden Wechsel sich niemals weit über die Parität erheben, d.h. über den Goldwert einer fremden Münze, ausgedrückt in Inlandsgeld. Denn sobald der Wechselkurs die Neigung zeigt, die Parität um mehr als das drittel Prozent zu übersteigen, das die Fracht, der Zinsverlust und die Versicherung einer Goldrimesse etwa ausmachen, also über den oberen Goldpunkt hinauszugehen, weiß die gesamte Handelswelt, daß es vorteilhafter für sie ist, Gold zu exportieren als Devisen zu kaufen. Sofort setzt die Goldausfuhr ein, während die Nachfrage nach Devisen aufhört. Eine Steigerung des Wechselkurses über den oberen Goldpunkt, auch Exportgoldpunkt genannt, hinaus ist in einem Lande mit gesunder Goldwährung, wie sie ja vor dem Kriege in fast alten Industriestaaten herrschte, ein solches Ding der Unmöglichkeit, daß, wenn einmal in einem Lande der Exportgoldpunkt dennoch überschritten wird, dies ein untrügliches Zeichen für die Abkehr des Landes von der Goldwährung ist. Es kann dann gar nicht anders sein, als daß die Staatsbank das Landesgeld nicht mehr auf Verlangen prompt in Gold einlöst.

Goldwährungsländer können also aus mehreren Gründen ihre Auslandsschulden jederzeit mühelos begleichen. Erstens verfügen sie im Golde über eine höchst bewegliche Ware, die beliebig auswandern und wieder zurückwandern kann, da alle Länder sie mit Freuden an Zahlungsstatt annehmen. Zweitens haben sie im Golde eine preisbeständige Ware, deren Bewertung weder im Inlande noch im Auslande nennenswert schwankt. Sie schwankt im Inlande nicht, weil sie hier beliebig für Landesgeld genommen oder gegen solches hingegeben wird, also niemals mehr oder weniger als ihr feststehendes Äquivalent in Landesgeld wert sein kann. Und ihre Bewertung durch das Ausland schwankt nicht oder nur ganz unwesentlich, weil die Wechselkurse, deren Besserung oder Verschlechterung auf eine Preis-Erhöhung oder -Verbilligung aller Handelsware hinausläuft, zwischen dem oberen und dem unteren Goldpunkt (Export- und Import-Goldpunkt) verankert sind und immer nur auf dem winzigen Raume zwischen diesen beiden Punkten hin- und herpendeln können. 

Aus diesen Gründen können die Goldwährungsländer jede noch so hohe Zahlung nach dem Auslande leisten. Nur darfst Du nicht glauben, die Abdeckung der Auslandsschulden eines Goldwährungslandes gehe in der primitiven Meise vor sich, daß das Land den ganzen Betrag seiner Schuld in effektivem Golde auszahlt. Das ist natürlich eine glatte Unmöglichkeit, denn über soviel Gold, wie in diesem Falle unter Umständen gezahlt werden müßte, verfügt kein einziges Land. Die Abdeckung der Auslandsschulden geht in Wirklichkeit ganz anders vor sich, und zwar in einer technisch höchst interessanten und für die Geldtheorie höchst lehrreichen Weise, wobei den Goldwährungsländern eine sehr wichtige dritteEigenschaft der Ware Gold zustatten kommt. Es ist dies die von mir bereits erwähnte Eigenschaft des Goldes, beim Verlassen des Goldwährungslandes in diesem einen allgemeinen Preisdruck zu erzeugen.

Ich kann Dir den Vorgang, da der Begriff und das Wesen des Geldes kein Geheimnis mehr für Dich sind, mit wenig Worten erläutern. In einem Lande, in dem die Goldwährung herrscht, bildet das vorhandene Gold, gleichviel ob es im Verkehr oder bei den Banken oder in einer Staatskasse ist, einen Bestandteil des Landesgeldes. Nun erinnerst Du Dich aber, daß der Wert des Landesgeldes und damit das Preisniveau im Lande in absoluter Abhängigkeit von der Menge des Geldes stehen. Wenn also Gold aus dem Lande flieht, so verringert sich hier die Geldmenge, was unausbleiblich zur Folge hat, daß der Wert dieser verbleibenden Geldmenge, ihre Kaufkraft, sich hebt oder, was dasselbe ist, das Preisniveau im Lande sich-ermäßigt. Goldausfuhr heißt daher Preisrückgang.

In dieser Eigenschaft des Goldes, bei seinem Austritt aus einem Goldwährungslande das Preisniveau herunterzudrücken, haben wir den Hebel zu erblicken, der die Wirtschaft des Landes derartig umschaltet, daß sie nunmehr im Stande ist, jede beliebige Zahlung, auch eine Zahlung allergrößten Umfanges, an das Ausland zu leisten. Nicht mit dem ausfliehenden Golde leistet das Land die Zahlung: Der mit Gold gezahlte Betrag wird immer nur den allerkleinsten Teil der Schuldsumme ausmachen. Gezahlt wird vielmehr mit den Waren, die durch das Ausfliehen eines verhältnismäßig kleinen Teils des Landesgeldes dermaßen verbilligt werden, daß sie die Kaufkraft des Auslandes reizen. Eine kleine, verhältnismäßig harmlose Goldausfuhr hat also genau denselben Effekt wie eine katastrophale Verschlechterung der Wechselkurse und genügt – kleine Ursachen, große Wirkungen –, um das Land zur Zahlung der denkbar bedeutendsten Summen zu befähigen, sofern nur seine Produktion leistungsfähig ist. Nicht der Goldausgang als solcher also ist der Heilfaktor, der das Land von einer passiven Zahlungsbilanz genesen läßt, sondern der Goldausgang in seiner Eigenschaft als Preisregulator. In dieser Eigenschaft öffnet er, ähnlich der Reißleine am Ballon, im Fall der Not ein Ventil, durch das Ware in hinreichender Menge in das Ausland abströmen kann, um die Schuld des Landes abzudecken.

Aber wohlgemerkt: Nur in Ländern der Goldwährung hat ein Goldexport die wohltätige Wirkung, den Ausgleich der Zahlungsbilanz zu ermöglichen, ohne daß eine scharfe Verschlechterung der Wechselkurse und damit ein Verfall der Landeswährung eintritt. In Ländern, deren Geldwesen vom Golde losgelöst ist, übt selbst eine Milliardenausfuhr von Gold keine andere Wirkung aus, als sie die Ausfuhr irgend einer anderen Ware ausüben würde. In diesen Ländern geht die Exportfördernde Preisverbilligung nicht vom Golde, sondern vom Wechselkurse aus; starke Verschuldung ist hier identisch mit Währungselend und dessen verhängnisvollen ethischen, sozialen und politischen Folgen. Die Furcht vor diesem Elend und seinen Folgen, lieber James, und nicht etwa irgend ein währungstheoretisches Vorurteil oder ein „Goldwahn“, ist einer der vielen triftigen Gründe, weshalb die Länder immer wieder instinktiv zur Goldwährung zurückstreben, wie das Tier zur Futterkrippe, wenn sie ihr einmal aus Not oder Unverstand den Rücken gekehrt haben…

Uff! Die Feder fällt mir aus der Hand. Lies diesen langen Brief zweimal durch, lieber James, denn sein Inhalt bildet das eigentliche Gerüst der ganzen Valutafrage. Und damit gute Nacht! 

Dein äußerst ermüdeter Papa.

4. Brief

Goldwährung und Papierwährung – Gold, Wechsel und Zahlungsbilanz – Die „kurze Golddecke“

Berlin, am 10. September 1921.

In meinen Briefen vom letzten Winter, lieber James, hatte ich Dir auseinandergesetzt, warum jedes Land gut daran tut, die Goldwährung zu akzeptieren, obwohl rein geldtheoretisch jede andere Währung genau denselben Zweck erfüllt. Der Hauptgrund war, daß die Identifizierung des Geldwesens mit dem Golde das Land vor der Willkür seiner Regierung schützt. Regierungen sind erfahrungsgemäß nur zu leicht geneigt, das Grundgesetz zu verletzen, demzufolge echtes, wertbeständiges Geld ausschließlich aus dem Verkehr heraus entstehen und vergehen kann, und ihre Machtbefugnisse dazu auszuruhen, sich zu Gunsten irgend welcher Interessen nach eigenem Ermessen geldschöpferisch zu betätigen. Dieser Unfug ist in einem Lande, in dem das Geld aus Gold besteht oder durch Gold gedeckt und in solches austauschbar ist, nicht möglich. Jetzt haben wir aber noch einen zweiten, ebenso wichtigen Grund kennen gelernt, der die Goldwährung jeder anderen Währung überlegen macht: Die Tatsache nämlich, daß ein Goldwährungsland seine Zahlungsbilanz auch unter den ungünstigsten Verhältnissen aufrecht erhalten kann, ohne die Wechselkurse, das heißt das Wertverhältnis zwischen seinem eigenen Gelde und dem Gelde der anderen Länder, stärken Schwankungen auszusetzen und dadurch alle merkantilen, produktiven und sozialen Grundlagen im Lande zu erschüttern.

Freilich, ganz ohne innere Störungen geht die Zahlung einer ungewöhnlich großen Schuldsumme an das Ausland auch in einem Goldwährungslande nicht vor sich. Gerät ein Land – etwa infolge eines verlorenen Krieges – in die Zwangslage, gewaltige Summen ohne jede Gegenleistung an ein anderes Land zahlen zu müssen, so ist das ein nationales Unglück, das auch durch die beste Währung nicht beseitigt werden kann. Denn da jede Zahlung von Land zu Land in Ware geleistet werden muß, so läuft die Operation unter allen Umständen darauf hinaus, daß das zahlende Land zu Gunsten des empfangenden Landes auf gewisse Güter von Kapital-, Gebrauchs- oder Affektionswert verzichten, sich also Entbehrungen auferlegen muß. Aber wenn die Goldwährung auch die peinlichen Folgen eines starken Zahlungszwanges nicht beseitigenkann, so vermag sie doch dieselben ganz erheblich zu mildern.

Wir haben gesehen, daß die Goldausfuhr, mit der ein Goldwährungsland einen kleinen Teil seiner Schuldverpflichtung abdeckt, den großen Rest der Schuldsumme grundsätzlich .auf dieselbe Meise beschafft, wie es in einem Papierwährungslande der Wechselkurs tut: Indem sie nämlich die Preise im zahlenden Lande so lange herunterbrückt, bis das Ausland zu den ermäßigten Preisen Ware kauft, oder, um die unliebsam empfundene Warenzufuhr zu verringern, Kredit -gewährt. Die Goldausfuhr erzeugt diesen Preisdruck -sogar auf einem sichtbareren, offenkundigeren Wege als der Wechselkurs und bringt weit mehr als dieser den Preisdruck, der für einzelne Industrien leicht zur Krise ausarten kann, zum Bewußtsein der Bevölkerung. Sie drückt, indem sie dl? Kaufkraft im Lande und dadurch die inländische Nachfrage verringert, direkt auf die Preise, während die Verschlechterung des Wechselkurses das nur indirekt, sozusagen auf einem heimtückischen Wege tut. Denn der schlechte Wechselkurs verbilligt die Ware dadurch, daß er dem Landesgeld, in dem die Preise ausgedrückt find, einen Teil seines Werts nimmt. Das Ausland, das nunmehr in der Lage, ist, das Landesgeld billig zu kaufen und mit seiner Hilfe auch die Waren billig zu erwerben, obwohl ihr Preis nominell unverändert geblieben ist, merkt den eingetretenen Preisdruck sehr schnell und macht ihn sich zu Nutze. Das Inland dagegen läßt sich durch den unveränderten Nominalpreis der Waren leicht täuschen, glaubt, daß auf dem heimischen Markt alles beim alten geblieben sei, und daß nur der Wert seines Geldes sich aus irgend welchen Gründen verschlechtert habe. Daß diese Geldverschlechterung lediglich ein anderer Ausdruck für den tatsächlich eingetretenen Preisrückgang der Ware ist, wird nur von wenigen geldtheoretisch durchgebildeten Leuten, niemals jedoch von der großen Masse der Bevölkerung erkannt.

Aber obwohl die Goldausfuhr in einem Goldwährungsbande ihre preisdrückende Wirkung offener zeigt, ist sie doch ein ungleich milderes und zweckmäßigeres Mittel zur Durchführung großer Auslandszahlungen als die heimlich wirkende Wechselkurs-Verschlechterung in den Papierwährungsländern. Denn sie erreicht den Zweck, Inlandsware zur Ausfuhr zu bringen, ungleich schneller und auf einem verhältnismäßig höheren Preisniveau, als es der vom Wechselkurs ausgehende Antrieb vermag. And zwar deshalb, weil das Ausland in einem Lande mit gesunder, stabiler Valuta erheblich bereitwilliger kauft als in einem Lande, dessen Währung starken Schwankungen unterliegt. Da nämlich der ausländische Importeur niemals weiß, wie der Wechselkurs des exportierenden Landes mit Papierwährung in dem Augenblick sein wird, wo die bestellte, oft erst anzufertigende Ware zum Versand kommt, also auch nicht weiß, wie hoch der Effektivpreis der bestellten Mare sich für ihn ausrechnen wird, so muß er mit einem erheblichen Risiko rechnen und dies in seine Preise hineinkalkulieren. Ein weiteres beträchtliches Risiko erwächst ihm daraus, daß er nicht einmal weiß, ob ihm die bestellte Ware überhaupt geliefert werden wird. Denn in einem Lande mit jäh veränderlichem Geldwert, kommt es aus Gründen, die ich Dir früher ausführlich auseinandergesetzt habe, stets zu Lohnkämpfen, Streiks und sozialen Unruhen, die dem Fabrikanten die Einhaltung der vereinbarten Lieferbedingungen erschweren oder unmöglich machen. In einem solchen Lande wird das Ausland daher bei einer nur geringen Verbilligung der Waren nicht kaufen. Der Preisrückgang muß vielmehr schon ein so erheblicher sein, daß er den Käufer: für alle genannten und etwaigen sonstigen Risiken – ich kann sie Dir unmöglich alle aufzählen – reichlich schadlos hält. Die Verschlechterung des Wechselkurses muß sich also viel weiter fortsetzen und die Warenpreise für den Ausländer viel tiefer herunterdrücken, als es bei einem rein zahlenmäßigen Vergleich der Inlands- und Auslandspreise nötig erscheint. 

Dagegen erreicht die Goldausfuhr im Goldwährungslande ihren Zweck bereits, sobald sie den Inlandspreis um ein geringes unter den Weltmarktpreis gedrückt hat. Denn hier gibt es keine gefährlichen Schwankungen des Wechselkurses, die im Preise berücksichtigt werden müssen, und auch die sonstigen Risiken des ausländischen Käufers sind entweder überhaupt nicht oder in unendlich geringerem Maße vorhanden als bei den Papierwährungsländern. Es genügt hier also ein weit geringerer Preisdruck, um die Landesausfuhr in dem Maße zu verstärken, wie es die Zahlungsbilanz fordert. Damit geht aber auch eine ungleich promptere, größere und kulantere Kreditwilligkeit des Auslandes Hand in Hand. Denn je schneller und intensiver die Waren, des Schuldnerlandes im Auslande einbrechen und hier den Heimatsindustrien Konkurrenz machen, um so eher entschließt sich das Ausland auch, die erforderlichen Kredite zu bewilligen und das Schuldnerland von dem lästigen Exportzwange zu befreien, lind diese Kredite werden dem Goldwährungslande nicht nur bereitwilliger, sondern auch in viel größerem Umfange und zu viel günstigeren Bedingungen gewährt als den Ländern mit Papierwährung, weil auch hier wieder die am Wechselkurs haftenden Risiken fortfallen und ein Goldwährungsland fast stets ein sichererer Schuldner ist als ein Papierwährungsland, in dem es notwendigerweise gährt, sobald die Wechselkurse anfangen, aus Gründen der Zahlungsbilanz mit dem Wert des Landesgeldes und den Preisen Fangball zu spielen. 

Die Überlegenheit der Goldwährung über die der Willkür unverständiger Regierungen ausgelieferte und fast regelmäßig zur Inflation führende Papierwährung ist also in handelspolitischer, finanzieller und zahlungstechnischer Hinsicht eine ganz ungeheure. Und wenn die Goldwährung auch in einem vernunftgemäß regierten Lande, in dem man weiß, was Geld ist, für den Binnenverkehr zur Rot entbehrt werden kann, so ist sie doch für den Außenverkehr unerläßlich, wenn das Land nicht in empfindlichen Nachteil gegen seine Wettbewerber am internationalen Waren-, Kapital- und Kreditmarkt geraten will. Daher kommt es auch, daß viele Länder, die sich den Luxus einer Voll-Goldwährung nicht leisten können, zu einer Papierwährung mit Goldrand übergegangen sind, also im Inlande in Papier, im Ausland aber in Gold rechnen und zahlen. Ich erinnere Dich nur an Argentinien und Brasilien: auch Indien mit seinem Kern aus Silber bezw. Silber-gedecktem Papier und seinem Rand aus Gold gehört hierher. 

Ich bin mir nicht ganz klar darüber, ob Du mir nicht auch jetzt wieder mit der Frage in die Parade fährst: „Ja, reicht denn die vorhandene Goldmenge aus, um allen Ländern die Adoptierung der Goldwährung, sei es auch nur einer Rand-Goldwährung, zu ermöglichen?“ Die Frage wäre, wenn Du sie wirklich stellen solltest, außerordentlich naiv, was aber nicht hindert, daß die Gelehrten sich ernstlich mit ihr herumschlagen und sich den Kopf über die „zu kurze Golddecke“ zerbrechen. Nun, bündig gesagt, das Gold kann aus dem sehr einfachen Grunde niemals zu knapp werden, weil es Subjekt, nicht Objekt des Geldwesens ist, das heißt, weil der Geldbedarf sich nach ihm, dem Golde richtet, und daher das Gold sich nicht nach dem Geldbedarf zu richten braucht. 

In den Ländern der Goldwährung empfängt das Geld feinen Wert vom Golde, mit dem es identisch ist. Ist das Gold in starker Nachfrage und daher teuer, so wird auch die Geldeinheit, in der so und so viel Gramm Gold enthalten oder dargestellt sind, teuer werden und eine entsprechend große Kaufkraft ausüben. Sollte also – Du weißt, ich bin ein Freund der Anschaulichkeit – das Gold demnächst in überaus starker Nachfrage stehen, weil alle geldsündigen Länder pater peccavi sagen und zur Geldehrlichkeit zurückkehren wollen, so wäre die Folge, daß das Gold im Werte stiege, sagen wir auf das Doppelte seines Ietztwerts, und daß man mithin für einen englischen Sovereign doppelt soviel Ware erhielte wie jetzt. Anders ausgedrückt: Wenn nur halb soviel Gold vorhanden ist, wie die Gesamtheit aller Länder zu haben wünscht, so fallen in den Goldwährungsländern die Warenpreise um 50 Prozent, so daß nunmehr jedes Land mit der Hälfte derjenigen Goldmenge auskommt, die es ursprünglich zu haben wünschte und beim alten Preisstandard auch gebraucht hätte. Der wechselnde Goldwert sorgt also schon selbst dafür, daß der Bedarf der Länder sich der vorhandenen Goldmenge anpaßt und mit ihr auskommt, wie groß oder wie klein diese Menge auch immer sein mag.

Aber selbst wenn es nicht so wäre, würde nichtsdestoweniger die Besorgnis, daß die Welt eines Tages vor einer akuten Goldknappheit stehen könne, ein Hirngespinst sein. Schon häufig hat man geglaubt, sich unmittelbar vor dieser Kalamität oder sogar mitten .in ihr darin zu befinden. Immer wieder hat man in den letzten drei oder vier Jahrzehnten über die „zu kurze Golddecke“ gejammert, so daß man annehmen müßte, der Wert des Goldes sei in dieser Zeit infolge der starken Nachfrage bei knappem Vorrat auf das Doppelte oder Dreifache gestiegen, und die Preise dementsprechend aus die Hälfte oder ein Drittel gesunken. Tatsächlich finde ich aber, wenn ich an die gute alte Zeit meiner Jugend zurückdenke, daß die Preise in den Ländern der Goldwährung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt teurer geworden sind, das Gold sich also verbilligt hat. Ich schließe daraus, daß das Gold unmöglich knapp sein kann, sondern im Gegenteil den Bedarf heute weit reichlicher deckt als vor einigen Jahrzehnten. Und tatsächlich sagt uns die Edelmetall-Statistik, daß von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wachsende Mengen von Gold industriell verarbeitet worden sind, was nicht hätte der Fall sein können, wenn der Münzbedarf der Länder nicht voll gedeckt gewesen wäre. 

Man pflegt den Goldbedarf eines Goldwährungslandes überhaupt ungeheuerlich zu überschätzen und hat vor allem phantastische Vorstellungen von den Goldmengen, die zur Aufrechterhaltung der Zahlungsbilanz erforderlich sind. In Wirklichkeit ist England, das vor dem Kriege nicht nur der größte Handelsstaat, sondern vor allem der wichtigste Kapitalmarkt gewesen ist, mit einem zentralisierten Goldbestände von durchschnittlich 35 Millionen Pfund Sterling ausgekommen. (Die deutsche Reichsbank hatte bei Kriegsausbruch etwa 1300 Millionen Mark in Gold im Bestände, also erheblich mehr.) Und dieser Goldvorrat hat kaum jemals um mehr als zehn Millionen Pfund im Jahre geschwankt; mit dieser minimalen Summe, die aus privaten Goldbeständen gelegentlich noch ein kleine Verstärkung erfahren haben mag, hat England die ganze Welt zu finanzieren vermocht.

Der Grund muß Dir geläufig sein: Er beruht auf den drei Eigenschaften des Goldes, die ich Dir in meinem vorigen Briefe geschildert habe; insbesondere auf der dritten, daß das Gold bei seinem Austritt aus einem Goldwährungslande hier einen Preisdruck erzeugt, der die Warenausfuhr verstärkt, so daß der weitaus größte Teil aller Zahlungen entweder sofort in Ware geleistet, oder in Erwartung einer späteren Warenausfuhr einstweilen aus Krediten bestritten wird. Je zuverlässiger die Goldwährung eines Landes und je größer das Vertrauen des Auslandes zu ihr, desto geringer braucht der Preisdruck zu sein, der die notwendigen Exporte und Kredite auslöst, desto kleiner braucht infolgedessen auch der jeweilige Goldexport und in weiterer Folge der Goldvorrat des Landes zu sein. Eine zuverlässige Goldwährung – merke Dir das, mein Junge! – erkennt man nicht an einem hohem Goldbestand, sondern daran, daß die Zahlungsbilanz des Landes sich schon mit verhältnismäßig deinen Goldexporten im Gleichgewicht halten läßt, und daß das ausgeflossene Gold zurückkehrt, sobald das gestörte Gleichgewicht wieder hergestellt ist.

Nun möchtest Du sicherlich wissen, weshalb und auf welchem Wege das Gold in sein Herkunftsland zurückfließt, wenn es seine Aufgabe, den Schrittmacher für den Export und den Kredit abzugeben, erfüllt hat. Noch ein wenig Geduld, mein Sohn, und Du wirst auch dies wissen. Für heute muß ich das Plauderstündchen abbrechen. 

In Liebe 

Dein alter Papa.

5. Brief

Generalgut „Ware“ und Spezialgut „Gold“ – Preis, Zins und Arbitrage

Berlin, am 15. September 1921.

Was ist „Weltgeld“, lieber James? Wenn die Volkswirte und Finanzmänner das Wort gebrauchen, so verstehen sie darunter immer das Gold. Ist das aber korrekt? Werden die Zahlungen von Land zu Land wirklich in Gold geleistet? Wir haben gesehen, daß das normalerweise nicht der Fall ist, daß es vielmehr nur ganz unbedeutende Spitzen des Zahlungsverkehrs sind, die in Gold abgetragen werden. Und wir haben ferner gesehen, daß das Gold bei einer derartigen Spitzenregulierung seinen Hauptdienst nicht etwa in seiner Eigenschaft als international geschätztes Zahlungsmittel, also als eine Art Weltgeld, verrichtet, sondern als Bestandteil des Währungsgeldes im exportierenden Goldwährungslande, mithin als Binnengeld; indem es nämlich durch sein Ausfließen die Geldmenge im Lande verringert, auf diese Meise das Preisniveau senkt und so die Voraussetzungen dafür schafft, daß das Land seiner Zahlungspflicht auf andere Weise als durch Goldrimesse genügen kann. 

Das Gold kann also nicht als das Weltgeld, sondern lediglich als dessen Schrittmacher bezeichnet werden. Was haben wir aber dann als das Weltzahlungsmittel anzusehen, in dem die Länder -ihre Schulden und Forderungen ausgleichen? Du wirst mir vermutlich erwidern: Den Wechsel. Wir sehen ja in der Tat, daß der Privatmann, die Bank, die Regierung, kurz jeder, der eine Zahlung im Ausland zu leisten hat, sich zu diesem Zweck einen Auslandswechsel, eine sog. Devise, beschafft und an seinen Gläubiger sendet, womit er alsdann seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen ist. Aber überlege Dir bitte, was ein Auslandswechsel im Grunde ist, und warum er allgemein an Zahlungsstatt genommen wird. Du brauchst Dir nur den Wechseltext durchzulesen, der in allen Ländern ungefähr gleich lautet. Dann siehst Du, daß der Wechsel eine Aufforderung an eine inländische Person oder Firma ist, cm dem und dem Tage den und den Betrag in Dollar, Pfund, Francs etc. an den legitimen Inhaber des Wechsels auszuzahlen. In einem Wechsel besitzest Du also ein Papier, das keinen Eigenwert, sondern nur einen abgeleiteten Wert hat, abgeleitet nämlich von dem Dollar-, Pfund oder Francsbetrage, auf den er ein Anrecht gibt. Mithin spielen nicht die Wechsel die Rolle des „Weltgeldes“; sondern die verschiedenen nationalen Geldsorten, auf die sie lauten, und in die sie erst umgetauscht werden müssen, damit es sich ergibt, ob die Wechsel „gut“ oder „faul“ sind, teilen sich in diese Rolle. Die Geldsorten aber sind, wie wir früher gesehen haben, ebenfalls ohne selbständigen Wert; sie sind Bezugsscheine auf Waren, die das Land dem Inhaber der ihm eigentümlichen Geldsorten auf Verlangen zu liefern hat. Erst wenn diese Lieferung erfolgt ist und der Inhaber des für den Wechsel empfangenen Geldes das Quantum und den Wert der gelieferten Ware kennt, ist die Zahlung aus einem Lande in das andere endgültig vollzogen. Somit ist letzten Endes die Ware das „Weltgeld“.

Unter den unzähligen Warengattungen, aus denen sich dieses Weltgeld zusammensetzt, befindet sich auch das Gold, von dem der Anstoß zu der Zahlungsregulierung durch Ware ‘ausgegangen ist. Denn auch das Gold ist nichts anderes als eine Ware, sobald es aus dem Geldumlauf des zahlenden Landes ausgeschieden und in das Ausland gewandert ist. Nur hat diese Ware vor den übrigen Waren den Vorzug der größeren Beweglichkeit, weil alle Länder sie zu einem festen Preise annehmen. Daß dies lediglich deshalb der Fall ist, weil das Gold in vielen Ländern identisch mit dem Landesgelde ist, stempelt das Gold nicht etwa zu einer besonderen Kategorie, entkleidet es nicht seines Warencharakters. Denn wenn es zu Zahlungszwecken versandt wird, so wird es als Ware, nicht als Geld versandt. Kein Goldexporteur kann sagen, welche Verwendung sein Gold im Empfängerlande finden wird. Es kann dort allerdings zu Landesmünzen ausgeprägt werden. Es kann aber ebenso gut an die Goldindustrie weitergehen und sich in Uhrendeckel und Goldpokale verwandeln. Oder es kann in Barrenform bei irgend einer Bank liegen bleiben, bis es sich später einmal entscheidet, wohin es seinen Weg. fortsetzt. Nur im ersteren Falle wird die Ware Gold zu Geld, aber auch dann erst durch einen Umwandlungsprozeß, den es im Empfängerlande durchmacht. Während seines Transports von Land zu Land ist das Gold stets Ware und nichts als Ware, selbst wenn es bereits die Form irgend einer Münze angenommen haben sollte, die das Empfängerland ihm nach freiem Ermessen belassen oder nehmen kann.

Das eigentliche Weltgeld, lieber James, ist also die Ware, eingeteilt in zahllose Gruppen von verschiedener Beweglichkeit und geführt durch die beweglichste Ware Gold. Zu ihrer Eigenschaft als Weltgeld hat die Ware die Aufgabe, die Zahlungsbilanz der Länder auszugleichen. Und das ist eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Denn damit die Rechtsordnung in der Weltwirtschaft erhalten bleibt, und jeder Mann in jedem Staate das empfängt, was ihm zusteht, muß die Zahlungsbilanz jedes einzelnen Landes mit null saldieren. Ist ein Land dem anderen etwas schuldig, so muß es zahlen, oder es ist bankerott. Es sei denn, daß seine Gläubiger ihm ausdrücklich einen Zahlungsaufschub bewilligen, ihm also Kredit einräumen. Dieser Kredit ist dann gleichbedeutend mit einer Streichung des entsprechenden Schuldpostens in der Gegenwart und seiner Neueintragung auf einem Kontoblatt der Zukunft. Die Gegenwartsbilanz wird dadurch entlastet, ihr Passivsaldo verkleinert. Diesen verkleinerten Passivsaldo muß das Land aber unter allen Umständen zahlen, denn in Höhe seines Betrages haben irgend welche ausländischen Gläubiger eine fällige Forderung in Händen, auf deren sofortiger Begleichung sie unerbittlich bestehen. Denn täten sie das nicht, so hätten sie ja dem Lande einen entsprechenden Kredit bewilligt, d.h. sich mit der Übertragung des Schuldpostens auf ein Folio der Zukunft einverstanden erklärt und die gegenwärtige Zahlungsbilanz dadurch entlastet.

Das vielgestaltige, aus unzähligen Gattungen zusammengesetzte Weltgeld „Ware“ erfüllt nun seine Aufgabe, die Forderungen und Schulden der Länder auszugleichen, im allgemeinen so gut, daß es nur in Ausnahmefällen nötig ist, das beweglichste Spezialgut „Gold“ zur Mitwirkung heranzuziehen. Bis auf unbedeutende Spitzen gleichen sich vielmehr die ungeheuren Forderungen, welche die Länder wechselseitig gegen einander haben, und die Hunderte von Milliarden (Goldmilliarden!) im Jahre ausmachen, durch die Bewegung der übrigen Waren aus, unterstützt durch den Kredit, der Teilforderungen auf kürzere oder längere Zeit stundet, ihre Begleichung also von der Warenbewegung der Gegenwart auf diejenige der Zukunft verschiebt. Ich brauche Dir wohl nicht immer wieder in Erinnerung zu bringen, daß der Begriff „Ware“ stets im weitesten Sinne verstanden werden muß, daß er also alle Leistungen (Transporte, Bankvermittelungen, Versicherungsdienste etc.) in sich schließt, welche die Länder sich gegenseitig erweisen, und ebenso alle dokumentierten Eigentumsrechte (Aktien, Hypotheken und dergl.), die ja nichts anderes als Rechtstitel an Waren bezw. Gütern sind, die sich in der Verwaltung dritter Personen befinden. In diesem umfassendsten Sinne verstanden erfüllt, wie gesagt, das Generalgut „Ware“ seine Funktion des Schuldenausgleichs so gut, daß es nur ausnahmsweise nötig ist, das Spezialgut „Gold“ mit seinen drei besonderen Eigenschaften – Beweglichkeit, Preisbeständigkeit und Beeinflussung des Preisniveaus im Ausfuhrlande – zu Hilfe zu rufen. 

Woher das kommt, ist Dir in großen Umrissen bereits bekannt. Es ist die Wirkung der Preisveränderungen, die in Ländern der Papierwährung durch die starken Schwankungen des Wechselkurses, und in Ländern der Goldwährung durch das gelegentliche Ein- und Auswandern kleiner Goldmengen hervorgerufen werden. Durch diese Preisveränderungen wird die Nachfrage nach der Ware verstärkt oder abgeschwächt, wie es zur Ausbalanzierung der gegenseitigen Guthaben und Schulden durch dieses Weltzahlungsmittel erforderlich ist. Aber damit hast Du eigentlich erst die beiden letzten Stützen der Zahlungsbilanz kennen gelernt, gewissermaßen das grobe Geschütz, das immer dann aufgefahren wird, wenn milder wirkende Mittel ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Das ist indes in normalen Zeiten nur selten der Fall. In der Regel genügt vielmehr schon der kleine Anreiz, den gewisse mildere Mittel auf die Kauf- und Verkaufsneigung ausüben, vollkommen, um die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten.

Da ist zunächst der Zins, ein wahrer Teufelskerl, der mit Schwankungen um den Bruchteil eines Prozents, also mit einem subtilen Instrument, die außerordentlichsten Wirkungen hervorruft. Wir haben ihn bereits kennen gelernt, als wir uns mit dem Wert des Landesgeldes beschäftigten, und haben damals (in meinem Brief vom 17. Januar) gesehen, daß er auf diesen Wert und damit auf das Preisniveau einen ganz gewaltigen Einfluß ausübt. Je nachdem der Zins sich erhöht oder ermäßigt, überführt er „ruhendes“ Geld in den Umlauf oder versetzt er „umlaufendes“ Geld in den Zustand der Ruhe, was den Preis im ersten Falle erhöht, im zweiten verbilligt. Auf diese Weise stimmt er Produktion und Konsum ungleich zweckmäßiger auf einander ab, als es die exakteste Planwirtschaft mit all ihren Wirtschaftsprovinzen und Selbstverwaltungskörpern zu tun vermag. Dieser so unscheinbare und doch so mächtige Zins übt auch auf die wirtschaftlichen Außenbeziehungen der Länder einen gewaltigen Einfluß aus und trägt in hohem Grade dazu bei, daß die Zahlungsbilanz der Länder im Gleichgewicht bleibt.

Hat ein Land dem Auslande außergewöhnlich große Zahlungen zu leisten, und muß mithin ein bedeutender Teil der vorhandenen Kaufkraft (d.h. des flüssigen Geldes) für den Ankauf von Devisen reserviert werden, so daß die für den Inlandsverkehr verbleibende Kaufkraft knapp wird und die Preise infolgedessen solange sinken, bis das Ausland kaufend eingreift und dem Lande die zur Zahlungsleistung erforderlichen Devisen zur Verfügung stellt, – dann mildert der Zins diesen Preisdruck, der immer störend empfunden wird und sich leicht zur Krisis auswächst. Er mildert ihn, indem er selbst in die Höhe geht. Die unmittelbare Ursacheseines Steigens ist die eben erwähnte Verknappung der Kaufkraft, die den Leihpreis für verfügbares Geld – nichts anderes ist der Zins – entsprechend erhöht. Und die Wirkung seines Steigens ist, daß das Ausland nunmehr eine größere Bereitwilligkeit zeigt als vorher, Kredit zu gewähren und dadurch einen Teil der Devisenkäufe überflüssig zu machen. Manche Auslandsbank, die bei 4 1/2 Prozent Zins jeden Kredit rundweg verweigert, weil das Geld in ihrem eigenen Lande denselben Ertrag abwirft, läßt sich bei einem Steigen des Zinses auf 5 oder 5 1/2 Prozent zur Hergabe eines Darlehns bereit finden. Das milde Mittel des Zinses erseht hier das schärfere Mittel des Preisdrucks zum Vorteil der Landeswirtschaft.

Freilich ist auch hier wieder zwischen Goldwährungsland und Papierwährungsland zu unterscheiden. In dem ersteren reagiert der Kredit auf das Reizmittel des Zinses ungleich schneller und zuverlässiger als in dem letzteren, entsprechend dem verschiedenen Grade der Wechselkursschwankungen und des mit dem Kredit verbundenen Valutarisikos. Wo die Goldwährung herrscht und die Wechselkursdifferenzen daher immer nur Pfennige ausmachen können, pflegt eine Zinsaufbesserung um 1/4 bis 1/2 Prozent bereits sehr wirksam zu sein. Wo dagegen die Sicherung durch das Gold fehlt und infolgedessen jähe Valutaschwankungen in Rechnung gezogen werden müssen, erzielen häufig selbst 2 und 3, ja 5 Prozent Mehrzins nur einen unbedeutenden Effekt. Hier muß das Reizmittel des Zinses, um wirksam zu sein, oft so stark dosiert werden, daß es praktisch auf eine Abdankung des Zinses hinausläuft, und man den Zahlungsausgleich notgedrungen dem brutaleren Mittel des Preisdrucks – via Wechselkurs – überlassen muß. 

Ein weiterer, sehr milder und doch wirksamer Hilfsfaktor der Schuldausgleichung ist die Arbitrage, für die ich Dir leider ein entsprechend kurzes deutsches Wort nicht nennen kann. Sie beruht auf der Ausnutzung der Bewertungsdifferenzen eines und desselben internationalen Handelsobjekts in den verschiedenen Ländern. Auch sie steht mit dem Kredit in Verbindung, genau wie der Zins, nur daß ihr Reizmittel nicht der Zins nutzen, sondern der Kurs nutzen ist. Das Feld ihrer Tätigkeit bilden in der Hauptsache Devisen, Börsenwerte und Kupons. So nutzt z.B. die Devisen– Arbitrage den Umstand aus, daß ein Land mit starker Augenblicksverschuldung die Wechsel des Gläubigerlandes zu einem höheren als dem gewöhnlichen Kurse sucht, indem sie ihm diese Wechsel, die sie in Ländern mit aktiver Zahlungsbilanz billiger anzuschaffen vermag, sei es käuflich, sei es leihweise anbietet. Insoweit sie dies tut, erspart sie dem Schuldnerlande den Rückgriff auf den Zins und auf den Preisdruck. Die Effekten-Arbitrage macht sich den Umstand zu Nutze, daß in einem Lande mit starker Augenblicksverschuldung die internationalen Wertpapiere einem Kursdruck zu unterliegen pflegen, und kauft an den Börsen des Landes solche Wertpapiere auf, um sie an anderen Börsen mit einem gewissen, meist ganz geringfügigen, Kursvorteil sofort wieder zu verkaufen. Und ebenso handelt die Kupons-Arbitrage, die solche Kupons, die in mehreren Währungen zu festem Umrechnungsverhältnis zahlbar sind, im Schuldnerlande relativ billig ankauft und in Ländern, deren Valuta gerade besonders hochwertig ist, verkauft oder zur Einlösung bringt. Aus allen diesen Operationen entstehen für das Schuldnerland Auslandsguthaben, die es zur Abdeckung seines Debetsaldos mit verwenden kann.

Auch die Arbitrage arbeitet naturgemäß in einem Goldwährungslande ungleich prompter und vorteilhafter als dort, wo das Valuta-Risiko groß ist. Da ihr Profit immer nur ein bescheidener ist – bei der Arbitrage muß es die Menge bringen –, so genügt schon die Gefahr verhältnismäßig kleiner Wechselkursschwankungen, um ihr das Arbeiten unmöglich zu machen oder sie in nackte Spekulation zu verwandeln, wobei sie dann aber nicht mehr nach Promille, sondern nach vielen Prozenten rechnet und sich auf Kosten des Schuldnerlandes zu bereichern sucht. 

Alle diese Hilfsmittel, die ich Dir hier genannt habe, lieber James, dienen entweder dem Zweck, die Mare, und zwar Ware der allerverschiedensten Art, vom 50 000 Tonnen-Schiff bis zur Stecknadel und von der Millionen-Obligation bis zum 5 Shilling-Coupon, in „Weltgeld“ umzuwandeln und zur Abdeckung des Passivsaldos der nationalen Zahlungsbilanz zu benutzen; oder sie dienen dem Zweck, Auslandskredite zu beschaffen, die den Passivsaldo der Gegenwartsbilanz verkleinern und Len ausgemerzten Schuldenbetrag gewissermaßen „auf neue Rechnung vortragen“. Wobei die neue Rechnung freilich bereits im nächsten Vierteljahr einen Gegenstand der Sorge bildet, wenn der Kredit kurzfristig ist, dagegen eine cura posterior, eine erst in Jahrzehnten akut werdende Frage ist, wenn es dem Schuldnerlande mit Hilfe der geschilderten Mittel gelungen ist, langfristige Kredite zu erhalten. 

Hoffentlich habe ich mich in diesem Briefe hinreichend deutlich ausgedrückt, sodaß Dir der Sachverhalt klar geworden ist. Solltest Du zu meinem Bedauern nicht alles verstanden haben, so liegt die Schuld nicht an Dir, sondern an mir und meinem unzureichenden Talent für gemeinverständliche Darstellung. Denn die Dinge selbst sind überaus einfach und durchsichtig. 

In Liebe

Dein alter Papa. 

6. Brief

Ist das Gold entbehrlich? – Ausgleichung der Zahlungsbilanz auf technischem Wege – Goldwährung und Galgenwährung

Berlin, am 17. September 1921.

Folgendes, lieber James, sind die bisherigen Resultate unseres brieflichen Lehrkursus:

Weder das Gold noch der Wechsel sind „Weltgeld“. Beide sind vielmehr nur Mittel zu dem Zwecke, das eigentliche Weltgeld, das die Debet- und Kreditsalden in den Zahlungsbilanzen der Länder durch seinen Ab- und Zufluß ausgleicht, in Bewegung zu setzen. Dieses eigentliche Weltgeld, in dem alle Forderungen einkassiert und alle Schulden abgetragen werden, ist die Ware. Der Regel nach genügen ganz geringe Reizmittel, um die Ware zu veranlassen, aus den Schuldnerländern in die Gläubigerländer abzuwandern und so ihren Dienst als Weltgeld zu verrichten. Die bekanntesten sind der Zins und die Ausnutzung kleinster Preisunterschiede durch die Arbitrage. Erst wenn die Ware auf diese harmlosen Reizmittel nicht voll reagiert, und auch der Kredit durch sie nicht veranlaßt wird, seinen wichtigen Hilfsdienst zu verrichten, treten andere, kräftigere Reize in Funktion, nämlich der Wechselkurs und in Goldwährungsländern die Goldbewegung.

Der Wechselkurs, dessen Verschlechterung gleichbedeutend mit einer Verbilligung der Mare in dem Zahlungspflichtigen Lande ist, geht direkt und mit brutaler Gewalt zu Werke. Er wirkt auf die Mare wie ein Ausweisungsbefehl und wirft sie, indem er ihren Preis drückt, in den zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz erforderlichen Mengen in die Länder mit höheren Preisen. Die Goldbewegung wirkt zwar gleichfalls mit unwiderstehlicher Kraft, aber nur mittelbar und immerhin schonender. Sie verringert, indem sie Gold abfließen läßt, im Goldwährungslande die vorhandene Geldmenge und die Kaufkraft, läßt das Preisniveau entsprechend sinken und öffnet dadurch ebenfalls das Ausfuhrventil für die Ware, die nun als das eigentliche Weltgeld in das Ausland strömt. 

Daher kommt es, mein Lieber, daß so überaus geringe Mengen Gold genügen, um selbst eine außerordentlich passive Zahlungsbilanz ins Gleichgewicht zu bringen. Wäre das Gold an sich das Weltgeld, so würde auch der größte Goldbestand eines Landes nicht ausreichen, um eine nationale Milliardenschuld zu bezahlen. Da aber in Wirklichkeit nicht das Gold, sondern die Ware die Milliardenschuld begleicht, und das Gold nur den Schrittmacher für die Ware abgibt, so bedarf es keiner allzu großen Goldmengen, um die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten. Mir haben gesehen, daß selbst in England, dessen gewaltiger Handel und ausgedehnte Kreditbeziehungen das Land mit Riesensummen bald aktiv, bald passiv werden lassen, vor dem Kriege ein paar Millionen Pfund Sterling Gold jeden Schuld- oder Forderungssaldo aus der Welt geschafft haben. Sobald Zins und Arbitrage versagten, haben wenige Prozent der Schuldsumme in Gold genügt, um so viel Ware in Bewegung zu sehen, wie nötig war, um das Totale der Schuld abzudecken.

Eine Goldwährung kann also, sofern sonst alles beim Geldwesen in Ordnung ist, mit einem verhältnismäßig kleinen Metallvorrat aufrecht erhalten werden. Für den inneren Verkehr bedarf es eines Goldbestandes überhaupt nicht; hier genügt die Vorsorge, daß die Geldmenge, die allein über Geldwert und Preishöhe entscheidet, ausschließlich vom Verkehr bestimmt und durch keinen noch so wohlgemeinten Willkürakt des Staates verändert wird. Und im äußeren Verkehr bedarf es, wie wir gesehen haben, nur geringfügiger Goldmengen, weil die Hauptzahlungen von Land zu Land nicht in Gold, sondern in Ware geleistet werden.

Wäre es nun – diese Frage drängt sich Dir hier sicherlich auf – nicht möglich, auch noch auf die geringen Goldmengen zu verzichten, die im internationalen Zahlungsverkehr die Schrittmacherdienste tun? Wäre es mit anderen Worten nicht möglich, daß ein Land die Goldwährung nach außen wie nach innen aufgibt, ohne dadurch seine Zahlungsbilanz irgendwie zu gefährden? Oder ist ein gewisser Goldbestand mit Rücksicht auf den Zahlungsausgleich für ein in den Weltverkehr verflochtenes Land nicht zu entbehren?

Ich habe hier nicht die selbstverständliche Möglichkeit im Auge, daß ein Land statt des Vorrats an barem Golde einen Vorrat an fremden Goldwechseln, an Golddevisen, unterhält. Da Golddevisen sich jederzeit durch Diskontierung bei den Banken ihres Ursprungslandes in Gold umwandeln taffen, so sind sie normalerweise in jeder Hinsicht dem Golde gleich zu achten. Eine auf Golddevisen gegründete Währung ist – außer in Kriegszeiten – nichts anderes als eine Goldwährung, bedeutet also nicht die Abkehr von diesem Prinzip, sondern das Festhalten daran.

Die Frage, ob ein Land sich ohne Schaden für sein Geldwesen und seine Zahlungsbilanz völlig vom Golde trennen kann, beantwortet sich nach dem früher Gesagten eigentlich von selbst. Denn da das Gold im Außenverkehr eines Landes eine fest umrissene Aufgabe hat – die Aufgabe nämlich, durch Beeinflussung des Preisniveaus im Lande das Weltgeld Ware zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu zwingen – so kann es nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung entbehrt werden. Wenn es ein Mittel gibt, das den vom Golde herbeigeführten Effekt ebenso bequem und zuverlässig auslöst wie das Gold, so ist dieses letztere entbehrlich. Gibt es ein solches Mittel nicht, so ist das Gold unentbehrlich.

Es hängt also alles von der Antwort auf die Frage ab, ob die Möglichkeit besteht, den Geldumlauf im Lande einschrumpfen zu lasten, wenn die Zahlungsbilanz passiv ist, und auszudehnen, wenn sie aktiv ist. Denn auf dem Umwege über die Geldmenge wirken ja Goldabfluß und Goldzufluß in einem Goldwährungslande auf die Preise und auf die Warenbewegung ein. Nun unterliegt es keinem Zweifel, daß grundsätzlich die Geldmenge in einem Lande vergrößert und verringert werden kann, auch ohne daß es des Dazwischentretens des Goldes bedarf. Wir sehen ja, daß tatsächlich alle Länder bald mit einem größeren, bald mit einem geringeren Geldumlauf wirtschaften. Eine andere Frage über ist die des Maßes. Ob die Vergrößerung bezw. Verringerung sich ebenso genau und in ebenso schonender Weise auf die Zahlungsbilanz einstellen läßt, wie es durch das Gold geschieht, das erscheint immerhin zweifelhaft. Und zweifelhaft erscheint es auch, ob diese Einstellung der Geldmenge auf die Erfordernisse des Zahlungsausgleichs sich selbsttätig, aus dem Verkehr heraus, vollzieht. Denn wir wissen, daß nur der Verkehr in freier Selbstbestimmung die Geldmenge verändern darf, und daß jeder willkürliche Eingriff von außen das Geldwesen des Landes unfehlbar ruiniert. 

An diese Frage lassen sich sehr interessante Untersuchungen anknüpfen, die uns indes heute nur vom Thema ablenken würden. Ich nehme deshalb gleich das Ergebnis vorweg, indem ich sage: Es gibt ein ausgezeichnetes Mittel, um die Geldmenge im Lande jederzeit «in genauer Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Zahlungsbilanz zu halten. Ist nämlich die Zahlungsbilanz passiv, und sind daher die ausländischen Zahlungsmittel (Devisen) gesucht, so daß sie im Preise zu steigen beginnen, so ist das ein Zeichen, daß der Verkehr mit Geld übersättigt ist, d.h. daß die Warenpreise zu hoch sind und das Weltgeld „Ware“ am Ausfließen hindern. Man muß also vorsichtig Geld aus dem Verkehr herausheben – ob durch eine Steuer oder eine Anleihe ist vollkommen gleichgültig – und in den Zustand der Ruhe versehen. Der zunächst unmerkliche, dann langsam zunehmende Preisdruck, der von dieser Verringerung der Kaufkraft ausgeht, fördert die Ausfuhr und tilgt so den Passivsaldo, der sich in der Knappheit der Devisen geäußert hat. Sobald dieser Zweck erreicht ist, die Devisen also ausreichend angeboten sind und auf ihren normalen Preis zurückgehen, ist dies ein untrügliches Zeichen, daß Geldumlauf und Zahlungsbilanz nunmehr in Übereinstimmung stehen, und daß der Verkehr eine weitere Verringerung des Landesgeldes nicht fordert. Gehen die Devisenkurse noch unter den Normalstand hinunter, so bedeutet das nichts anderes, als daß die bisher passive Zahlungsbilanz aktiv zu werden beginnt, und daß man ‘daher durch Freigabe eines Teils des eingezogenen Geldes das Gleichgewicht wieder Herstellen muh. Denn wenn man dies nicht tut, das Kommando des Verkehrs also nicht respektiert, so hält man das Preisniveau unnötig unter Druck und entblößt das Land mehr als erforderlich von Ware. 

Die Aufgaben, die das Gold automatisch erfüllt, lassen sich also auch auf andere Weise, ohne das Dazwischentreten dieses Metalls, bewältigen. Und ein Theoretiker wäre daher durchaus berechtigt zu sagen: Das Gold kann nicht nur im Binnenverkehr eines Landes, sondern auch in seinem Außenverkehr entbehrt werden. Eine gesunde Währung und eine solide Stellung im internationalen Zahlungsverkehr haben an und für sich durchaus nicht zur Voraussetzung, daß das betreffende Land die Goldwährung hat oder auch nur über ein gewisses Goldquantum verfügt. Es bringt weder Schaden noch Unbequemlichkeit mit sich, wenn ein Land seine Zahlungsbilanz statt durch Gold auf einem anderen, sozusagen technischen Wege im Gleichgewicht hält. Aber – und das ist der wunde Punkt – eine Grundbedingung muß erfüllt sein: Zusammenziehung und Wiederausdehnung des Geldumlaufs dürfen einzig und allein dem Kommando der Zahlungsbilanz, ausgedrückt in den Devisenkursen, unterstellt werden. Nur der Stand der Wechselkurse und nichts anderes darf den bestimmenden Einfluß auf die jeweils umlaufende Geldmenge haben. Der Staat mit seinen finanziellen, handelspolitischen und sozialen Bedürfnissen, Zielen und Zwecken hat grundsätzlich die Hand vom Geldwesen zu lassen. Er muß im Gelde etwas außerhalb seiner Machtsphäre Stehendes, besonderen Elementargesetzen Unterworfenes respektieren, ein Verkehrgeborenes Warenbezugsrecht, dem gegenüber er die strikteste Neutralität zu beobachten hat. Er darf immer nur aufpassen, Hemmungen aus dem Wege räumen, dem Kommando des Wechselkurses Respekt sichern, niemals aber sich selbst schöpferische Funktionen anmaßen. Denn sobald er dies tut, sobald er an dem im Gelde verkörperten Recht nach eigener Willkür herumzumodeln beginnt, fälscht er nicht nur dieses Recht, indem er dessen Inhalt ändert, sondern stört er auch die Harmonie zwischen Geld und Zahlungsbilanz, zerrüttet er in unheilvoller Weise das Geldwesen des Landes, wofür wir heute die traurigsten Beispiele vor Augen haben.

Ich kann mir nun in abstracto sehr wohl ein Land vorstellen, in dem die vorstehende Forderung erfüllt und das Geldwesen aufs strengste vom Staate getrennt ist. Ich kann mir vorstellen, daß ein weiser Gesetzgeber, ein neuer Solon, der da weih. Wie ungeheuer groß die Versuchung für den Staat ist, die Geldmaschine für seine Zwecke zu mißbrauchen, und der gleichzeitig die verderblichen Wirkungen dieses Mißbrauchs kennt, eine unübersteigbare Mauer zwischen dem Gelde und der Staatsgewalt aufrichtet. Etwa, indem er die Acht und Aberacht über jeden Staatsleiter verhängt, der es sich beikommen lassen wollte, eigenmächtige Veränderungen an der Geldmenge vorzunehmen. Ich kann mir vorstellen, daß dieser Solon auf dem Markte der Landeshauptstadt einen hohen Galgen errichtet mit der Inschrift: „An diesen Galgen kommt ohne Ansehen der Person und des Standes, wer durch willkürliche Vermehrung des Geldes die Bevölkerung um einen Teil der im Gelde dargestellten Kaufkraft betrügt!“ Und ich kann mir schließlich und endlich auch vorstellen, daß diese drakonische Maßregel ihren Zweck erfüllt, daß also das Geld, vom Staate nicht angetastet, in derjenigen Menge umläuft, die der Verkehr auf die früher von mir geschilderte Weise erzeugt[1], und die sich lediglich gemäß den Zuckungen der Zahlungsbilanz bald zusammenzieht, bald wieder ausdehnt. In einem solchen Lande würde eine durchaus gesunde Währung herrschen, auch wenn kein Gramm Gold zu Zahlungszwecken zur Verfügung stände. Es würde sich hier erweisen, daß eine im Zeichen des Galgens stehende, d.h. durch drakonische Srafen vor jedem obrigkeitlichen Mißbrauch geschützte Währung – nennen wir sie der Kürze halber „Galgenwährung“ – der Goldwährung völlig ebenbürtig ist.

Aber ich kann mir nicht helfen, lieber James: Ich vermag mir eine solche Währung nur in abstracto, nur theoretisch, nicht in lebendiger Wirklichkeit, vorzustellen. Jedes Staatswesen durchläuft Zeilen, in denen die Versuchung, Hand an das Geld zu legen, so groß wird, daß alle moralischen und wirtschaftlichen Bedenken nicht mehr gegen sie aufkommen. Selbst wenn der Galgen, das Sinnbild des Geldschutzes, hier drohen- aufgerichtet wäre, würde er nichts nutzen, denn die Staatsgewalt würde ihn im kritischen Moment niederreißen. Gibt es schon für den. einfachen, von Strafgesetzen umhegten Bürger in der Not kein Gebot, um wie viel weniger für den souveränen Staat. Bald aus Unkenntnis des. Geldwesens, bald aus Bequemlichkeit – es gibt ja keine einfachere unwirksamere Besteuerung des Volkes, als die Fortnahme eines Teils seiner Kaufkraft durch Geldvermehrung – wird der Staat sich der Geldmaschine bemächtigen, um sie seinen Bedürfnissen entsprechend arbeiten zu lassen. Und es wird dann immer Theoretiker geben, die schwarz in weiß und Unrecht in Recht verwandeln, indem sie in gelehrten Deduktionen den Staat als den Herrn über das Geld anerkennen und das Geld, das in Wirklichkeit nur der Verkehr zu erzeugen vermag, zu einem Geschöpf des Staats und seiner willkürlichen Rechtsordnung stempeln.

Aus diesem Grunde, mein Sohn, weil nämlich die menschlichen Einrichtungen von schwachen oder kurzsichtigen Menschen geregelt und gelegentlich mißbraucht werden, hat sich die an sich durchaus brauchbare Papierwährung noch stets der Goldwährung als unterlegen erwiesen. Aus diesem Grunde würde sie auch in ihrer vollkommensten und bestgesicherten Form, in der Form nämlich, die wir eben „Galgenwährung“ genannt haben, früher oder später Fiasko machen. Freilich läßt sich auch die Goldwährung mißbrauchen. Aber sie trägt dadurch, daß sie den Staat zwingt, ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen Geld und Gold anzuerkennen und nicht zu verletzen, ein Element -es Selbstschutzes in sich. Sie ist bis zu einem gewissen Grabe immun gegen das Gift verderblicher Lehrmeinungen und fahrlässiger Staatspragmatik. Deshalb kehren auch alle großen Handelsvölker immer reuig zur Goldwährung zurück, nachdem sie in kürzeren oder längeren Perioden währungspolitischer Mißwirtschaft an ihrem eigenen Wirtschaftskörper erfahren haben, was es heißt, Experimente mit dem Gelbe zu machen.

Hiermit Gott befohlen! 

Dein alter Papa. 

7. Brief

Zahlungsbilanz und Notenbank – Diskont-, Gold-, Devisen- und Reserve-Politik

Berlin, am 19. September 1921.

Worin, lieber James, besteht die praktische Überlegenheit der Goldwährung über alle nicht-metallischen Währungen? Sie besteht, um es kurz zu sagen, in der unübertrefflichen Elastizität, die sie dem Geldumlauf verleiht. In einem Goldwährungslande zieht sich der Geldumlauf immer dann automatisch zusammen, wenn die Zahlungsbilanz des Landes passiv ist, um sich ebenso automatisch wieder auszudehnen, sobald die Zahlungsbilanz aktiv wird. Bewirkt wird dieser Prozeß des abwechselnden Einschrumpfens und Ausweitens des Geldumlaufs durch die sogenannte „Goldbewegung“, das heißt dadurch, daß Gold in dem einen Falle aus dem Lande ausfließt, in dem anderen Falle dagegen in das Land einfließt. Da das Gold im Goldwährungslande einen Bestandteil des Zahlungsmittel-Ganzen ausmacht, so verringert sein Ausfließen die umlaufende Geldsubstanz und die in ihm verkörperte Kaufkraft, während sein Einfließen beides vermehrt. Diese Elastizität, die das Gold dem Landesgelde verleiht, wirkt so prompt, daß die Zahlungsbilanz des Landes sich mit ihrer Hilfe immer wieder automatisch ausbalanziert, und daß es zu einer stärkeren Aktivität oder Passivität überhaupt nicht kommen kann. Dementsprechend können auch die Wechselkurse in einem Goldwährungslande nur unerheblich steigen oder fallen. Sie können immer nur zwischen zwei eng zusammenliegenden Polen hin- und herpendeln. nämlich zwischen dem Pol, bei dem die Goldeinfuhr einsetzt (unterer Goldpunkt), und dem anderen Pol, bei dem die Goldausfuhr beginnt (oberer Goldpunkt).

„Welch ein feiner und zuverlässiger Verkehrsregulator!“ wirst. Du hier denken. Und sicherlich kann der Wert der Goldbewegung kaum je zu hoch eingeschätzt werden. Wer für sich allein genügt sie doch nicht, um die Zahlungsbilanz mit derjenigen Schnelligkeit und Leichtigkeit auszugleichen, die wünschenswert ist. Eine gesunde Verkehrswirtschaft in einem Lande mit gesundem Geldwesen ist überaus feinnervig. Sie reagiert auf die leisesten Reizungen, und die Goldbewegung, der bei all ihrer Zuverlässigkeit immerhin noch eine gewisse Schwerfälligkeit anhaftet, ist ihr für den Normalfall noch viel zu plump. So eng auch die beiden Goldpunkte, bei denen das Gold sich hinüber oder herüber in Bewegung setzt, bei einander liegen – die Differenz zwischen ihnen beträgt fort Goldwährungslande etwa 1/2-3/4 Prozent – und so wenig daher auch die Wechselkurse sich über ihren mittleren Stand erheben oder sich unter ihn senken können, tatsächlich empfindet eine gesunde Wirtschaft dieses geringe Schwanken des Geldwerts noch als eine viel zu große Störung und als eine Erschwerung bei ihren Kalkulationen.

Wenn wir an die schönen Tage zurückdenken, mein Sohn, in denen Deutschland sich einer echten, rechten Goldwährung erfreut hat. so werden wir uns der Tatsache erinnern, daß damals nur in seltenen Ausnahmefällen die Wechselkurse gegen den oberen oder unteren Goldpunkt gestoßen sind, obwohl die deutsche Zahlungsbilanz fast niemals ganz im Gleichgewicht war. In der Regel schwankten die Wechselkurse damals nur um wenige Tausendstel um den Mittelpunkt, um die sogenannte Goldparität herum, d.h. um den Preis, den ein bestimmtes Quantum Gold laut Münzgesetz in deutschem Gelde kostete. Für die 7 1/3 Gramm Gold, die in einem englischen Sovereign enthalten sind, betrug dieser Preis etwa 20,43 Mark, und von diesem Mittelpunkt ist der Kurs des Sterlingwechsels in Berlin meist nur um wenige Pfennige abgewichen. Den oberen Goldpunkt von 20,51 Mark hat er nur ausnahmsweise, den unteren von 20,34 Mark meiner Erinnerung nach überhaupt nur ein einziges Mal, und zwar im Jahre 1904, erreicht. Das bedeutet, daß das Gold nur verhältnismäßig selten als Regulator der Zahlungsbilanz in Aktion zu treten brauchte, weil andere Ausgleichsmittel ihm diese Aufgabe abgenommen hatten; und zwar Ausgleichsmittel, die schneller wirkten als das schwerfällige, nur auf Wechselkurse von 20,51 oder 20,34 reagierende Gold. Es handelt sich bei diesen schneller und daher milder wirkenden Mitteln um alte Bekannte, nämlich um den Zins, den Kredit und die geschäftliche Ausnutzung der beiden durch die Arbitrage.

Der wichtigste und elementarste dieser drei Faktoren ist der Zins, weil er der Motor ist, der die beiden anderen erst in Tätigkeit setzt. Der Zins ist überhaupt der wirksamste Regulator, Über den die gesunde Wirtschaft verfügt. Wohin wir auch blicken, immer steht er irgendwo als treibende Kraft im Hintergrunde. Beim Geldwesen haben wir ihn bereits als den Magnet kennen gelernt, der den Geldumlauf bald beschleunigt, bald verlangsamt und ihn dadurch den Bedürfnissen der Produktion anpaßt. Er ist derjenige Faktor, der dem Gelde die erforderliche Elastizität im Binnenverkehr gibt; nicht, indem er seine Menge ändert – das vermag der Zins nicht –, sondern indem er vorhandenes Geld durch die hohe oder niedrige Prämie, die er auf intensive Geldverwendung, aus energische Ausnutzung vorhandener Kaufkraft setzt, bald schneller, bald langsamer ins Rollen bringt. (Bei Papiergeld muß man wohl sagen: „ins Flattern“.) Heute nun, wo wir uns mit dem Außenverkehr befassen, finden wir wiederum den Zins ,auf unserem Wege, als den leichtbeschwingten Ariel, der dem schwerfälligen Caliban „Gold“ die Sorge um die Ausgleichung der Zahlungsbilanz abnimmt; und zwar tut der Zins dies, indem er den Kredit magnetisch anzieht oder abstößt und bald allein, bald mit diesem gemeinsam die Arbitrage in den beweglichsten Gütern (Effekten, Edelmetalle, Coupons, spekulative Stapelartikel) veranlaßt, die Warenbewegung in diejenige Richtung zu lenken, die geeignet ist, die Zahlungsdifferenzen zwischen den Ländern zu begleichen. Denn das eigentliche Weltzahlungsmittel – vergiß das keinen Moment, mein Sohn! – ist und bleibt die Ware

Es hat sich nun, und zwar nicht nur in Goldwährungsländern, die Gepflogenheit herausgebildet, den Zins in anbetracht seiner Wichtigkeit für den Zahlungsverkehr unter Kontrolle, zu nehmen, also eine zielbewußte „Zinspolitik“ zu treiben. In der Regel hat man diese Aufgabe denselben Instituten anvertraut, in deren Händen auch die sonstige Überwachung und Regelung des Geldverkehrs liegt, nämlich den Notenbanken. Man wollte auf diese Weise alle Elemente, die bestimmend für das nationale Geldwesen und seine Beziehungen zum Auslande sind, in einer Hand vereinigen, sodaß dieselbe Stelle, die den inneren Geldumlauf beherrscht, nicht nur den zentralisierten Goldvorrat -es Landes verwalten und die internationale Goldbewegung überblicken, sondern auch den maßgebenden Einfluß auf den anderen wichtigen Faktor der Zahlungsbilanz, den Zins, ausüben kann. Die Notenbanken machen diesen Einfluß geltend, indem sie den Zins nach Maßgabe des vom Wechselkurs ablesbaren Standes der Zahlungsbilanz bald erhöhen, bald ermäßigen, dadurch den Handelskredit, den sie als größtes Geldreservoir im Lande gewähren können, bald reichlicher, bald spärlicher fließen lassen, und auf diese Weise auch den Zins des offenen Geldmarktes in eine der Zahlungsbilanz entsprechende Richtung lenken. Man nennt diese ihre Tätigkeit „Diskontpolitik“, weil sie ihren Kredit vorzugsweise im Wege der Diskontierung kaufmännischer Wechsel gewähren. 

Sonach ist die Zentralnotenbank diejenige Instanz, welche die Verbindung zwischen dem Zahlungsverkehr im Inlande und im Auslande zwar nicht ausschließlich aufrecht erhält – der vielgestaltige „Markt“ wirkt hierbei entscheidend mit – aber sie doch maßgebend beeinflußt. Denn sie hat nicht weniger als vier Machtmittel in der Hand, um die nationale Zahlungsbilanz im jeweils erforderlichen Sinne zu korrigieren. Sie verfügt über das Machtmittel des Zinses oder der „Diskontpolitik“, ferner über dasjenige der „Goldpolitik“, drittens, wenigstens wenn sie es für erwünscht hält, über das wichtige Hilfsinstrument der „Devisenpolitik“, und endlich über die „Reservepolitik“, die unter Umständen von ganz erheblicher Bedeutung werden kann. Wir wollen uns die Wirksamkeit dieser vier Bestandteile der Notenbankpolitik in ihrer Beziehung zur Zahlungsbilanz und zum Außenwert des Geldes einmal, wenn auch nur kurz, vergegenwärtigen; ausführlicher werde ich darauf eingehen, wenn wir das Thema „Valuta“ erledigt haben und uns mit den Notenbanken als wirtschaftlicher Einrichtung beschäftigen werden.

Zeigt der Stand der Wechselkurse an, daß die Zahlungsbilanz passiv, das Land also dem Auslande augenblicklich zahlungspflichtig ist, so pflegt die Notenbank als erstes Gegenmittel die Diskontpolitik in Wirksamkeit zu setzen. Sie erhöht den Zins, den sie von ihren Kreditnehmern fordert, in solchem Grade, wie nötig ist, um einen Teil der Kreditnehmer zu veranlassen, ihre Schuld bei der Notenbank abzuzahlen und sich am offenen Geldmarkt oder bei den Privatbanken nach Ersatzkredit umzusehen. Dadurch verteuert sich auch hier die Zins, so daß mancher Geschäftsmann es vorzieht, im Moment auf jeden Kredit zu verzichten und etwa beabsichtigte Käufe nur im engen Rahmen seiner eigenen Mattel vornehmen, oder sich die hierfür erforderlichen Gelder durch den teilweisen Bergauf seines Warenlagers zu beschaffen. Die Kauflust flaut also ab, und das Warenangebot steigt. Folge: Eine Senkung des Preisniveaus, das heißt eine verbilligte Kaufgelegenheit für das Ausland, das zunächst die leichtbeweglichen Warenkategorien (Effekten, spekulative Stapelartikel usw.) im Wege der Arbitrage erwirbt, um dann je nach dem Grade der Preissenkung auch auf schwerfälligere Warengattungen zurückzugreifen; bis die Schuld des Inlandes an das Ausland durch die so entstandenen Gegenforderungen ausgeglichen, die Zahlungsbilanz also durch Warenausfuhr wieder in ihr Gleichgewicht gebracht ist.

Das ist wenigstens der Zweck, den die Notenbanken, oft mehr Instinkt- als verstandesmäßig, mit ihrer Diskontpolitik verfolgen, den sie indes nicht immer durchsetzen. Denn in Zeiten der Hochkonjunktur und der Überspekulation versagt der offene Markt sehr oft die Gefolgschaft. Immerhin erfreut sich die Diskontpolitik bei meinen Kollegen und bei den Volkswirten des Aufs eines äußerst wirksamen Mittels, und wenn Du Dir einmal die Mühe nehmen willst, lieber James, den lesenswerten Bericht einer im Jahre 1917 eingesetzten englischen Währungskommission, des sog. „Cunliffe-Committee“ zu studieren, so wirst Du darin ein Loblied auf die Diskontpolitik finden. Es heißt hier an einer Stelle wörtlich: „Die Erhöhung des Banksatzes und die Maßnahmen ihn am Markte wirksam zu machen, führten mit Notwendigkeit zu einer Erhöhung des Landeszinsfußes und zu einer Einschränkung der Leihtätigkeit. … Das Ergebnis war ein Nachlassen der meisten Preise am heimischen Markte, das die Einfuhr hinderte, dagegen die Ausfuhr anregte und so die ungünstige Handelsbilanz ausglich.“

Aber, wie gesagt, trotz der ihr hier erteilten guten Zensur bleibt, die Diskontpolitik oft unwirksam, und in diesem Falle muß sie durch ein schärferes Mittel, die Goldpolitik, ersetzt werden. Da die. Eindämmung der Kauflust auf dem direkten Wege über den Zins nicht, gelungen und die Ausfuhr nicht im erforderlichen Maße verstärkt worden ist, so erreichen die Wechselkurse den sogen, oberen Goldpunkt, die Goldausfuhr wird also lohnend, und die Notenbank schreitet zur Versendung von Barren- oder Münzgold, das zunächst wie jede andere Ware einen Teil der Landesschuld durch Begründung einer Gegenforderung tilgt. Zögert die Bank mit der Goldversendung, so wird sie von den Spezialisten des Edelmetallhandels durch Präsentation von Noten zur Hergabe von Gold zu Exportzwecken gezwungen. Wollte sie das Gold verweigern, so würde dies das Ende der Goldwährung bedeuten. Am den Betrag des hergegebenen Goldes verringern sich der Metallschatz, die Notendeckung und daher auch die Kreditmöglichkeit der Bank. Selbst wenn also der Markt gewillt wäre, jeden noch so hohen Zins für den Bankkredit zu zahlen, würde die Notenbank ihm angesichts ihres verringerten Goldbestandes den Kredit verweigern, ja sogar die Erneuerung fällig werdender Kredite abschlagen müssen. And hierdurch erfährt die Kaufkraft im Lande eine ganz empfindliche Verringerung. Der Goldexport wirkt mithin nach zwei Richtungen: einmal dadurch, daß er wie jeder andere Export Auslandsguthaben erzeugt und die Landesverschuldung entsprechend mildert, dann aber, und zwar hauptsächlich, durch die intensive Rückwirkung, die er auf den Umfang der Kaufkraft, dadurch auf das Preisniveau und dadurch wieder auf den Export ausübt.

In ähnlicher Weise wie diese Goldpolitik wirkt die Devisenpolitik. Sie besteht darin, einen großen Bestand ausländischer Zahlungsmittel in Wechselform anzusammeln und bei steigendem Wechselkurs dem Markt damit zu Hilfe zu kommen. Die Devisen sind, da sie in diesem Falle fast immer auf Gold lauten, dem Golde gleich zu erachten, und ihr Abfluß hat daher im allgemeinen dieselben Wirkungen wie die Goldausfuhr. Einige Notenbanken bevorzugen die Devisen vor dem Golde, weil sie leicht transportabel, zinstragend und im Bedarfsfall ohne Zeitverlust im Lande ihres Ursprungs verwertbar sind. Ich persönlich bin auf keinem Gebiete ein Freund von Surrogaten und ziehe das Gold dem Goldersatz vor. Im übrigen muß jede Notenbank damit rechnen, daß es ihr eines Tages so geht wie der Deutschen Reichsbank mit ihren englischen Devisen, die bei Kriegsausbruch plötzlich kein Goldersah mehr waren, sondern aus das Niveau von Kellerwechseln herabsanken, weil die englischen Akzeptanten sie nach dem Kriegsgesetz nicht einlösen durften.

Das vierte und letzte, sehr wirksame, aber verhältnismäßig selten angewandte Mittel im Dienste des Zahlungsausgleichs ist schließlich die Reserve-Politik. Sie besteht darin, daß die Zentralnotenbank des Landes bei ungünstiger Gestaltung der Wechselkurse die private Bankwelt zwingt, ihre Barreserven (Giroguthaben oder Depositen) bei ihr zu erhöhen. Die Wirkung ist dieselbe wie im Falle der Einschränkung der Kredittätigkeit, nur daß sie eine noch promptere ist: Die Kaufkraft im Lande verringert sich in dem Maße, wie die Notenbank Geld einfordert und aufspeichert- die Preise sinken, die Ausfuhr steigt, und die Zahlungsbilanz bessert sich. Diese Politik ist begreiflicherweise bei uns Bankdirektoren sehr unbeliebt. Wir geben nicht gern unsere Gelder gerade dann her, wenn wir sie am besten gebrauchen können. Infolgedessen kann nur eine Notenbank, hinter der eine sehr starke und von den Privatbanken unabhängige Negierung steht, die Reservepolitik in Anwendung bringen. Die Bank von England bedient sich ihrer von Zeit zu Zeit auf eine besondere Art, indem sie ihre Consol-Bestände an der Börse verkauft und das so eingenommene Geld zur Stärkung ihrer Reserve verwendet. Die englischen Privatbanken, die dieses Geld direkt oder indirekt hergeben müssen, sind von einer solchen Politik natürlich durchaus nicht entzückt. Aber ihr Einfluß auf die „Old Lady“ ist nicht entfernt so groß, wie derjenige der kontinentalen Bankherren auf die Notenbanken ihrer respektiven Länder. Sie knurren wohl, aber sie zahlen. 

Mit Hilfe der angegebenen vier Mittel, lieber James, ist in einem Goldwährungslande jede Notenbank im Stande, die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu erhalten, ohne daß die Wechselkurse in mehr als ganz geringfügigem Maße schwanken. Das ist ein großer Vorteil für das Land, den man aber weit weniger der Geschicklichkeit der Notenbank zu danken hat, als der Tatsache, daß in dem Lande die Goldwährung herrscht. Wenn die Notenbank fehlen würde, so würde das nicht allzuviel schaden, denn jede Goldwährung schützt sich selbst. Durch den automatisch einsehenden Abfluß und Zufluß von Gold hält sie das Preisniveau auf derjenigen Höhe, die jeweils erforderlich ist, um das Weltzahlungsmittel, die Ware, zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu zwingen. Alles, was eine Notenbank über diesen Selbstschutz der Goldwährung hinaus vermag, besteht darin, daß sie die zur Herstellung des Gleichgewichts in der Zahlungsbilanz erforderliche Warenbewegung mit etwas milderen Mitteln herbeiführt, so daß das ziemlich rohe Mittel der Goldwanderung .selten in Funktion zu treten braucht, und infolgedessen auch die Wechselkurse nicht bis auf den oberen Goldpunkt zu steigen oder bis auf den unteren zu fallen brauchen. Das ist immerhin ein nicht unerheblicher Vorteil, den eine gut organisierte Notenbank dem Lande zu verschaffen vermag. Wenn man sich aber andererseits vergegenwärtigt, welch ungeheures Elen- eine nach falschen Prinzipien verwaltete oder vom Staat mißbrauchte Notenbank über ein Land heraufbeschwören kann, so muß man sich unwillkürlich fragen, ob jener Vorteil es eigentlich rechtfertigt, daß ein Land sich seinethalber mit einem Instrument belastet, das eine so außerordentliche Gefahrenquelle darstellt, und ob ein Goldwährungsland nicht auch recht gut ohne Notenbank fertig werden könnte. Jedenfalls ist es für ein Land unendlich besser, keine Notenbank zu haben, als eine falsch geleitete. 

In Liebe

Dein alter Papa. 

8. Brief

Noch einmal der „Goldwahn“ – Gold, Papier und Valuta

Berlin, am 22. September 1921.

Es ist weder ein veraltetes Vorurteil, lieber. James, noch eine irrige Lehrmeinung oder ein volkswirtschaftlicher „Goldwahn“, was die Kulturvölker immer wieder zur Goldwährung zurückführt, nachdem sie eine vieljährige odysseische Irrfahrt auf dem stürmischen Meere der nichtmetallischen Währung durchgemacht haben. So richtig es auch ist, daß es beim Geldwesen eines Landes an und für sich nicht auf den Stoff ankommt, aus dem die einzelnen Geldzeichen bestehen, sondern auf die Menge dieser Zeichen, so unwiderleglich ist doch die Tatsache, daß die Wertbeständigkeit des Geldes und aller in ihm ausgedrückten Rechte de facto nur dann über jeden Zweifel erhaben ist, wenn das Gold die Grundlage der Landeswährung bildet.

Stellen wir uns einmal zwei Länder vor, von denen das eine die Vollgoldwährung hat, das andere dagegen eine Papierwährung. Wir wollen voraussetzen, daß beide Länder eine gleich einsichtige Negierung haben, daß also auch im Lande der Papierwährung keine willkürliche Zettelwirtschaft, keine gewissenlose oder gedankenlose Inflationspolitik getrieben, sondern das im Gelde verkörperte Recht zum Bezuge von Gütern streng respektiert wird, mithin jede willkürliche Neuschöpfung solcher Rechte mit Hilfe der Notenpresse grundsätzlich unterbleibt. In beiden Fällen handelt es sich also um eine in sich gefestigte, gesunde Währung; dort um eine gesunde Goldwährung, hier um eine gesunde Papierwährung. Wie sieht es in diesen beiden Ländern um den Stand der Valuta, das heißt um die Bewertung des Landesgeldes auf dem Weltmarkt aus, wie sie sich in den Wechselkursen ausdrückt? 

Maßgebend für die Bewegung der Wechselkurse ist die Zahlungsbilanz. Ist sie in einem Lande passiv, hat also das Land mehr Zahlungen an das Ausland zu leisten als von diesem zu empfangen, so verteuert sich der Preis der fremden Geldsorten und Wechsel, und der Wert des eigenen Landesgeldes auf dem Weltmarkt fällt. Denn das Land mit der passiven Zahlungsbilanz muß, um seine Schuld abtragen zu können, mehr fremde Zahlungsmittel ankaufen, als ihm zum Normalpreise angeboten werden, während nach seinem eigenen Gelde keine Nachfrage besteht, weil das Ausland ihm nichts schuldet. Passive Zahlungsbilanz bedeutet, gleichviel welchen Ursprungs sie ist, ein Sinken der Valuta des Zahlungspflichtigen Landes, und zwar im Goldwährungslande genau so wie im Lande der Papierwährung. An der Geltung dieses ehernen Gesetzes vermag die Konstitution des Geldes nicht das mindeste zu ändern.

Auch das Mittel, mit dem die passive Zahlungsbilanz beseitigt und die Valuta wieder auf ihren Normalstand zurückgeführt wird, ist in beiden Ländern genau das gleiche. Es besteht hier wie dort in einer Steigerung der Ausfuhr (oder, was in der Wirkung genau daßelbe ist, einer Verminderung der Einfuhr), so daß sich für das Zahlungspflichtige Land ein Ausfuhrüberschuß ergibt. Da das Ausland diesen Überschuß mit seinen Geldsorten und Wechseln begleichen muß, so sind die fremden Zahlungsmittel, die ursprünglich fehlten und zu steigenden Preisen vergeblich gesucht wurden, nunmehr vorhanden; die Nachfrage nach ihnen läßt nach, ihr Preis senkt sich, und der Normalstand der Valuta ist wieder hergestellt.

Die Verschiedenheit beginnt aber bei dem technischen Teil des Problems. Wenn auch das Wirtschaftsgesetz, daß die Zahlungsbilanz durch das Mittel der Warenbewegung ausgeglichen wird, für alle Länder gleichmäßig gilt, so ist doch die Methode, wie jene Warenbewegung herbeigeführt wird, keineswegs in allen Fällen dieselbe. Es gibt da vielmehr eine ganze Reihe von Spielarten. And zwar steht es nicht im Belieben der Finanz- und Handelskreisen oder der Regierungen, ob sie im gegebenen Falle diese oder jene Methode anwenden wollen, sondern die jeweils geeignetste Methode drängt sich ihnen gewaltsam auf. Der Mensch ist nicht Herr über die Warenbewegung, die den Zahlungsausgleich herbeiführt, sondern er ist der Diener jener Bewegung, die sich noch ihren eigenen Gesehen vollzieht. Und diese Gesetze sind in einem Lande mit Goldwährung andere als in einem Lande mit Papierwährung.

Wo die Goldwährung herrscht, regeln sich die Dinge höchst einfach, man möchte sagen, mechanisch. Hier ist stets eine Ware vorhanden, welche die Neigung hat, schon bei einer ganz kleinen Verschlechterung aus dem Lande zu fließen und umgekehrt bei einer ganz kleinen Besserung wieder zurückzukehren. Als diese wanderungslustige, stets sprungbereite Ware haben wir das Gold kennen gelernt. Sie hat in allen Ländern der Goldwährung ihren festen Preis. In England beispielsweise hat, solange dort die Goldwährung intakt war, der Preis 77 Shilling 10 1/2 Pence für eine Unze betragen. Sobald sich nun der Wechselkurs eines Goldwährungslandes, sagen wir, um bei unserem Beispiel zu bleiben, in England, verschlechtert, wird es für das Ausland vorteilhaft, dort Gold zu kaufen, weil die 77 Shilling 10 1/2 Pence, die eine Unze kostet, unter Normalpreis zu haben sind. Das Gold drängt also mit unwiderstehlicher Gewalt aus dem Lande. 

Diese Auswanderung des Goldes bei passiver und Rückwanderung bei aktiver Zahlungsbilanz hat – wie ich Dir in meinen früheren Briefen auseinandergesetzt habe – allerhand höchst wichtige Folgen für die Kaufkraft des im Lande umlaufenden Geldes, Folgen, die ihrerseits dazu beitragen, die Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu beschleunigen. Aber wir brauchen uns heute nicht bei diesen Folgen aufzuhalten, weil es uns ja im Moment nur darauf ankommt, uns das für die Goldwährung besonders Charakteristische der Zahlungsbilanz-Regulierung zu vergegenwärtigen. Und da müssen wir als erste und wichtigste Eigentümlichkeit dieser Währung feststellen, daß in einem Lande, in dem sie herrscht, die Wechselkurse niemals um mehr als 1/4 oder höchstens 1/2 Prozent von ihrem normalen Stande abweichen können, weil bei der geringsten Neigung dieser Kurse, sich weiter vom Normalstande zu entfernen, das immer sprungbereite Gold unwiderstehlich aus dem Lande hinaus- oder in das Land hineindrängt und die Wechselkurse gewaltsam auf ihren alten Stand zurückdrückt. Die Valuta eines Goldwährungslandes kann also niemals um mehr als den Bruchteil eines Prozentes schwanken; sie hat einen festen, verläßlichen Stand, und alle Forderungen, die in dieser Valuta zahlbar sind, können als absolut wertbeständig angesehen werden.

Das ist aber nicht nur an und für sich ein ungeheurer Vorteil für ein in den internationalen Handel und Kredit verflochtenes Land, sondern hat auch weittragende Folgen für die Frage, die uns hier beschäftigt, nämlich für die Ausgleichung der Zahlungsbilanz. Ein Land, dessen Währung im internationalen Verkehr als „rocher de bronce“ gilt, hat stets Kredit, und mit Hilfe dieses Kredits und feines treuen Trabanken, der Arbitrage, lassen sich sehr erhebliche Differenzen der Zahlungsbilanz regulieren, ohne daß es zur Warenausfuhr im eigentlichen Sinne, zur Ausfuhr von Gold oder von schwerer beweglichen Gütern, zu kommen braucht. Wir gelangen somit zu dem Resultat, daß in einem Goldwährungslande die Zahlungsbilanz sich sehr leicht im Gleichgewicht erhalten läßt, weil seine Valuta stabil ist, und daß andererseits wieder seine Valuta stabil ist, weil seine Zahlungsbilanz sich immer sehr leicht, äußerstenfalls durch Goldversendung, im Gleichgewicht erhalten läßt. Wie so oft in der Wirtschaft herrscht auch hier ein Gegenseitigkeitsverhältnis und ist das eine Moment gleichzeitig Ursache und Wirkung des andern. 

Wie steht es dagegen in einem Lande mit Papierwährung um die Ausgleichung der Zahlungsbilanz? Das Laufgewicht „Gold“, das durch einfache Verlegung seines Ruhepunktes regulierend wirkt, fehlt hier oder ist nur ganz ausnahmsweise vorhanden. (Wäre es stets zur Stelle und ausgleichsbereit, .so würde es sich ja um kein Papierwährungsland, sondern um ein Land mit Goldwährung oder mindestens mit Goldrandwährung handeln.) Es fehlt mithin auch die feste Verankerung der Valuta. Denn es gibt keine Ware außer Gold, für die alle maßgebenden Länder bereit sind, einen bestimmten Normalpreis zu zahlen. Die Wechselkurse schwanken hier ganz unverhältnismäßig stark, weil sie ihre Steigerung oder ihr Sinken erst dann einstellen, wenn so viel Ware in das Land oder aus dem Lande geflossen ist, wie die Zahlungsbilanz zur Wiederherstellung ihres Gleichgewichts bedarf. Und die meisten Waren reagieren nur sehr schwerfällig auf das vom Wechselkurs ausgehende Kommando, jedenfalls ungleich schwerfälliger als das Gold.

Allerdings bieten auch im Papierwährungslande die beiden wichtigen Verkehrselemente „Kredit“ und „Arbitrage“ ihre guten Dienste an. Aber sie, die wir im Goldwährungslande als überaus leichtflüssig, von geradezu quecksilberiger Beweglichkeit kennen gelernt haben, büßen unter der Herrschaft der Papierwährung diese ihre Eigenschaft in ganz außerordentlichem Maße ein. Waren sie dort noch ungleich schneller zur Stelle, als das doch ebenfalls sehr rege Gold, so sind sie hier meist noch langsamer als die schwerfällige Normalware. Das kommt daher, daß sich im Papierwährungslande das Element des Risikoswie ein Bleigewicht an sie hängt. Da die Valuta hier bei stark passiver Zahlungsbilanz zu entsprechend starker Verschlechterung neigt, so muß jeder ausländische Kreditgeber und Arbitrageur mit der Möglichkeit rechnen, daß er bei Fälligwerden des Kredits oder bei der Endabrechnung über das Arbitragegeschäft in einem minderwertigen Gelde bezahlt wird. And wenn der Geldgeber sich gegen diese Verlustgefahr sichert, indem er sich Rückzahlung in dem wertbeständigen Gelde seines eigenen Landes ausbedingt, so hat der Geldnehmer das Risiko. Infolgedessen reagieren Kredit und Arbitrage nicht, wie im Goldwährungslande, schon auf ganz kleine Zins- oder Preisvorteile, sondern nur dann, wenn ihnen ein so hoher Zins oder ein so großer Mehrpreis winkt, daß das Valutarisiko in Kauf genommen werden kann. 

In einem Land mit relativ gesunder Papierwährung – nur von einem solchen reden wir hier – besteht freilich die Möglichkeit, daß der Staat oder ein von ihm beauftragtes Institut (die Zentralnotenbank) sich einen Vorrat an leicht beweglichen Waren sichert, um diese bei einer etwaigen Passivität der Zahlungsbilanz ins Ausland zu senden, noch bevor die Wechselkurse sich allzu sehr verschlechtert haben. Die Ansammlung eines großen Bestandes von Golddevisen müssen wir hier außer Betracht lassen; sie läuft praktisch auf eine Ansammlung von Gold hinaus, in das man die Devisen ja, außer im Kriegsfälle, stets umwandeln kann, so daß es sich hier um die schon erwähnte Abart der Goldwährung, die Goldrandwährung, handelt. Daßelbe gilt von sonstigen Goldwerten, wie es z.B. die englischen Konsols in normalen Zeiten sind. Wir haben hier also lediglich an neutrale Warengattungen zu denken, die sich mit Hilfe der Arbitrage oder auch des glatten Verkaufs leicht in Auslandsforderungen verwandeln lassen, wie beispielsweise Silber, Platin, Kupfer oder Getreide. Wenn die Negierung (oder die Zentralnotenbank) trotz der mit solchen Artikeln verknüpften Verlustgefahr dauernd mit großen Beständen dieser Art operiert, oder wenn sie auf irgend eine andere Weise dafür sorgt, daß im Lande schnell realisierbare Reserven für den Fall einer starken Auslandsverschuldung -parat stehen, so kann sie die Wechselkurse verhältnismäßig stabil erhalten. Sie kann denselben Effekt auch, wie wir früher gesehen haben, durch systematische Verringerung des Geldumlaufs herbeiführen. Aber eine solche Politik ist außerordentlich schwer, weit schwerer als ein Übergang zur Goldwährung, und daher meines Wissens noch niemals praktisch durchzuführen versucht worden. 

So sehen wir denn, daß die Goldwährung neben ihrem Hauptvorteil, der darin besteht, daß sie Las Land ihrer Geltung vor der Überschwemmung mit Papier und daher vor einer Geldverschlechterung von innen heraus schützt, noch den zweiten großen Vorteil hat, dem Lande eine stabile Valuta, einen beständigen Außenwert seines Geldes, zu sichern. Selbst eine noch so gute, technisch noch so geschickt geregelte Papierwährung ist nicht im Stande, in dieser Hinsicht mit der Goldwährung zu konkurrieren. Deshalb kehren alle Länder, nachdem sie ihre Erfahrungen mit dem Papier gemacht haben, früher oder später zur Goldwährung zurück, obwohl es theoretisch eigentlich gleichgültig ist, aus welchem Stoff die Geldzeichen bestehen, in denen sich die Güterbezugsrechte der Bevölkerung verkörpern. 

In Liebe

Dein alter Papa. 

9. Brief

Binnenwert und Außenwert des Geldes – „Geldwert mit doppeltem Boden“ – Das Fakturieren in Auslandswährung

Berlin, am 24. September 1921.

Gerade in diesen Wochen, lieber James, in denen wir beide uns so intensiv mit der Valuta beschäftigen, geht unser vielgeprüftes Deutschland durch das Zwischenstadium einer valutarischen Abnormität hindurch, die für den Laien wie für den Volkswirt gleichermaßen interessant ist.

Diese Abnormität besteht nicht etwa darin, daß der Wert der Reichsmark sich neuerdings gewaltig verschlechtert hat. Der letzte Niedergang der Mark ist vielmehr als ein ganz natürlicher, ja selbstverständlicher Vorgang anzusehen. Denn wenn die Währung eines Landes, das Milliardenzahlungen nach dem Auslande zu leisten hat, nicht durch Gold gesichert ist, so muß sie im Verfolg der Zahlungen notwendig einen Entwertungsprozeß durchmachen. Aber man sollte doch meinen, daß das Geld eines Landes, auch wenn die ihm innewohnende Kaufkraft sinkt, unter allen Umständen einen bestimmten Werthaben muß, gleichviel, ob dieser Wert die Hälfte oder ein Zehntel oder ein Hundertstel des gesetzlichen Goldpari beträgt. Tatsächlich sehen wir indes mit Verwunderung, daß die deutsche Reichsmark heute nicht einen Wert, sondern zwei Werte hat, nämlich einen Inlandswert und einen davon ganz verschiedenen, erheblich niedrigeren Auslandswert.

Der Inlandswert, das heißt die Kaufkraft, welche die Mark in Deutschland selbst hat, ist im Lauf der Zeit auf etwa ein Zwölftel ihres Vorkriegswertes gesunken, und dementsprechend sind die Preise und Löhne auf durchschnittlich das Zwölffache gestiegen. Der Auslandswert dagegen, will sagen die Kaufkraft, welche die Mark im Auslande hat, ist weit mehr gesunken, nämlich auf etwa ein Fünfundzwanzigstel des Vorkriegswerts. Das läßt sich vom Wechselkurs auf New Bork und vom Goldpreis ganz genau ablesen. Im Auslande ist die Mark also doppelt so stark entwertet, wie im Inlande. 

Das ist eine Abnormität, die in gleicher Kraßheit nur sehr selten zu beobachten ist. Denn sie widerstreitet eigentlich allen Wirtschaftsgesetzen. Sie widerstreitet vor allem der Tatsache, daß die Ware durch ihr Ein- und Ausströmen den Binnenwert des Landesgeldes seinem Außenwerte andauernd anzupassen strebt. Der äußere und der innere Wert des Geldes werden normalerweise durch den Außenhandel im Gleichgewicht gehalten, und eine ganz einfache Überlegung sagt uns, da es im Grund auch gar nicht anders sein kann.

Wenn nämlich in einem Lande die Kaufkraft des Geldes auf ein Zehntel sinkt, also die Preise hier auf das Zehnfache steigen, erscheinen alle Auslandswaren billig, weil ihr Preis ja unverändert geblieben ist. Es setzt demgemäß eine starke Einfuhr ein. Du wirst stets sehen, lieber James, daß auf eine Geldentwertung im Inlande zunächst eine Einfuhrsteigerung und eine passive Handelsbilanz folgt. Die Mehreinfuhr muß aber bezahlt werden, und zwar in ausländischem Gelde. Infolgedessen setzt eine starke Nachfrage nach fremden Wechseln und Geldsorten ein, so daß deren Preise steigen, was nichts anderes bedeutet, als daß die Bewertung des Landesgeldes im Auslande, kurz der „Außenwert“ des Geldes genannt, entsprechend fällt.

Sinkt nun der Außenwert des Geldes auf ein Fünftel seines ursprünglichen Werts, muß man also für importierte Güter den fünffachen Preis anlegen, so erscheint die ausländische Ware, an der zehnfachverteuerten Inlandsware gemessen, noch immer billig, und ihre Einfuhr dauert an. Infolgedessen dauert auch die Devisenteuerung bezw. der Rückgang des Geld-Außenwertes an, und zwar so lange, bis der letztere auf ein Zehntel seines ursprünglichen Werts gesunken ist. Denn dann, erst hat sich für den inländischen Käufer auch die Auslandsware um das Zehnfache verteuert, und dann erst kommt die Einfuhr ins Stocken, weil die Niveaugleichheit zwischen den Preisen im Inland und Ausland eingetreten ist.

Wir sehen also, daß die Zahlungsbilanz eines Landes nicht ihr Gleichgewicht findet, bevor nicht die Wechselkurse sich in demselben Grabe verschlechtert haben, wie das Landesgeldes an Kaufkraft verloren hat; mit anderen Worten, bevor der Außenwert des Landesgeldes auf denselben Tiefstand gesunken ist wie sein Binnenwert. Noch tiefer konnte der Außenwert normalerweise nicht sinken, denn das hätte sonst ein Steigen der Auslandspreise über die Inlandspreise bedeutet und sofort zu einer verstärkten Ausfuhr geführt; und dadurch wäre -er Außenwert wieder gehoben worden^ Er konnte aber auch nicht weniger sinken als der Binnenwert des Landesgeldes, denn die Mehreinfuhr, die in diesem Falle andauert, erzeugt eine Verschuldung an das Ausland und eine Nachfrage nach Devisen, die den Außenwert schließlich mit Gewalt auf den Tiefstand des Binnenwerts herunterdrückt.

Der Binnen- und der Außenwert des Geldes streben also nach Übereinstimmung. Der Außenhandel in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erzwingt diese Übereinstimmung immer wieder und läßt sich von seiner Obliegenheit, die beiden schwankenden Geldwerte einessm gemeinsamen Mittelpunkt entgegenzuführen, auch durch Zollschranken und Ausfuhrverbote nicht abhalten.

Ich weiß, lieber James, daß ich mit dem eben Gesagten Dein Vertrauen zu mir auf eine etwas harte Probe stelle. Denn eben erst habe ich selbst festgestellt, daß die Kaufkraft der Mark im Ausland nur noch etwa ein Fünfundzwanzigstel ihres Vorkriegswertes beträgt, während sie in Deutschland immerhin noch ungefähr ein Zwölftel desselben ausmacht; daß man also mit einem und demselben Geldschein bei uns doppelt so viel kaufen kann, wie im Ausland. Dieses Faktum, das von keiner nationalökonomischen Theorie aus der Welt geschafft wird, verträgt sich tatsächlich schlecht mit der von mir behaupteten grundsätzlichen Übereinstimmung von Geld-Außenwert und Binnenwert.

Es kommt hinzu, daß man nicht einmal sagen kann, es handle sich hier um eine jener bekannten Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Denn die Divergenz der beiden Werte ist keineswegs neuen Datums, sondern läßt sich geraume Zeit zurückverfolgen, fast so lange, wie wir eine notleidende Währung haben. Nur daß das Verhältnis zwischen Binnen- und Außenwert fortgesetzt wechselt, indem bald dem einen, bald dem anderen die höhere Kaufkraft innewohnt. Anfang 1920 beispielsweise war der Außenwert der Mark kaum halb so groß wie ihr Binnenwert. Aber ein paar Monate später, im Sommer 1920, war das Gegenteil der Fall: Man konnte mit einem deutschen Geldschein im Auslande ganz erheblich mehr kaufen als im Inlande. Und heute liegen die Dinge wieder ungefähr wie im Februar 1920. Die beiden Wertkategorien schaukeln immer an einander vorbei, und wenn sie sich beim Auf- und Niedergehen auch einmal vorübergehend treffen, so besteht doch meistens ein erheblicher Abstand zwischen ihnen. Nicht die Übereinstimmung, sondern die Abweichung ist hier das Normale.

Wie reimt sich aber diese Divergenz zwischen Binnenwert und Außenwert des Geldes mit dem Lehrsatz, daß die beiden Werte dauernd nach Übereinstimmung streben? Nun, sie reimt sich sehr gut damit, sobald man nur den Lehrsatz richtig liest und den Nachdruck auf das Wort „streben“ legt. Dann ergibt sich nämlich der höchst einfache Tatbestand, daß der Binnenwert und der Außenwert einer Währung sich zwar dauernd auf einem bestimmten Punkte zu treffen suchen, daß sie aber an diesem Punkte immer wieder vorbeipendeln, sich von dem gemeinsamen Mittelwert also nach oben und nach unten immer wieder entfernen, sobald das Geldwesen im Lande so beschaffen ist, wie gegenwärtig in Deutschland.

Der Sachverhalt ist so klar wie nur möglich. Hat die Entwertung des Währungsgeldes in einem Lande einen bestimmten Grad, sagen wir neun Zehntel des Normalwerts, erreicht, so streben die innere und die äußere Kaufkraft des Geldes auf die zu Eingang dieses Briefes geschilderte Weise danach, sich auf der neuen Basis von einem Zehntel zu treffen. Eine Zeitlang ist es dann zwar möglich, daß die Wechselkurse auf die fünfzehnfache Höhe steigen, während die Preise im Lande nur auf das Siebenfache gestiegen sind. Diese Anomalie ist aber nicht von Dauer. Sehr bald werden die Wechselkurse fallen, etwa auf das Zwölffache, die Binnenpreise dagegen sich heben, etwa auf das Neunfache; bis eines Tages die beiden Wertgrößen sich auf dem der realen Geldentwertung entsprechenden neuen Pari, nämlich dem Zehnfachen, treffen. Diese Begegnung ist unvermeidlich und tritt sogar ziemlich schnell ein, wenn – eben wenn die angenommene Voraussetzung zutrifft, daß nämlich der Wert des Landesgeldes wirklich ein Zehntel seines früheren Werts, nicht mehr und nicht weniger, beträgt.

Diese Voraussetzung trifft aber immer nur dann zu, wenn der Realwert des Landesgeldes sich auf seiner neuen Basis befestigt, gewissermaßen hier vor Anker geht. And das ist heute in Deutschland genau so wenig der Fall, wie in den meisten valutakranken europäischen Oststaaten. In allen diesen Ländern arbeitet die Notenpresse unverdrossen weiter, vergrößert sich infolgedessen die Geldmenge und sinkt der Realwert der Landeswährung dementsprechend immer tiefer. Hat der Realwert eben noch ein Zehntel des alten Goldwertes betragen, und haben der Außenwert und der Binnenwert der Währung, also die Wechselkurse und die Preise, eben begonnen, sich auf dieses Zehntel einzustellen, so sinkt der Realwert bereits unter dem Einfluß der Notenpresse auf ein Zwölftel. Und bevor jene beiden Wertgrößen diesem neuen Pari auch nur einigermaßen nahegekommen sind, ist das Pari bereits wieder gesunken, auf ein Fünfzehntel, auf ein Achtzehntel, auf ein Zwanzigstel. Jedes neue Sinken verhindert aber nicht nur die Übereinstimmung des Binnenwerts mit dem Außenwert des Geldes, indem es den gemeinsamen Ruhepunkt, dem sie zustreben, immer wieder verschiebt, sondern es trägt sogar eine neue, verschärfte Störung in den Prozeß der Wertausgleichung hinein; es stößt bald den Binnen-, bald den Außenwert in eine Richtung, die der Ausgleichung entgegengesetzt ist und läßt dadurch den Abstand zwischen den beiden Werken, der sich eben erst verringert hat, wieder beträchtliche Dimensionen annehmen. 

Wir haben uns diesen Vorgang in großen Umrissen folgend ermaßen zu denken: Sobald die Notenpresse neue Geldmassen auf den Markt schüttet, also neue Kaufkraft entstehen läßt, geht entweder auf dem Markt der Waren oder auf dem der Auslandswechsel eine Erschütterung vor sich. Denn entweder wendet sich die neu entstandene Kaufkraft vorzugsweise dem inländischen Gütermarkt zu, dann steigen hier alle Preise, und man spricht von einer neuen „Teuerung“. Oder die neue Kaufkraft wendet sich vorzugsweise dem Markt der ausländischen Waren und dem Markt der fremden Zahlungsmittel zu, dann steigen die Devisenkurse, und man spricht von einem neuen „Rückgang der Valuta“. In dem ersten Falle verschlechtert sich also der Binnenwert des Geldes, in dem zweiten der Außenwert. Aber welcher dieser beiden Werte sich auch verschlechtern mag, auf jeden Fall wird der Abstand zwischen ihnen vergrößert und die Annäherung an den Realwert. der Währung erschwert. Dieser Vorgang wiederholt und verschärft sich in dem Maße, wie die Notenpresse in neue Tätigkeit tritt und die Inflation im Lande zunimmt. 

Hier haben wir den eigentlichen Grund, warum heute in Deutschland nicht ein Geldwert, sondern zwei scharf gesonderte Geldwerte existieren. Die Notenpresse setzt nach kurzen Intervallen ihre verhängnisvolle Arbeit immer wieder fort, hetzt dadurch neue Kaufkraft – oder, um exakt zu sprechen: von den alten, rechtmäßigen Geldinhabern auf die neuen Geldinhaber übertragene Kaufkraft – bald auf den Warenmarkt, bald auf den Devisenmarkt und ruft so die Divergenz zwischen dem Binnen- und dem Außenwert des Geldes hervor. Die Divergenz hat zwar die natürliche Tendenz, sich fortgesetzt zu verringern und schließlich ganz zu verschwinden. Aber bevor es dazu kommen kann, durchkreuzt eine neue Inflationswelle diese Tendenz und treibt einen neuen Keil zwischen die beiden Werte.

Es ist also, wenn ich so sagen darf, eine ganz „normale Abnormität“, daß in einem Lande, in dem der Prozeß der Geldentwertung noch nicht abgeschlossen ist, zwei grundverschiedene Geldwerte neben einander existieren. Die Folgen dieser Abnormität muten uns zwar grotesk an, sind aber unvermeidlich. Wenn in Deutschland heute der Ausländer alles für den halben Preis kaufen kann, den der Inländer bezahlen, muß, so ist das die natürliche Folge der Tatsache, daß der Außenwert der Mark momentan (sicherlich nicht lange) halb so groß ist wie ihr Innenwert. And wenn die Zeitungen melden, daß der Tscheche an der polnischen Grenze sich lieber auf polnischem Gebiet für 30 poln. Mark rasieren läßt, statt es in seinem Lande für 2 Kronen zu tun, so sehen wir hier den umgekehrten Sachverhalt vor uns: Die tschechische Krone, hat momentan im Auslande einen weit höheren Wert als im Inlande. Man kann sich für zwei Kronen im Inlande nur einmal, in Polen dagegen zwei- oder sogar dreimal rasieren lassen. 

Da der eigentliche. Grund und das Gesetzmäßige der Spannung zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes nur selten erkannt werden, wird von Zeit zu Zeit in allen von dieser eigentümlichen Krankheit befallenen Ländern versucht, die Spannung durch künstliche Mittel oder – was ja heute besonders beliebt ist – auf dem Verordnungswege zu beseitigen. So wird beispielsweise in Deutschland immer dann, wenn der Außenwert der Mark besonders tief unter dem Binnenwert steht And Devisen weit teurer bezahlt werden müssen, als es dem Realwert der Mark entspricht, der Exporthandel aufgefordert, feine, Rechnungen nicht in Mark auszustellen, sondern „in Auslandswährung zu fakturieren“. Das Ausland soll also nicht im Wege der Remisse, sondern in dem der Tratte, d.h. nicht in Mark, sondern in Dollar, Pfund und Gulden zahlen und. dadurch den deutschen Markt der Notwendigkeit entheben, seinen Bedarf an diesen Geldsorten am Devisenmarkt zu decken. Geht hier infolgedessen die Nachfrage zurück, dann fallen – so wird argumentiert – die Preise der fremden Zahlungsmittel, d.h. der Außenwert der Mark hebt sich wieder auf die Höhe ihres Binnenwerts. Das klingt auch ziemlich plausibel. Wer aber weih, daß die Spannung zwischen Binnen- und Außenwert, obwohl sie eine Abnormität ist, dennoch ihre guten wirtschaftlichen Gründe hat, wird über den Erfolg des „Fakturierens in Auslandswährung“ recht skeptisch denken.

Und in der Tat sind die Bemühungen, durch die Zahlungsweise auf den Außenwert des Geldes zu wirken, ebenso kindlich wie vergeblich. Es ist in Wirklichkeit vollkommen gleichgültig, ob die amerikanischen Schuldner an Deutschland in Mark oder in Dollar zahlen. Zahlen sie in Mark, so fehlen in Deutschland allerdings die entsprechenden Dollarbeträge, und die deutsche Nachfrage nach ihnen steigert den Kurs des Dollar und verschlechtert dadurch den Außenwert der Mark. Dafür müssen die Amerikaner aber ihrerseits Marknoten kaufen, wodurch sie den Außenwert der Mark um genau soviel bessern, wie die deutsche Dollarnachfrage ihn verschlechtert. Zahlen dagegen die Amerikaner in Dollar, so kann freilich eine entsprechende deutsche Dollarnachfrage befriedigt werden, ohne daß der Wechselkurs steigt und der Markwert entsprechend fällt. Auf der anderen Seite kommt aber die amerikanische Nachfrage nach Mark in Fortfall, und es bleibt daher ein Besserungsfaktor aus, der den Markwert sonst gehoben haben würde, auch in diesem Falle heben sich mithin Vorteil und Nachteil gegenseitig auf.

Durch technische Hilfsmittel und Verordnungen, lieber James, läßt sich das Übel des „Geldwerts mit doppeltem Boden“ nicht beseitigen; wie ja überhaupt organische Störungen durch mechanische Eingriffe niemals behoben, sondern weit eher verschlimmert werden. Wer Außenwert und Binnenwert einer Währung zur Übereinstimmung bringen und das Geldwesen auf der Basis seines Realwerts befestigen will, der muß dafür sorgen, daß die Notenpresse zum Stillstand kommt. Dann, aber nur dann, verschwindet mit so vielen anderen Übeln auch die Abnormität, daß ein und daßelbe Landesgeld zwei verschiedenen Bewertungen unterliegt. 

Begriffen?

Dein alter Papa. 

10. Brief

Zahlungsbilanz und Reparation – Valuta und Finanzpolitik

Berlin, am 28. September 1921.

Es gibt Zeiten, lieber James, in denen es außerordentlich schwer ist, sich den klaren Blick für die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu bewahren. Es sind das regelmäßig Zeiten, in denen irgend ein politisches oder finanzielles Geschehnis von weltgeschichtlicher Größe sich derart in den Vordergrund schiebt, daß es das ganze geistige Gesichtsfeld bedeckt. Dann können selbst gescheidte Menschen oft nicht mehr unterscheiden, welche wirtschaftlichen Vorgänge auf dieses gewaltige Geschehnis, und welche auf andere Ursachen zurückgeführt werden müssen. Sie sind dann geneigt, die Wurzel und den Ursprung aller abnormen Erscheinungen einzig und allein in jenem weltgeschichtlichen Ereignis zu erblicken, dessen gewaltiger Schatten sich verdunkelnd auf das ganze zeitgenössische Fühlen und Denken legt. Deutschland macht augenblicklich eine solche Periode geistiger Schielkrankheit durch. Es gibt kaum einen wirtschaftlichen Vorgang, den der gebildete Deutsche nicht als unmittelbare Folge des alles beherrschenden Problems der „Reparation“, der jährlichen Zahlung von mehreren Goldmilliarden an die Länder der Entente, auffaßt.

So unterliegt es denn auch für die meisten Volkswirte nicht dem geringsten Zweifel, daß der akute Sturz, den die deutsche Valuta im vergangenen Vierteljahr durchgemacht hat, die direkte Folge der Reparation gewesen ist. Deutschland hat von Mitte Mai bis zum 31. August eine Goldmilliarde an das Ausland zahlen und sich in der darauf folgenden Zeit auf weitere große Zahlungen vorbereiten müssen. Gleichzeitig ist der Kurs des Dollar in Berlin von 60 auf 120 Mark, der Kurs des Pfundes Sterling von 260 auf 460 Mark gestiegen, das heißt, die Kaufkraft der Reichsmark im Auslande ist auf weniger als ein Fünfundzwanzigstel ihres Vorkriegswertes gesunken. Daß diese beiden Vorgänge – Reparation und Valutasturz – im engsten Zusammenhang miteinander stehen, scheint den Meisten so selbstverständlich zu sein, daß sie über einen- Volkswirt, der den Zusammenhang in Zweifel ziehen wollte, mitleidig die Achseln zucken würden. Und in der Tat: Das Deutsche Reich hat binnen weniger Monate 1 Milliarde Goldmark in Dollar, Pfund und anderen Devisen zu zahlen gehabt; es hat diese Zahlungsmittel, da sie ihm nur zum allerkleinsten Teile zur Verfügung standen, am Devisenmarkt kaufen müssen; was war unter diesen Umständen natürlicher, als daß die Devisen, der starken Nachfrage bei geringem Angebot entsprechend, sprunghaft in die Höhe gingen, und daß gleichzeitig an allen Weltmärkten deutsche Reichsmark zu Schleuderpreisen verkauft wurden, um dagegen die dringend benötigten ausländischen Zahlungsmittel herbeizuschaffen?

Der Kausalzusammenhang zwischen Reparation und Valutasturz muß auch denen ganz selbstverständlich scheinen, die da wissen, daß Zahlungen von Land zu Land nur scheinbar in Wechseln und sonstigen Zahlungsmitteln, in Wirklichkeit vielmehr in Ware geleistet werden. Denn wenn die Zahlung von 1 Goldmilliarde gleichbedeutend mit einem Warenexport in gleicher Höhe ist – soweit nicht Kredite helfend eingreifen –, so muß die deutsche Ware ganz gewaltig verbilligt werden, damit das Ausland sie im nötigen Umfange kaust. Der Importeur im Auslande kauft ja naturgemäß nicht dann, wenn Deutschland eine Schuld zu zahlen hat und seinen Wechsel hierzu braucht, sondern dann, wenn ihm die deutsche Ware billig erscheint; andernfalls unterläßt er den Kauf, so dringend Deutschland auch auf ihn angewiesen ist. Und so scheint sich denn aus diesem logischen Gedankengange gleichfalls zu ergeben, daß der Valutasturz die direkte und unvermeidliche Folge der Reparation ist.

Und dennoch… und dennoch…

Ich behaupte und werde es sogleich beweisen, daß der Valutasturz keine Folge der Reparation, sondern d.ie Folge eines Fehlers bei Aufbringung der Reparationssumme gewesen ist; daß überhaupt keine Zahlung an das Ausland, selbst wenn sie zehnmal so groß wäre wie die Summe, um die es sich jetzt gehandelt hat, die Valuta des zahlenden Landes verschlechtert, wenn bei der Zahlung der gebotene gerade, vernunftgemäße und natürliche Weg eingeschlagen wird.

Wir müssen hier sorgfältig zwischen zwei grundverschiedenen Dingen unterscheiden, lieber James, nämlich zwischen der Möglichkeit, eine bestimmte Summe aufzubringen, und zwischen der anderen Möglichkeit, die aufgebrachte Summe in das Ausland zu übertragen. Es gibt selbstverständlich Zahlungen, welche die Leistungsfähigkeit eines Landes übersteigen. Ich will mich hier nicht auf die Frage einlassen, ob dies bei den Deutschland auferlegten Jahreszahlungen der Fall ist oder nicht, denn die Frage hat mit unserem Gegenstände nichts zu tun, zumal ja Deutschland in dem Falle, der uns beschäftigt, die kritische Milliarde tatsächlich aufgebracht hat. Aber die Möglichkeit ist naturgemäß stets da, daß ein Land beim besten Willen nicht im Stande ist, eine vorgeschriebene Zahlung zu leisten. Von dieser Frage der „Beschaffung“ ist indes die Frage der „Übertragung“ streng zu trennen. Denn hier gibt es keine Unmöglichkeit. Ist es einem Lande erst einmal gelungen, eine für das Ausland bestimmte Summe im Inlande aufzubringen, so macht die technische Überführung der Summe in das Ausland nicht die mindesten Schwierigkeiten. Sie vollzieht sich dann auf die denkbar einfachste Weise, ja sogar ganz automatisch, ohne daß es zu irgendwelchen Verlegenheiten am Devisenmarkt kommt. Von einer Valutakatastrophe kann überhaupt gar keine Rede sein. Ein praktisches Beispiel wird Dir die Sache deutlich machen:

Nehmen wir an, ein Land, in dem die Frankenwährung herrscht, habe binnen einer bestimmten Frist 1 Milliarde Gulden nach Holland zu zahlen. Zu diesem Zwecke hat es zunächst einen entsprechenden Betrag, sagen wir 2 Milliarden Francs, im Inlande zu beschaffen. Gelingt ihm dies nicht, weil so hohe Steuern und Anleihen sich nicht eintreiben lassen, so muß das Land sich zahlungsunfähig erklären; nicht etwa, weil 1 Milliarde holl. Gulden sich in der kurzen Zeit nicht beschaffen lassen, sondern deshalb, weil seine Wirtschaft nicht imstande ist, 2 Milliarden Francs aufzubringen. Gelingt es dagegen, diese 2 Milliarden Francs, sei es durch Steuern, sei es durch Anleihen, sei es durch beide Beschaffungsarten bereitzustellen, so steht das Land vor der Aufgabe, die Umwandlung der Francs in Gulden zu bewerkstelligen. Wie wird diese Aufgabe gelöst?

Sie wird auf eine höchst einfache Weise gelöst, wie wir sofort erkennen, wenn wir uns die ganze Transaktion in ihren Einzelheiten vergegenwärtigen. Die erste Finanzmahnahme war, wie wir gesehen haben, die Beschaffung von 2 Millionen Francs durch Steuern oder Anleihen. Um diesen Betrag hat der Staat die Kaufkraft im Lande geschwächt. Er hat dem Geldmarkt große Summen entzogen, so daß ein Teil der Banken gezwungen ist, Aktien, Obligationen etc. aus ihren Beständen zu verkaufen, andere Banken dagegen ihre Kredite einschränken müssen, was wiederum viele Industrielle, Kaufleute und Kapitalisten zwingt, auch ihrerseits Effekten zu veräußern. Folge: Ein starker Preisdruck am Effektenmarkt mit der Wirkung, daß die internationalen Werte und die Papiere von Weltruf in das Ausland abfließen, wo die Effektenmärkte noch in besserer Verfassung sind. Ein weiterer Teil der dem Staate überlassenen Summe fehlt den Großhändlern, Importeuren und Warenspekulanten, die sich infolgedessen gezwungen sehen, ihre Lager zu verringern, was auch auf dem Gebiete der Weltwaren (Baumwolle, Metalle und sonstige Stapelartikel) einen Preisdruck hervorruft, der die Waren in das Ausland abströmen läßt und weitere große Warenmengen, die unter anderen Umständen in das Land geflossen fein würden, von diesem fernhält. Auf die gleiche Weise werden alle übrigen Wirtschaftsgebiete von einem empfindlichen Geldmangel betroffen, der Verkäufe erzwingt und Käufe verhindert, so daß schließlich das ganze Preisniveau im Lande unter einem Druck steht, der Ware der allerverschiedensten Art zum Abfließen in das Ausland mit feinen unverändert hohen Preisen bringt. Alle diese Effekten, Stapelartikel und sonstigen Waren muß das Ausland aber bezahlen. Es kommen also große Mengen fremder Zahlungsmittel zum Angebot, und der Staat, der 1 Milliarde Gulden zu zahlen hat, braucht weiter nichts zu tun, als diese angebotenen Zahlungsmittel mit Hilfe der vorher beschafften 2 Milliarden Francs anzukaufen und im Auslande – mit Hilfe der Devisenarbitrage – in Gulden umzutauschen. 

Gibt es etwas einfacheres als diesen Vorgang? Die Waren, die im Inland nicht mehr gekauft werden können, weil der Staat der Wirtschaft 2 Milliarden Francs Kaufkraft entzogen hat, fließen – irgendwo müssen sie bleiben – in das Ausland, und der Kaufpreis, den das Ausland dafür zahlt, macht die 1 Milliarde Gulden aus, die der Staat für seine Zahlung braucht. Der Staat zahlt also in Wirklichkeit mit der Ware, die zu exportieren er seine Bevölkerung dadurch zwingt, daß er Steuern ausschreibt oder Anleihen auflegt. Das Ganze vollzieht sich, wenn erst der Ertrag der Steuern und der Erlös der Anleihen eingegangen ist, vollständig automatisch, ohne die geringste technische Schmierigkeit, und ohne daß es am Devisenmarkt zu irgendwelcher Erschütterung kommt. Eine geschickte Finanzpolitik wird die Devisen sogar zu sehr günstigen Bedingungen beschaffen können, weil infolge des starken Warenexports ein entsprechendes Angebot an fremden Wechseln herrscht. Allerdings kommt es – das ist die Kehrseite – zu einem nicht unerheblichen Preisrückgang im Lande, denn der sinkende Preis ist der Magnet, der die Auslandsnachfrage anzieht und dadurch die Ausfuhr fördert. Die Ware wird in diesem Falle statt auf dem Umwege über den Wechselkurs direkt durch das Moment der Preisbewegung veranlaßt, ihren Dienst als internationales Zahlungsmittel zu erfüllen. Aber der Preisrückgang nimmt keinerlei katastrophal» Formen an, sondern macht sofort halt, sobald sein wirtschaftlicher Zweck, die Ausfuhrförderung, erreicht ist. Denn für jeden Auslandswechsel. den die Ausfuhr dem Staate übermittelt, gibt dieser den entsprechenden Frankenbetrag her, der sofort seine Kaufkraft wieder ausübt und das Preisniveau stützt. Hat der Staat am Ende der ganzen Operation die benötigten 1 Milliarde Gulden in Empfang genommen, so hat er auch die aus dem Verkehr herausgehobenen 2 Milliarden Francs wieder hergegeben, sodaß die Kaufkraft im Lande ihren ursprünglichen Umfang zurückerhält. 

Dieses Beispiel zeigt uns, lieber James, daß die 1 Milliarde Goldmark, die Deutschland im August bezahlt hat, unmöglich die Schuld an der jüngsten Valutakrisis tragen kann. Bei Anwendung der richtigen Finanzpolitik hätte ein empfindlicher Preisrückgang in Deutschland die Folge sein müssen, bei gleichzeitiger Valutabeständigkeit. Statt dessen haben wir das gerade Gegenteil erlebt: Die Preise sind erheblich in die Höhe gegangen, und die Valuta hat sich katastrophal verschlechtert. Die notwendige Warenausfuhr ist nicht auf dem natürlichen Wege über die Preise, sondern auf dem abnormen Wege über die Devisenkurse herbeigeführt worden, mit dem verhängnisvollen Resultat, daß sich zwischen dem Binnen- und dem Außenwert der Mark ein klaffender Spalt geöffnet hat. And der Grund? Das Reich hat die zur Zahlung der Reparation erforderlichen Beträge zwar beschafft, aber nicht auf dem allein statthaften Wege der Steuer und der Anleihe, sondern auf dem unstatthaften der Notenpresse.

Indem das Reich es unterlassen hat, dem Markt genügend Kaufkraft zu entziehen – es sind nur ganz unzulängliche Beträge Schatzwechsel am Geldmarkt untergebracht worden –, hat es verhindert, daß; die Preise in Deutschland sich auf „Exportfuß“ stellten. Infolgedessen konnte keine Ware abfließen und kein Devisenmaterial herbeigeschafft wenden. So blieb denn dem Reiche nichts anderes übrig, als so phantastische Preise für Devisen zu bieten, daß der Außenwert der Mark um die Hälfte fiel. Dadurch erst trat, auf indirektem Wege, endlich diejenige Verbilligung der deutschen Mare auf dem Weltmarkt ein, die nötig war, um das Ausland zum Kauf zu veranlassen. Diese Verbilligung mußte ganz enorm sein, wenn sie wirken sollte. Denn ein Preisdruck der kein natürliches Marktprodukt ist, sondern durch das scharfe Kunstmittel der Valutakrisis, sozusagen mit Brachialgewalt, herbeigeführt wird, übt auf die Kauflust des Auslandes nur einen sehr geringen Reiz aus, weil das Valutarisiko und andere Risiken den Nutzen des kaufenden Auslandes unter Umständen erheblich schmälern oder gar in Verlust verwandeln. Auf den vom Wechselkurs ausgehenden Preisdruck reagiert die Exportware nur dann, wenn der Preis außerordentlich tief unter die Vergleichspreise des Auslandes sinkt. Das bedeutet aber nicht nur einen unmittelbaren Schaden für das Zahlungspflichtige Land, in unserem Falle also Deutschland, das seine Produkte auf diese Weise halb verschenken muß, sondern erzeugt zugleich eine feindliche Atmosphäre im ganzen Ausland, das die abnorm billigen Preise als „Schleuderei“ und „Dumping“ empfindet und sich dagegen zur Mehr setzt. Daß Deutschland nicht freiwillig schleudert, sondern unter dem Zwange handelt, den eine unrichtige Finanzpolitik auslöst, wird im Auslande naturgemäß noch weniger klar erkannt als im Inlande.

Also auch hier wieder, lieber James, stoßen wir auf den Erzfeind jeder gesunden Wirtschaft, auf die Inflation. Wäre die Menschheit sich auch nur annähernd klar über die verhängnisvollen Wirkungen, welche die Notenpresse selbst auf Gebieten ausübt, die scheinbar gar nichts mit ihr zu tun haben – jeder gewissenhafte Staatsmann würde seine Hand lieber verdorren lassen, ehe er sie zur Inbetriebsetzung solcher Höllenmaschine böte. Und ich selbst… nun ich brauchte Dir dann diesen Brief nicht zu schreiben.

In Liebe

Dein alter Papa. 

11. Brief

Valuta und „Dumping“ – Antidumping-Maßnahmen

Berlin, am 1. Oktober 1921.

Es gibt, wie wir gesehen haben, nichts natürlicheres, lieber James, als daß der Geldwert in einem Lande sich in einen Binnenwert und einen hiervon abweichenden Außenwert spaltet, sobald durch andauernden Zetteldruck Menge, Zusammensetzung und Kaufkraft des Geldes immerfort verändert werden. Denn je nachdem die in den neuen Zetteln verkörperte Kaufkraft vorzugsweise im Inlands oder im Auslande geltend gemacht wird, treibt sie entweder das Preisniveau oder die Wechselkurse in die Höhe, stört sie also die Übereinstimmung zwischen dem Binnenwert und dem Außenwert des Landesgeldes.

In politisch und wirtschaftlich ruhigen Zeiten pflegt die neue Kaufkraft sich zuerst im Inlande zu betätigen und hier die Preise zu steigern, so daß das Geld in den Händen der Landeskinder bereits an Wert verliert, wenn es im Auslande noch immer zu seinem bisherigen Wert eingeschätzt und bezahlt wird. Umgekehrt in Zeiten politischer Zerrüttung, allgemeiner Panikstimmung und insbesondere tiefgehenden Mißtrauens in die Wertentwicklung des Landesgeldes. In solchen Zeiten pflegt bei andauernder Inflation die neugeschaffene Kaufkraft sich den ausländischen Kapitalsanlagen und Zahlungsmitteln zuzuwenden und dadurch den Auslandswert des Geldes tief unter seinen Binnenwert zu drücken. Die Warenbewegung korrigiert zwar nach und nach diese Disparität, aber die Korrektur ist schmerzhaft für das Inland und nicht minder für das Ausland. Denn sie wird im Inland als Warenmangel, im Ausland als Schleuderausfuhr, als „Dumping“ empfunden und führt zu Zollkriegen und sonstigen internationalen Verwickelungen. 

Da nun gerade jetzt Deutschland solche Zeiten eines einseitig niedrigen Auslandswertes seines Geldes und infolgedessen einer unfreiwilligen Schleuderausfuhr durchwacht, so liegt die Frage nahe, ob beides, nämlich Geldwert-Disparität und Schleuderausfuhr, sich nicht durch geeignete Maßnahmen beseitigen läßt; etwa in der Meise, daß man die Annäherung des noch relativ hohen Binnenwertes des Geldes an -den niedrigeren Außenwert, die ja mit der Zeit ohnehin erfolgt, künstlich beschleunigt. Hilfsmittel zu einer solchen beschleunigten Korrektur stehen zu Gebote. So kann man beispielsweise durch eine allgemeine Lohnerhöhung im Lande eine Steigerung des Preisniveaus, also eine Geldwerkminderung auch im Inlande, erzwingen und dadurch indirekt der Ausfuhr zu übertriebenen billigen Preisen einen Riegel vorschieben. Oder man kann durch Erhebung von Exportabgaben die Landesware für den auswärtigen Bezieher so stark verteuern, daß von einer Schleuderausfuhr nicht mehr die Rede ist. 

In der Theorie scheint eine derartige Bekämpfung des als schädlich empfundenen Dumping sehr zweckmäßig zu sein. In der Praxis stellt es sich aber immer wieder heraus, daß eine künstliche Unterdrückung natürlichen Folgen wirtschaftlicher Vorgänge ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das Verderbliche derartiger Bemühungen liegt gerade in diesem Falle klar zu Tage.

Denn sehen wir einmal den Fall, es sei durch eine künstliche Preiserhöhung im Lande oder durch einen hohen Ausfuhrzoll tatsächlich gelungen, die Warenausfuhr erheblich einzuschränken. Die erste Folge, die sich bemerkbar machen würde, wäre ein Minderangebot ausländischer Zahlungsmittel am Devisenmarkt, da das Ausland naturgemäß weniger bezahlt, sobald es weniger kauft. Nun hatten wir aber gesehen, daß am Devisenmarkt eine überaus starke Nachfrage nach ausländischen Zahlungsmitteln herrscht, ja, daß gerade diese Nachfrage, die von der Landesflucht der neugeschaffenen Kaufkraft ausgeht, die eigentliche Ursache des überschnellen Valutaverfalls und damit auch des Dumping ist, das bekämpft werden soll. Diese Nachfrage wird durch die preis- und zollpolitischen Maßnahmen gegen das Dumping in keiner Weise abgeschwächt, sondern eher noch verstärkt. Stehen ihr nun am Devisenmarkt die begehrten Zahlungsmittel infolge des Exportrückganges nur noch in verringertem Umfange gegenüber, so ist es unvermeidlich, daß dieses Mißverhältnis die Wechselkurse auf’s neue erheblich verschlechtert, den Außenwert des Landesgeldes also weiter schwächt. And zwar muß diese Entwertung notwendig anhalten, bis die unterbundene Warenausfuhr aufs neue einsetzt und dem Devisenmarkt das fehlende Quantum ausländischer Zahlungsmittel liefert.

Ergo: Wenn es nicht gelingt, die Quelle zuzuschütten, der die Disparität zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes entspringt, das heißt die Landesflucht der Inflation-geborenen Kaufkraft zu verhindern, so lassen sich auch die Disparität selbst und ihre notwendige Folge, die Schleuderausfuhr, nicht beseitigen. Im Gegenteil: Jeder Versuch, die Schleuderausfuhr künstlich einzudämmen, führt nur eine weitere Verschärfung der Disparität, eine vergrößerte Spannung zwischen Außen- und Binnen-Geldwert, herbei.

Auch das Ausland ist dem Dumping gegenüber machtlos. Seine Einfuhrverbote und Abwehrzölle können wohl ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Industrie vor der Schleuderkonkurrenz schützen, aber nur, indem sie diese auf andere Länder oder andere Industrien ablenken. Sie völlig zu unterbinden ist das Ausland selbst mit den rigorosesten Maßnahmen nicht im Stande. Sobald das im Zeichen der Inflation stehende Land im Auslande Zahlungen leisten will oder muß, kann niemand das Weltzahlungsmittel „Ware“ daran hindern, seinen Zahlungsdienst zu v-errichten, und zwar zu Preisen, die tief unter dem Preisniveau des Weltmarkts liegen.

Wir wollen uns einmal den Verlauf eines ausländischen Kampfes gegen das Dumping vergegenwärtigen. Nehmen wir an, die größten Außenhandelsstaaten wären übereingekommen, die Ausfuhr aus einem Lande mit einseitig niedrigem Außenwert des Geldes und infolgedessen mit Export-Schleuderpreisen durch einen Prohibitivzoll von 300 Prozent, dem Dreifachen des Warenwerts, von sich fernzuhalten. Nehmen wir, um den ungünstigsten Fall zu wählen, ferner an, es sei dem Ausfuhrlande nicht möglich, sich an Stelle der auf diese Weise verriegelten großen Einfuhrländer andere Absatzgebiete zu sichern. Was ist die Folge? Im ersten Stadium natürlich ein vollständiges Stocken der Ausfuhr. Denn so billig die Waren auch sein mögen, ein Zoll-Zuschlag von 300 Prozent, also eine Vervierfachung ihres Preises, macht sie ohne weiteres unverkäuflich; der Zoll wirkt wie ein Boykott. 

Infolgedessen beginnen auf dem Devisenmarkt des boykottierten Landes die fremden Zahlungsmittel zu fehlen, und die Nachfrage bei mangelndem Angebot läßt die Wechselkurse scharf ansteigen, sagen wir um 100 Prozent. Die Disparität zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes nimmt dementsprechend zu, aber ohne daß das angebotene Devisenmaterial sich nennenswert erhöhte, denn die ausländische Zollsperre läßt auch in diesem zweiten Stadium noch keine Ware durch, oder bestenfalls nur Ware mit so hohem Liebhaberwert, daß die ausländischen Käufer den Preisaufschlag willig auf sich nehmen.

Die unausbleibliche Folge ist ein fortgesetztes weiteres Steigen der Wechselkurse, eine fortgesetzte Vergrößerung der Spannung zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes. Bis schließlich das dritte Stadium erreicht ist, das Stadium nämlich, in dem die Wechselkurse (bezw. die Spannung) denjenigen Punkt erreichen, bei dem der dreihundertprozentige Zoll des Auslandes unwirksam wird, weil nunmehr das Landesgeld für den Ausländer so billig geworden ist, daß er selbst bei Einrechnung des Zolls noch immer erheblich unter Weltmarktpreis kauft. Und jetzt strömt die Ware wieder in das Ausland, als ob der Zoll gar nicht vorhanden wäre.

Mit Gewalt kann also das Ausland nichts gegen das Dumping ausrichten. Statt des angestrebten Zweckes erreicht es lediglich, daß die Valuta des schleudernden Landes völlig ruiniert wird. Und damit wird nicht nur dieses Land, sondern auch das Ausland selbst empfindlich geschädigt, weil in dem Maße, wie der Außenwert des Geldes im „dumpenden“ Lande fällt, jede Einfuhr dorthin erschwert wird. Denn die Auslandsware verteuert sich für dieses Land um genau so viel, wie der Preis der fremden Wechsel steigt, mit denen die Ware bezahlt werden muß. Der Prohibitivzoll erschlägt also nicht die Ausfuhr des Landes, gegen das er sich richtet, sondern ganz im Gegenteil die Ausfuhr des Auslandes – dieses als Ganzes genommen –, das den Zoll verhängt hat.

Wenn wir uns nun, lieber James, um bis an das Ende des Problems zu gehen, die Frage vorlegen, was in dem (praktisch ganz unmöglichen) Falle geschehen würde, daß das gesamte Ausland sich gegen die Einfuhr aus dem Dumpinglande durch radikale Importverbote verschließt, so liegt die Antwort auf der Hand. Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder tritt im Dumpinglande ein derartiger Valutasturz ein, daß die Ausfuhrpreise auf ein Minimum sinken, wodurch im Auslande eine bedeutende Prämie auf die Einfuhr im Schleichwege entsteht, der legitime Handel also durch den Schmuggel abgelöst wird. In diesem Falle erweisen sich die Einfuhrverbote als wirkungslos. Oder aber die Einfuhr wird tatsächlich unterbunden, – eine sehr unwahrscheinliche Voraussetzung, da ja die Ausfuhr sich auch auf abstrakte Rechte, z.B. Kapitalbeteiligungen, sowie Dienste erstreckt –, dann hört die Schleuderausfuhr im Dumpinglande faktisch auf. Aber nicht etwa infolge irgend einer Abänderung der Zahlungsweise, in der das Dumpingland seine freiwillige oder erzwungene Leistung an das Ausland bewirkt) nicht infolge der Ersetzung des Zahlungsmittels „Ware“ durch irgend ein anderes Zahlungsmittel. Sondern einfach dadurch, daß das Dumpingland nunmehr überhaupt nicht mehr zahlt. Da ihm jetzt jede Möglichkeit benommen ist, Ware auszuführen und dadurch das zu Zahlungszwecken benötigte Devisenmaterial entstehen zu lassen, so kann es, so lief seine Valuta auch stürzen mag, keine freunden Zahlungsmittel mehr auftreiben. Trotz des besten Zahlungswillens ist es tatsächlich insolvent. Das Ausland hat sich also, indem es die Schleuderausfuhr erschlug, lediglich selbst um die Zahlungen gebracht, die es sonst erhalten haben würde.

Die praktische Nutzanwendung im Falle der deutschen Reparationen ist, daß das Ausland, solange es auf der Zahlungsleistung besteht, sich auch die entsprechende deutsche Ausfuhr gefallen lassen muß. And so lange Deutschland die Mittel für die Reparation im Inlande durch Notenausgabe beschafft, also Inflation treibt, muß seine Reparationsausfuhr notwendig den Charakter einer Schleuderausfuhr haben.

Heute bietet sich dem vorurteilsfreien Beschauer das närrische Bild, daß alle Länder Zahlungen verlangen, aber gleichzeitig die Ware ablehnen, in der diese Zahlungen allein geleistet werden können. So wenig beherrschen ihre maßgebenden Finanzleute und Volkswirte das ABC der Wirtschaft, und so wenig erkennen sie die zwingende Gewalt der ökonomischen Gesetze, daß sie diese Gesetze durch ihr Diktat und durch Ströme von Tinte ersetzen zu können glauben! Schade, daß wir beide den Tag nicht mehr erleben werden, an dem unsere Urenkel in ein homerisches Gelächter ausbrechen, wenn sie von diesem Aberwitz in ihren Lehrbüchern lesen!

Schluß — ich kann heute keine Tinte mehr sehen!

Dein alter Papa.

12. Brief

Zurück zur Goldwährung? – Zweckmäßigkeit und Möglichkeit der Rückkehr

Berlin, am 5. Oktober 1921.

Alle Länder, lieber James, die heute unter den Geißelhieben des Valutaverfalls seufzen, werden sehr bald vor der bedeutsamen Frage stehen: „Zurück zur Goldwährung oder nicht?“ Und diese Frage wird sich für sie in zwei Unterfragen spalten, nämlich erstens: Ist die Rückkehr ratsam und lohnt sie die hierfür etwa zu bringenden finanziellen Opfer? Und zweitens: Ist, falls diese Frage bejaht werden muß, die Rückkehr denn überhaupt möglich, ohne daß unifassende organisatorische Vorbereitungen und gewaltige wirtschaftliche Umwälzungen vorangegangen sind?

Wie die Antwort auf die Frage nach der Zweckmäßigkeit ausfallen wird, kann keinen Moment zweifelhaft sein. Denn die völlige Zerrüttung des Geldwesens, die überall da eingetreten ist, wo man dem Golde den Rücken gekehrt hat, hat die Überlegenheit der Goldwährung über die Papierwährung, trotz der theoretischen Gleichwertigkeit der letzteren, zum Greifen deutlich werden lassen. Und zwar ist die Überlegenheit der Goldwährung, wie wir aus den vorangegangenen Briefen wissen, eine dreifache.

Zunächst garantiert sie eine gesunde Geldverfassung einfach durch die Tatsache, daß sie da ist. Sie wirkt, wie der Engländer sagt, „in being“. Selbst wenn sie eine hinkende Goldwährung ist, wie sie es vor dem Kriege außer in England in allen sogenannten Goldwährungsländern war – weil überall eine Papierpyramide sich auf der Goldbasis aufbaute –, gewährt sie doch einen wertvollen Schutz gegen alle allzu kühnen Geldexperimente und gegen eine weitgetriebene Inflation. Auch da, wo die ziffernmäßige Übereinstimmung zwischen Geldumlauf und Goldvorrat, welche die Vollgoldwährung charakterisiert, nicht vorhanden ist, sondern nur das ziemlich fragwürdige Prinzip der Dritteldeckung herrscht, seht das Gold der Geldmenge im Lande bestimmte, ziemlich enge Grenzen, so daß eine willkürliche Überflutung des Landes mit Geldzeichen ausgeschlossen ist. Auch übt die Goldwährung überall da, wo sie adoptiert worden ist, eine Art Selbstschutz aus, die es den Regierungen erschwert, nach freiem Belieben mit ihr zu brechen. Sie erzeugt sehr schnell eine Goldtradition, eine Art wohltätigen „Goldfetischismus“ die auch geldwirtschaftlich unerfahrene Regierungen vor Attentaten gegen die Goldwährung zurückschrecken läßt und den Bestand dieses Inflationsschutzes gewährleistet, so lange nicht politische Katastrophen eine Diktatur der Tollkühnheit herbeiführen.

Daneben stehen die wertvollen aktiven Dienste, welche die Goldwährung der Valuta, der Bewertung des Landesgeldes im Auslande, und dadurch den internationalen Verkehrsbeziehungen des Landes leistet. Wo die Goldwährung herrscht, können die Wechselkurse, die den Wert des Landesgeldes in fremder Währung ausdrücken, nur um Bruchteile eines Prozents schwanken, weil bei Erreichung des oberen oder unteren „Goldpunktes“ sofort Gold ausströmt oder einfließt. Dadurch wird der Geldumlauf im Lande in die genaueste Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Zahlungsbilanz gebracht, so daß die Wechselkurse schnell auf ihren Normalstand zurück kehren. Im Inland und Ausland weiß also Jedermann, mit welchem Wert des heimischen Geldes im Verhältnis zum fremden er zu rechnen hat, was dem Außenhandel und dem Kapitalverkehr die Sicherheit gibt, ohne die sie zum Schaden des Landes in Spekulation ausarten.

Der dritte Dienst, den die Goldwährung dem ‘Lande leistet, ergibt sich aus den beiden ersten. Da sie das Geldwesen gegen Inflation schützt und die Valuta auf einem festen Normalstand verankert, macht sie das Land in hohem Grade kreditwürdig. Schon ein geringes Zins-Mehrgebot, das die Banken des Landes abgeben, zieht große Auslandskapitalien herbei, während in einen: Lande mit stark schwankender Währung -selbst ein hoher Mehrzins wirkungslos bleibt, weil das Valutarisiko hier den Zinsnutzen aufzufressen droht. Die Zahlungsbilanz wird also im Goldwährungslande nicht nur durch die Goldein- und Ausfuhr, sondern auch durch den Kredit (und die mit ihm eng verbundene Arbitrage) im Gleichgewicht erhalten. Und es gibt in Friedenszeiten kaum einen Geldbedarf, sei es ein öffentlicher oder privater, den das Ausland nicht bereitwilligst befriedigt, wenn das Kredit-suchende Land die Goldwährung hat.

Die Frage „Zurück zur Goldwährung oder nicht?“ wird daher wohl überall mit einem überzeugten „Ja“ beantwortet werden. Wie steht es aber um die Möglichkeit hierzu in den Ländern, die ihre Währung durch ungeheure Papiermassen um vierzehn Fünfzehntel oder neunundneunzig Hundertstel entwertet haben?

Nun, die Möglichkeit, lieber James, ist überall vorhanden, auch in den durch Inflation am stärksten zerrütteten Ländern, sofern man hier nur zu einer vernünftigen Finanzwirtschaft zurückkehrt. Die Goldwährung ist ein anspruchsloses Gewächs und gedeiht auch auf dürrem Boden, wenn er nur gesund ist. Es ist nichts weiter nötig, als daß die Länder, die Heimweh nach der Goldwährung haben, so wirtschaften, wie man es von jedem sorgsamen Hausvater verlangt, nämlich so, daß die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. Denn dann braucht man seine Zuflucht nicht zur Notenpresse zu nehmen. Und überall da, wo dies nicht geschieht, stellt sich die Goldwährung beim leisesten Verlangen nach ihr ganz von selbst ein.

Und zwar vollzieht sich dieser Vorgang auf höchst einfache Weise. Sobald in einem Lande die Notenpresse endgültig stillgelegt ist, kommt die Valuta, der Auslandswerk des Landesgeldes, der sich bis dahin unter starken Schwankungen fortgesetzt verschlechtert hat, zum Stehen. Denn wenn die Geldzeichen und die den Geldzeichen innewohnende Kaufkraft keiner willkürlichen Veränderung mehr durch das Auftauchen immer neuer Zettelmassen ausgesetzt sind, befestigen sich die Preise im Lande auf derjenigen Basis, die dem nunmehr stabilen Geldwert entspricht. Die Waren fließen ruhiger aus dem Lande hinaus und in das Land hinein, es bildet sich eine gewisse Niveaugleichheit mit den Weltmarktpreisen, und es kommt zu einer Konsolidierung der Wechselkurse, deren bisher so heftige Pendelschwingungen kleiner und immer kleiner werden. Ganz hören diese Schwingungen allerdings nicht auf, denn noch fehlt es an einem Element, das auf jede noch so kleine Schwingung reagiert und durch seine entsprechende Verlagerung das Pendel zur Ruhe bringt. Aber es wird doch erkennbar, daß die Schwingungen sich um einen bestimmten Mittelpunkt herum vollziehen, und zwar ist das derjenige Punkt, der dem neuen Weltwert des Landesgeldes entspricht.

Diesen Punkt festzustellen, ist Sache der experimentellen Devisenpolitik. Irgend eine Zentralstelle im Lande kauft fremde Wechsel immer dann an, wenn die Wechselkurse unter dem vorausgesetzten Mittelpunkt stehen, und gibt sie wieder fort, wenn die Wechselkurse diesen Punkt überschreiten. Es kann sein, daß das so beschaffene, sehr einfache Verfahren nicht beim ersten Anhieb glückt, daß also beispielsweise die Zentralstelle ihren Wechselvorrat sehr schnell erschöpft sieht, weil die Wechselkurse sich weit häufiger über als unter dem Mittelpunkt, der neuen Goldwert-Parität, befinden. Dann ist das ein Zeichen, daß man diese Parität noch nicht ganz richtig ermittelt hat, und daß sie in Wirklichkeit etwas höher liegt, als vorausgesetzt. Man muß also das Experiment fortsetzen und einen neuen Mittelpunkt suchen, bis man ihn da findet, wo sich Abfluß und Zufluß des Wechselmaterials die Wage’ halten. Ist dieser Punkt, diese neue Parität, festgestellt, und ist es dann durch fortgesetzte Devisenkäufe gelungen, einen Wechselbestand anzusammeln, den die gelegentlichen Abflüsse nicht mehr erschöpfen können, so hat man – die neue Goldwährung. Denn die Zentralstelle kann dann zu jeder Zeit ihren Bestand an Auslandswechseln in Gold verwandeln, indem sie ihn im Ausland diskontiert oder verkauft und sich den Gegenwert in Gold remittieren läßt.

Allerdings ist dies noch keine „Voll-Goldwährung“, sondern nur eine Goldrandwährung, d.h. eine Währung, die einen Kern aus Papiergeld und einen Rand aus Gold hat, der durch Ab- und Zufluß die Wertäquivalenz des Papiergeldes mit dem neu ermittelten Goldpari gewährleistet. Aber für den Anfang genügt eine solche Goldrandwährunq. Sie erfüllt ihren Zweck, die Wechselkurse stabil zu erhalten, alle Außenbeziehungen des Landes auf die sichere Grundlage eines festen Geldwerts zu stellen und dem Lande seine internationale Kreditwürdigkeit zurückzugeben. Große Länder, wie z.B. die alte Oesterr.-Ungarische Monarchie, sind Jahrzehnte-lang mit einer solchen Goldrandwährung ausgekommen. 

Nach und nach kann man dann stufenweise zur Vollgoldwährung übergehen. Die Zentralstelle verstärkt ihren Devisenbestand, bezieht bei Fälligkeit der Wechsel oder auch schon vorher – im Wege des Verkaufs oder Diskonts – die Goldbeträge, auf welche die Wechsel lauten, bis sie sich eines Tages stark genug fühlt, um den Schritt zu tun, den man „Wiederaufnahme der Barzahlungen“ nennt. Die Zentralstelle, die zweckmäßigerweise mit der Zentralnotenbank identisch sein wird, wo eine solche existiert, erklärt sich bereit, jedem Inhaber von Zettelgeld auf Verlangen Gold gegen Noten auszuhändigen. Nach einem allen Erfahrungssatze genügt ein Goldbestand in Höhe eines Drittels des Papierumlaufs, um die Goldeinlösung hinreichend sicherzustellen. Auch in diesem Falle handelt es sich zwar nicht um eine Vollgoldwährung im orthodoxen Sinne, denn diese verlangt, daß jedes Geldzeichen im Lande Stück für Stück durch Gold gedeckt sei. Immerhin ist es die praktischen Anforderungen genügende Normal-Goldwährung, wie Deutschland sie bis zum Kriegsausbruch gehabt hat.

Wie viel Gold gehört nun dazu, um eine solche, auf dem Dritteldeckungs-Prinzip beruhende Goldwährung in Deutschland aufzurichten? Es sind hierüber die abenteuerlichsten Vorstellungen verbreitet. Tatsächlich läßt sich in Deutschland die Goldwährung mir einem Goldbestände aufrichten, der nur unwesentlich größer ist als der Goldbestand, den die Deutsche Reichsbank heute bereits hat. Ein kleines Rechenexempel wird Dir das schnell klarmachen, mein Sohn.

In Deutschland sind bis heute, Anfang Oktober 1921, rund 90 Milliarden Mark Papiergeld in Umlauf gesetzt worden. Davon liegen annähernd 10 Milliarden in Belgien und Frankreich fest, wo man sie nach Kriegsende in Francs umgetauscht hat. Ein weiterer, ganz ungeheuerer Betrag befindet sich in den Händen der Internationalen Spekulation. Man schätzt ihn auf 30 bis 40 Milliarden, doch wollen wir Ihn vorsichtigerweise nur auf 20 Milliarden veranschlagen, zumal in den letzten Wochen große Beträge nach Deutschland zurückgeströmt sind. (Diese Noten wird Deutschland, bevor es zu einer Währungsreform schreitet, gegen Anleihe umzutauschen und endgültig aus dem Verkehr zu ziehen haben). Sonach bleiben noch rund 60 Milliarden, die den eigentlichen Umlauf in Deutschland bilden. Ihnen steht heute ein Goldbestand der Reichsbank in Höhe von mehr als 1 Milliarde gegenüber. Nun betrug der Wert einer Papiermark noch vor wenig Wochen etwa den zwölften oder dreizehnten Teil einer Goldmark. Wie sich aus der allgemeinen Preisbewegung ergibt, ist ihr Wert aber neuerdings stark gesunken, etwa auf den fünfzehnten Teil einer Goldmark: wenigstens ist dies ihr Binnenwert, den wir unter Außerachtlassung des – weit niedrigeren Außenwerts als maßgebend ansehen wollen. Der 1 Milliarde Goldmark im Besitz der Reichsbank stehen also rund 4 Milliarden Goldmark Papiergeld gegenüber. Man kann auch sagen, daß den 60 Milliarden Papiermark im Umlauf rund 15 Milliarden Papiermark in Gold bei der Reichsbank gegenüberstehen. Das eine wie das andere drückt dieselbe Tatsache aus, daß nämlich der deutsche Geldumlauf heute mit etwa 25 Prozent in Gold gedeckt ist, und Latz die Reichsbank ihren Goldbestand von 1 Milliarde auf etwa 1 1/3 Milliarde steigern müßte, um eine Dritteldeckung herbeizuführen. Deutschland kann also heute zur Goldwährung zurückkehren und die Barzahlungen wieder aufnehmen, wenn die Reichsbank ihren Goldbestand um Milliarde Goldmark erhöht, und wenn – dieses „wenn“ ist freilich sehr bedeutsam – die Notenpresse sofort stillgelegt wird.

Geschieht letzteres nicht, so ist das nicht etwa gleichbedeutend mit einem notwendigen Scheitern der Rückkehr zum Golde, sondern es hat nur zur Folge, daß die Geldwert-Basis, auf der diese Rückkehr erfolgen kann, sich immer mehr verschlechtert. Man kann dann nicht, wie jetzt, etwa je 15 Papiermark in eine Goldmark verwandeln, sondern es kommt dann zu einer Zusammenlegung von 100 oder 1000 oder noch mehr Papiermark zu einer Goldmark. Die Inflation macht nirgends und in keinem noch so vorgeschrittenen Stadium die Geldreform unmöglich. Sie verschlechtert nur die Sanierungsbedingungen. Selbst Rußland kann binnen eines halben Jahres wieder nach Gold rechnen, wenn es will. Hier wird allerdings der Umtausch von Sowjetrubeln in Goldrubel kaum anders als nach Gewicht erfolgen können: 1 kg Zehnrubelscheine gleich 1 Goldrubel.

Für mich, lieber James, unterliegt es nicht dem mindesten Zweifel, daß alte europäischen Länder, die Anspruch auf die Bezeichnung einer Großmacht oder auch nur einer Mittelmacht erheben, binnen weniger Jahre die Goldwährung wieder einführen werden. Denn Handel und Wandel kehren erst dann wieder in ihre normalen, von Dumping, Wucher und Spekulativität befreiten Bahnen zurück, und der Weltkredit nimmt erst dann in vollem Umfange seine Funktion als Regulator der Zahlungsbilanz wieder auf, wenn die Valuta der Länder ihre alte Wertbeständigkeit zurückgewinnt: und diese kann sich die Valuta auf die Dauer nur dann sichern, wenn der goldene Riegel wieder angebracht ist, der das Geldwesen der Länder vor Willkür und Dilettantismus schützt.

Womit ich die Feder für diesmal aus der Hand lege.

In Liebe 

Dein alter Papa.


[1] Brief vom 11. Januar 1921.

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